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er dem künftig wieder geordneten Staatsverhältniß die etwaige Ausgleichung überläßt. Eine bestimmte Grenze des Nehmens kann freilich nicht vorgeschrieben werden; es giebt im Kriege keine Dikäodosie; etwaiges Uebermaß kann nur durch Retaliation oder bei geändertem Kriegsglücke durch nachtheiligere Bedingungen des Friedens compensirt werden.

III. Sachen feindlicher Unterthanen, die sich beim Ausbruche des Krieges im eigenen Gebiete des anderen kriegführenden Theiles befanden und dessen Schuß bisher genossen, müssen ihren Eigenthümern auch ferner verbleiben, und dürfen ohne Verletzung von Treue und Glauben nicht weggenommen, sondern höchstens einer Beschlagnahme unterworfen werden, wenn aus ihrer freien Verabfolgung der feindlichen Staatsgewalt ein Vortheil in Betreff der Kriegführung erwachsen könnte, so wie im Falle der Noth einer Benutzung zum eigenen Vortheile. - Weniger Rücksicht ist man solchen Privatsachen schuldig, welche erst während des Krieges dem anderen Theile in die Hände fallen. Leßterer kann damit eben so verfahren, wie wenn sie sich im occupirten feindlichen Lande befänden.

IV. Reine Zerstörungen und Beschädigungen feindlichen Eigenthumes gehören an sich nicht zu den Befugnissen des Siegers, wenn sie nicht, wie schon früher bemerkt wurde, durch die Kriegsraison gerechtfertigt werden (§ 124). Selbst Repreffalien sollten wohl unter gebildeten Völkern in einer solchen Weise nicht geübt werden.

Wirkliche Staatenpraxis.

132. Muß man auch der neueren Kriegspraxis das Zeugniß ertheilen, daß sie auf dem Wege set, die vorstehenden Grundsäge zur Nichtschnur ihres Verhaltens zu nehmen, so hat sie sich dennoch bisher zu keiner vollkommenen Folgerichtigkeit erhoben und noch manchen Rest des älteren Kriegsgebrauches beibehalten, auch in der Theorie, vorzüglich in der rein historischen Schule, stets einige Unterstützung gefunden.

Was zuvörderst die Rechte und das Vermögen der besiegten Staatsgewalt betrifft, so hat man in der Praxis des letzten Jahrhunderts noch immer sehr häufig das Recht der bloßen Invasion mit dem der völligen Debellation (ultima victoria) verwechselt und

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jenem zugeschrieben, was erst in dem letteren enthalten sein kann. Es war nichts Seltenes, daß der Sieger sich sofort bei der Be= setzung eines Gebietes oder Gebietstheiles von den dortigen Unterthanen huldigen ließ; man schrieb ferner dem Sieger, der vorläufig verdrängten Staatsgewalt gegenüber, ein Confiscationsrecht zu, geleitet durch die Ansicht des älteren Kriegsrechtes, welche sich auch noch bei vielen Publicisten erhielt, daß die Sachen des Feindes res nullius feien oder als solche behandelt werden könnten. Man disponirte sogar zuweilen über occupirte Länder, wie über wirkliches Eigenthum'. Indeß ist diese Praxis nicht auch noch in den Kriegen des jezigen Jahrhunderts bleibend befolgt worden, sondern man hat fie in der That nur im Falle einer Debellation und einer damit verbundenen totalen Besißnahme von der ganz außer Kraft gefeßten bisherigen Staatsgewalt geübt, in der Zwischenzeit aber sich mit der thatsächlichen Benutzung aller Mittel und Hilfsquellen der bis dahin bestandenen Regierung begnügt.

Ebenso hat man sich im Landkriege hinsichtlich des Privateigenthumes der Angehörigen des occupirten Landes im Wesentlichen auf ein Contributions- und Requisitionssystem beschränkt, und für das augenblickliche Bedürfniß eine disciplinirte Maraude in Anwendung gebracht; man hat ferner Zerstörungen von Sachen, wenigstens von Seiten der Kriegsvorgesezten, so viel als möglich vermieden und nur als exceptionelle Maßregel zu vertheidigen gesucht. Da= gegen hat man im Seekriege noch immer ein das Privateigenthum schwer verletzendes System befolgt (s. unten), nicht minder im Landkriege das Recht der Kriegsbeute (praeda bellica) binnen gewisser Grenzen beibehalten; endlich sind auch noch über einzelne Gegen= stände sowohl des öffentlichen wie Privatvermögens selbst von den Publicisten der neueren Zeit manche Grundsäße behauptet worden, welche mit den aus der rechtlichen Natur des Krieges fließenden

