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Die Karawanenstraßen waren sicher und Räuber selten unter ihm. Im Jahre 1886 ergriff er die Gelegenheit, die Zustände in Er-Rijâḍ zu ordnen, wo zwei Neffen den Emir 'Abdâllâh bin Feisal ergriffen und gefangengesetzt hatten. Moḥammed ibn Rašîd setzte zwar den Thronräuber ab, führte aber den Emir 'Abdâllâh selbst nach Hâjil und ließ einen jüngeren Bruder von ihm als Gouverneur in Er-Rijâḍ. So hatte das große Reich der Ibn Sa'ûd tatsächlich sein Ende erreicht, das grünrote Banner der Ibn Rašîd hatte gesiegt über die rotweiße Fahne der Ibn Sa'ûd. Mit der Türkei stellte Mohammed ibn Rašîd sich gut, nannte sich deren Verbündeter und zahlte einen kleinen Tribut an den Großscherif in Mekka als Anerkennung der Oberhoheit der Türkei. Im Jahre 1890 machten die Anhänger der Ibn Sa'ûd einen Versuch, das alte Reich wiederherzustellen, aber vergeblich. Als Mohammed ibn Rašîd 1897 starb, war er der Herrscher von ganz Innerarabien. Sein Nachfolger 'Abd ul-'Azîz Mita'b bin Mohammed ibn Rašîd fiel in einem Gefecht 1906; und dessen ältester Sohn wurde im folgenden Jahre von einem seiner Vettern, Sultân bin Hamid Ibn Rašîd ermordet. Es folgte Saûd ibn Rašîd, der etwa 1886 geboren ist. In seiner Jugend, denn er kam mit 12 Jahren zur Regierung, war ein gewisser Zâmil es-Sabhân Regent, der gegen die die türkische Regierung und gegen die Fremden eine freundliche Haltung annahm. Es gelang ihm, Er-Rijâḍ zu erobern, die Erben des Emir flohen und fanden Zuflucht in Kuweit.1

Die beiden widerstreitenden Parteien in Innerarabien waren also die Sippen der Ibn Sa'ûd in Er-Rijâḍ und die der Ibn Rašîd in Hâjil. Sie sind es noch heute, werden aber in der Zeitungspresse dauernd verwechselt, weil unglücklicherweise der heutige Herrscher der Familie Ibn Rašîd in Ḥâjil den Personennamen Sa'ûd trägt. Die beiden Konkurrenten heißen heute also: 'Abd el-Azîz Pascha ibn Sa'ûd in Er-Rijâḍ und Sa'ûd bin 'Abd el-'Azîz Pascha ibn Rašîd in Ḥâjil.2

1 Diesen Zâmil es-Sabhân hat Ibn Rašid 1914 hinrichten lassen, angeblich weil er eine Anlehnung an die Partei der Ibn Sa ûd wollte.

2 Nach M. Hartmann lauten im „Loghat al'arab“ die Namen meist Ibn Ar-Rašîd und As-Sa'ûd oder Ibn Sa ûd; daneben das richtige Al Sa'ûd. Dies Ål hat mit dem arabischen Artikel nichts zu tun, es ist ein in seiner Bedeutung nicht mehr erkanntes âl,,Sippe“.

Die Verhältnisse verändern und komplizieren sich nun, nachdem - England im geheimen und stillen eingriff. Lord Curzon hatte als eine seiner ersten Regierungshandlungen am 23. Januar 1899 einen Vertrag mit dem Häuptling von elKuweit abschließen lassen, um den Persischen Golf als Vorfeld für das Indische Kaiserreich sicherzustellen und besonders um den deutschen Plänen mit der Baghdâd-Bahn entgegenzuarbeiten. Wir kommen darauf weiter unten noch zu sprechen. Die Pläne der Engländer gingen zielbewußt darauf hinaus, sich einen mächtigen Anhang in Innerarabien zu schaffen, der gegen die Türken gerichtet war. Aber das fernstehende Publikum durfte dies nicht merken, und das Ziel wurde mit sehr vielen Umwegen „auf leisen Schuhen" verfolgt, wie England dies liebt.

