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mar, welches ohnehin nur Bestimmungen über Wiedernahme eines von der Gegenpartei genommenen Schiffes durch den betheiligten Staat des früheren Eigenthümers enthält1. Was in einzelnen internationalen Verträgen wegen der Wiedernahme stipulirt ist, steht zur Zeit noch so vereinzelt, daß daraus keine Regel abgeleitet werden kann. Ebenso unsicher erscheint die Praxis der verschiedenen Seemächte; sie wird dritten Mächten gegenüber mehr durch Convenienz als durch wirkliche Rechtsprincipien geleitet3. Befragt man die verschiedenen Ansichten der Publicisten, woran sich auch zum Theil die Praxis hält, so wird allermeist wohl davon ausgegangen, daß ein Kriegführender durch Wegnahme sowohl wirklich feindlicher wie auch präsumtiv feindlicher und neutraler Schiffe, die den Bedingungen der Neutralität contravenirten, das Eigenthum daran und an der Ladung von Rechtswegen erwerben kann; allein man streitet, ob dazu schon das Factum der Wegnahme genüge, oder wenigstens ein 24 stündiger Besit, oder aber die Wegführung intra praesidia, oder wohl gar ein adjudicirendes Prisenurtheil hinzugekommen sein müsse. Nicht minder streitig sind, wie wir früher gesehen haben, schon die Grundsätze, aus welchen sich die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit einer Prise beurtheilen läßt.

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Ein gemeingiltiges Princip existirt demnach so gut wie gar nicht; die Wahrheit aber ist, wie sie bereits v. Martens durchschaut, obwohl nur schüchtern ausgesprochen hat, weil er den Strom gegen sich hatte, wie sie indeß auch Linguet und Jouffroy® unerschrocken vertheidigt haben:

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„Das Recht des Krieges giebt überhaupt keinem Kriegführenden

1) Art. 287 desselben. Vgl. v. Martens § 56.

2) Nachweisungen solcher Verträge siehe ebendaselbst § 61. 63. 65. 67. 69. 71 u. f. Einen neuerlichen Vertrag zwischen Spanien und Großbritannien vom Februar 1814 s. in dem Nouv. Suppl. II, 640. — Eine Erörterung der Frage, ob die Clausel in den Handelsverträgen „den eigenen Landesunterthanen gleich“ oder doch wie die am meisten begünstigte Nation behandelt zu werden," auch ein Privilegium in Betreff der Reprisen gewähre? s. bei v. Martens § 57 u. 58.

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3) Die Französische Praxis scheint in neuerer Zeit die Freigebung eines wiedergenommenen neutralen Schiffes adoptirt zu haben. Sirey, Recueil I, 2, 201. 4) A. . § 45.

5) Annales tom. VI, p. 104.

6) S. 332 ff.

ein Recht des Eigenthums auf weggenommene Schiffe weder des Feindes noch einer dritten Macht. Es bleibt daher während des Krieges das Recht des ursprünglichen Eigenthümers wider Jedermann bei Kräften; auch eine Wiedernahme kann ihm dasselbe nicht entziehen, vielmehr nur die Verbindlichkeit einer Entschädigung und Belohnung des Wiedernehmers gegen Rückempfang seines Eigenthums auferlegen. Erst mit dem Friedensschlusse wird unter den kriegführenden Theilen und deren Alliirten jede spätere Wiedernahme der von dem einen Theile gegen den anderen weggenommenen Schiffe und Ladungen ausgeschlossen; neutrale Mächte, sogar bloße Hilfsmächte, deren nicht im Kriegsstande befindlich gewesene Schiffe weggenommen sind, behalten dagegen den Anspruch auf Wiedernahme des thatsächlich entzogenen Eigenthums, wo sie ihm beikommen können, auch noch ferner."

Vor dieser einfachen Wahrheit schwinden alle Controversen wie die Schatten der Nacht vor der Sonne. Die Annahme dieses Systemes kann vorzüglich auch als Mittel dienen, um dem Raubsysteme der bisherigen Seekriege oder einzelner Seemächte entgegen zu wirken. Keine Prise muß gemacht werden können, ohne daß ihr Wiederverlust sogar noch im Frieden (wenigstens den Neutralen gegenüber) bevorstehen bleibt. Auch diese Zeit wird kommen, trog dem, daß Sir William Scott das Verlangen, als müsse alles wiedereroberte Eigenthum in Kriegszeiten dem Eigenthümer ohne Unterschied der Zeit zurückgegeben werden, für leere Chimäre einer vorfündfluthlichen Philosophie erklärt hat'.

1) v. Martens, Erzählungen I, S. 292.

Drittes Buch.

Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres,

oder:

Die Staatenpraxis in auswärtigen Angelegenheiten sowohl im Kriege wie im Frieden.

Einleitung.

193. Annäherung und Verbindung der Völker unter einander ist, wie wir schon im Anfange zeigten, die Aufgabe des Völkerrechtes. Insofern nun der internationale Verkehr ein bloßer Privatverkehr von Staatsindividuen aus einem Lande in das andere für Privatzwecke ist, wird er durch die Gesetze sowohl des einheimischen Staates wie des fremden Staates innerhalb eines jeglichen Gebietes regulirt; insofern er aber in freiem gemeinsamen Gebiet oder unter den Staatsgewalten und deren Repräsentanten Statt findet, treten sowohl im Frieden wie im Kriege besondere Formen in Anwendung, welche theils dem s. 8. Ceremonial-, theils dem diplomatischen Rechte angehören', von welchen beiden hier noch zu handeln ist.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Ceremonialrechte im Verkehre der Nationen und ihrer Souveräne bei persönlichen Annäherungen.

