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hatten, sorgten die Statthalter dafür, daß die alte Wirtschaftsform erhalten blieb. Die Chalifen hatten einen Militäradel mit Garnisonen im Lande, die in Weisheit sich Landwirtschaft und Handel der Bewohner zunutze machten, und die auch in der Lage waren, die für die Wasserwirtschaft notwendige straffe Zentralisation zu erhalten. Auch als die 'Abbâssiden ihre Residenz nach dem 762 gegründeten Baghdâd - zeitweise auch nach Sâmarrâ - verlegten, konnten die Zustände des Landes erhalten bleiben. Die arabische Invasion an sich hat dort nicht zerstörend gewirkt, soweit wir bisher wissen. Als aber das Chalifat der 'Abbâssiden zerfiel, als überall im Reich Dezentralisation aufkam, da mußte wie in Arabien selbst, so noch viel mehr im lrâq ein furchtbarer Verfall eintreten. Bei inneren Fehden, Einzelbestrebungen von Stammeshäuptern und Versagen der Zentralgewalt verkamen die nur durch große Organisationen zu haltenden Wasserwerke. Viel Schaden entstand dem Lande besonders durch den Verkauf der Ämterstellen und Verpachtung der Steuern, die in natura von der Ernte vor deren Einbringung abgeliefert werden mußten - ein Übelstand, der auch heute in der Türkei noch nicht verschwunden ist. Das Land wurde ausgebeutet, die Bewohner hatten kein Interesse mehr an der Produktion, weil ihnen nur das Minimum für die Fristung ihres Lebens belassen wurde. Die Kanäle versandeten und verschwanden, die Bevölkerung konnte sich nicht ernähren, sie wurde außerdem durch Unruhen aufgerieben, kurz, die Eigenwirtschaft und Eigenproduktion des Landes verkamen immer mehr von der Zeit der späteren 'Abbâssiden an, also beginnend etwa mit der Mitte des 9. Jahrhunderts. Noch größer wurde der Verfall des Landes, als Baghdâd von Ḥulagû, dem Enkel von Dschingis Chan, 1258 erobert wurde. Timur und die Perserherrscher folgten, und später war die Hauptstadt Baghdâd lange ein Zankapfel zwischen Persern und Türken, bis Murad IV. sie 1638 endgültig für die Türkei eroberte. Der Handel war von Baghdâd vielfach abgelenkt und auf einem nördlicheren Wege über Taurus (Täbris) nach dem Mittelmeer gegangen.

Heute ist das Land sehr dünn besiedelt und sehr wenig angebaut. Von der einstigen Bewässerung sind nur noch Reste vorhanden, so daß die Siedlungen mit Ausnahme vom Šatt el-Arab sich fast ganz in Einzeloasen auf den

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unmittelbaren Rand der Flüsse beschränken. Wenn wir nun heute mit der Hoffnung umgehen, daß die alte Kultur, der Wohlstand, wieder entstehen wird, so dürfen wir uns dabei keinen übertriebenen Hoffnungen hingeben. Wie erwähnt, ist nach Willcocks1 die mögliche Ausdehnung der bewässerbaren, also anbaufähigen Fläche nur 14000 qkm (die von Turkestan z. R. 70000 qkm!) Man hat allerdings den Vorteil, daß man heute - ganz anders als in Turkestan und in Ägypten wirtschaftlich in Mesopotamien fast auf einem Neuland arbeiten kann, also auf die jetzige Wirtschaft der Bewohner kaum Rücksicht zu nehmen braucht. Aber eben die Neuheit der Aufgabe bietet so viele ungeahnte Schwierigkeiten und Probleme bei dem Mangel an Menschen, der abnormen Temperatur, der dauernden Veränderung der Flußbetten u. v. mehr, daß man nur nach allergründlichsten Studien durch die besten Wirtschaftler und Techniker an diese Aufgabe herangehen sollte, um Rückschlägen aus dem Wege zu gehen. Jeder, der in diese Länder geht, studiere erst mal gründlich das neue Buch von Junge über Turkestan, 2 das für den ganzen Orient und besonders für alle Trockengebiete die allerwichtigsten Fingerzeige gibt. Er mache sich klar, daß er in allem umlernen muß, und daß er durch verkehrte Maßnahmen unheilbaren Schaden stiften kann. Die Vorbedingung einer zukünftigen gedeihlichen Wirtschaft

