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durch Anwendung von Repressivmitteln gegen das Unrecht des anderen Theiles, es sei nun mit Eröffnung eines eigentlichen Kriegszustandes (Abschnitt 2) oder vorerst mit Anwendung von einzelnen Repressalien' (von reprendere, altsächsisch withernam), d. h. von Gewaltmaßregeln gegen eine andere Partei, um sie dadurch zu Gewährung des Rechtes, im Besonderen zur Leistung schuldiger Genügthuung zu veranlassen, äußersten Falles sich eine solche selbst zu verschaffen. In älterer Zeit bestanden sie hauptsächlich in der Gestattung der Fehde (des kleinen Krieges) und bei Seestaaten in der Concessionirung eines Unterthanen oder Fremden zum Seeraub mittelst s. g. Markebriefe, oder in ähnlichen Vergewaltigungen gegen eine gewisse Nation3, was allmählich aus der Staatenpraxis verschwunden und nur noch in Gestalt der Caperei bei förmlichem Kriegszustande benutzt worden ist (§ 137). Dagegen üben die Staatsgewalten selbst noch für ihre und ihrer Unterthanen Interessen s. g. specielle Repressalien3 aus durch Retaliation derselben rechtswidrigen Handlung oder Unterlassung, deren sich eine andere Macht schuldig gemacht hat, und zwar an Personen oder Objecten, welche derselben angehören,

1) Schriften ohne Zahl über diesen Gegenstand s. bei v. Ompteda § 288. v. Kampß § 270.

2) S. namentlich den Guidon de la mer cap. X, art. 1 und darnach die Französische Ordonn. de la marine von 1681.

3) Ueber die ältere Form der Anwendung vgl. Hüllmann, Städtewesen I, 197. Martens, Caperei I, § 4. Pütter, Beitr. z. Völkerr.-Gesch. I, 49, dann auch P. Friderus, de Process. I, cap. 46 sq. Valin III, 10. p. 414. Wernher, Obs. univ. III, 115. 4) Durch Verträge ward der Gebrauch schon sehr beschränkt. Oke Manning p. 108. Ueber sein allmähliches Verschwinden: Ortolan I, p. 396. Wildman I, 192.

5) Ueber den neueren völkerrechtlichen Gebrauch: Groot III, 2. Vattel II, § 342 f. de Neumann, Ius Princ. priv. t. VIII, § 35. de Steck, Essais p. 42. Wheaton IV, 1, § 2. 3. Wurm, im St.-Lex. XII, 124. Sogenannte allgemeine Repressalien, als Verhängung oder Erlaubniß aller und jeder Gewaltmaßregeln wider Personen und Sachen eines fremden Staates, wären, wie schon der Großpensionar Witt bemerkt hat, nichts anderes als die Eröffnung eines Kriegszustandes. Die Britische Staatspraxis gebraucht übrigens die Bezeichnung General Reprisal vornehmlich für die Autorisation der gesammten K. Schiffsmacht zur Wegnahme feindlicher Güter und Schiffe. Vgl. Phillimore III, 13. 20. Das ist Kriegsanfang. Vgl. ebend. 98.

so weit ein solches Verfahren mit den Anforderungen der Menschlichkeit zusammen bestehen kann';

durch Sperrung des Verkehres, z. B. mittelst Blocade (§ 112); durch Wegnahme, Innebehaltung und Beschlagnahme von Personen, Sachen und Forderungen des anderen Theiles2, welche sich im Bereiche des verletzten Theiles befinden; eine Art von Arrest oder Pfändung, wodurch jedoch weder ein Recht auf Leben und Tod der gepfändeten Personen, noch auf Appropiation der gepfändeten Sachen begründet wird. Erst wenn das Mittel bei dem Gegner seinen Zweck nicht erreicht, können jene Sachen zur Genugthuung für die verlegten Interessen verwendet werden. Die Personen aber sind als Geifeln zu behandeln3. Einen zureichenden Grund zu derartigen Repressalien gewährt jede völkerrechtlich anfechtbare Verzögerung oder Verweigerung des Rechtes durch Eigenmächtigkeit der zum Recht verpflichteten Partei, es sei nun im legislativen, gerichtlichen oder Verwaltungswege*. Nur unabhängige Mächte können von jenen Mitteln Gebrauch machen, oder auch Einzelnen ihrer Angehörigen die Ausübung überlassen; dritte Mächte sind hingegen weder schuldig, auf etwaige Requisition sich der Ausübung zu unterziehen, noch auch berechtiget, Repressalien im Interesse einer anderen Macht anzuwenden, wofern kein legitimer Fall

1) 3. B. wenn Gesandte eines Staates von einer fremden Staatsgewalt völkerrechtswidrig behandelt sind und keine Genugthuung gegeben wird. Hier sind die Nepreffalien die Genugthuung und zugleich ein Zwang zu correcterem Handeln für die Zukunft.

