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(§ 39); anderen Staaten wird dadurch kein verbindliches Gesetz ertheilt; jedoch pflegt man meistens im Interesse der Eigenthumsgewißheit und zur Vermeidung von Contestationen die Prisenzusprüche als giltig anzuerkennen, wenn nur dadurch kein unzweifelhaftes Princip des Völkerrechtes verlegt worden ist1. Eine Ausnahme von der Competenz des kriegführenden Staates, für welchen der Fang gemacht ist, wird vorzüglich dann behauptet und zugestanden:

wenn die Wegnahme in einem neutralen Gebiete oder durch Mißbrauch desselben zu einem illegalen Angriffe erfolgt ist, oder wenn das weggenommene Gut, noch vor dem Zuspruch der Prise

an den kriegführenden Staat, in das Gebiet desjenigen Staates gelangt, welchem auch der Eigenthümer angehört.

Im ersteren Falle wird nicht nur der neutrale Staat, welcher die weggenommenen Gegenstände in seiner Gewalt hat, über die Illegalität der Prise zu entscheiden befugt gehalten, sondern es wird auch seiner Reclamation der unrechtmäßigen, nicht mehr in seiner Gewalt befindlichen Prise im Wege der diplomatischen Verhandlung von den Kriegführenden Folge gegeben; im zweiten Falle kann er gleichergestalt nach seinen eigenen Gesetzen und nach den mit dem Krieg= führenden bestehenden Verträgen über die Reclamation des Eigenthümers entscheiden3. Daß aber ein neutraler Staat auch über die Rechtmäßigkeit der von einem Kriegführenden gegen einen dritten neutralen Staat gemachten Prise das Entscheidungsrecht habe, kann selbst, wenn die Prise sich unter seiner Botmäßigkeit befindet, als hergebracht nicht nachgewiesen werden; nur ein provisorischer Schuß darf hier dem Weggenommenen angedeihen; im Uebrigen ist die Sache zwischen dem Kriegführenden und neutralen Staate auszutragen.

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173. Das Verfahren bei den Prisengerichten der Kriegführenden ist auch den Neutralen gegenüber ein s. g. Reclameproceß, 1) Oke Manning p. 383.

2) Dafür gilt Verfolgung eines feindlichen Schiffes, mit welchem man in einem neutralen Hafen zusammengetroffen ist, in den 24 Stunden, welche demselben voraus zu vergönnen sind. Vgl. § 149 und Pando p. 471. Desgl. eine unerlaubte Ausrüstung auf neutralem Boden. Ortolan p. 265.

3) Vgl. Jouffroy S. 295. v. Martens, über Caper § 36. Wheaton, Intern. L. IV, 3, § 6—10 u. IV, 2, § 13. Jacobsen, Seerecht S. 584. Zum Theil auch Oke Manning p. 385. Phillimore III, 479.

4) Sehr ausführlich für die Britische Praxis Phillimore 560.

wobei den reclamirenden Neutralen der Beweis der Unrechtmäßigkeit der Captur aufgebürdet wird'. Sowohl die Form des Verfahrens, wie auch die Grundsätze des Beweises und das Materielle der abzugebenden Entscheidung richten sich nach den Gesetzen des Landes, dessen Behörden mit der Prisengerichtsbarkeit beauftragt sind, wofern nicht Verträge mit den Neutralen im concreten Falle ein Anderes mit sich bringen. Im Allgemeinen sind jene Proceduren und Entscheidungsnormen nichts weniger als günstig für die Neutralen; sie sind politische Werkzeuge und Angeln des Eigennutes, wie man sich leicht schon aus dem Durchblättern der Sammlungen von Prisengerichtsurtheilen überzeugen kann, troß der Bewunderung, welche Viele den gelehrten Prisenrichtern" mancher Nationen gezollt haben! Häufig werden nur diejenigen Beweise zugelassen, welche bei der Captur eines Schiffes vorgefunden werden; mit den Schiffspapieren werden die Aussagen der Schiffsmannschaft verglichen, hinsichts deren man fast inquisitorisch verfährt 3!

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Welche Folgen den unterliegenden Reclamanten treffen, ist nach den vorausgeschickten Maximen der neueren Seepraxis in Ansehung der einzelnen s. g. Contraventionen leicht zu bemessen. Bald bestehen sie in dem Verluste des Schiffes und der Ladung, bald in dem des Einen oder Anderen, bald auch nur in dem Verluste eines Theiles der Ladung oder auch der Fracht. Der ganz oder theilweis Siegende erhält die Restitution, auch wohl Schäden und Kosten vergütet, obgleich die Captoren dabei häufig geschont werden. Ein nicht ganz abgelehnter Verdacht hat meist dieselben Wirkungen wie die offen

1) v. Martens a. D. § 27. Vertheidigt ist das Princip von Pinheiro Ferreira in den Noten zu v. Martens, Introduction § 317. Desgl. von Jouffroy S. 296. Nach dem Grundsaße: spoliatus ante omnia restituendus, und nach Analogie des Arrestverfahrens sollte freilich wohl erst der Captor nachweisen, daß er einen genügenden Grund zur Wegnahme gehabt habe. Aber dies umgeht man! Betrachtungen darüber s. auch bei Wurm a. D. 145.