194. Aus der Achtung, welche die Staaten einander schuldig find (§ 32), fließt zwar von selbst die Verbindlichkeit, sich bei persönlichen Begegnungen und Correspondenzen jeder nach allgemein

1) In der Französischen Staatspraxis bilden die dafür angenommenen Maximen das f. g. protocole diplomatique. Vgl. unten S. 352, Note 5,

sittlicher Ueberzeugung kränkenden Form zu enthalten, nicht aber auch von selbst die Verbindlichkeit, eine bestimmte positive Form der Behandlung zu beobachten. Indessen hat die Sorge für die eigene Würde, verbunden mit der Ungleichheit, welche sich hinsichtlich des Ranges der einzelnen Staaten unter einander ergeben hat, sodann der Geist des abendländischen Ritterthumes und die Mode des Hoflebens zur Annahme gewisser Formen geführt und ein eigenes Staatenceremonial erzeugt', welches zwar im Allgemeinen nur in Aeußerlichkeiten besteht, dennoch aber, soweit es ein vollkommen begründetes und verbindliches ist, von der politischen Wissenschaft nicht ganz übersehen werden darf. Es kommt zur Anwendung

a. bei persönlicher Annäherung der Souveräne und souveränen Familienglieder unter sich, es sei durch persönliche Zusammenkunft oder Correspondenz;

b. im diplomatischen persönlichen oder schriftlichen Verkehre; c. in der Correspondenz der Behörden verschiedener Staaten unter einander;

d. im Schiffsverkehre.

Man kann demnach unterscheiden ein Land- und Seeceremonial, oder noch genauer:

1) Schriften über diesen allerdings wenig juristischen Stoff enthaltenden Gegenstand s. bei v. Ompteda § 207. 208 und bei v. Kampß § 138. Die bedeutendsten, wenn auch in vielen Stücken nicht mehr brauchbaren davon sind:

Il Ceremoniale historico e politico di Gregorio Leti. 6 Vol. Amstel. 1685. 12.

Friedrich Wilhelm v. Winterfeld, Teutsche und Ceremonial-Politika. 3 Thle. Frankfurt und Leipzig 1700 und 1702. 8.

Gottfr. Stievens Europäisches Hofceremonial. Leipzig 1714. 2. 1723.

Joh. Chr. Lünig, Theatrum ceremoniale historico-politicum. Leipz. 1716. 2. 1719. 20.

Julius Bernhard v. Rohr, Einleitung zur Ceremonialwissenschaft. Berlin 1730. 2. 1735.

Georg Chr. Gebauer, Programma de cerimon. natura atque jure. Gött. 1737.

Cérémonial diplomatique des cours de l'Europe par Rousset. II. Amsterd. et à la Haye 1739. fol.

Joh. J. Moser, Versuch des neuesten Europ. Völkerr. Th. II.

In allen diesen Schriften ist indessen Staats- und Hofceremonial nebst Staatsgalanterie unter einander vermischt, und, was wahrhaft Ceremonialrecht sei, nicht dargethan worden.

ein rein persönliches bei persönlicher Annäherung,

ein schriftliches, insbesondere Canzleiceremonial,
endlich

ein Seeceremonial.

Alles beruhet hierbei auf willkürlichen Gebräuchen. Ein Rechtsanspruch auf Befolgung derselben, mithin ein wahres internationales Ceremonialrecht kann jedoch nur angenommen werden hinsichtlich derjenigen Gebräuche, welche entweder auf Verträgen beruhen, oder in einem so entschiedenen Herkommen, mit dessen Nichtbeobachtung sich nach allgemeiner Ueberzeugung die Idee einer Beleidigung verknüpft. Daneben und außer dem Bereiche des internationalen Rechtes steht das besondere Hofceremonial', welches jeder Souverän nach Belieben einrichten kann, wenn er nur das vorerwähnte Staatenceremonial nicht verlegt;

sodann

die sogenannte Staatsgalanterie oder dasjenige, was die Regierungen und deren Vertreter unter einander zwanglos nur aus Freundschaft oder Höflichkeit und Ergebenheit gegen einander beobachten, wie z. B. die Notification freudiger oder trauriger Ereignisse, Beglückwünschungen, Beileidsbezeugungen, Begrüßung eines durch- oder vorüberreisenden Souveräns oder seiner Familienglieder, Traueranlegung, Ertheilung von Geschenken und Orden.

So gewöhnlich dergleichen sein mag und so oft aus der Unterlassung in dem einen oder anderen Falle eine Mißstimmung hervorgehen wird, so wenig kann daraus ohne Hinzutritt sonstiger Umstände und Verhältnisse eine Beleidigung hergeleitet werden; vielmehr werden Vernachlässigungen der Höflichkeit nur zu einem gleichen Verfahren veranlassen, niemals aber eine Forderung auf Genugthuung begründen, wie sie bei der Verletzung eines wirklichen Ceremonialrechtes zulässig ist.

Zunächst soll hier nun dasjenige, was außerhalb des schriftlichen und diplomatischen Verkehres im Allgemeinen hergebracht ist, dargestellt werden, während das auf jenen Verkehr speciell bezügliche Ceremoniell in den nachfolgenden Abschnitten seine Stelle finden mag.

1) Ueber dieses vgl. das schon oben S. 103, Note 4 angeführte Hofrecht von Friedrich Carl v. Moser. Daneben s. J. J. Moser, Versuche Th. I. c. 6. S. 331.

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