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zunächst den Betheiligten, sich unter einander über die Entscheidung zu verständigen, oder, dafern eine Vereinigung nicht zu bewirken wäre, sich durch eigene Kraft in dem einseitig erkannten Rechte zu behaupten oder dasselbe zu erstreben. Das äußerste Mittel zur Erhaltung, Wiedererlangung oder Durchsetzung des Rechtes gegen Widerspruch ist dann Gewalt oder Selbsthilfe, und zwar entweder eine defensive gegen bevorstehende Gefährdungen des Rechtes oder der ganzen Existenz, oder eine aggressive Selbsthilfe wegen Rechtsverweigerung'. Die Erstere geht ihrer Natur nach lediglich auf Abwendung der Gefahr und Sicherung gegen fernere Beeinträchtigung, die Lettere auf Erlangung vollständiger Genugthuung. Sogar die völlige Vernichtung des Gegners ist bis zur Erreichung dieser Zwecke nicht ausgeschlossen, wiewohl dieselbe nicht als das sofortige unmittelbare Ziel mit Recht betrachtet werden darf. Das Dasein eines hinreichenden Grundes zur Selbsthilfe und die Beobachtung der richtigen Grenzen, welche durch den Zweck bestimmt werden, entscheidet zugleich über die Gerechtigkeit der Selbsthilfe. Außerdem ist sie eine tadelnswerthe und unrechte. Tadelnswerth erscheint sie insbesondere, wenn außer dem Falle unmittelbarer Gefahr ohne Versuch gütlicher Mittel, ohne Vorbringung und gehörige Unterstüßung eines vermeintlichen Anspruchs sogleich zu dem letzten Mittel gegriffen wird. Denn gerecht ist es nur als Noth mittel.

Gütliche Versuche.

107. Zweckdienliche Mittel, um den Anderen von seinem Unrecht zu überzeugen und zur Nachgiebigkeit zu bestimmen, welche auch nicht unversucht bleiben dürfen, so lange keine unmittelbare Gefahr eines Rechtsverlustes bevorsteht, sind diese:

zuerst diplomatische Unterhandlungen mit dem anderen Theile oder mit dritten Mächten, deren Stimme von Einfluß sein kann, namentlich auch Mittheilung von entscheidenden Actenstücken und daraus hergenommenen Rechtsausführungen;

sodann öffentliche Verbreitung von Deductionen oder Memoirs

mit ausdrücklichem oder selbstverstandenem Anrufe der öffent

1) S. darüber Wurm, im St.- Lexicon XII, 111 ff. Desselben Aufsatz in der Deutschen Vierteljahresschrift von 1858.

lichen Meinung, wenn eine Verständigung im Wege der gegenseitigen Correspondenz nicht zu bewirken gewesen oder dieselbe bereits abgebrochen ist;

ferner die Annahme der freundlichen Dienste einer dritten Macht, welche als Versöhnerin zu wirken hat; oder eine von allen streitenden Theilen angenommene Vermittelung einer dritten Staatsgewalt1.

In diesem Letteren liegt mehr als im Vorhergehenden. Die Vermittelung suspendirt die Feindseligkeiten, so lange nicht das Amt des Vermittlers aufgehört hat, von Rechtswegen. Freundliche Dienste haben nur eine moralische Bedeutung.

Befindet sich ein Theil gar nicht in der Gefahr eines wirklichen Rechtsverlustes, könnte seine Handlung oder sein Stillschweigen nur einer rechtsnachtheiligen Deutung verfallen: so genügt zur Erhaltung des Rechtes gegen etwaige Anfechtung schon eine bloße Protestation, wenn sie nicht den bereits für den Protestirenden eingetretenen wohlbegründeten Rechtsverhältnissen oder den gleichzeitigen Handlungen desselben zuwider ist, eine protestatio facto contraria.

Besondere Vereinigungsmittel bei zweifelhaften Punkten.

108. Ist ein Rechtsverhältniß an sich feststehend und nur noch einer näheren Regulirung bedürftig, wie z. B. eine noch nicht speciell gezogene oder in Unklarheit gerathene Landesgrenze, oder ist es wegen der einem Anspruch entgegengesetzten Rechtsgründe ein zweifelhaftes, und findet darüber unter den Parteien selbst keine Einigung Statt, so muß vorab auf die Erlangung einer unparteiischen Entscheidung hingewirkt werden. Hierzu eignet sich in einzelnen Fällen das Loos, sei es, um jedem Interessenten einen bestimmten Antheil an einer streitigen Sache zuzutheilen, sei es um an die Stelle eines völlig ungewissen Zustandes für immer oder auch nur vorläufig eine Gewißheit durch den zufälligen Ausschlag des Looses zu setzen. Alles

1) Princip der s. g. médiation internationale préalable pacifique, was auch Art. 8 des Pariser Vertrages von 1856 adoptirt hat.

