Page images
PDF
EPUB

erhoben hat, so wird auch das Gesetz eines einzelnen Volkes über eine gemeinsame Sache Aller kein verbindliches Gesetz für die Uebrigen ohne deren freie Annahme sein, vielmehr zu jeder Zeit und mit allen Mitteln bekämpft werden dürfen. Zu allen Zeiten hat sich auch ein Widerspruch dagegen erhoben, und es giebt daher nach dem positiven Europäischen Völkerrecht durchaus keine gesetzliche Oberherrschaft über das Weltmeer oder dessen einzelne Theile, so fern sie nur irgend einzelnen Völkern und Individuen zugänglich und nicht entgegenstehende Zugeständnisse1 ausdrücklich oder stillschweigend gemacht sind, wozu im Besonderen bei einzelnen Wassergebieten der gemeinsame Nugen führen kann, indem man die Schifffahrts- und Handels - Interessen unter den regulatorischen Schuß des nächstgelegenen Küstenstaates stellt und ihm eine gewisse Gesetzgebung und Polizeigewalt, oder auch noch größere Rechte, so wie gewisse Nugungen, gestattet, dafür aber den Vortheil einer desto ungehinderteren Benutzung der Gewässer ge= nießt. Außerdem fließen gewisse Staatenrechte über bestimmte Theile des Wassergebietes ganz von selbst aus der Befugniß der Selbsterhaltung (§ 75. 76).

Dagegen ist die privative Erwerbung eines auch noch so kleinen Theiles des großen gemeinsamen Meergebietes für einen Staat oder dessen Angehörige im Wege der Occupation als rechtlich unmöglich anzusehen. Selbst die Einpferchung eines bestimmten Meergebietes durch Schutz- und Abwehr-Anstalten aller Art würde immer nur einen factischen Zustand begründen, der ohne deutliches Zugeständniß anderer Nationen kein Eigenthum geben, vielmehr mit dem Verfalle jener Anstalten von selbst wieder aufhören würde. Sogar ein unvordenklicher Besißstand, wenn er nicht als ein freiwilliges Zugeständniß anderer Nationen deutlich zu erkennen ist, vermag keine ausschließlichen Befugnisse bei solchen res merae facultatis zu ertheilen2. Immer bleibt auch auf den geschlossenen oder Souveränetätsgewässern einzelner Staaten ein Anspruch der anderen auf einen unschädlichen Gebrauch zu erlaubtem Verkehr (§ 33) vorbehalten.

1) Für unverbindlich erklärt jeden Vertrag wider die Freiheit der Meere Hautefeuille p. 222.

2) Vattel I, 23, § 285. 286. Nicht ganz übereinstimmend scheint Mr. Wheaton, Intern. L. II, 4, § 10 a. E. in Betreff eines hier zulässigen tacitus consensus. S. indessen auch Hautefeuille I, 222 und Phillimore I, 189,

Das herkömmlich nach allgemeinem Einverständniß Feststehende wird im Folgenden vermerkt werden.

Küstengewässer1.

75. Ein unmittelbares Interesse und Recht haben unbestreitbar alle Küstenstaaten, zur Sicherstellung ihres Landgebietes gegen unerwartete Ueberfälle, so wie zur Aufrechthaltung ihres Handels-, Steuerund Verkehrsystemes nicht nur jede Annäherung von der Seeseite her zu beobachten, sondern auch Anstalten zu treffen, daß das Staatsgebiet von Niemand betreten werde, dem die Aufnahme darin verweigert werden kann, so wie daß die hierzu erforderlichen Bedingungen erfüllt werden. Jeder Staat darf daher auch, wenn er nicht durch entgegenstehende Verträge gebunden ist, eine eigene Küstenbewachung und Küstenpolizei einrichten und nach den besonderen Verhältnissen der Küste so wie der Gewässer die erforderliche Ausdehnung bestimmen, wobei Kanonenschußweite vom Uferrande aus als allgemein zugestandene Linie gelten darf, deren Ueberschreitung durch besondere Umstände gerechtfertigt werden muß. Jeder Fremde, der

1) Hautefeuille I, 234.

3

4

2) Nam quod quisque propter defensionem sui fecerit, iure fecisse videtur. L. 3. D. de J. et J. Vgl. Vattel I, 23, § 288.

3) Groot, Bynckershoek, Galiani und Klüber, so wie die Reglements und Gesetze vieler Staaten stimmen darin überein. S. die Nachweisungen bei Tellegen p. 46. Ortolan, Regl. intern. I, 176. Hautefeuille I, 239, auch Wildman I, 70, b. Vertrag zwischen Frankreich und Rußland vom 11. Jan. 1787 Art. 28, zwischen England und Nordamerika von 1794 Art. 25. Ueber die Entstehung dieser Lehre und Praxis vgl. Tellegen p. 11. 35. Von Italienischen Rechtslehrern ward zuerst eine Entfernung von 100 (Ital.) Meilen angenommen. Tellegen p. 13. So auch von Don Abreu, Tratado sopra las prisas maritimas. Cadix 1746. Bei Bodinus, de republ. I, 9 ist von 60 Meilen die Rede, wenn hier kein Druckfehler zum Grunde liegt. Tellegen p. 15. Der Satz der Neueren ist: terrae dominium finitur, ubi finitur armorum vis, oder quousque mari e terra imperari potest.