2) Dazu können auch im Falle der Noth, d. h. in Ermangelung jedes anderen Objectes, Forderungen seiner Unterthanen benutzt werden, wie König Friedrich d. Gr. in Betreff des Oesterr.-Schlesischen Anlehens that, troß der vielgerühmten Englischen Reponse sans replique. Ob es politisch sei, gegen auswärtige Staatsgläubiger so zu verfahren, ist Sache für sich.

3) Schon Schilter, de iure obsidum, stellt Repressalien gegen Personen mit den Geiseln zusammen. S. auch Vattel § 351. Selbst wenn nächstdem der Krieg ausbricht, ist noch kein Recht auf Leben und Tod begründet, obgleich dies von älteren Publicisten, z. B. selbst von Cocceji zu Groot noch behauptet ist.

4) Beispiele und Verhandlungen darüber s. in Ch. de Martens, Causes célèbres II, p. 1 und p. 151 s. Wegen des Princips: Groot III, 2, § 4. 5. Bynckershoek, Quaest. i. p. I, 24. Oke Manning, Law of nations p. 107. Wurm a. O. S. 125. Wildman 195. Phillimore III, 13. 33.

5) Durch Patent oder Markebriefe, wiewohl dieser Gebrauch aufgehört hat.

einer Intervention vorliegt, wie bei Staatenvereinen insbesondere eintreten kann', oder eine allgemeine Verletzung des Völkerrechtes, um einem unmenschlichen, absolut rechtswidrigen Verfahren ein Ziel zu setzen.

Retorsion2 unbilliger Rechtsgrundsäße und Maßregeln.

111. Erlaubt sich eine unabhängige Macht gegen andere Mächte oder deren Angehörige zwar keine Ungerechtigkeit, wohl aber eine Unbilligkeit, d. h. eine ungleiche Behandlung fremder Staaten oder ihrer Angehörigen innerhalb des eigenen Rechtskreises, indem sie dieselben von gewissen Vortheilen entweder ganz ausschließt, welche sie ihren eigenen Unterthanen bewilligt, oder sie doch zu Gunsten der letteren, oder auch gegen andere bevorzugtere Nationen zurückstellt, oder indem sie auswärtige Nationen bei der Einräumung gewisser Vortheile auf ungewöhnliche Weise belastet, oder endlich selbst dann, wenn sie im Allgemeinen, sogar in Betreff der eigenen Unterthanen, Grundsätze aufstellt oder befolgt, welche den von anderen Nationen befolgten Regeln zuwiderlaufen und mit materiellen Nachtheilen für dieselben verbunden sind3, so finden keine Repressalien Statt, sondern es tritt blos das Recht der Retorsion in Kraft, d. h. die Rückanwendung desselben Princips gegen die solchergestalt handelnde Macht, um sich in Gleichheit mit derselben zu stellen oder zu erhalten, bis die Unbilligkeit gehoben ist, eine retorsio iuris, geheiligt in dem Rechtssat: quod quisque in alterum statuerit ut ipse eodem iure utatur, um den Egoismus oder die Einseitigkeit des Anderen ihm selbst fühlbar zu machen*.

1) Vgl. wegen des Deutschen Bundes die Wiener Schlußacte Art. 37. In der Schweizerischen Eidgenossenschaft ward es ausdrücklich als Grundsatz angesehen, daß einzelne Cantons für die anderen Repressalien üben dürfen. Martens, Völkerr. § 256 (261). Für Repressalien zu Gunsten Anderer ist im Allgemeinen auch Bynckershoek, de foro legator. cap. 22, freilich aber ohne alles beschränkende Princip; ganz dagegen Oke Manning p. 111 und Wildman I, 193.

2) Schriften bei v. Ompteda § 287. v. Kampß § 269. S. auch Moser Vers. VIII, 485. Vattel II, § 341. v. Martens, Völkerr. § 250 und Mittermaier, Deutsches Privatr. § 110. Wurm a. D. S. 111. 116.

3) Auf diese lettere Anwendung der Retorsion hat Wurm a. D. mit Recht aufmerksam gemacht.

4) Die Retorsion ist eine Reaction gegen eine Iniquität (ius iniquum), die

Einer Anwendung dieser Marime ist nicht allein dann erst Raum gegeben, wenn eine Macht von dem für eine andere Nation beschwerlichen Grundsatz bereits im einen oder anderen Falle Gebrauch ge= macht hat, sondern es genügt dazu schon die Aufstellung des Grundfazes als eines fortan giltig sein sollenden. Ungenügend ist hingegen eine bloße Verschiedenheit der Geseze verschiedener Länder, wonach zufällig bei einzelnen Ereignissen der Ausländer nicht dasselbe Recht erlangen kann, welches er in seinem eigenen Vaterlande unter gleichen factischen Voraussetzungen haben würde, ohne daß aber das von dem einheimischen abweichende ausländische Gefeß gegen die Fremden berechnet ist; z. B. wenn ein Staat bei der Intestaterbfolge andere Erbqualificationen oder Classificationen aufstellt, als ein anderer Staat.

