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sind, ein Verbrechen verüben', sie mögen dieses nun für sich allein aus eigenem Antriebe oder auf Befehl ihrer Regierung unternommen haben2.

Besteht unter den betheiligten Staaten ein Lehnsverhältniß, so fann überdies die Feloniefrage eintreten; im Allgemeinen aber hat die Verfeinerung der Sitte und der Einfluß der öffentlichen Meinung in unserer Zeit an Fragen der vorstehenden Art nur noch ein geringes praktisches Bedürfniß übrig gelassen.

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103. Auch bei Verlegungen, welche ein Privatmann oder irgend ein Agent der Regierung ohne deren Autorisation einem fremden Staate, es sei direct oder indirect an dessen Angehörigen, zufügt, kommt es darauf an, ob dieses im Gebiete des Letteren selbst ge= schieht oder außerhalb desselben. Im ersteren Falle macht er sich nach den Strafgesetzen des fremden Staates selbst verantwortlich (§ 36) und verfällt auch der dortigen Strafgerichtsbarkeit, dafern er sich im Bereiche derselben fortdauernd befindet oder wiederbetreten läßt. In allen übrigen Fällen hingegen läßt sich nur ein Anspruch des verletzten Staates an denjenigen denken, dessen Botmäßigkeit der Beleidiger dermalen unterworfen ist, nämlich darauf hinzuwirken, daß dem Beleidigten die gebührende Genugthuung gegeben werde, sei es auf dem geeigneten Civil- oder Criminalwege, oder durch Ausliefe

1) Hierzu bietet die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte Beispiele in ziemlicher Anzahl. S. Wicquefort, l'Ambassadeur I, sect. XXVII-XXIX und Ward. Besonders lehrreich sind die Fälle, welche Merlin, Répertoire m. Ministre public V, § 4. n. XII. XIII. anführt. Vgl. auch wegen der Angelegenheit des Grafen Ghillenborg und Görß, und des Grafen Cellamare (1717. 1718) Ch. de Martens, Causes célèbres I, 75 u. 179. Wegen der Grundsätze im Einzelnen: Bynckershoek 1. c. cap. XVII-XX.

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2) Thomasius 1. c. illud autem absurdum, quod quidam arbitrantur impune licere legato exequi quidquid sibi a principe est mandatum" etc. Der Exterritoriale wird allerdings der Gerichtsbarkeit des fremden Staates nicht unterworfen. Wer aber keine Exterritorialität hat, kann auch gerichtet werden. In dieser Hinsicht rechtfertigt sich das Verfahren des Nordamerikanischen Staates NewYork gegen Mr. Leod 1841 (Phillimore III, 50).

3) Sonst gehörte der Fall unter § 102. Die Regierung wird hier jedenfalls ihre Mißbilligung ausdrücklich erklären müssen. Ein Beispiel zwischen Frankreich und Sardinien s. bei Vattel II, 338.

rung, oder endlich in einer sonstigen, dem rechtlichen Interesse des Verletzten entsprechenden Weise'. Denn unmöglich kann unter befreundeten, im Verhältniß der Dikäodosie zu einander stehenden Staaten eine Genugthuung für Beeinträchtigung wesentlicher Staaten- oder Menschenrechte versagt werden, indem, wenn bei zugefügten Beschädigungen an wohlbegründeten Rechten der Anspruch auf Schadensersatz geleugnet oder willkürlich abgelehnt werden dürfte, das Recht selbst ein Unding, d. i. ohne Realität sein würde. Allerdings kann jedoch von einer Verpflichtung der anderen Staaten, eine Genugthuung dem Verletzten zu gewähren oder zu vermitteln, nur, wie schon wiederholentlich bemerkt ward, bei Rechten, die überall eine Nothwendigkeit und denselben Werth haben, die Rede sein, nicht auch bei solchen Rechtsverhältnissen, welche erst durch den besonderen Willen der Staaten ihre Entstehung und Gestaltung empfangen, selbst wenn dabei eine zufällige Gleichheit unter mehreren Staaten Statt finden sollte2.

Allgemein ahndungswürdige Verlegungen des Völkerrechtes.

104. Zu den Verletzungen des Völkerrechtes, welche alle Nationen unter der Herrschaft eines gleichen sittlichen Rechtes gleichmäßig betreffen und sie sämmtlich zu einer Unterdrückung oder Beseitigung gleichmäßig berechtigen, gehört überhaupt jede thatsächliche absolute Verleugnung der Rechte aller Menschen und Nationen, eine Rechtlosstellung derselben überhaupt oder in gewissen Beziehungen, welche sich wenigstens schon in Einer Handlung als bestimmte Tendenz mit dazu geeigneten Mitteln kund gegeben hat; insbesondere

ein planmäßiges Streben zur Gründung einer Universalherrschaft mittelst Vernichtung der einzelnen Staaten, oder auch über ein. allen Nationen gemeinsames Gebiet, dergleichen das Weltmeer ist (§ 16, 29 a. E., 74);

1) Uebereinstimmend im Allgemeinen, obwohl ohne genauere Unterscheidung der verletzten Rechte ist Vattel II, 71–78. Vgl. auch Groot II, 17, 20. Wildman 1. c.

2) S. schon oben § 32. Eben darauf gründet sich auch der § 39, Note 6 behauptete Sat.