2) Solche Verträge giebt es zur Zeit nur wenige. Die meisten beschränken sich darauf, eine unparteiische Justiz in Prisensachen gegenseitig zur Pflicht zu machen, oder unverdächtige Richter zu postuliren (wie der Englisch - Russische Vertrag von 1801). Einige Verträge haben auch die Mittheilung der betreffenden Prisenurtheile stipulirt. So die Verträge der Nord-, Mittel- und Südamerikanischen Republiken unter einander.

3) v. Martens a. D. Specielle Mittheilungen aus der Prisenpraxis und Betrachtungen darüber s. bei Jacobsen, Seerecht S. 544 ff. u. 441 f.

flare Contravention, oder entbindet doch die Captoren von den Kosten. Indeß - es giebt hierüber keinen Völkercoder'; Alles ist von der Stimmung des Kriegführenden, seinem guten oder schlimmen Willen, von der Gerechtigkeitsliebe oder Eingenommenheit seiner Prisenrichter abhängig. Gewiß haben die Neutralen das Recht, jeder Ungerechtig= keit, die sie betrifft, Zwangsmaßregeln entgegenzusehen, und wenigstens eine Entschädigung für jene zu reclamiren.

Außerordentliche Maßregeln der Kriegführenden zum Nachtheile der Neutralen und deren Rechte hiergegen.

174. Nicht immer haben sich die Kriegführenden an dem Gewöhnlichen genügen lassen. Einige minder lästige Verfügungen, denen die Neutralen zuweilen unterworfen worden sind, namentlich Embargo's auf ihre Schiffe, um dadurch gewisse Zwecke zu verschleiern, oder Benutzung neutraler Schiffe zum Transport; ferner die Wegnahme neutraler Ladungen für das augenblickliche oder zu erwartende Kriegsbedürfniß — wurden schon oben (§ 150) erwähnt und auf ihre äußerste Regel zurückgeführt.

Schlimmer steht es dagegen mit denjenigen, obschon vorgeblich auch nur außerordentlichen Beschränkungen, welchen sich die Neutralen in dem ihnen sonst regelmäßig gestatteten Verkehre auf die Anordnung eines Kriegführenden unter dem Vorwande fügen sollen, daß außerdem der Feind nicht bekämpft werden könne, als da sind: die eigenmächtige Vermehrung der Contrebandeartikel, ohne daß einmal eine Vergütung im Wege der f. g. Präemtion dafür gegeben wird (§ 158);

das Verbot alles neutralen Handels mit feindlichen Handelsartikeln, oder nach allen feindlichen und solchen Häfen, die mit dem Feinde in Verbindung stehen;

1) Eine nähere Bestimmung der einzelnen Fälle nach Recht und Billigkeit hat Jouffroy S. 299 f. versucht. Vgl. auch noch v. Martens, über Caper § 30 und das Werk von Hautefeuille, bei den einzelnen Materien: Blocade. Contrebande. Visite. Saisie.

2) Groot III, 2, 5. Bynkershoek, Quaest. iur. publ. I, cap. 9. Vattel II, § 84. Wheaton IV, 2, 15. Hierher gehört das Preußische Verfahren gegen Großbritannien im Jahre 1752 und die damalige diplomatische Verhandlung, dargestellt in v. Martens, Erzählungen I, 236 ff. Ch. de Martens, Causes célèbres II, p. 1 f,

das Verbot jeder Correspondenz mit dem Feinde und jeder Berührung des feindlichen Gebietes.

Zu Excentricitäten dieser Art führte unter Anderem das s. g. Aushungerungssystem, welches von der Coalition gegen das revolutionäre Frankreich aufgestellt, besonders von England exequirt und gegen den Widerspruch der Neutralen 1793 vertheidigt wurde'; dann das Britische allgemeine Blocadesystem gegen Frankreich und seine Alliirten seit dem 16. Mai 1806 ohne allseitigen effectiven Blocadezustand2; hiernächst das Napoleonische Continentalsystem als Generalisirung aller Prohibitivmaßregeln 3.