1), Georg I. von Großbritannien kaufte das Herzogthum Bremen, Verden und Stade von Dänemark, welches diese Besitzungen den Schweden abgenommen hatte, durch Act ratificirt am 17. Juli 1715; vier Monate zuvor, ehe Großbritannien den Krieg an Schweden erklärte!" Andere Beispiele bei Martens § 277. Not. b. Britische Publicisten nehmen dies System noch immer in Anspruch. Oke Manning § 277. not. 6. Wildman II, 9. Allerdings haben sie Groot und Bynckershoeck als Autorität für sich.

nicht vereinigt werden können. Alle diese Punkte sind nun noch im Einzelnen zu erörtern.

Recht auf unbewegliche Sachen im eigenen Lande des Feindes.

133. In Ansehung der unbeweglichen Sachen ist man im Allgemeinen schon längst einverstanden, daß dieselben wenigstens dann, wenn sie feindlichen Unterthanen gehören, durch Invasion und Landesbesißnahme von Seiten der anderen Kriegspartei, ihren Eigenthümer nicht verändern und nicht mehr, wie in älterer Zeit, in das Eigenthum des Siegers übergehen. Es folgt daraus von selbst, daß jede von demselben vorgenommene Veränderung eine rechtlich unhaltbare ist, nur thatsächliche Wirkungen hervorbringen kann und durch das Postliminium hinfällig wird. Sollte sich der Sieger künftighin in dem eroberten Lande behaupten und es zu dem Seinigen machen, so würde er freilich auch der thatsächlichen Veräußerung einen juristischen Charakter zu geben im Stande sein. Ganz auf dieselbe Weise verhält es sich mit dem unbeweglichen Privateigenthum des verdrängten Souveräns, welches er nicht als Souverän besigt2; ja auch von dem öffentlichen unbeweglichen Staatseigenthume wird, so lange nicht die Staatsgewalt selbst wenigstens interimistisch auf den Sieger übergegangen ist, ein Anderes nicht zu behaupten sein3. Natürlich wird in beiderlei Hinsicht dem Sieger eine vorläufige Beschlagnahme und die Beziehung der Einkünfte zu seinem Vortheile freistehen.

1) Hierüber besteht durchaus keine Meinungsverschiedenheit unter den neueren Publicisten. S. besonders Meermann, von dem Recht der Eroberung. Erf. 1774. Pufendorf VIII, 6, 20. Vattel III, § 195. 196. Klüber § 256. v. Martens § 277. Wheaton IV, 2, § 16. Alle gestehen wenigstens zu, daß noch eine Bestätigung der Erwerbung durch den Friedensschluß nöthig sei, wenn das Eigenthum ein ganz sicheres sein soll.

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2) Vgl. die Entscheidung des Pariser Cassationshofes bei Sirey XVII, 1, 217. Le droit de conquête n'a effet au préjudice des princes que sur les biens qu'ils possèdent en qualité de princes et non sur les biens qu'ils possèdent comme simple propriété."

3) So entschied derselbe Cassationshof bei Sirey XXX, 1, 280. La conquête et l'occupation d'un état par un souverain n'autorisent pas ce souverain à disposer par donation ou autrement du domaine conquis ou occupé. S. auch A. L.-R. für die Preuß. Staaten I, 9, 198.

Unkörperliche Sachen1 in Feindesland.

134. Eine besondere Streitfrage hat sich auch noch in neuerer Zeit in Betreff der unkörperlichen Sachen fortgesponnen, inwiefern nämlich diese ein Gegenstand der Kriegsoccupation seien und von dem Sieger als sein mit rechtlicher Wirkung behandelt werden dürfen. Die meisten Publicisten haben sich in langer Reihenfolge für ein solches Verfügungsrecht ausgesprochen, dergestalt, daß ein Postliminium des ursprünglichen Forderungsberechtigten ausgeschlossen sei und der Schuldner durch den Sieger giltig liberirt werde; ja man hat be= hauptet, daß dieses auch auf solche Forderungen Anwendung leide, deren Schuldner sich in dritten neutralen Staaten befinden. Zur Begründung dieser Ansicht hat man sich hauptsächlich auf die tra= ditionelle romanistische Lehre von der Unbedingtheit der occupatio bellica bezogen; auf das vermeintlich darin begründete Confiscationsrecht, unter welchem Titel auch in vielen früheren Kriegen die Einziehung ausstehender feindlicher Forderungen betrieben worden ist. Man hat sich auf verschiedene Friedensschlüsse berufen, worin dergleichen sogenannte Confiscationen bestätiget worden sind3; man hat sogar eine vermeintliche Entscheidung der Amphicthonen in Beziehung auf ein Schuldverhältniß der Thessalier gegen Theben in Bezug genommen, wonach die Schuldforderung der Thebaner an die Thessalier durch eine Schenkung aufgehoben worden sei, welche Alexander den Letzteren bei der Zerstörung Thebens mit der Schuldverschreibung gemacht habe*.