1 Willcocks, Sir William: „The Irrigation of Mesopotamia". London 1911. Mit Atlas. Der bekannte, in Ägypten so erfolgreiche Ingenieur wurde nach Babylonien entsandt. Er arbeitete einen schrittweis durchzuführenden Plan von Staudämmen, Sammelbecken und Kanälen aus, nach dem z. B. zwischen Baghdâd und Naşîrîje 750000 ha bewässert werden können, auf denen 375000 t Korn und 14 Millionen Ballen Baumwolle erzielt werden könnten. In the arid regions of the earth water should be monopolised for irrigation and the railways for transport. For navigation you may substitute railway-transport; for purpose of irrigation, nothing can take the place of water." Die Kosten des Willcocks'schen Planes werden auf 29 Millionen £. T. angegeben. Ein großer Damm über den Kopf des Hindîje-Kanals, drei engl. Meilen unterhalb von Musaijib am Eufrat, ist von der Ingenieur - Firma Sir John Jackson Ltd. im Vertrag mit der türkischen Regierung erbaut und am 12. Dezember 1913 eröffnet. Diese Wasser-Interessen zu schützen, ist mit ein Grund für den englischen Feldzug nach Mesopotamien. (Siehe auch Tholens: „Z. Ges. Erdk." Berlin 1913).

2 Junge, Reinhard: „Das Problem der Europäisierung orientalischer Wirtschaft, dargestellt an den Verhältnissen der Sozialwirtschaft von Russisch-Turkestan." Weimar 1915.

ist Sicherung des Lebens und des Eigentums der Bewohner vor den Beduinen und damit verbunden die Vermehrung der ländlichen Bevölkerung, der die alte wasserwirtschaftliche Tradition erst wieder anerzogen werden muß. Jahrelange gründlichste Studien sind nötig, die wir in Verbindung mit den Türken vornehmen müssen, ehe man an die Ausführung von Projekten gehen kann, die in sich gewiß gesund sind, und die ohne Zweifel die Eigenproduktion des Landes heben werden, um ihm selbst und den europäischen Geldgebern Vorteile zu verschaffen. Die Studien von Willcocks sind erst der Anfang, dem noch viele Arbeiten von Ingenieuren und Nationalökonomen folgen müssen. Unter den heutigen Verhältnissen sind es fast nur die Datteln vom Šatt el'Arab, die für die Ausfuhr in Frage kommen.

Während nun die eine Grundlage vom Wohlstand des Landes seit langem zurückgegangen ist, hat sich die andere, der Handel, weit besser gehalten, dank der geographischen Lage. Die märchenhafte Pracht der Chalifenstadt, wie wir sie aus den Schilderungen aus „Tausendundeiner Nacht" unter Ḥarûn ar-Rašîd kennen, beruhte auf dem reichen Handel mit dem ferneren Orient durch den Perser Golf, mit Persien und Syrien; und alle diese Beziehungen haben sich erhalten, bis die Entdeckung des Seeweges nach Indien durch die Portugiesen dem Handel von Europa mit dem Orient andere Wege wies. Von da an mußte der Verkehr langsam sinken, und das Land mehr und mehr zum Bollwerk der Türken gegen Persien werden. Die Portugiesen, und nach ihnen die Holländer und Engländer, legten allerdings noch lange auf den Handel im Perser Golf das größte Gewicht, weil sie hofften, dort wetteifernd dem alten Verkehr der Eingeborenen mit Erfolg entgegenarbeiten zu können. Der Handel mit Persien wurde nach Hormûz und dann durch die Holländer nach Başra und Charaq abgelenkt, und das indische Geschäft direkt an Ort und Stelle betrieben. Der Handel von Baghdâd wurde allmählich zu einem Schatten seiner einstigen Größe. Als dann Frankreich durch die Napoleonische Expedition versuchte, England den Weg nach Indien durch Ägypten und das Rote Meer zu sperren, da begann England, den alten Handelsweg durch Mesopotamien wieder aufzunehmen. Die Englisch-Ostindische Handelsgesellschaft richtete eine Kamelpost vom Perser Golf nach

