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K. Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme und die Recht sprechung des deutschen Reichsgerichts. 1890. Berlin, Verlag va O. Liebmann. S. 305.

Das Reichsgericht hat bis jetzt konstant daran festgehalten, da das unterscheidende Merkmal zwischen Mitthäterschaft und Beihilfe a einer Verschiedenheit der Willensrichtung beruhe, also dem subjektive Verbrechensthatbestande angehöre. Verf. sucht nun die Unrichtigke: dieses Standpunkts und die Inkonsequenz der Rechtsprechung des Reich gerichts in Beziehung auf die ganze subjektive Teilnahmetheorie dar zulegen. Zu diesem Behuf werden nicht weniger als 168 Entscheidunga des Reichsgerichts gewürdigt. Verf. legt insbesondere dar, dass dies Theorie in der Praxis zu ungerechten Verurteilungen führen müsse weil sie den Unterschied der Teilnahmehandlungen statt in äusserlic leicht erkennbare objektive Momente in die nicht feststellbaren inner sten Seelenvorgänge des Handelnden lege. Diese Theorie habe au keine Stütze im Gesetz, da das Strafgesetzbuch diejenige Kausalität theorie, nach welcher jede Bedingung eines konkreten Erfolgs dieser Erfolg ganz und voll verursacht, nicht adoptiert habe, vielmehr übers lediglich nach der Art und Weise der Thätigkeit der Zusammenvi kenden unterscheide. Statt auf das Gesetz gründe sich die Theorie de Reichsgerichts ausschliesslich auf die nicht massgebenden Motive; dabe werde der innige Zusammenhang der Lehre von der Teilnahme mit de Lehre von der Kausalität im Strafrecht verkannt. Endlich verleng das Reichsgericht selbst in nicht wenigen Urteilen die subjektive Tal nahmetheorie vollständig, indem es zwischen Mitthäterschaft und Be hilfe nach rein objektiven Merkmalen unterscheide. Verf. schliesst dem Wunsche, dass im Interesse des Ansehens des Gesetzes und de Reichsgerichts selbst das letztere baldigst mit einer Rechtsprechen. brechen möge, die ebenso mit dem Gesetz wie mit der Wissenschaf im Widerspruch stehe.

G.

H. Elsass, Ueber das Begnadigungsrecht. Ein Beitrag zur Der matik des gegenwärtig in Deutschland geltenden Rechts. Münche 1888, Verlag von Bensheimer. 136 S.

Eine Strassburger Inauguraldissertation, welche Aufmerksamke verdient, weil sie die gewöhnlichen Leistungen solcher Dissertatione erheblich überragt. Verf. gibt eine umfassende dogmatische Darstellung der Lehre von der Begnadigung auf dem Boden der Reichsgesetzgebung vom staatsrechtlichen und strafprozessualischen Standpunkt. In gewandte Darstellung, mit logischer Schärfe und unter eingehender Berücksichtigung der gesamten neueren Litteratur, werden die zahlreichen auf dem Ge biete des Begnadigungsrechts bestehenden Kontroversen erörtert und durchweg selbständig entschieden. Bezüglich des Abolitionsrechts kommt der Verf. zu dem Resultate, dass die Abolitionsbefugnis der Einzel

staaten zwar

soweit solche vor Einführung der Reichsjustizgesetze

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bestanden habe auch fernerhin bestehe, aber nur bis zum Beschlusse des Gerichts, das Hauptverfahren zu eröffnen.

G.

Mit dem Strafvollzug, insbesondere mit der Frage von den Ersatzmitteln für kurzzeitige Freiheitsstrafen beschäftigen sich folgende Publikationen:

1. Die Mitteilungen der internationalen kriminalistischen Vereinigung. Berlin, Guttentag. 1889/90. Nach dem Programm dieser Vereinigung wird die Trennung des Strafvollzugs von der Strafrechtspflege als unrichtig und zweckwidrig bekämpft und der Ersatz der kurzzeitigen Freiheitsstrafe durch andere Strafmittel von gleicher Wirksamkeit für möglich und wünschenswert erklärt; unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher soll die Strafgesetzgebung für eine möglichst lange Zeitdauer unschädlich machen.

2. P. L. Aschrott, Ersatz für kurzzeitige Freiheitsstrafen. Hamburg 1889, vormals Richtersche Verlagsanstalt. 59 S. Verf. empfiehlt zu diesem Zwecke neben einer Neuregelung der Geldstrafen die Einführung der Friedensbürgschaft und des Urteils mit bedingter Strafe.

