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geber durch das Unfallversicherungsgesetz aufgebürdet, indem er durch dieses für jeden dem Arbeiter im Betriebe zustossenden Unfall vermögensrechtlich verantwortlich gemacht wird, ohne Rücksicht darauf, ob ihn oder seine Beamten ein Verschulden an dem Unfall trifft oder nicht. Die bisherige privatrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für Unfälle seiner Arbeiter nach den Grundsätzen des Zivilrechts ist somit jetzt in eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung umgewandelt, welche ausschliesslich durch die Thatsache des Eintritts in das Arbeitsverhältnis und des Unfalls beim Betriebe entsteht 1).

Das neueste sozialpolitische Gesetz vom 22. Juni 1889 legt dem Arbeiter die Verpflichtung auf, sich gegen die Folgen der Arbeitsunfähigkeit (Invalidität) und des Alters zu versichern, zwingt den Arbeitgeber, Beiträge zu den Kosten dieser Versicherung zu leisten, wirkt damit also indirekt wieder auf die Höhe des Arbeitslohns ein und macht endlich die unter das Gesetz fallenden Arbeiter zu Pensionären des Reiches, indem dieses zu den Kosten der Invaliditäts- und Altersversicherung Zuschüsse leistet.

Dadurch ist mit dem einen Axiom von den Grenzen und der Wirksamkeit des bisherigen > Rechtsstaates<, seinen Angehörigen Rechtsschutz zu gewähren, zweifellos aufs Eklatanteste gebrochen und eine Rückkehr zu dem früheren Polizeistaate angebahnt, dessen Aufgabe es war, das Allgemeinwohl in jeder Weise zu fördern und insbesondere, wie es in § 1 II. 19 A. L.Rs. heisst, »für die Ernährung und Verpflegung derjenigen Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen können.<

Einen weiteren Schritt auf diesem Wege bildet der gegenwärtig dem Reichstag zur Beschlussfassung vorliegende >Gesetzentwurf betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung< oder das > Arbeiterschutzgesetz«, wie es kurzweg genannt wird.

Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich hier ausdrücklich betonen, dass ich weit davon entfernt bin, die gegen

1) Der seltene Ausnahmefall, dass der Arbeiter seinen Unfall vorsätzlich herbeigeführt, was die Haftbarkeit des Arbeitgebers ausschliesst, kommt für die Ausführungen des Textes nicht in Betracht.

wärtige Tendenz unserer Gesetzgebung prinzipiell als verwerflich um deswillen zu bekämpfen, weil sie mit der bisher herrschenden Auffassung von den Grenzen der Wirksamkeit des Rechtsstaats gebrochen und in einer Hinsicht zu den Anschauungen des vorigen Jahrhunderts zurückgekehrt ist. Wer die geschichtliche Entwicklung der Menschheit und insbesondere diejenige des Rechts aufmerksamen Auges verfolgt hat, wird mir zugeben, dass die Rückkehr zu den Institutionen früherer Zeiten nicht immer und unter allen Unständen einen Rückschritt bedeutet. Statt aller anderen Beispiele sei hier zum Beweise des Gesagten nur daran erinnert, dass erst die Neuzeit das bis vor wenigen Dezennien im Zivil- und Strafprozess herrschende schriftliche Verfahren durch den bereits im altdeutschen und römischen Recht geltenden Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens ersetzt und damit einen unzweifelhaften und im Wesentlichen unbestrittenen Fortschritt gemacht hat.

Es kann übrigens hier ganz dahin gestellt bleiben, ob an und für sich die Rückkehr zu den oben skizzierten Prinzipien des »Polizeistaates « einen Fortschritt oder einen Rückschritt bedeutet 1).

