Page images
PDF
EPUB

Wird diesen Bedingungen zuwider gehandelt, so sind die Kriegführenden berechtigt, sich einer ferneren Beachtung der Neutralität zu entheben und entweder Repressalien zu gebrauchen, oder aber eine Kriegserklärung ergehen zu lassen.

Ist die Neutralität eine unvollkommene, so sind ihre Grenzen der strengsten Auslegung unterworfen. Es kann auch, wenn durch vorausgegangene Verträge einem kriegführenden Theile gewisse vortheilhafte Zugeständnisse gemacht sind, der anderen hierdurch benachtheiligten Partei das Recht nicht abgesprochen werden, jene Vergünstigungen durch Reactionen zu paralysiren, wenn nicht darauf von ihr verzichtet ist. Keinesweges kann sie aber präcise von dem Neutralen dieselbe Vergünstigung als ein Recht fordern2.

II. Im Einzelnen.

147. Vermöge der ersten Regel des vorigen Paragraphen darf kein neutraler Staat zugeben, daß eine Kriegspartei in feinem Gebiete eine unmittelbar feindselige Handlung gegen Personen oder Sachen der anderen Partei vornehme oder auch fortsetze, wenn er es zu hindern im Stande ist3. Vermag er dies nicht, so darf er wenigstens keine Billigung zu erkennen geben, wodurch er fernere Handlungen der Art legalisiren würde. Er muß demnach den verfolgten Theil, so viel er ohne eigene Gefahr und Nachtheil vermag, in Schutz nehmen und das ihm etwa schon Entzogene auf sein Verlangen von dem anderen Theile wieder herausgeben lassen*. Damit steht in Verbindung, daß ein Neutraler keiner Partei in seinem Gebiete die Ausübung der Prisengerichtsbarkeit gegen die andere er

antwortlichkeit zu schützen. Sehr mit Unrecht, wie die Neueren ziemlich allgemein erkannt haben. M. Poehl's Seerecht IV, 1076 (§ 513 a. E.). Arendt a. D. S. 108.

1) Vgl. Nau's Völkerr. § 233 a. E.

2) Streitigkeiten über einen solchen Punkt zwischen Großbritannien und Nordamerika s. bei Wheaton IV, 3, 3.

3) Hautefeuille I, 444. Wegen des hiermit zusammenhängenden Asylrechtes vgl. § 149.

4) Bynckershoeck, Quaest. I, 8. v. Martens, Caper § 18. Wheaton IV, 3. § 4. 6. 7. 9. Bouchaud, Théorie des traités de commerce. p. 183. Pando p. 465. Hautefeuille I, 429. 454.

lauben darf, so wenig als er eine solche zu Gunsten des einen Theiles gegen die andere selbst auszuüben berechtigt ist, es sei denn in denjenigen Fällen, wo überhaupt einem Neutralen zusteht, über die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit einer Prise eine Cognition auszuüben (§ 172). - Völlig unverfänglich ist, wie sich von selbst versteht, jede Beihilfe, welche einzelnen Nothleidenden der einen oder anderen Kriegspartei aus Menschlichkeit geleistet wird. Auch wird ein bloßes Vorüberfahren längs der Küste eines neutralen Staates noch nicht als eine Verletzung des Territoriums angesehen2.

3

Zufolge der zweiten Regel hat der Neutrale sich jedes Dazwischentretens in die kriegerischen Operationen zu enthalten und im Besonderen eine rechtmäßige Blocade zu respectiren (§ 154).

Nach der dritten Regel des vorigen Paragraphen darf der neutrale Staat einer kriegführenden Partei weder Mannschaften noch Schiffe für ihre Kriegsunternehmungen zur Disposition stellen, auch keine Waffenpläge oder Schiffsstationen für feindliche Unternehmungen einräumen, noch endlich Geldmittel zum Fortbetriebe des Krieges zu= fließen lassen. Für erlaubt hielt man ehedem zwar die Vermiethung und gewissermaßen Seelenverkäuferei von Truppen an einen kriegführenden Theil, selbst ohne einen dem Kriege vorausgegangenen Vertrag; theils machen jedoch die constitutionellen Rechte der Völker dergleichen heut zu Tage unmöglich; theils wird auch, wenn es noch vorkäme, eine Kriegspartei durch kein Herkommen gehindert, gegen einen solchen Truppenlieferanten nach ihrem politischen Interesse zu handeln. -Ebenso war es eine vormals sehr gewöhnliche Meinung, ein neutraler Staat dürfe einer kriegführenden Macht gestatten, sein Gebiet für ihr Angriffs- und Vertheidigungssystem zum Schaden des Gegners vorübergehend zu benußen, falls man diesem selbst auch

1) Wheaton, Elem. II, 94.
2) Wheaton, Elem. I, 252.