2) Anwendung davon ist oft bei fürstlichen Erbtheilungen, desgleichen zur Vermeidung von Rangstreitigkeiten gemacht worden. F. C. v. Moser in Schott, jur. Wochenbl. Jahrg. III, S. 615 f.

hängt hier begreiflich von der Vereinigung der Betheiligten ab. Auch der Zweikampf ist als ein Waffenloos zuweilen in Antrag gebracht, selten aber angenommen worden oder zu einem Ausschlage gelangt1 und gewiß nicht zu bevorworten. Das billigste, wiewohl auch nicht immer entsprechende Mittel ist die Unterwerfung unter einen Schiedsspruch.

Compromiß. 2

109. Soll vermöge Auftragsertheilung von Einem oder mehreren Dritten ein völkerrechtlicher Streit entschieden werden, so bedarf es dazu einer ausdrücklichen Convention der Betheiligten mit den ausersehenen Schiedspersonen ganz nach den Grundsäßen der völkerrechtlichen Verträge. Ein solches Compromiß geht dann entweder nur dahin, ein schon durch Vereinbarung feststehendes Princip in Bezie= hung auf einen gewissen Gegenstand unter den Parteien in Ausführung zu bringen (arbitratio), z. B. eine Grenzberichtigung oder Theilung nach gewissen Maßen oder Proportionen zu vollziehen3, oder dahin, eine Streitfrage selbst erst zu erörtern und nach Recht und Billigkeit zu entscheiden (eigentliches arbitrium). Das Compromiß muß die näheren Modalitäten bestimmen, an welche die Ausführung des Schiedsauftrages gebunden sein soll, aber es bedarf keiner Pönalstipulation. Sowohl Privatpersonen* wie auch Souveräne

1) Beispiele aus älterer Zeit s. in Pet. Müller, de duellis Principum. Jen. 1702. Ward, Enquiry II, p. 216 s. Dithmar S. 251 angef. im Rechtslex. III, 516. Die neueste Provocation erließ König Gustav IV. an Napoleon I. Früher Karl IX. von Schweden 1611 an Christian IV. von Dänemark. Die Sache selbst bedarf keiner Erörterung für das heutige Völkerrecht. Das Mittel ist ein an sich unzulässiges Entscheidungsmittel, weil es die Entscheidung auch zu Gunsten des im Unrecht befindlichen Theiles wenden kann. Wegen Franz I. und Karl V. im Jahre 1528 s. Vehse, Gesch. des Desterr. Hofes I, 1852. S. 168 f.

2) Vgl. im Allgemeinen Abr. Gerh. Sam. Haldimund, de modo componendi controversias inter aequales et potissimum de arbitris compromissariis. Lugd. B. 1738. Welder, im Staats-Lex. XI, 778.

3) Die Unterscheidung dieses Falles von dem eigentlichen Arbitrium ist vorlängst von den Processualisten als eine natürliche erkannt und jeder Anfechtung entzogen. Vgl. im Allgemeinen v. Neumann, J. princ. priv. t. VIII, § 1 sqq.

4) In älterer Zeit, selbst in Staats- und Fürsten - Angelegenheiten sehr gewöhnlich. Vgl. Hellfeld zu Struv., Jurispr. heroic. Cap. I, § 21 u. s. w. 77. v. Neumann 1. c. 12. 13.

können zu Schiedsrichtern gewählt werden; Erstere können nur in Person handeln, Lettere können sich bei der Erörterung durch Delegirte vertreten lassen oder sich dabei ihrer Räthe bedienen, wenn sie nur den endlichen Ausspruch selbst thun'. Sind mehrere Schiedsrichter ohne nähere Bestimmung erwählt, so kann keiner ohne den Anderen giltig verfahren oder ein Urtheil sprechen. Bei Meinungsverschiedenheiten ist unstreitig die Stimmenmehrheit als entscheidend zu betrachten3; im Falle einer Stimmengleichheit oder völligen Dissonanz würde nur nach dem Willen der Betheiligten ein fernerer Ausweg zu gewinnen sein. Ist wegen des Verfahrens nichts bestimmt, so steht dem Schiedsrichter zu, eine Zeit festzustellen, bis wohin die gegenseitigen Ausführungen und Beweise vorgelegt werden sollen, worauf er dann ohne weiteren Aufenthalt zur Vollendung seines Auftrages schreiten kann. Zwangsrechte stehen ihm gegen keinen Theil zu3. Sein Amt erlischt durch neue Conventionen der Hauptparteien, durch Ablauf der ihm gesezten Zeit, durch den Tod oder eingetretene Unfähigkeit des Schiedsmannes, endlich mit dem Entscheide selbst. Dieser hat für die Interessenten die Bedeutung eines giltigen Vergleiches. Er kann jedoch angefochten werden wegen Ungiltigkeit des Compromisses; wegen absoluter Unfähigkeit des Schiedsmannes; wegen Unredlichkeit desselben oder der Gegenpartei; wegen mangelhaften oder gänzlich verweigerten Gehörs; wegen Ueberschreitung der Grenzen des Compromisses; wegen absoluter Rechtswidrigkeit der in dem Entscheide getroffenen Verordnungen, welche daher auch keine zulässige Causa

1) v. Neumann, J. Princip. Priv. t. VIII, § 18.

