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Allgemeine Wirkungen der Verträge 1.

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94. Alle Verträge verpflichten zur vollständigen redlichen Erfüllung dessen, was dadurch zu leisten übernommen worden, und zwar nicht blos desjenigen, was dadurch buchstäblich versprochen, sondern auch desjenigen, was dem Wesen eines jeden Vertrages, so wie der übereinstimmenden Absicht der Contrahenten gemäß ist (dem f. g. Geist der Verträge). Die Verpflichtung, welche der dispositionsfähige Repräsentant für den Staat, selbst in einem gemischten Vertrage (§ 82 a. E.) eingegangen ist, ruhet auf dem ganzen Staate (sie ist in rem) und dauert bis zur Erfüllung, so lange der Staat selbst noch besteht (§ 24), wenn auch mit verändertem Bestande und mit veränderter Verfassung; unter Vorbehalt der aus der Veränderung der Verhältnisse sich ergebenden Modificationen oder der gänzlichen Aufhebung bei völlig geänderten Umständen (§ 98). Verpflichtungen des Souveräns, in Beziehung auf seine Souveränetätsrechte eingegangen, werden, als den Staat selbst auch treffend, regelmäßig auf jeden Regierungsfolger übergehen; Privatverpflichtungen nur auf seine Privatnachfolger, sofern nicht in beiden Fällen ein rein persönliches Factum versprochen sein sollte3. Staatenverträge (in rem), welche die Unterthanen und deren individuelle Verhältnisse betreffen, haben, wenn sie überhaupt giltig eingegangen und publicirt sind, die Natur der Staatsgefeße*.

Nie kann ein völkerrechtlicher Vertrag Staaten oder Souveräne als die Repräsentanten und Träger des Rechtes, zu einem Unrechte

1) Neyron, de vi Foederum inter gentes. Goetting. 1778.
2) Alle Verträge sind nach Völkerrecht bonae fidei contractus!

3) Die älteren Publicisten haben hierüber weitläuftige Untersuchungen angestellt, z. B. Groot und Pufendorf VIII, 9, 6 und deren Schulen. Das Verhältniß der Souveräne zu den Staaten ist seitdem klarer geworden. Richtige Ansichten finden sich bei Vattel II, 12, § 183 ff. Die bloße Benennung der Souveräne, ohne der Staaten zu gedenken, thut an sich nichts zur Sache. Zweifelhaft könnte die Frage sein, ob der h. Bund ein persönlicher oder realer war? S. indeß oben S. 170, Not. 3, Art. II. Nach den Erklärungen, die gleich Anfangs von Seiten einiger Regierungen gemacht worden sind, sollte freilich die Idee eines Staatenvertrages ausgeschloffen sein. Vgl. Wiener Jahrbücher von 1822. Bd. IV. S. 93.

4) Vgl. Groot II, 14, 9. II, 22, 5. v. Neumann § 333. Pufendorf VII, 4, 1. Hert, Opusc. II, 3, p. 82.

gegen ewige Grundsäße des Rechtes und der Sittlichkeit, worin auch die religiösen Interessen eingeschlossen sind, verpflichten. Bei der Vollziehung ist Schonung und Billigkeit zu beobachten, so wie jeder von dem anderen selbst behandelt sein wollte, wenn ihm das Forderungsrecht zustände; es sind daher auch angemessene Fristen zu gestatten, damit so wenig als möglich der Verpflichtete in Nachtheil verseßt wird oder in seinem Rechtsbestande eine Verminderung erleidet. Es darf ferner der Verpflichtete bei solchen Leistungen, welche nicht schon ganz bestimmt an einen bestimmten Zeitpunkt unaufschiebbar geknüpft sind, vorerst die Aufforderung des Berechtigten erwarten, ehe er für die Nachtheile des Verzuges zu haften hat, welche sich auch im Völkerrecht in das Interesse der rechtzeitigen Leistung auflösen. Welche Folgen die Nichterfüllung eines Vertrages haben könne, lehrt das Actionenrecht (Buch II.).

Dritten Parteien kann ein Vertrag an sich keinen Vortheil noch Nachtheil bringen. Insofern jedoch letzteres unmittelbar oder mittelbar und widerrechtlicher Weise der Fall sein würde, können sie dagegen conservatorische Maßregeln ergreifen, vorläufig auch sich durch Protestationen verwahren. Indessen hindern diese an und für sich nicht die Giltigkeit und Vollziehung eines rechtmäßigen Vertrages unter den Interessenten selbst'.

Auslegung und analoge Anwendbarkeit der Verträge.