4) Tellegen p. 49. Nach Jacobsen, Seerecht S. 580 wäre dabei auf Ebbe und Fluth zur Zeit der jedesmaligen Thatsache zu sehen; der Uferrand also ein immer wechselnder. Ein Vertrag zwischen England und Frankreich vom 2. August 1839 wegen der Canalfischerei nimmt die Ebbezeit als Norm.

5) Vattel I, 23, § 289 läßt hier geradezu Alles von den Umständen abhängig sein und nach Rayneval, Inst. du dr. d. g. II, 9, § 10 wäre der von der Küfte

in den Bereich dieser Seegrenze kommt, ist demnächst verbunden, sich den vom Uferstaat getroffenen Einrichtungen zu fügen, er mag durch Zufall oder absichtlich dahin gelangt sein. Zu den unzweifelhaften Befugnissen gehört hierbei auf Seiten des Küstenstaates:

das Recht, über den Zweck der Annäherung Auskunft zu verlangen und im Fall ihrer Verweigerung oder bei entstehendem Verdacht einer Unrichtigkeit sich unmittelbar Kenntniß von dem Zweck zu verschaffen, auch einstweilige Maßregeln gegen Gefahren zu ergreifen;

das Recht, Friedensstörungen in diesen Gewässern zu verhindern und dagegen factisch zu interveniren;

das Recht, die Benußung der Küstengewässer, z. B. in Betreff der verschiedenen Arten der Fischerei zu reguliren, oder dieselbe allein auszuüben1;

das Recht des Embargo (§ 112) und die Aufstellung von Kreuzern gegen den Schleichhandel2;

die Ausübung der Gerichtsbarkeit.

Dagegen kann ein bloßes Hereinkommen in diese Polizeigrenze noch kein Besteuerungsrecht von Seiten des Küstenstaates begründen, sondern höchstens eine Abgabenpflicht für die Benuzung von Anstalten zum Vortheil der Schifffahrt oder der daselbst gestatteten Fischerei.

aus firirbare Horizont die weiteste Grenze für die Aufsichtsanstalten. Als Regel muß indeß die Kanonenschußweite gelten, wiewohl auch diese keine in sich selbst und allgemein bestimmte ist, daher von jedem Uferstaat wenigstens provisorisch firirt werden darf. Das Gewöhnliche war sonst 2 Lieues. Jacobsen, Seer. 586. 590. So auch Valin. Jetzt rechnet man sie gewöhnlich auf 3 geographische Meilen (60 auf den Breitegrad) = 3 kleinen Seemeilen, so viel wie 1 große Seemeile. So Englisch - Nordamerikanischer Vertrag vom 20. Oct. 1818 Art. 1 und EnglischFranzösischer Vertrag vom 2. Aug. 1839 Art. 9. 10. So auch ein Belgisches Gesetz vom 7. Juni 1832 wegen der Zollaufsicht. Vgl. Tellegen p. 50. Spanien nimmt 6 Millas an. Riquelme I, 253. England und Nordamerika im Zollinteresse 4 Leagues. Phillimore I, 211 e.

1) Letzteres versteht sich nicht von selbst. England hatte z. B. die Häringsfischerei an seinen Küsten freigelassen. Vattel I, § 287.

2) Moser, Vers. VII, 801 f.

3) In den beiden ersten Ausgaben dieses Werkes ward Letzteres bestritten. Allein die Consequenz der anderen Befugnisse führt dahin. Auch ist dieses die Ansicht der Publicisten von Fach, so wie der wirkliche Gebrauch. Vgl. Ortolan, Regl. intern. 1, 175. Tellegen p. 54.

Fernere geschlossene Meeresgewässer1.

76. Aus der Souveränetät über das Küstenwasser folgt ohne Weiteres auch die Souveränetät über die dadurch gedeckten oder ausgefüllten Meereseinbrüche, Meerbusen, Buchten, Rheden und Häfen, sie seien künstliche oder natürliche. Auf alle Fälle können dergleichen Meerestheile von dem Küstenstaat als Zugang des Landes mit gleichem, ja selbst noch besserem Recht als das Küstenwasser überhaupt in ausschließliche Obhut genommen, durch Vertheidigungsanstalten gesichert und gegen nachtheiligen Gebrauch abgeschlossen werden2. Dafür streitet auch eine unangefochtene Praxis. Noch weniger ist die Souveränetät des Küstenstaates über die vom Meere aus landeinwärts geleiteten Canäle bestritten *.