Verlegungen der Rechte der Staatenrepräsentanten, deren Heilighaltung eine wesentliche Stüße des Völkerverkehres ist'; Rechtsverweigerung bei allgemein giltigen Ansprüchen2; oder Aufstellung rechtswidriger Principien gegen Alle und Durchsetzung derselben gegen Einen3;

Beunruhigung und Störung des gemeinsamen Verkehres auf offenen Land- und Seestraßen.

Eine Art hiervon ist die Seeräuberei (Piraterie), bestehend in gewaltsamer Anhaltung und Wegnahme von Nationalschiffen oder des darauf befindlichen Eigenthumes, um sich damit zu bereichern, ohne dazu den Auftrag einer sich dafür verantwortlich machenden Staatsgewalt nachweisen zu können. Dergleichen Beginnen gilt als eine Feindseligkeit gegen alle Menschen, wenn es entweder schon ein habituelles geworden ist, oder doch als wirklich beabsichtigt erkannt werden kann. Werden Seeräuber in der That selbst begriffen und machen sie von Waffen Gebrauch, so hat der Sieger Recht auf Leben und Tod (es geht mit ihnen an die Raa); jeder Staat, der sich ihrer bemächtigt, ist befugt, sie nach seinen Gesezen zu richten".

Nicht in dieselbe Kategorie hat man aber bisher die Schiffe und Angehörigen der Barbareskenstaaten, so wie anderer osmanischer

1) Daher nehmen auch bei vorfallenden Verletzungen des Völkerrechtes in diesem Stück augenblicklich meist alle Glieder des diplomatischen Corps Antheil an den Erörterungen, oder man fordert sie dazu auf. Beispiele s. in Ch. de Martens, Causes célèbres I, 83. 220.

2) Vgl. Vattel II, § 70.

3) Derselbe § 53.

4) Ueber den Begriff der Piraterie vgl. Wheaton, Intern. L. II, 2, § 16 (15). Wildman I, 201. Riquelme I, 237. Gesetze von Einzelstaaten (s. z. B. franz. Gesetz vom 10. April 1825) können diesen Begriff in Betreff ihrer Unterthanen noch anders bestimmen oder erweitern; allein sie können dies nicht zum Präjudiz anderer Staaten thun. Im Allgemeinen s. darüber Ortolan, Regl. internat. I, 250 s. Phillimore I, 379.

5) Die regelmäßige Strafe war schon im Alterthum der Tod. Cic. in Verrem V, 26. Im Alterthum Ertränkung. Leibnit., Cod. iur. gent. Urf. 124. Einzelne Unterthanen haben jedoch das Tödtungsrecht außer dem Falle eines Piratenangriffes nicht mehr. Loccenius, de j. marit. II, 3. 9. Valin z. Ordonnanz von 1681. III, 9, 3. p. 236. Ortolan I, 254.

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Ufervölker gestellt, sondern sich wegen der Verhältnisse mit der Pforte nur auf einen Vertheidigungsfuß gegen sie gesezt, oder durch Verträge und Geschenke Sicherung verschafft (§ 7).

Wäre bereits von allen Europäischen Völkerrechtsgenossen die Sclaverei der Neger aufgegeben und aller Schutz ihr entzogen, fo würde auch die Zufuhr derselben auf offener See von jedem Staate als ein Verbrechen gegen die allgemeinen Menschenrechte behandelt werden dürfen. Für jezt kann jede Nation nur, wenn sie selbst die Sclaverei verwirft, den, wenn auch nur durch Zufall in ihr Gebiet gekommenen Sclaven eine Zuflucht gewähren und die Auslieferung ihren unnatürlichen Herren versagen, thatsächlich also jenen das geben, was sie nie verlieren konnten.

Zweites Buch.

Das Völkerrecht im Zustande des Unfriedens,

oder:

Die Actionenrechte der Staaten.

Erster Abschnitt.

Von den völkerrechtlichen Streitigkeiten und deren Erledigung überhaupt.

Veranlassungen derselben.

105. Völkerrechtliche Streitigkeiten entstehen im Allgemeinen über Ansprüche, deren Erledigung dem verfassungsmäßigen Rechtsgange eines bestimmten Staates nicht angehört, oder wegen willkürlicher von Seiten der dortigen Staatsgewalt entgegengestellter Hindernisse daselbst nicht erreicht werden kann; folglich nicht allein über Ansprüche der Staatsgewalten und Souveräne an einander, sondern auch über Privatansprüche eines Unterthans an einen auswärtigen Staat oder dessen Unterthanen, wenn jenem das Recht von dem fremden Staate verweigert wird und sich der Staat des in seinem Rechte gekränkten Unterthans vermöge des ihm zustehenden Repräsentationsrechtes (§ 53) gegen den fremden Staat annimmt. Eine Einmischung dritter Mächte ist allein unter den Bedingungen des § 45 f. zulässig.

Mittel zur Beseitigung überhaupt,

106. Völkerrechtliche Ansprüche haben der Regel nach keine andere Garantie für sich, als die Macht der Wahrheit und den thatkräftigen Willen der Betheiligten; kein anderes Forum, als die eigne Gewissenhaftigkeit und die öffentliche Meinung. Es gebührt daher

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