Niemals versteht sich sodann die Ausübung der Retorsion gegen fremde Staaten ganz von selbst als ein Recht der einzelnen Staatsgenossen, sondern es bedarf dazu eines legislativen Beschlusses der Staatsgewalt und einer Autorisation für die Behörden oder die Einzelnen1. Jene allein hat auch zu bestimmen, in welcher Form und in welchen Grenzen die Retorsion bestehen, wem endlich der Vortheil davon zuwachsen soll. Dies ist Sache des inneren Staatsrechtes.

Kann nach der Natur des Falles nicht genau an denselben Gegenständen oder in derselben Form eine Retaliation desjenigen geschehen, was der andere Staat gegen das Ausland statuirt, so ist eine analoge Anwendung des Princips nach den diesseits gegebenen Verhältnissen durchaus unverfänglich und gerecht'.

Recht der Embargo und der Blocade.

112. Als eine bald conservatorische bald präparatorische Maßregel erscheint unter den Staatenactionen das Embargo (span. embargar, anhalten), ein vorläufiger Arrest auf die in den Häfen oder Territorialmeeren eines Staates eben befindlichen Schiffe einer Represssalien reagiren gegen eine Ungerechtigkeit (iniustitia). S. besonders Jo. Gothofr. Bauer, in Opusc. t. I, p. 157 s.

1) Vgl. Dav. Gr. Struben, Rechtl. Bedenken V, n. 47. (Ausg. v. Spangenberg Bd. II, S. 321.)

2) 3. B. wenn ein Staat gewisse Artikel des Nachbarstaates mit außergewöhnlichen Steuern belegt und den Verkehr damit hemmt, so kann der Nachbarstaat seinerseits andere Artikel des Ersteren auf ähnliche Weise behandeln.

oder mehrerer Nationen, um das Auslaufen derselben zu verhindern; eine Britische Erfindung, dann aber auch von anderen Nationen übernommen1.

Eine derartige Maßregel ist entweder die unmittelbare Begleiterin eines eintretenden Kriegszustandes, oder eine vorsorgliche in der Erwartung eines solchen Zustandes, die sich bei dem Eintritt desselben in eine definitive mit allen Wirkungen verwandelt, welchen feindliche Güter und Personen rechtmäßig unterworfen werden können, wovon im nächsten Abschnitt; oder sie ist auch nur eine staatspolizeiliche für die inneren Interessen des sie verhängenden Staates, insbesondere: um zu verhindern, daß gewisse Nachrichten von inneren Zuständen anderswohin gebracht werden; um eine polizeiliche oder gerichtliche Nachforschung anstellen zu können; oder auch selbst um im Falle dringender Noth von den Schiffen, ihrer Bemannung und Ladung einen für den Nationalstaat derselben nicht feindseligen Gebrauch gegen eine dafür zu leistende volle Entschädigung zu machen (§ 150 a. E.). Endlich kann das Embargo ein Mittel oder eine Vorbereitung specieller Repressalien sein. Kommt es zu keinem Kriege, so muß für die Nachtheile der Sperre Entschädigung gegeben werden3.

In ähnlicher Weise kann ein Blocadezustand, d. h. die effective Absperrung einer fremden Küste, eines oder mehrerer Häfen, gegen allen Verkehr von Außen durch bewaffnete Macht zu verschiedenen Zwecken angewandt werden. Nämlich entweder bei Eröffnung eines wirklichen Krieges wider den fremden Staat, wovon in dem nächstfolgenden Abschnitte das Nähere (§ 121); oder auch schon vorher und ohne eine vollständige Kriegseröffnung, sei es um Repressalien zu üben, sei es um eine bevorstehende Rechtsverletzung zu hindern, z. B. das Auslaufen eines Geschwaders oder die Zuführung

1) Schriften bei v. Kampß § 276. Vornehmlich s. de Real, Science du Gouv. V, 630. Jouffroy, Droit marit. p. 31. Nau's Völkerseerecht (1802), § 258 f. M. Poehls, Seerecht IV, § 526. Karseboom, de navium detentione, quae v. d. Embargo. Amst. 1840.

2) Wheaton IV, 1. § 4.

3) de Steck, Essais 1794. p. 7. Jacobsen, Seerecht 531. M. Poehls a. a. D. S. 1170. Einzelne Verträge haben die speciellen Embargo's unter den betheiligten Nationen ausgeschlossen und nur die allgemeinen gegen alle Nationen vorbehalten. Handelsvertrag zwischen Preußen und Nord-Amerika vom 11. Juli 1799. Art. 16. Zwischen Rußland und Schweden vom 30. Mai (11. Juni) 1801. Art. 32,

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