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er bedarf endlich keiner vorerstigen gesetzlichen Anerkennung in den Einzelstaaten, sondern versteht sich von selbst und kann durch das Landesgesetz nur unterdrückt oder modificirt werden. Was das Römische Recht darüber enthält, bezieht sich fast lediglich auf die privatrechtliche Seite der Anwendung, bestätiget aber dabei mehrentheils das natürliche Princip und bietet nur Eigenthümliches dar aus dem antiken Standpunkte des Völkerrechtes, so wie aus den besonderen Rechtsverhältnissen des Römischen Bürgerthums. Daß die neuere Rechtssitte davon mehrfach und sehr entschieden abgewichen ist, daß sie sich an den obigen Grundsaß in seiner ganzen Einfachheit und Bestimmtheit hält, ist längst erkannt worden'.

Postliminium der Völker und Staatsgewalten2.

188. Hat ein Kriegführender das Territorium des Gegners ganz oder theilweis in Besitz genommen, jedoch dasselbe bereits vor oder in dem Friedensschlusse wieder aufgegeben, so tritt unbedenklich das frühere Staatsverhältniß wieder in Kraft, es mag nun der Feind sich an einer bloßen Occupation haben genügen lassen, oder sich eine factische Souveränetät angemaßt haben; er mag freiwillig sich zurückgezogen, oder der frühere Staat sich seiner mit Gewalt entledigt, oder endlich ein Bundesgenosse ihn davon befreit haben3. Nur die Verdrängung des Feindes durch einen Dritten ohne eigenes Zuthun giebt wider dessen Willen nicht von selbst die frühere staatliche Existenz zurück“.

mischen Rechtes, nehmen den Saß nur mit vielen Beschränkungen und als Ausnahme an. Vattel, welcher ihn im § 216 noch behauptet, widerspricht sich selbst im § 214.

1) S. schon Groot a. D. § 15 u. 19.

2) Franc. Hotomannus, an civitas bello capta, si in libertatem vindicetur, iure quoque suo pristina omnia recuperet? (Quaest. illust. n. 5.) 3) Groot II, 4, 14. III, 9, § 9 u. 12. Dazu H. Cocceji. Vattel III, § 213. Klüber, Dr. d. g. § 270.

4) Nur als billig oder human wird die Restitution gefordert von Vattel § 203. Allein ein Rechtsanspruch besteht nicht. Verhandlungen über die Frage im Britischen Parlament s. in Wheaton, Histoire p. 379 (II, p. 173 éd. 2). Auch am Wiener Congreß kam dieselbe in einer weiteren Form, worunter gewissermaßen der Fall der vorigen Note begriffen werden kann, zur Sprache ohne ausdrückliche Entscheidung. Klüber, Acten des Wiener Congr. V, 10, 29–33.

Die einzelnen Wirkungen eines solchen Postliminiums sind leicht zu bestimmen.

Hat nur eine Occupation ohne Anmaßung von Regierungsrechten Statt gefunden, so nimmt die bisherige Staatsgewalt alles noch Vorhandene zurück, was auch früher ihrem Rechte unterworfen war; sie kann sogar die vom Feinde veräußerten Sachen, und zwar selbst von Bundesgenossen und Neutralen, reclamiren, wenn nicht etwa nach allgemein angenommenen Grundsäßen dem feindlichen Eroberer ein Verfügungsrecht darüber zustand'. Inwiefern der Erwerber sich gegen die Herausgabe durch giltige Einreden schüßen könne, hängt lediglich von den Regeln des Privatrechtes ab.

Ist es zu einer Zwischenherrschaft gekommen, so wird folgerichtig mit dem im § 185 Bemerkten behauptet werden dürfen2:

I. Jede während der Invasion vorgenommene Aenderung der Verfassung ist für die Zukunft unverbindlich. Ob aber die vorige Verfassung wiederhergestellt werden müsse, ob und wie viel yon der Zwischenverfassung beibehalten werden mag, hängt von der staatsrechtlichen Ungebundenheit oder Gebundenheit des Souveräns und den früheren Rechten des Volkes ab.

II. Kein Regierungsact aus der Zeit der Zwischenherrschaft hat nach eingetretenem Postliminium Anspruch auf unbedingte Anerkennung und Fortdauer. Die wiederhergestellte Staatsgewalt kann die Gesetzgebung und Verwaltung, so wie deren Organe in den Zustand zurückversehen, worin sie sich vor der Invasion befanden. Nur die unter der Fremdherrschaft einmal begründeten Privatrechte, so wie richterliche Entscheidungen über Privatrechte, können nicht angefochten oder umgestoßen werden3, dafern sie mit der wiederhergestellten

1) Vgl. H. Cocceji zu Groot III, 9. tom. IV. p. 125. Wheaton, Intern. L. IV, 2, 16 (§ 17 éd. fr.). Inwieweit dem Eroberer ein Verfügungsrecht über Einzelnes zustehe, haben wir bereits im zweiten Abschnitte dieses Buches § 131 f. erörtert.