Ortolan II, 266. Pando p. 467, 17.
Ortolan II, 241.

3) Liv. Hist. 35, 48. Amici bello se non interponant.

4) Arendt p. 105. Hautefeuille I, 450. 462. Phillimore III, 221. 5) Eine gute geschichtliche und doctrinelle Erörterung der Frage s. bei Oke Manning 170. Vgl. Hautefeuille I, 433. Phillimore III, 209.

6) Auch die Schweizer Cantons sind vermöge der ihnen allgemein zugestandenen, ja auferlegten steten Neutralität gegen die Europäischen Mächte nicht mehr berechtigt, mit Einer derselben gegen die Andere Militärcapitulationen nach bereits ausgebrochenem Kriege zu schließen.

[ocr errors]

das Nämliche zu erlauben bereit wäre, z. B. einen Durchzug von Truppen oder die Durchführung von Schiffen durch das neutrale Wassergebiet, ferner die Anhäufung von Magazinen, Ausrüstung von Truppen, Kriegsschiffen und Capern; allein es lassen sich dergleichen Vergünstigungen mit dem Wesen strenger Neutralität nicht vereinbaren'. Denn es wird darin immer ein actueller Gewinn für den Begünstigten in seinen Unternehmungen liegen und die Umstände werden selten so geartet sein, daß aus solchen Gestattungen kein wirkliches Präjudiz für die andere Partei entstehen könnte; meistens wird die Lage eines neutralen Landes für die eine Kriegspartei günstiger sein als für die andere, demnach ihre Benutzung von Seiten der Einen wirkliche Förderung ihrer feindlichen Zwecke gegen die andere Partei. Nur bei völliger Unverfänglichkeit der Verhältnisse und Zustände würde daher der Neutrale Zugeständnisse der angegebenen Art machen dürfen; unter allen Umständen aber fordert es der gute Glaube und die Klugheit, sich mit dem anderen Theile hierüber zu verständigen. Minder bedenklich darf es im Allgemeinen erscheinen, einzelnen Personen jeder Kriegspartei den Aufenthalt im neutralen Gebiete, so wie das Einlaufen von Kriegs- und Handelsschiffen in seinen Hafen, sogar ihre Wiederinstandseßung daselbst zu gestatten. Sobald indessen irgend ein bestimmter feindseliger Plan gegen die andere Kriegspartei zu vermuthen ist, darf der Neutrale

1) Die Deutschen Publicisten haben sich zwar nebst Vattel (III, 119 ff.) meiftens für die Zulässigkeit eines passagium innocuum entschieden, z. B. Martens, Précis du dr. des g. § 310. 311. Und auch der gegenwärtige Verfasser hatte sich deshalb in seiner ersten Aufgabe, obgleich er schon von der Unhaltbarkeit jener Ansicht überzeugt war, noch etwas schwankend über diesen Punkt ausgedrückt. Jetzt, nach dem Vorgange von Oke Manning p. 182, Arendt p. 121 und Hautefeuille I, 424. 447, nimmt er keinen Anstand, sich ebenfalls, den Eintritt ganz außerordentlicher Umstände ausgenommen, dieser Meinung anzuschließen. S. nun auch Phillimore III, 225. Pando hat sich p. 461 noch für die ältere Ansicht erklärt.

2) Schon Moser, Versuch X, S. 238 war auf diesem Wege. „Ganze_Armeen, Corps u. dergl. durch ein neutrales Land marschiren zu lassen, ist man nicht schuldig. Und wann es gestattet, kann es nach den Umständen als eine Verletzung der Neutralität angesehen werden. Wann einem Theile ein solcher Durchzug bewilligt, dem anderen abgeschlagen wird, ist es eine offenbare Parteilichkeit. Wann ferner von einem Durchzuge nur der eine Theil Nußen zieht, der andere hingegen sich dessen mit Nußen nicht bedienen kann, so kann der Letztere an den neutralen Staat wohl verlangen, den Durchzug abzuschlagen.“

einen ferneren Aufenthalt nicht zulassen, so wenig als eine völlig neue Ausrüstung derselben'. Vortheile, welche ein Kriegführender gegen den anderen bereits definitiv errungen hat, z. B. Beute und Capergut, dessen Appropriation eine völkerrechtlich bereits unantastbare geworden ist, kann ein neutraler Staat unbedenklich erwerben, oder den Verkauf erlauben. Anzufechten wäre dagegen die Gestattung eines eigentlichen, dem Einen besonders vortheilhaft gelegenen Depots zur Unterbringung solcher Gegenstände; feindlich auch die Annahme und Erwerbung von Eroberungen, welche erst durch den Frieden einer legitimen Disposition des Siegers unterworfen werden (§ 132).

Ausdehnung auf die Unterthanen.