Mubarak ibn as-Şabaḥ, der Häuptling von Kuweit, der seit dem Vertrag vom 23. Januar 1899 an den Engländern einen Rückhalt hatte, und der wegen der wachsenden Macht der Ibn-Rašîd in Hâjil fürchten mußte, daß sein Anteil an dem Gewinn der Karawanenstraße von Mesopotamien nach Mekka geschmälert würde, unternahm im Jahre 1900, unzweifelhaft mit englischer Unterstützung durch Gewehrlieferungen und vielleicht auch mit englischen Kanonen, einen Zug ins Innere, unterstützt von dem Haupt der Muntafik-Araber, Sa dûn Pascha. Er schlug Ibn Rašîd mehrfach und konnte auch in Er-Rijâḍ einziehen, um dort seinen Schützling 'Abd ul-'Azîz ibn Sa'ûd einzusetzen. Jedoch wurde er bei Breigat(?) von Ibn Rašîd geschlagen und mußte mit großem Verlust zurück. Nur kümmerliche Reste seiner Streiter kamen in Kuweit an. Mubarak hatte 'Abd ul-Azîz, den Erben der Familie Ibn Sa'ûd, bei sich aufgenommen, und 1904 wurde dieser mit einer großen Menge von Waffen und Geldmitteln, über deren Herkunft aus englischer Quelle gar kein Zweifel herrschen kann, nach dem Neğd zurückgesandt, um seine Herrschaft wieder aufzurichten. Er-Rijâd konnte bald besetzt werden, und die Beduinen der 'Anêze, Bereide und Qaşîm schlossen sich ihm an, so daß Ibn Rašîd bei Kesseiba (Qaseiba?) eine schwere Niederlage erlitt. Darauf rückte Faizî Pascha von Baghdâd aus mit 4000 Mann zur Hilfe, bekam aber Gegenbefehl von Konstantinopel, da man dort nicht mit England und den Wahhâbiten zugleich Streit haben wollte. (Ich richte mich nach Mackay's Darstellung in „Petermanns

Mitt." v. 20. Okt. 1913.) 'Abd ul-Azîz ibn Sa'ûd verstand es, auch den Fanatismus anzuregen, jedenfalls fielen ihm die meisten Stämme zu. Auch die junge Türkei konnte dort nicht viel weiteres ausrichten. Nâzim (Nâḍim) Pascha bekam zwar den Auftrag, vorzugehen; als aber die Engländer zu verstehen gaben, daß man eine Einmischung in die Angelegenheiten von Kuweit keinesfalls dulden würde, ließ man den Dingen ihren Lauf. Im Jahre 1909 hat der Ruwala-Stamm der ‘Anêze-Beduinen dem Emir von Ḥâjil die Oase Gauf (Djôf) entrissen, die ihm seit 1855 untertan war. Ende 1912 zogen die Streitkräfte des Ibn Sa'ûd bis in die Nähe von Ḥâjil, zersprengten die Šammar-Stämme, so daß Ibn Sa'ûd wieder unumschränkter Herr von Innerarabien von Englands Gnaden war.

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Im Jahre 1911 reiste der englische Konsul von Basra, Mr. Crow, von Kuweit nach dem Neğd, um mit Ibn Saud zu verhandeln. Im ersten Halbjahr 1912/13 sind nach dem englischen Konsulatsbericht über den Handel in Masqat große Sendungen von Waffen und Munitionen an den Sultan von Masqat und an den Scheich von Kuweit abgegangen (vergleiche oben im Kapitel über Masqat Large imports consigned to His Highness the Sultan of Muscat and to the Sheikh of Kuweit"). Ende April 19131 reiste der englische Konsul von Kuweit, Kapitän Shakespear zu 'Abd ul-'Azîz ibn Sa'ûd, den er im Juni in El-Chafs sprach, und im Juni desselben Jahres vertrieb 'Abd ul-'Azîz die Türken aus ElHofhûf und el-Qaţîf. An der Piratenküste warb dieser sogar Soldaten (in Râs el-cheima und Šarğa). Zugeben werden die Engländer nie, daß ihre Konsulatsreisen mit dem Angriff des Ibn Saud auf el-Aḥsâ zusammenhingen. Es bedarf aber bei den zwingenden Beweisen gar keines solchen Eingeständnisses. Nur mit ihrer indirekten Hilfe hat 'Abd ul'Azîz ibn Sa'ûd das alte Wahhâbitenreich in seiner früheren Ausdehnung wieder erstehen lassen, das von den Grenzen des Ḥiğâz und 'Asîr bis nach 'Omân und an die Ufer des Perser Golfs reicht. Ohne eigene Verantwortung zu haben, ohne irgendein Risiko hat England dort ein von sich völlig abhängiges Reich geschaffen, um die Verhältnisse in Inner

1 Die Reise des Engländers Kapitän Leachman im November 1912 von Damaskus aus nach Neğd („Geogr. Journal" 1913, S. 147) hat wohl mit den Bestrebungen der englischen Konsuln nichts zu tun.

arabien nach seinem Gutdünken zu lenken. England ist also schon lange vor dem Weltkrieg gegen die Türkei in heimlicher Weise vorgegangen. Die Türkei hat offenbar

schon früher ein festes Verhältnis zu Ibn Sa'ûd anzubahnen versucht, denn Anfang 1913 hat sie sein „Monatsgehalt" auf 150 T. erhöht, und Ende des Jahres hiẞte Ibn Sa'ûd die türkische Flagge in seinem Gebiet als Zeichen seines Anschlusses an die Türkei. Er hat es offenbar mit der Türkei nicht ganz verderben wollen.