2) Hier ist allerdings sehr Vieles, beinahe Alles streitig. Man s. die Ansichten von Klüber, Völkerr. § 258. 259 und die dort angeführten Schriften. Sodann Wheaton, Intern. L. I, 2, § 20; überdies B. W. Pfeiffer, inwiefern find Regierungshandlungen eines Zwischenherrschers für den rechtmäßigen Regenten nach deffen Rückkehr verbindlich? 1819. Weiß, Deutsches Staatsr. § 251.

3) In diesem Sinne, wenn auch nicht stets, ist meistens verfahren worden. Man vgl. schon die Constitutionen der Römischen Imperatoren im Titel des Theo

Verfassung vereinbarlich sind. Auch Verträge mit auswärtigen Staaten in rem eingegangen, bleiben giltig (§ 84), vorbehaltlich ihrer Aufhebung aus rechtmäßigen Gründen, z. B. wegen veränderter Umstände.

III. Die restaurirte Staatsgewalt kann sich ihrerseits in Beziehung auf die unter der Zwischenherrschaft abgelaufene Regierungsperiode zu keiner retroactiven Ausübung ihrer Regierungsrechte gegen ihre Unterthanen oder Dritte berechtiget halten, insofern es sich von Verhältnissen handelt, welche jener Periode angehörten und darin zu reguliren waren. Es findet z. B. keine Nachforderung von Steuern oder Diensten nach der alten Verfassung für die Zwischenperiode Statt, worin die alte Staatsgewalt außer Wirksamkeit gesetzt war. Dahingegen fuccedirt dieselbe in alle noch nicht realisirte Rechte und Verbindlichkeiten, welche dem Staate in der Zwischenzeit zugefallen sind, gleichwie diese Zwischenregierung in die Rechte und Verbindlichkeiten des alten Staates einzutreten hatte (§ 23). Es können daher z. B. Abgabenrückstände und Acquisitionen, welche die Fremdherrschaft während ihres Bestehens für den Staat gemacht hat, auch von der postliminischen Regierung eingezogen werden.

IV. Hat die Zwischenregierung Staatseigenthum, Domänen, Staatscapitalien, Renten und dergl., welche nicht Privateigenthum des Souveräns oder der Familie desselben sind, veräußert', so kann die zurückgekehrte Regierung die Veräußerung wohl um deswillen nicht anfechten, weil der Staat, mithin auch das ihm Zugehörige, während der Zwischenzeit nur in der Abhängigkeit von dem Usurpator fortbestand, von ihm also auch rechtsgiltig repräsentirt wurde; in keinem Falle würde dasjenige, was unter lästigem Titel ohne Ausschließung der Evictionsleistung veräußert worden ist, vindicirt werden

dosischen Codex: de infirmandis his quae sub tyrannis aut barbaris gesta sunt (15, 14), namentlich const. 9. S. übrigens Cocceji zu Groot III, 6. 9. Pando 409.

1) Dieser ganze Punkt ist der allerstreitigste. Um ihn dreht sich vorzüglich die Entscheidung über die Napoleonisch-Westphälischen Domänenverkäufe und Einziehung von Staatscapitalien in usurpirten Deutschen Landen. Mehrere richterliche Entscheidungen sind im obigen Sinne erlassen worden; doch fehlt es auch nicht an entgegengesetzten Urtheilen. Das Beste, was für die Nichtgiltigkeit der obigen Veräußerungen gesagt werden konnte, findet sich zusammengedrängt in einem Oldenburgischen Votum am Deutschen Bundestage, Sitzung vom 4. Dec. 1823. Ausführlich erörtert ist die Frage, zumeist in unserem Sinne, von Phillimore III, 690-727 mit Eingehung auf einzelne Fälle.

dürfen, weil hier den Erwerber dieselbe Billigkeit schützen muß, welche auch im Civilrecht die exceptio rei venditae ac traditae erzeugt hat. Denn die restaurirte Regierung muß unbedenklich bei Wiedernahme des alten Staates auch die Verbindlichkeit der Zwischenregierung vertreten. Wäre endlich der alte Staat ganz aufgelöset worden, so konnten auch seine Activen als herrenlos von der Staatsgewalt, die sich darüber gestellt hatte, in Eigenschaft genommen werden.