3. H. Appelius, Die bedingte Verurteilung und die andern Ersatzmittel für kurzzeitige Freiheitsstrafen. Kassel, F. Kessler. 1890 119 S. Enthält umfassende Vorschläge für die reichsgesetzliche Regelung des Strafvollzugs und für die Reform des Verfahrens gegen jugendliche Verbrecher unter nüchterner Würdigung der in neuerer Zeit vielfach in mehr oder weniger schwindelhafter Weise vor das grosse Publikum gebrachten Liszt'schen Reformvorschläge.

4. R. v. Hippel, Die korrektionelle Nachhaft. Freiburg, J. C. B. Mohr, 1889. 124 S. Eine von Liszt empfohlene Erstlingsarbeit aus dessen kriminalistischem Seminar; im wesentlichen eine Zusammenstellung der Materialien über den bisherigen Rechtszustand in den verschiedenen deutschen Staaten in Beziehung auf die korrektionelle Nachhaft und verwandte Institute.

G.

Pfizer, Recht und Willkür im deutschen Strafprozess. Hamburg 1888; vormals Richter'scher Verlag. 86 S.

Die Mängel der deutschen Strafprozessordnung sind bekannt. Sie war das Produkt eines unvermeidlichen Kompromisses zwischen ganz entgegengesetzten Auffassungen über die Ziele und Aufgaben des Strafprozesses. Es galt zunächst, eine gemeinsame Grundlage für die künftigen Reformbestrebungen zu schaffen. Die Schrift von Pfizer ist ein verdienstlicher Beitrag für diese Gesetzgebung der Zukunft. Was er zur Kritik der aus Frankreich importierten Institute der Staatsanwaltschaft und des Geschwornengerichts vorträgt, mag Manchem vielleicht als zu dunkel aufgetragen erscheinen, entspricht aber durchaus der

Wahrheit und ist von dem Verf. direkt aus dem Leben geschöpft. Was insbesondere den Wert der Geschwornengerichte in ihre bisherigen, dem französischen Muster nachgebildeten Gestalt betriff so haben sie bekanntlich in juristischen Kreisen heutzutage in Deutschland nur noch wenige Verteidiger, desto mehr unter den Politiken selbst von der rechten Seite. Denn solange die Geschwornen dem Eir fluss der Staatsanwaltschaft sich nicht entziehen, weiss man sich einem Institute ganz wohl zu befreunden, das ohne allzuviele rechtliche Bedenken und ohne nach aussen eine Verantwortung zu tragen, selbe in zweifelhaften Fällen sein Verdikt erlässt. Verf. will an die Stele des bisherigen Schwurgerichts 12 Laien setzen, welche unter dem Vær sitz eines Juristen als einheitliches Kollegium das Urteil zu fällen hätta wobei dem vorsitzenden Richter die Leitung des Verfahrens und al damit zusammenhängenden Beschlüsse ausschliesslich zustehen sollen beiläufig bemerkt ein Vorschlag, der seinerzeit auch schon in der Justirkommission des Reichstags, wenn auch ohne Erfolg, gemacht wurde — Ueber die Schuldfrage sollen die Laien ohne Unterscheidung zwischer Recht- und Thatfrage entscheiden. Absolute Mehrheit der Stimme genügt. Nur soll zum Schutz gegen ungerechte Verurteilungen geger die Stimme des Vorsitzenden eine Verurteilung nicht beschlossen werden können. Die Strafausmessung wäre, wie in England, dem Vorsitzende allein zu übertragen. Ob man das so reformierte Institut Schöffenge richt, oder aber nach seiner dem bisherigen Geschwornengericht äusser lich angepassten Erscheinung mit Rücksicht auf die Vorurteile der grossen Masse auch fernerhin Schwurgericht benennen will, thut nicht zur Sache.

Die Stellung des Staatsanwalts im heutigen Strafprozess hät der Verf. für eine geradezu gefährliche. Die beiden Funktionen de selben als Beamter im Vorverfahren und zugleich als öffentlicher Arkläger im Hauptverfahren erscheinen ihm ihrer Natur nach unverträg lich. Die Strafrechtspflege soll vielmehr ausschliesslich Sache der Ge richte sein, das Vorverfahren von dem aus der Mitte der Landgerichte mitglieder auf Zeit bestellten Untersuchungsrichter unter Aufsicht de Strafkammer also mit Beseitigung des sog. Ermittlungsverfahrens und im Sinne der obligatorischen Voruntersuchung geleitet und në die Vertretung der Strafverfolgung im Hauptverfahren dem Staatsanwai übertragen werden, welchen der Verf. aus der Mitte der Gerichtsmitglieder entnehmen will.