Im Spätsommer 1913 teilte Ibn Sa'ûd sein Reich in vier Provinzen, und zwar bildete das Land von der Meerenge von Hormûz bis el-Qatar die Provinz 'Omân; nordwestlich davon liegt die Provinz El-Aḥsâ mit den Städten Hufhûf und el- Ağêr (Oqair); südwestlich die Provinz el-Qaşîm, und südlich von dieser das Land Er-Rijâḍ. Die Türkei scheint sich mit diesen Verhältnissen abgefunden zu haben. Wenigstens wird im Juli 1914 aus Konstantinopel gemeldet, daß die Pforte nach Verhandlung mit dem Pascha von Başra 'Abd ul-'Azîz ibn Sa'ûd zum Pascha und Wali des Neğd bestimmte mit dem Recht, dort Rekruten auszuheben. Ob die Ernennung vor Beginn des Krieges stattgefunden hat, ist nicht festzustellen. Fraglich ist, ob es richtig war, den ausgesprochenen Türkenfeind und Engländerfreund zum Gouverneur einer türkischen Provinz zu machen, auch wenn man an dieser nur das formelle Besitzrecht wahren wollte. Der Anhänger der Türkei, Ibn Rašîd, mußte sich dadurch zurückgestoßen fühlen (Roloff). Im Februar 1914 wurde gemeldet, daẞ Ibn Sa'ûd nach el-Aḥsâ und Kuweit gezogen sei. Anfang 1914 soll Frankreich einen Vertreter zu Ibn Saud gesandt haben, der ihm 100000 oder 50000 £ Steuern sowie den billigen Verkauf von Waffen anbot. Als England dies hörte, habe es eine Jahreszahlung von 50000 £ T. und Lieferung aller Waffen angeboten, die Ibn Sa'ûd nötig hätte (Welt des Islam", II. 1914, S. 302). Mit dem englischen Konsul soll in 'Oqair abgemacht sein, daß die Bahrain-Inseln bei England bleiben, daß Ibn Sa'ûd el-Qatar und das 'OmânBinnenland erhält. Die fremden Händler (d. h. Indier) sollen im Gebiet des Ibn Sa ûd Handelsfreiheit genießen, England will den Seeschutz der Küste übernehmen, welche die Wahhabiten nun erhalten haben. Über die Waffenfrage und über die Masqat-Küste soll nichts abgemacht sein (ibid.).

Ibn Rašîd hat sich dagegen offenbar der Türkei seit längerem angeschlossen. Im August 1912 sandte er eine Gesandtschaft nach Konstantinopel mit der Bitte, Deputierte im türkischen Parlament für den Neğd zu erhalten und gute Beziehungen zur Türkei anzuknüpfen. Im Oktober des Jahres unterwarfen sich ihm die Stämme Ânêze, Al Fad'ân und AsSab'a. Ibn Rašîd zog dann mit 20000 Kriegern nach Norden, um die Feinde (Beduinen) der Türkei anzugreifen. Ende 1913 gab der Sultan an Ibn Rašîd einen Orden mit Brillanten und erhöhte sein Monatsgehalt auf 250 £ T. (4625 Mark). Anfang 1914 hat die türkische Regierung ihm viele Gewehre und Kanonen auf dem Wege über die Hiğâz-Bahn gesandt.

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Aus diesen unzusammenhängenden Notizen kann man sich kein rechtes Bild machen. Niemand weiß genau, wie heute die Verhältnisse in Innerarabien liegen. Nur verworrene Nachrichten dringen seit Beginn des Weltkrieges zu uns. Am 9. Dezember 1914 heißt es z. B. in einer Pressemeldung aus Konstantinopel, daß die beiden Feinde Ibn Saûd und Ibn Rašîd sich versöhnt hätten, und daß Ibn Sa'ûd 1000 Reiter und 3000 Kamele gegen die Engländer nach Başra gesandt habe, während die Truppen des Raşîd andere Verwendung finden sollten. (An dieser Nachricht glaube ich sehr zweifeln zu müssen.) Am 25. April 1915 ging dann die Notiz durch die Presse (,,Hamburger Corresp." vom 25. April 1915), daß der Emir von Neğd" in einer Schlacht den Ibn Sa'ûd besiegt habe, wobei auf seiten des letzteren 3000 Mann gefallen seien, darunter der Führer eines englischen Hilfskorps und alle englischen Artilleristen. Es muß sich, wie eine Erläuterung richtig annimmt, um einen Sieg von Ibn Rašîd gehandelt haben, der auf seiten der Türkei kämpfte. Die Meldungen aus dem Orient sind aber so widersprechend, daß man ihnen nur mit sehr großer Kritik begegnen darf. Eine Bestätigung hat diese Nachricht nicht gefunden. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat dagegen die Meldung aus der Zeit dicht vor dem Kriege (Hamburger Corresp." vom 3. Juni 1914), die aus London kam. Danach sollte es damals der Diplomatie des Gouverneurs von Başra gelungen sein, die Stämme Et-Tûmân, Ibn Salan 'Anêze und Matar (?) zum Abfall von Ibn Sa'ûd zu bewegen, doch seien sie durch Ibn Saûd geschlagen, dessen Leute sich zwischen Başra und Kuweit befänden. Die Streiter des Scheichs von Kuweit

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