Legitime Gründe zur Anwendung solcher Mittel würden allein vorliegen:

im Kampfe um Selbsterhaltung gegen einen mächtigeren Feind; bei Bekämpfung eines gemeinsamen Feindes des Menschengeschlechtes oder aller Staaten, namentlich bei Bekämpfung einer Universalherrschaft.

Die Neutralen dürfen ihrerseits die Anwendung ablehnen:

wenn ihnen die Ueberzeugung von dem Dasein eines legitimen Grundes nicht gegeben werden kann;

wenn ihre eigene Selbsterhaltung darunter gefährdet wird;

und

soweit die Maßregel mit Unmenschlichkeiten verbunden ist. Findet keine Verständigung Statt, so handelt jeder Theil nach seinem Ermessen und Vermögen. Der Kriegführer, indem er auf seinem System beharrt, stellt den Neutralen die Wahl zwischen Krieg oder Nachgiebigkeit. Ein sonstiges Regulativ giebt es nicht.

Unbedenklich steht jedem Neutralen das Recht zu, gegen unrechtmäßige Behandlung und drohende Excesse Vorkehrungen zu treffen, sich mit bewaffneter Hand in seinen Befugnissen zu schüßen und gegen Uebergriffe der Kriegführenden Repressalien zu gebrauchen. 1) Das Geschichtliche hiervon s. bei Wheaton, Histoire II, 33. Intern. L. IV, 3, 24 (27) s. Vgl. Nau, Völkerseer. § 209. Büsch, über das Bestreben der Völker 2c. Cap. 8 u. 13. Oke Manning p. 295. Wegen älterer approximativer Präcedentien vgl. schon oben § 162.

2) Klüber, Dr. d. g. § 314.

3) Man s. die Decrete Napoleons vom 21. Novbr. 1807 und vom 17. Dec. 1807 mit den entgegengesetzten Britischen Conseil-Verordnungen vom 7. Jan. 1807 und 11. Novbr. 1807. Klüber ebendas. § 312 f.

Ein durchaus erlaubtes Sicherungsmittel ist die Convoiirung der Handelsschiffe durch Kriegsschiffe', überhaupt die Aufstellung einer bewaffneten Macht, es sei in Vereinzelung oder in Verbindung mit anderen Mächten zur Handhabung der Grundsäge der Neutralität. Endlich könnten auch wohl die Neutralen, indem sie den Kriegführenden gleichmäßig ihre Häfen öffnen, als Aequivalent die Bedingung stellen, daß ihnen dagegen die Ausübung einer unparteiischen Prisenjustiz über die dahin aufgebrachten Schiffe überlassen werde.

Rückblick auf die Rechte der Neutralen.

175. Blicken wir auf die bisher in kurzem Abriß aus der Wirklichkeit dargelegten Rechte der Neutralen zurück: so erkennen wir darin bei weitem mehr Beschränkungen und Hemmnisse, als Freiheit und Unabhängigkeit der Neutralen; andererseits maßlose Anmaßungen der Kriegführenden; ja man kann sagen, es giebt im Felde des Völkerrechtes keine traurigere Gestalt als die eines Neutralen, den größeren Seemächten gegenüber. Der ganze neutrale Seehandel wird in den Kriegszustand hineingezogen und von der Willkür des Seeherrn abhängig gemacht. Das ist zum Theil die Folge gemeinfamer Verfündigung, indem beinahe kein Seestaat sich gescheuet hat, die Grundsätze, welche oft wieder zu seinem eigenen Verderben dienen konnten, bei vorkommender günstiger Gelegenheit selbst zu üben.

Ist aber darum dieses f. g. Völkerseerecht ein gerechtes? unabänderliches? und kann es Bestand haben?

Ausgehend von dem Princip der Gleichheit aller Staaten, wonach Keiner der Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit des Anderen unterworfen ist;

1) S. schon oben § 170. Sie ist vorzüglich durch die Hanseaten eingeführt. England selbst sandte 1715, während des nordischen Krieges beeinträchtigt durch die Schwedischen Caper, ein Geschwader nach der Nordsee zur Beschüßung des Britischen Handels, kann also auch anderen nicht das Nämliche bestreiten. Lamberti, Histoire du siècle XIV. t. IX, p. 251.

2) So die bewaffnete nordische Neutralität. Nicht unbedenklich war es vielleicht dabei, daß die Theilnehmer an derselben das Baltische Meer für ein ge= schlossenes erklärten, worin feindliche Kriegsschiffe keinen Zutritt haben und keine Feindseligkeiten geduldet werden sollten. Martens, Rec. II, p. 195. 205. 250. Großbritannien hat sich am 18. December 1807 dagegen ausgesprochen.

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