1) Specielle Abhandlungen über diesen Gegenstand: Chr. Gottlieb Schwartz, de iure victoris in res divictor. incorporales. Alt. 1720. v. Kamptz, Beitr. zum St.- u. Völkerr. N. 9. B. W. Pfeiffer, das Recht der Kriegseroberung in Beziehung auf Staatscapitalien. 1823. Ferd. Carl Schweikart, Napoleon und die Curhessischen Capitalschuldner. Königsberg 1833. Noch andere in v. Kampt, Lit. § 307.

2) Natürlich auch noch Wildman II, 11, blos mit der gescheuten Ausnahme von Forderungen einer Privatperson an den Staat!

3) Eine große Reihe von Friedensschlüssen s. bei Schweikart S. 74, besonders von S. 82 an. S. auch Bynckershoeck, Quaest. iur. publ. 1, 7. p. 177. v. Kampß, Beitr. a. D. § 5. Not. 4. Es sind dies aber eben ausdrückliche conventionelle Be= stimmungen für einzelne Fälle, wodurch noch keine Regel zu begründen ist.

4) Diese Geschichte steht allein bei Quintilian, Inst. or. V, 10, 111 f. Die Publicisten haben mit Liebhaberei dieselbe besprochen. S. die Schriften bei Schwei

Dennoch aber muß diese Theorie und Praxis aus dem Standpunkte des Rechtes sehr bestritten, wenigstens modificirt werden. Wird doch schon auf allen Seiten zugegeben, daß durch Zahlung des Schuldners an einen Anderen außer dem wahren Gläubiger, oder durch eine sonstige Liberation von Seiten eines Dritten das Recht des wahren Gläubigers streng juristisch nicht aufgehoben werde!

Vor allen Dingen muß man von den unkörperlichen Sachen diejenigen absondern, welche in dinglichen Rechten und nicht als bloße Accessorien persönlicher Forderungen bestehen; jene haben die Natur des unbeweglichen Eigenthumes, mit welchen sie auch vielfach zusammenhängen, wie z. B. Servituten, und theilen daher auch das Schicksal des unbeweglichen Eigenthumes im Kriege, wovon zuvor gehandelt worden ist. Unter den persönlichen Forderungen giebt es sodann einige, welche das Surrogat von Eigenthumsnußungen sind, wie z. B. Pachtgelder. Bei diesen mag nicht bestritten werden, daß sie dem Feinde verfallen, welcher sich der fruchttragenden Sache bemächtiget hat, weil es nur allein von ihm abhängt, ob er die Pacht oder Miethe ferner gestatten wolle und durch die factische Fortbelassung derselben ein eigener Pacht- oder Miethsvertrag zwischen dem Feinde und dem bisherigen Gebrauchsberechtigten geschlossen wird'. Dagegen widerstreitet es der Natur aller anderen persönlichen Forderungen durchaus, sich dieselben als Gegenstand einer thatfächlichen Besitzergreifung, wie doch die occupatio bellica an sich ist, zu denken; selbst der zufällige Besitz der Schuldverschreibungen giebt, wie man allgemein einverstanden ist und sein muß, kein Recht auf Einziehung der Schuld2; eine persönliche Forderung ist eben etwas unkörperliches, besteht eben nur in einem rechtlichen Bande zwischen Gläubiger und Schuldner; das Recht des Ersteren kann auf einen Dritten nur mit seinem Willen oder durch eine legitime rechtliche Gewalt übertragen werden, wofür, wenigstens so lange der Krieg mit seinen wandelbaren Schicksalen schwebt, eine feindliche Gewalt

kart S. 53 f. Das Amphictyonenurtheil darüber ist wahrscheinlich nur eine Fabel, Saint-Croix, des anciens gouv. fédérat. p. 52. Fr. W. Tittmann, über den Bund der Amphict. 1812. S. 135. Man erfährt nicht einmal, wie es gelautet habe; aus Quintilian construirt man sich den Inhalt nach Belieben.

1) Ziegler, de iurib. maiestat. I, 33, § ult.

2) Vgl. v. Kampß a. D. § 8.

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