Syrien ein, die noch bis 1886 bestand. Die Sicherung eines Weges nach Indien war für England so wichtig, daß es den General F. Rowdon Chesney mit einer Erforschung der Möglichkeit einer Verbindung des Mittelländischen Meeres und dem Indischen Ozean durch das Zweistromland beauftragte. Diese Bestrebungen haben D. H. Schmidt in seinem Buche über die Eisenbahnen der asiatischen Türkei sowie Siegfried Genthe u. a. m. ausführlich dargestellt, so daß ich auf deren Arbeiten verweisen kann. Das Streben Englands nach der Sicherung der indischen Verbindung hat den Handel von Baghdâd wieder beleben lassen durch die englischen Unternehmungen im Perser Golf und die Schiffahrt auf dem Eufrat durch die Lynch-Gesellschaft seit 1830. Auch das englische Kanonenboot „Comet" war dort stationiert. Für eine Bahnverbindung nach dem 'Irâq aber konnte die Türkei nur solchen Plänen nähertreten, die wirklich die türkische Hauptstadt mit ihrem Außenlande verband, und die nicht nur englisch-indischen Interessen dienten. Zwar war die Entwicklung des Handels vom Zweistromland für die Türkei wichtig genug; noch mehr Bedeutung aber mußte sie einer strategischen Verbindung beilegen, die zugleich den separatistischen Tendenzen der Außenländer entgegenwirkte.

Est ist hier nicht der Plats, die Entwicklung der Anatolischen Bahn und ihrer Fortsetzung, der Baghdâd-Bahn, zu schildern. Wir übergehen diese Entwicklung und stellen nur fest, daß durch den Vertrag vom 5. März 1903 die Bahnlinie über Baghdâd, Kerbela, Neğef, Zubeir nach Başra genehmigt wurde. Von Zubeir aus sollte noch eine Linie an einen Punkt des Persischen Golfs" geführt werden, und mit dieser müssen wir uns hier etwas beschäftigen, weil hierbei die englischen Machenschaften eine große Rolle spielten, sobald der Schienenstrang Aussicht hatte, sich dem Golf zu nähern, den die Engländer als ihr unantastbares Herrschaftsgebiet betrachten.

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Die Baghdâd-Bahn-Gesellschaft bot vergeblich einer englischen Finanzgruppe die Beteiligung bei dem Unternehmen an unter der Bedingung, daß die englische Regierung in eine Erhöhung der türkischen Eingangszölle willigte, die für die Finanzierung der Bahn-Garantien erwünscht war, und daß der Endpunkt in el-Kuweit von der Türkei befestigt würde. Die Engländer willigten nicht ein, angeblich weil

die Gleichberechtigung des englischen Kapitals nicht sichergestellt erscheine, tatsächlich wohl, weil sie auf alle Fälle das Erscheinen von fremden Einflüssen am Perser Golf verhindern wollten.

Die Verhandlungen zur Finanzierung der Baghdâd-Bahn ergaben, daß von dem Kapital der Gesellschaft je 40% auf deutsche und französische Interessen und je 10% auf die türkische Regierung und die Anatolische Bahngesellschaft übernommen wurden. Am 21. März 1911 erhielt die Gesellschaft die sehr wichtige Konzession, eine Zweiglinie nach Alexandrette am Mittelländischen Meer zu erbauen, wogegen sie in einem am 19. März abgeschlossenen Vertrage auf das Recht hatte verzichten müssen, von Baghdâd über Zubeir nach Başra und von Zubeir nach „einem Punkte des Persischen Golfs" zu bauen. Diese Strecke sollte von einer neuen Gesellschaft unter Beteiligung des internationalen Kapitals, d. h. der Engländer, gebaut werden, wobei kein außertürkisches Land günstiger als Deutschland gestellt werden sollte. England hatte seinen Einfluß geltend gemacht, als es sah, daß die Bahnbauten bis an den Golf doch in den Bereich der nahen Möglichkeit rückten.

Durch dieses Abkommen hatten wir den wichtigen Anschluß nach Alexandrette erreicht und in dem Bahnbau bis Baghdad völlig freie Hand, besonders als nach späterer Verhandlung die Banque Ottomane die Anteile von 30 Millionen Frank französischer Interessenten 1913 abgestoßen hatte und Frankreich dadurch ausgeschieden war. Für die Türkei war Freiheit geschaffen für Unterhandlungen über die Einrichtung einer neuen türkischen Gesellschaft mit Bezug auf den Weiterbau nach Başra und Kuweit, wofür die Einwilligung Englands zu einer Zollerhöhung um 4% zu erreichen war.

Die Frage von el-Kuweit.

In der Nordwestecke des Perser Golfes schneidet eine Bucht ein, an deren Südseite der Ort el-Kuweit1 mit etwa 50000 Einwohnern liegt. Schon der General Chesney hatte diesen Platz als geeignet für den Hafen der Eufrat - Bahn

1 El-Kuweit (Kuwêt) ist das Diminutivum von Kût (umwalltes Dorf). Der Ort wurde früher auch Qrên genannt (Diminutivum von Qurn „Horn", ein Wort, das von den Engländern „Grane" geschrieben wurde).

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