2) Versteht sich als stillschweigende Absicht der Interessenten von selbst. S. auch l. 17 a. E. und l. 18. D. de recept. Die davon abweichende Vorschrift in cap.2 de arbitr. in VI. ist schwerlich als Regel des Völkerrechtes anzusehen.

3) Ist auch allgemeine civilrechtliche Praxis gemäß 1. 27. § 3. D. 1. c.

4) Daß die Schiedsrichter sich selbst einen Obmann wählen, wie das Römische Civilrecht gestattet, beruhet auf einer positiven Vorschrift, welche jedoch nicht einmal in allen Civilrechten beibehalten ist.

5) Vgl. 1. 27 pr. 1. 49. § 1. D. cit. und so überall!

6) Die beschränktere Kraft des Schiedsspruches im Römischen Recht ist für das neuere Europa durch andere Ueberzeugungen von der Kraft der Verträge jeder Giltigkeit entbunden. Vgl. Groot III, 20. 46. Unrichtig ist gewiß auch die Vorstellung, daß wenn in dem Compromisse eine Conventionalstrafe bedungen worden, der Schuldigerklärte sich durch Erlegung der Strafe von der Erfüllung des Schiedsspruches befreien könne!

eines Vertrages (§ 83) abgeben könnten, wogegen bloße Verstöße in der Beurtheilung des besonderen Falles, sofern ihnen nicht etwa Parteilichkeit zum Grunde liegt, keinen Grund zur Anfechtung darbieten'. Nur bei der eigentlichen Arbitratio ist der Nachweis einer thatsächlichen Unrichtigkeit und darauf beruhenden Unbilligkeit stets vorbehalten 2.

Zu allen Zeiten ist der schiedsrichterliche Weg in verschiedenen Formen benutzt worden. Bei den Griechen durch Berufung auf eine dritte befreundete Stadt3; bei den Römern in älterer Zeit durch die Reciperatio*. Einen festeren, fast staatsrichterlichen Charakter haben die Bundesgerichte in Bundesstaaten und Staatenvereinen; so schon in den Griechischen Staatenvereinen und gegenwärtig die AufträgalInstitution des Deutschen Bundes für die souveränen Glieder desselben, oder statt deren das Bundesschiedsgericht'. Hier tritt die vollziehende Macht des Bundes selbst hinzu.

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Anwendung von Gewaltmaßregeln; insbesondere Repressalien.

110. Sind gütliche Versuche vergebens angewandt, oder gestattet das Dringende der Gefahr überhaupt keinen solchen Versuch, so beginnt das Recht der Selbsthilfe und zwar bei Forderungen bestimmter Gegenstände durch Wegnahme derselben, wo man sie findet, oder durch Aneignung eines Aequivalentes aus den Gütern des schuldigen Theiles, welche man in seiner Gewalt hat, außerdem aber

1) Vgl. Groot a. D. Vattel II, 18, 329. Wildmann I, 186.

2) Die f. g. reductio ad arbitrium viri boni, worauf sich auch 1. 76. 78. 79. D. pro soc. u. 1. 9. D. qui satisd. cog. bezieht.

3) Die nólis ěxxkytos. M. s. des Verf. Athen. Gerichtsverf. S. 340.

4) Gallus Aelius bei Festus: „Reciperatio est, cum inter populum et reges nationesque ac civitates peregrinas lex convenit, quomodo per reciperatorem reddantur res reciperenturque, resque privatas inter se persequantur.“ S. Karl Sell, die Recuperatio der Römer. Braunschw. 1837.

5) Z. B. im Achäischen Bundesverhältniß. Polyb. II, 37, 10. Fr. W. Tittmann, Griech. Staatsverf. S. 687. Die Versammlung der Amphictyonen hatte schwerlich eine derartige Bedeutung, wie man ihr oft beigelegt hat.

6) Das Neueste hierüber: v. Leonhardi, das Aufträgalverfahren des D. Bundes. Frff. 1838. S. Jordan in Weiske, Rechts - Lexicon I, 474. Zachariä, Deutsches Staatsr. II, 719. Zöpfl, allgem. u. Deutsches Staatsr. I, 359.

7) Nach dem Bundesbeschluß vom 30. Oct. 1834. Art. XII.

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