95. Die Auslegung der Verträge muß im Falle des Zweifels nach der erkennbaren gegenseitigen Absicht, dann aber nach demjenigen geschehen, was dem Einen Theile von dem Anderen nach

1) Rom und einzelne Glieder der kirchlichen Hierarchie haben zu verschiedenen Malen gegen die der Kirche nachtheiligen Staatenverträge protestirt. So der Bischof von Augsburg gegen den Religionsfrieden von 1555. Rom gegen den Westphälischen Frieden und noch später. Die Staatsgewalten haben sich darüber hinaussetzen müssen; selbst die Kirche ist der Nothwendigkeit der Weltverhältnisse unterworfen.

2) Vgl. im Allgemeinen Groot II, 16 und dazu Cocceji; auch Pufendorf V, 12. Am ausführlichsten hat sich Vattel II, 17 über die Vertragsauslegung verbreitet. S. auch v. Neumann, Jus. Princ. 1. c. tit. 6. § 221. Rutherford, Instit. II, 7. Crome und Jaup, Germanien II, 2, 161. Pando p. 230 s. Riquelme I, 192. Wildman I, 177. Phillimore II, 79. Die Rechtfertigung der obigen Sätze liegt meistens schon im vorhergehenden Paragraphen.

den dabei gebrauchten Worten als versprochen, bei redlicher und verständiger Gesinnung vorausgesetzt werden darf. So kann denn vorab weder als bewilligt gelten, worüber der fordernde Theil sich gar kein bestimmtes Versprechen hat ertheilen lassen', noch bei unklarer Fassung die dem Rechtsstande des Promittenten, seinem und seines Volkes Wohl nachtheiligere Deutung entscheiden; ist ein Recht verschiedener Abstufungen fähig, so darf zunächst nur die geringste Stufe als zugestanden angenommen werden; ist eine Sache im Allgemeinen versprochen (im genus), so wird im Zweifel die gewöhnliche, insbesondere eine mittlere Qualität gemeint sein3. Nur was nothwendig und untrennbar mit der ausdrücklich bewilligten Leistung verbunden ist, darf als stillschweigend in dieser mitenthalten gefordert werden. Selbst die analoge Anwendung eines Vertrages auf andere, obschon neue, jedoch wesentlich identische Verhältnisse kann in Anspruch genommen werden, wenn weder die Betheiligten nur die Absicht gehabt haben, über die früheren ihnen vorschwebenden Zustände allein eine Vereinbarung zu treffen, noch auch die Veränderung derselben dem Vertrage die rechtliche oder physische Möglichkeit seine Wirksamkeit entzogen hat*. - Eine vollkommen verbindliche Auslegung können nach internationalem Rechte natürlich nur die Interessenten sich selbst geben oder durch einen Schiedsrichter geben lassen; alle Interpretationsregeln der Verträge dienen außerdem blos zur einseitigen Unterstüßung von Ansprüchen oder Einwendungen.

Verstärkung der Vertragsverbindlichkeiten 5.

96. Zur Bekräftigung und Verstärkung giltiger Vertragsverbindlichkeiten haben im internationalen Verkehre alter und neuerer Zeit,

1) Vgl. Mably, Droit publ. I, p. 59.

2) v. Neumann § 225. Vattel § 277.

3) Wie dieses auch im Privatrechte nach dem Vorgange des Römischen Rechtes (1. 37. D. de legat. I.) ohne Zweifel allenthalben angenommen wird.

4) Groot II, 16, § 20. 25. Pufendorf V, 12, 17. 20. Vattel II, 17, § 290. 296. 304. 305. Heinr. Cocceji, de clausula: rebus sic stantibus. Phillimore II, 107 (c. 93). Eine privatrechtliche Anlehnung bietet hier vorzüglich L. 40. fin. D. de pactis.

5) F. L. Waldner de Freundstein, de firmamentis conventionum publicar. Giess. 1709 u. 1753. C. F. Woller, de modis qui pactionib. publicis firmandis proprii sunt. Vindob. 1775. Vattel II, 16, 235 f. v. Neumann I, tit. VII.

außer den jezt nicht mehr üblichen religiösen Feierlichkeiten bei Schliefung der Verträge selbst und außer den Anerkennungsacten, wodurch dieselben Contrahenten oder deren Nachfolger die noch fortdauernde Giltigkeit eines Vertrages erklären, hauptsächlich folgende Mittel gedient:

I. Der Eid der Contrahenten oder eines einzelnen Promittenten, wodurch einer übernommenen Verbindlichkeit zugleich noch eine religiöse Verpflichtung hinzugefügt werden soll2. Diese ist jedoch an sich nur etwas Subjectives, das Gewissen des Versprechenden allein Bindendes, woraus dem Promissar kein größeres Recht erwächst, als was ihm ohnehin schon zusteht, und wodurch ihm kein Recht ertheilt wird, wenn ihm solches überhaupt nicht zusteht. Auch kann auf diesem Wege weder ein rechtlich unmögliches Rechtsverhältniß begründet, noch das bestehende Recht eines Dritten beseitigt werden.