148. Durch das Vorstehende sind mit Berücksichtigung der wichtigsten Fälle die engsten Grenzen gezogen, innerhalb deren sich die Unparteilichkeit der neutralen Staatsgewalten halten muß. Was nun diese zu thun nicht berechtiget sind, darf im Allgemeinen auch ihren Unterthanen nicht zugestanden werden. Inzwischen kann dadurch die Freiheit der Einzelnen nicht so völlig beschränkt werden, als es für die Staatsgewalt selbst, mithin auch für die Masse der Nation, Gesetz der Neutralität ist. `Es kann daher keine Regierung, den Fall ausdrücklicher Vertragsverbindlichkeit ausgenommen, dafür verantwortlich gemacht werden, wenn einzelne ihrer Unterthanen freiwillig in der einen oder anderen Weise an einem fremden Kriege Theil nehmen, wenn sie sich mit einer Kriegspartei in Lieferungs- und Darlehn-Geschäfte einlassen, oder in die Truppenreihen derselben

i) Jouffroy (Dr. marit. p. 92) hält die Einnahme von Munition und Waffen für unerlaubt. Derselben Meinung scheint Pando p. 467. So schloß auch Schweden und Dänemark 1854 die Verabfolgung von Contrebande-Artikeln aus. Phillimore III, 208. Es wäre indessen hart, einen Krieger wehrlos feinen Feinden Preis zu geben, auch ist Verkauf im eigenen Lande den Neutralen überhaupt nicht verboten.

2) Vattel III, 7, 132. In manchen Verträgen ist dies ausdrücklich stipulirt. Aber eine Verbindlichkeit zur Gestattung des Verkaufes hat der neutrale Staat nicht. Bynckershoeck, Quaest. I, 15. v. Steck, Handels- und Schifffahrtsvertr. S. 176. Pando p. 467. Daher hat man sich auch vertragsweise zuweilen zur Nichtgestattung verpflichtet. Ortolan II, 270. Dieser Schriftsteller selbst will die Nichtgestattung als Regel betrachtet haben.

eintreten', einem kriegerischen Drange oder besonderen moralischen Interessen an der Sache dieser Partei nachgehend. Im äußersten Falle würden hier die Grundsäge von der Auswanderung der Unterthanen als Analogie dienen. Sollte freilich die Theilnahme der Unterthanen eine massenhafte werden, dadurch die Aufmerksamkeit und Bedenklichkeit der Gegenpartei erregen, demnach Repressalien derselben befürchten lassen: so wird es von dem politischen Ermessen der betheiligten Staatsgewalt abhängen, ob und wie weit sie dagegen einschreiten wolle, jedoch nicht aus Pflicht gegen den kriegführenden Theil, sondern lediglich aus Rücksicht auf das eigene Staatswohl2. Als Verlegung der Neutralitätspflicht darf nach neuerem Brauch jedenfalls die Erlaubniß zur Annahme von Caperbriefen und Ausrüstung von Caperschiffen angesehen werden3.

Rechte der Neutralen.

149. Hinsichtlich der Rechte der neutralen Staaten ist das allgemeine Princip aufzustellen, daß ihnen auch im Kriege alle diejenigen Rechte verbleiben und ungekränkt erhalten werden müssen, welche ihnen im Friedensstande gebühren, so weit sie nicht durch die vorausgeschickten Bedingungen der Neutralität eine Beschränkung erleiden. Es folgt daraus insbesondere:

Erstlich die Unverlegbarkeit des Gebietes und die ungestörte Ausübung aller Hoheitsrechte in dem Inneren desselben.

1) Es giebt Nationen, größere oder kleinere, auch Zeiten, wo der Einzelne oft für den Drang nach kriegerischer Ehre keine Befriedigung finden kann. Er muß sie daher anderweit suchen. Ferner kann eine Regierung Bedenken tragen, sich der Gefahr eines Krieges, selbst für eine gute Sache, auszusetzen, die Moral kann aber . dem Einzelnen eine Theilnahme an der gerechten Sache zur Pflicht machen. In Deutschland gehörte sonst dieses Eintreten in fremde Heere zur „löblichen Gestalt Deutscher Freiheit." Reichs-Abschf. von 1570 § 4.

2) Etwas andere, zum Theil jedoch übereintreffende Gesichtspunkte nimmt Hautefeuille I, 439. 459.

3) In früherer Zeit finden sich nur vereinzelte Verträge, daß man den Unterthanen nicht gestatten wolle, Caperbriefe gegen den anderen Theil anzunehmen. v. Steck, Vers. über Handels- und Schifffahrtsvertr. 173. v. Martens, über Caper § 13. Der gewöhnliche Brauch war dagegen. Jetzt hat sich die Praxis mehr und mehr für die Untersagung entschieden und gewiß mit gutem Grunde. Vgl. Hautefeuille I, 440.

« PreviousContinue »