Von der Ausdehnung des Küstenwassers hängt ferner die Ausübung der Souveränetätsrechte über die Meerengen ab, durch welche ein Meerestheil mit einem anderen in Verbindung gesetzt ist. Liegt eine solche völlig unter den Kanonen eines Landes, so gehört sie auch zu dem Wassergebiet desselben. Liegt sie unter den Kanonen verschiedener Territorien, ohne freibleibende Fahrstraße, so würde die Mittellinie die Hoheitsgrenze bilden. Die Rechte des oder der Uferstaaten über die geschlossene Meerenge sind an und für sich dieselben wie über die Küstenwasser im Allgemeinen, wenn ihm keine größeren durch die Zugeständnisse anderer Nationen gewährt und versichert sind, wie bis unlängst mit dem Sundzoll an die Krone Dänemark der Fall war.

1) Hautefeuille, Dr. des nations neutres. I, 241.

2) Vattel I, § 290.

3) Die Häfen rechnete schon das Römische Recht zum Lande. L. 15. D. de publican. In Großbritannien betrachtet man die Meereseinschnitte zwischen zwei Vorgebirgen als Eigenthumsgewässer unter dem Namen der Kings (Queens) Chambers. Wheaton, Elem. I, 1, 4, 7. Phillimore I, 213. Ebenso scheint man in Frankreich die Buchten, mit Ausschluß größerer Golfe, zu behandeln. Hautefeuille I, 240. Und in dem Britisch - Französischen Tractat von 1839 über die Canalfischerei u. s. w. stehen die Baien mit Oeffnung von höchstens 10 Meilen Breite noch hinter dem Küstenwasser. Art. 9.

4) Groot II, 3, 10. n. 1. 2.

5) Vgl. Vattel I, 292. Desgl. Nau, Völkerseer. § 92 ff. Phillimore I, 200. 6) Derselbe ist gegenwärtig durch die im J. 1857 von den Seemächten mit Dänemark geschlossenen Verträge beseitigt. Vgl. die Anlagen. Die frühere Literatur

Fortseßung. Geschlossene und Eigenthumsmeere.

76a. Als Eigenthumsmeere eines oder mehrerer Staaten find nur diejenigen anzusehen, welche, wie das Caspische Meer', von Einem Territorium oder von mehreren ganz umschlossen sind, so daß ein Zusammenhang mit dem Weltmeere durch eine natürliche Wasserstraße nicht Statt findet. Solche Meerestheile hingegen, welche durch eine fahrbare, wenn auch unter den Kanonen eines Landes liegende Meerenge von dem großen Ocean getrennt sind, können ohne Weiteres nicht als Eigenthumsmeere der sie umgebenden Staaten angesehen werden, sondern auch hier macht sich der Grundsatz der Freiheit des Meeres geltend, wiewohl mit Vorbehalt der Souveränetätsrechte der Uferstaaten. Diesem Grundsatz ist in neuester Zeit vorherrschend Rechnung getragen. Im Besonderen ist damit das Schwarze Meer, welches in älterer Zeit als ein Türkisches angesehen ward, dann ein gemeinsames für Rußland war, der friedlichen Schifffahrt der Europäischen Nationen geöffnet worden2.

Als eine auf Observanz und vereinzelten Zugeständnissen oder Vereinbarungen beruhende Ausdehnung der Rechte über die Küstengewässer ist es schließlich anzusehen, wenn hier und da eine Nation sich im ausschließlichen Besitz gewisser größerer Meerestheile für ihre eigenthümlichen Bedürfnisse zu behaupten vermocht hat, wie z. B. der Bothnische Meerbusen früher als Schwedisches Eigenthumsmeer ge= golten hat und noch jezt als ein gemeinsames zwischen Schweden und Rußland erscheint*; wie dann ferner Dänemark 15 Meilen weit

3

über diesen Zoll ist daher für jezt von keinem Interesse. S. indeß Lemonius, Verhältnisse des Sundzolles. Stettin 1841. H. Scherer, der Sundzoll. Berlin 1845.

1) Nach einem Vertrage mit Persien hat Rußland das alleinige Recht, dasselbe mit Kriegsschiffen zu befahren.

2) S. jest Art. 11 des Pariser Vertrages vom 13. März 1856 nebst Annexen (1. Anlagen). Ueber die früheren Verhältnisse vgl. Hoorn, diss. de navigatione et mercatura in mari nigro. Amstelod. 1834. Desgl. die Convention der Großmächte mit der Pforte vom 30. Juli 1841.

3) Günther II, 53. Nau § 92.

4) Seit Abtretung Finnlands an Rußland, durch den Friedrichshammer Frieden vom 5/17. Febr. 1809 und den Grenzvertrag vom 8. Novbr. 1810. Martens, N. R. I, 19. IV, 33.

« PreviousContinue »