Alles Postliminium eines unterdrückten Staates füllt übrigens dann weg, wenn er sich in seiner Gesammtheit dem Eroberer ergeben und damit jedem Anspruch auf Wiederherstellung ausdrücklich oder stillschweigend entfagt hat. Nur eine Selbstrevolution oder das Geschenk eines Dritten kann ihn wieder daraus befreien, nicht aber das bloße Factum einer Wiederaufhebung der früheren feindlichen Staatsgewalt1.

Postliminium der Privatpersonen und Privatverhältnisse.

189. In Beziehung auf Privatpersonen, worunter wir auch die Souveräne und souveränen Familienglieder rücksichtlich ihrer Privatrechte begreifen, findet, wie bereits im Römischen Rechte unterschieden wird, ein zweifaches Postliminium Statt, einmal nämlich in Ansehung ihrer Person, sofern diese dem Feinde unterworfen oder kriegsgefangen war, sodann in Ansehung ihrer Privatrechtsverhältnisse.

Das persönliche Postliminium steht vorzüglich mit dem Charakter der Kriegsgefangenschaft in Verbindung. Es hatte daher auch eine andere Bedeutung nach dem Rechte der alten Welt, als ihm eine solche noch nach dem neueren Kriegsrechte zugeschrieben werden kann. Die alte Kriegsgefangenschaft brachte in den Zustand der Knechtschaft, womit an und für sich jedes bürgerliche Rechtsverhältniß unvereinbarlich ist. Es bedurfte daher für ein so consequentes Rechtssystem, wie das Römische war, einer besonderen Fiction, um den Kriegs

1) Vattel § 210. 213. Eine freiwillige bleibende Unterwerfung kann aber gewiß aus der bloßen Fügsamkeit unter den Willen des Eroberers, aus der Huldigungsleistung, aus der Annahme von Aemtern noch nicht gefolgert werden, da Alles dies nur einem Zwange zuzuschreiben und als das einzige Mittel, sich Schlimmeres zu ersparen oder so viel als möglich zu retten, ergriffen sein konnte.

gefangenen und die von ihm abhängigen Personen in dem Genusse der vaterländischen bürgerlichen Rechte zu erhalten oder wieder darin einzusetzen; so fingirte man denn auf den Grund eines von dem Dictator Cornelius Sulla gegebenen Gesetzes, daß das Testament eines in der Kriegsgefangenschaft verstorbenen Römers, wenn es vor der Gefangennehmung errichtet war, das Testament eines freien Römers sei; sodann daß der aus der Gefangenschaft wirklich Befreite auch in der Zwischenzeit frei und ein Römischer Bürger geblieben sei. Da nach heutigem Kriegsrechte die Kriegsgefangenschaft blos in einer thatsächlichen Suspension der Freiheit besteht, so kann auch nur eine Suspension der Ausübung bürgerlicher Rechte im Vaterlande damit verbunden sein, indem und soweit selbige wegen der temporären Unfreiheit der Gefangenen unmöglich ist. Die Rechtsverhältnisse selbst, abgesehen von ihrer Ausübung, können dadurch nicht beeinträchtiget werden; der volle Genuß derselben muß sofort bei der Befreiung aus der Gefangenschaft wieder eintreten; ja, es kann schon in der Zwischenzeit durch selbstgewählte oder obrigkeitlich gesetzte Vertreter für die Ausübung, wenigstens Erhaltung der Privatrechte, gesorgt werden'. Nicht mit Unrecht ist daher von manchem neueren Publicisten ein eigentliches ius postliminii personarum für eine ganz unnöthige Rechtsformel erklärt worden2. Es ist nichts als das Rechtsverhältniß eines bisher Abwesenden, nun aus der Abwesenheit Wiederkehrenden.

Eben deshalb erscheint auch die Frage: wann das Postliminium eintrete? in einem ganz anderen Lichte als nach dem antiken insbesondere Römischen Rechte. Nach dem letteren trat es ein, sobald der Gefangene im Kriege aus der feindlichen Gewalt in sein Vaterland oder zu befreundeten Nationen zurückkehrte; ausnahmweise stand es auch noch nach dem Frieden offen. Ausgeschlossen waren diejenigen, welche sich mit den Waffen dem Feinde übergeben hatten, die Ueberläufer, die von dem vaterländischen Staate selbst Ausgelieferten, ferner, wer freiwillig bei dem Feinde blieb oder ausdrück

1) Schon das neuere Röm. Recht (1. 3. C. de postl.) gestattet eine derartige Sorgfalt für die Gefangenen durch Bestellung von Curatoren.

2) S. namentlich Titius, Jus priv. X, 15. § 20. 21. 16, § 6.

3) S. 1. 14. pr. D. de captiv., eine Stelle, deren Lesart und Auslegung übrigens nicht außer Zweifel ist.

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