Denn wenn ich mir auch die Aufgabe gestellt, den vorliegenden Entwurf der Gewerbeordnungsnovelle einer Kritik zu unterziehen, wenn ich deshalb auch die Frage erörtern und zu lösen versuchen muss, ob derselbe gegenüber der bis jetzt geltenden Gewerbeordnung als ein Fortschreiten der Gesetzgebung, also als eine Besserung des jetzigen Rechtszustandes zu bezeichnen sei, so kann ich diese Frage doch nicht mit dem Argument entscheiden, der Gesetzentwurf greife über den Rahmen des Rechtsstaats hinaus, indem er bisher rein privatrechtliche Angelegenheiten nunmehr dem Gebiete des öffent

1) Hierbei will ich nur noch erwähnen, dass das blosse Wort »Polizeistaat<< für den Juristen ein Argument pro oder contra selbstredend nicht bildet, wie dies leider in der Presse und der sog. »öffentlichen Meinung vielfach der Fall, bei welcher so häufig der Gebrauch gewisser Schlagworte die Begründung einer bestimmten Ansicht ersetzen muss.

lichen Rechts überweise. auf den Boden des geltenden Rechts stellen; er muss sich sagen, dass durch den Erlass der obenerwähnten drei sozialpolitischen Gesetze mit derjenigen Anschauung, welche dem Staate auch für seine gesetzlichen Aufgaben gewisse Schranken auferlegte und insbesondere eine fast schrankenlose Freiheit des Individuums ohne Rücksicht auf die etwa entgegenstehenden Interessen der Gesellschaft begünstigte, welche m. a. W. jeden Eingriff des Staates in die Privatrechtsphäre aufs strengste verwehrte, wenigstens für die jetzt lebende Generation endgültig gebrochen ist. Es hiesse also einen durch die neueste Gesetzgebung bereits entschiedenen Streit nutzlos von neuem beginnen, wollte man hier die Frage aufwerfen, ob überhaupt der Staat in das privatrechtliche Gebiet durch öffentlich-rechtliche Normen eingreifen darf. Diese Frage ist vielmehr bereits bejahend entschieden und deshalb für den Kritiker eines einzelnen Gesetzes nur zu prüfen, ob das neue Gesetz sich als eine folgerichtige Weiterbildung des bisher geltenden Rechts charakterisiert.

Der Kritiker muss sich vielmehr

Ist es mir durch diese einleitenden Bemerkungen gelungen, darzuthun, dass einerseits der heutige Staat es nicht bloss als seine Aufgabe betrachtet, »Rechtsschutz zu gewähren«, dass er insbesondere auch die Interessen und das Beste der im Staate vereinigten Gesellschaft zu fördern hat, so ist damit für die nachfolgenden Betrachtungen der richtige Standpunkt gewonnen.

Ehe ich jedoch zu meiner eigentlichen Aufgabe übergehe, bedarf es noch einer anderen prinzipiellen Verständigung.

Wie bemerkt hat das heutige deutsche Reich diejenige Anschauung von dem Wesen und den Aufgaben des Rechtsstaats, wie sie zu Beginn und bis zur Mitte dieses Jahrhunderts geherrscht, teilweise über Bord geworfen und ist insoweit zu dem >Polizeistaat des vorigen Jahrhunderts zurückgekehrt. Sind wir damit aber überhaupt zu den Grundsätzen und dem System des Polizeistaates des vorigen Jahrhunderts übergegangen?

Diese Frage muss m. E. unbedingt und unbedenklich verneint werden.

Der Begriff des Rechtsstaats schliesst zwei Momente in sich einmal die Begrenzung der staatlichen Aufgaben auf gewisse Gebiete, sodann die Verwaltung des Staates das Wort Verwaltung im weitesten Sinne genommen nach den Prinzipien des Rechts oder wie Gneist 1), der Begründer dieser Auffassung von dem Wesen des Rechtsstaats, sich ausdrückt: die Verwaltung des Staates nach den Gesetzen des Landes.<

Darin gerade unterscheidet sich der heutige Staat am aller wesentlichsten von dem Polizeistaat des vorigen Jahrhunderts, dass, während in diesem die Handhabung der Verwaltung lediglich dem schrankenlosen durch keine Gesetze und kein geordnetes Rechtsverfahren eingeengten Ermessen der Behörden und des Staatsoberhaupts überlassen war, heutzutage auch das Gebiet der Verwaltung durch zahlreiche Gesetze fest geregelt ist, deren richtige Anwendung der Kontrolle von Verwaltungsgerichten, also einem geordneten Rechtsschutze, unterliegt.