G.

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Um die Mitte des achten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung vollzog sich fast gleichzeitig im Orient und im Occident ein bedeutungsvoller folgenreicher Wechsel der Herrschergeschlechter. Ging dort das Khalifat von den Omaijaden auf die Abbasiden über, so kam es hier zur Verdrängung der Merowinger durch die Pippiniden. Hat dieses Geschlecht schon vordem in Karl dem Hammer einen grossen Mann hervorgebracht, der durch den Sieg bei Poitiers die Christenheit und das Abendland vor der Ueberflutung durch den Islam gerettet, so sind ebenso die beiden ersten Herrscher des neuen Königshauses hochragende Erscheinungen in der Geschichte des deutschen Volkes. Pippin hat seinem Hause die Krone erworben, sie festzuhalten und zu vererben verstanden; sein Sohn hat eine Grossmacht gegründet, wie eine solche später im Abendlande nicht wieder zur Erscheinung kam aber noch mehr als das, er hat seinen Völkern nach langen und blutigen Kämpfen den Frieden gegeben, unter dessen Segnungen allein des Volkes Wohl blühen, gedeihen kann.

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Was Karl auf diesem Gebiete für seine Länder und Völker erstrebt und gethan, möge in der folgenden Studie Darlegung finden.

I.

Karl war ein grosser Eroberer, ein mächtiger Krieges

Zeitschr. f. Staatsw. 1891. III. Heft.

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fürst; aber noch mehr als das, er war der grosse Ordner, Richter und Gesetzgeber seines gewaltigen Reiches; ihm gelang es, nicht bloss mit dem Schwerte in der Hand ein Reich zu schaffen, das vom atlantischen Ocean bis an die Theiss und von der Nordsee bis an die Südspitzen Italiens reichte, ihm gelang das noch schwierigere Werk, diesen Ländern von riesigem Umfange und von zahlreichen Völkern bewohnt eine geordnete Verwaltung zu geben und sie zu einem leistungsfähigen und lebenskräftigen Ganzen zu verbinden. Diese Arbeiten des Friedens fallen in die zwei letzten Jahrzehnte seiner Regierung, denn erst nach Unterwerfung aller deutschen Stämme unter seine Herrschaft, nach Beendigung der auswärtigen Kriege, die ihn nach Italien, Spanien und Pannonien geführt hatten und nach Erlangung der Kaiserkrone, wobei er selbst aussprach, dass er glaube, neue Rechte und Pflichten empfangen zu haben, erst nachdem er all' das grosse und schwere vollführt, konnte er daran denken, das Innere seines Reiches zu ordnen, Einheit in der Regierung herzustellen und gleichmässige Einrichtungen zu begründen, so dass der Hauptteil seiner Thätigkeit auf dem wirtschaftlichen Gebiete in die Jahre von 790 bis 814 fällt 1). Bemerken doch die Reichsannalen ausdrücklich zum Jahre 790, dass Karl in diesem Jahre keinen Heereszug unternommen, so dass also dieses, das 23. Jahr seiner Regierung sein erstes wirkliches Friedensjahr gewesen.

Vor allem war Karl ein grosser Kolonisator; planmässig und in grossem Massstabe liess er Rodungen vornehmen und Höfe anlegen. »Unsere Wälder und Forste sollen in gutem Stande erhalten werden; wo sich aber ein geeigneter Ort zum Roden findet, dort soll gerodet werden und die Wälder sollen das Feld nicht überwuchern< 2). »Weinberge und Obstpflanzungen sollen angepflanzt werden und wenn sich geeignete Leute finden, soll ihnen der Wald zum Roden übergeben werden 3). So heisst es in seinen Kapitularien. Wenn auch die Politik ihn veranlasste, Sachsen in grossen Mengen nach

1) Waitz, Verfassungsgeschichte, III. 185 f. - 2) Capitulare de villis, cap. 36, MGH. LL. I. 183. 3) Capitulare Aquisgranense, 813, cap. 19, LL. I. 189.

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