II. Die Bestellung von Unterpfändern (§ 71), gewöhnlich aber nur mit wirklicher Besißeinräumung3.

III. Die Verpflichtung zu einer Conventionalstrafe im Falle der Nichterfüllung, ohne alle positive Beschränkung*.

IV. Das in alten Zeiten übliche Einlager oder Einreiten des Schuldners, ius obstagii5.

V. Die Bestellung von Privatbürgen für eine Geldschuld ®.

VI. Die Ueberlieferung von Geifeln, d. H. einzelner Personen, welche der Gläubiger bis zu seiner völligen Befriedigung zurück

1) Vgl. v. Neumann § 241, 242.

2) Weitläuftig handeln davon Groot II, 13. Pufendorf IV, 2. v. Neumann 1. c. tit. VIII. Ueber die oben vorgetragenen Grundsäße, welche großentheils sogar dem die Kraft des Eides am meisten in Schutz nehmenden canonischen Recht eigen find, wird unter den heutigen Rechtslehrern und bei dem Consens der neueren positiven Rechte kaum ein Streit sein. S. auch Vattel § 225 f. Ueber den wirklichen Gebrauch des Eides bei einzelnen Staatsverträgen (wovon das früheste der Vertrag von Verdun 843, das letzte Beispiel 1777 zwischen Frankreich und der Schweiz) vgl. Klüber, Dr. d. g. § 155.

3) Fälle der Anwendung bei Günther, Völkerr. II, 153. Klüber § 156.

4) Die Grenze des Erlaubten wird nur durch die allgemeinen Grundsätze der Vertragsfreiheit gezogen. Die ältere Zeit kannte auch Verpflichtungen zu Schimpf und Schande, zur Ehr- und Rechtlosigkeit u. dergl. S. überhaupt v. Neumann § 256 f.

5) v. Neumann § 770.

6) Derselbe § 779 f.

behalten kann. Sie sind entweder freiwillige oder von einer rechtmäßigen Gewalt gezwungene Geiseln; sie haften nicht für die Schuld selbst, sondern der Gläubiger erhält nur das Recht, ihre körperliche Freiheit bis zu jenem Zeitpunkte zu beschränken; sogar der eingetretene Verfalltermin der Schuld giebt ihm nach gesittetem Völkerrechte keine größere Befugniß gegen ihre Person. Für den Unterhalt müssen freiwillige Geifeln selbst, für unfreiwillige der Schuldner sorgen. Entfliehen sie, so kann der Gläubiger ihre Rücklieferung von dem, der sie vertragsweise gegeben hat, oder einen Ersatz für die verlorenen fordern. Der Tod einer Geisel bringt aber die Verbindlichkeit zur Stellung eines Substituten nicht von selbst mit sich. Ist die Hauptverbindlichkeit getilgt, so ist eine weitere Zurückbehaltung der Geiseln, ausgenommen wegen ihrer persönlichen Handlungen und contrahirten Verpflichtungen, nicht zulässig'.

VII. Die Bestellung von Vertragsgewähren (§ 97).

Garantieverträge2.

97. Als ein besonders wirksames, obwohl der That nach immer sehr unsicheres Mittel hat man oft im internationalen Verkehre die Stellung von Gewährsmännern für übernommene Verbindlichkeiten benußt. In der älteren Zeit ließ der Promittent Vasallen oder Unterthanen als Gewähren (warrandi, garants, conservatores pacis) dafür einstehen und sich verpflichten, daß dem Vertrage Folge gegeben werden solle3; in der neueren Zeit ist die Abschließung accef

1) Der Gebrauch hat sich allgemein seit dem 16. Jahrhundert verloren. Zulett finden wir ihn noch im Aachner Frieden 1748. Wenck II, 352. Nur im Kriege kommen meist noch gezwungene Geiseln vor (Buch II, Abschn. 2). Ueber das Rechtsverhältniß der Geiseln s. vorzüglich Groot III, 20, 52 f. Moser, Vers. IX, 2, 457. v. Neumann § 751 f. Vattel II, 16, § 311 f. v. Steck, Vers. über verschiedene Gegenft. 1772. S. 48. Pando p. 227. Riquelme I, 185 und die bei v. Ompteda § 276 und v. Kampß § 250 angezeigten Schriften.

2) Specialschriften bei v. Ompteda § 276 und v. Kampß § 250. S. vorzüglich Henr. Cocceji, Diss. de guarantia pacis. Frcf. V. 1702. Moser, Vers. VIII, 335 f. v. Neumann § 774 f. v. Steck, Versuche. 1772. Nr. 5. Neyron, Essai sur les garanties. Goett. 1777. Scheidemantel, Repertorium II, 156 f. Vattel II, 16, § 235 f. Klüber § 157. Pando 224. Wildman I, 168. Phillimore II, 70.

3) Beispiele finden sich bis in das sechzehnte Jahrhundert. Vgl. Leibnitz, Cod. iur. gent. I, p. 8. Recueil des traités I, p. 471. Klüber § 155. not. c.

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