Diese Seite des Rechtsstaats wird gerade in der neuesten Gesetzgebung des Reiches und der grösseren Bundesstaaten nicht nur nicht zurückgedrängt, sondern vielmehr ganz besonders gepflegt; es ist das eifrigste Bestreben aller Gesetzgebungsfaktoren, überall an Stelle polizeilicher Willkür, wie sie innerhalb des Polizeistaats des vorigen Jahrhunderts möglich war und thatsächlich geübt wurde, feste gesetzliche Normen und einen wohlgesicherten Rechtsschutz zu setzen, was schon aus der Einführung der neuerdings überall Platz greifenden Verwaltungsgerichtsbarkeit erhellt.

Bei der uns obliegenden Kritik des Entwurfs der Novelle haben wir also ganz besonders scharf zu prüfen, ob derselbe auch allen Erfordernissen des modernen Rechtsstaats insofern entspricht, als er jede polizeiliche Willkür ausschliesst und klare einen sicheren Rechtsschutz gewährleistende Bestimmungen aufstellt, so dass er auch nach dieser Richtung hin

1) Gneist: Der Rechtsstaat. Berlin 1872.

als eine Weiterbildung der heutigen Auffassung von den Aufgaben und der Wirksamkeit des Staates sich charakterisiert.

Unter Zugrundelegung der vorstehend entwickelten allgemeinen Gesichtspunkte soll nun im Nachstehenden zunächst der Inhalt des Gesetzentwurfs kurz skizziert und im Anschluss daran einer Kritik unterworfen werden.

Der Entwurf zerfällt in 7 Artikel, deren erster den seit Erlass der G.O. schon so vielfach abgeänderten VII. Abschnitt derselben einer ganz neuen Redaktion unterwirft, die zwar in einzelnen §§ wörtlich mit dem bisherigen Recht übereinstimmt, im übrigen aber die allereinschneidendsten Aenderungen des gegenwärtigen Rechtszustandes zur Folge hat, wie wir sogleich sehen werden.

Der Art. 2, welcher bestimmt, dass an Stelle der Bezugnahme auf den durch den Entwurf aufgehobenen § 120a der jetzigen G.O. der § 3 Abs. 1 des Ges. betr. die Gewerbegerichte tritt, ist gegenwärtig überflüssig geworden, da das letztere, am 24. Juli 1890 erlassene Gesetz (R. G.BI. S. 141) bereits in § 78 Abs. 2 eine entsprechende Vorschrift enthält. Der Artikel 3 erweitert die Befugnisse der Innung, indem er ihr auch die Regelung der Ueberwachung der Vorschriften der §§ 105a bis 105g, 120 bis 120e, des Entwurfs überträgt, soweit es sich dabei um die der Innung angehörigen Lehrlinge handelt.

Durch Artikel 4 wird eine ziemlich umfangreiche Erweiterung und teilweise Neuregelung der Strafbestimmungen der Gewerbeordnung vorgesehen, auf welche gehörigen Ortes zurückzukommen ist.

Art. 5 ändert den § 154 G.O. ab, welcher eine Anzahl von Personenkategorien aufzählt, betreffs deren einzelne Vorschriften des VII. Titels Anwendung bezw. gar keine Anwendung finden. In Art. 6 werden durch einen Zusatz zu § 155 Abs. 2 der G.O. einzelne Vorschriften des VII. Titels für die unter Reichs- oder Staatsverwaltung stehenden Betriebe modifiziert und Art. 7 endlich enthält die Vorschriften über das Inkrafttreten des Gesetzes und dessen einzelner Teile.

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