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bestimmt sich also ihr Verhalten aus der wahren, d. h. naturgemäßen politischen Stellung des Staates, den sie zu vertreten hat, an und für sich, so wie desjenigen, mit welchem man in Berührung kommt; diese Stellung muß sie richtig auffassen und sich ganz damit identificiren'. Ein anderes System wird dann eine Macht vom ersten Range, ein anderes die vom zweiten oder dritten Range verfolgen'.

Eine große Macht hat auf Erfolg am meisten zu rechnen, wenn sie in ihrem Verhalten mit vollem Selbstbewußtsein eine weise Mäßigkeit und Schonung verbindet. Während sie ihre dominirende Stellung zu behaupten sucht, verwerfe sie nie billige Anträge der anderen; sie strebe ihnen zuvor in freundlichen Diensten, schenke aber nicht den rivalisirenden Staaten zu viel Vertrauen und halte sich nie für zu sicher, sorge also schon in den Zeiten der Ruhe und des Glückes für die Zeiten der Gefahr. Nie ziehe sie sich ganz in Unthätigkeit zurück, sondern sie nehme Theil an anderen Angelegenheiten, nur nicht störend, sondern nach der Gerechtigkeit. Was diejenigen Mächte ersten Ranges betrifft, die zwar nicht zu den eigentlich Tonangebenden gehören, jedoch mit ihnen rivalisiren können, so besteht ihre Hauptaufgabe darin, sich in einem billigen Gleichgewichte zu erhalten und sich wohl zu hüten, nicht in den Ton einer herrschenden Macht zu verfallen. Sie haben dabei den Vortheil, daß sie bei Weitem eher Bundesgenossen finden als die Tonangebenden, ein Vortheil, welcher leicht durch Ueberschreitung der Grenzen ihrer Bedeutsamkeit verscherzt werden kann.

Mächte zweiten Ranges haben meist ein natürliches gemeinschaftliches Interesse unter einander, nämlich so viel als möglich Einmischungen und Uebermacht der Staaten ersten Ranges von sich entfernt zu halten. Befindet sich eine der ersteren in der Mitte mehrerer Großmächte, so muß sie ihre Freundschaft und Neutralität stets theuer verkaufen. Erringt eine solche Macht unter glücklichen Conjuncturen Vortheile, so ist es weise, sich daran genügen zu lassen,

1) Mably, Droit des gens I, 15 u. 16.

2) Mably I, 39 f.

3) Mably verweiset in dieser Hinsicht auf das Beispiel der Römer a. D. S. 34. 35. Allein dieses paßt nur auf die Zeiten der Republik, als sie noch Führer von tugendhafter Selbstverleugnung hatte. Zu anderen Zeiten haben sie den Be= weis des Gegentheils gegeben.

und nicht nach dem oft betrüglichen Schimmer einer Großmacht zu streben. Die innere Vollendung des Staates ist es, was die Politik solcher Mächte vorzüglich zu erstreben hat.

Mächte dritten Ranges haben hauptsächlich nur an ihre ungestörte Erhaltung zu denken. Neutralität also, oder wenn diese unmöglich wäre, feste Anschließung an einen größeren, Vertrauen bietenden Staat, wird hier die Hauptrichtung der äußeren Politik sein müssen.

Allen Staatsmännern muß es aber in die Seele geschrieben und die stete Triebfeder ihrer Handelsweise sein, die Ehre und das Wohl ihres Staates bis zum letzten Augenblicke festzuhalten und zu suchen, demnach auch nie vor der Gefahr zu zittern, sondern sie zu bekämpfen. Sie müssen die Ereignisse kommen sehen und richtig würdigen, aber sie nicht machen wollen. Nichts ist für die Staaten und das Wohl der Völker so nachtheilig, als Geschäftigkeit der Diplomatie, blos um etwas zu thun. Die Geschichte des vorigen Jahrhunderts liefert hiergegen warnende Beispiele. Die damals herrschende Vertragssucht hat nichts Großes geleistet, sondern oft nur Verwirrungen und Mißverständnisse herbeigeführt'. Schädlich ist auch, zur selben Zeit mehrere Händel oder Angelegenheiten zu haben. Ein erreichbares Ziel mit aller Kraftanstrengung verfolgen, unter Beiseitestellung der minder erheblichen oder entfernteren Ziele, ist besser, als die Vergeudung der Kräfte nach verschiedenen Seiten hin2.

Schule der Diplomatie.

231. Die Schule der Diplomatie ist das Leben und die Geschichte. Vergebens wird man für sie Akademien errichten, wenn nicht diese beiden Lehrmeister ein empfängliches Talent ausbilden. — In älteren Zeiten waren es die Männer vom Schwert, welche oft ohne alle gelehrte Vorbereitung in politischen Angelegenheiten gebraucht wurden, oder Geistliche in der Schule der Hierarchie geformt. Später erst traten die Laienmänner von der Feder dazu. Darüber klagten anfangs die Männer vom Degen, weil jene oft Dinge unternähmen, die den Krieg nach sich ziehen; denn da ihr eigenes Leben

1) Mably I, 10 und des Grafen Lynar Staatsschriften I, 216.

2) Beachtenswerth sind in dieser Beziehung Macchiavelli, Discorsi II, 1. Mably I, 18.

nicht in Gefahr komme, so kümmere es sie nicht, fremdes Blut vergießen zu lassen'. So haben noch in neuerer Zeit die Degen ge= murrt, daß die Federn verderben oder wieder verlieren, was jene erkämpften. Gewiß indessen ist Politik und Diplomatie nicht das Feld des Kriegers. Dieser verlangt oft mehr, als Recht ist, nur nach dem Stande der Gegenwart. Das Recht aber wird immer die sicherste Basis für die fernere Geschichte eines Staates sein. Damit soll nicht gesagt werden, daß Feldherren nicht ebenfalls tüchtige Diplomaten sein können. Die ältere und neuere Zeit hat großartige Beispiele der Vereinigung beider Talente gegeben.

Kann nun auch schon ein politisches Talent ohne schulmäßige Bildung sich zu einem Diplomaten entwickeln, so wird es doch ohne wirkliche Studien keine sichere Stellung, vorzüglich in heutiger Zeit, behaupten können. Das Leben allein, selbst in höherer Sphäre, bildet höchstens Figuranten. Voraussetzen muß man daher bei dem echten Diplomaten ein Durchdrungensein von den Grundsägen des Rechtes überhaupt, hinreichende Kenntniß des Europäischen Völkerrechtes, der Verfassung der Staaten, der Weltgeschichte, Kenntniß der Staatskräfte und die nöthigen linguistischen Fähigkeiten. Ohne Zweifel werden. hierzu besondere Bildungsstudien das Ihrige beitragen, nur allein können sie den Diplomaten nicht schaffen und die Regierungen sich in der Wahl der Persönlichkeiten nicht an bestimmte Curfus binden3.

Specielle diplomatische Befähigung und Verantwortlichkeit.

232. Schon längst hat man bemerkt, daß sich zwar leicht das Ideal eines Diplomaten aufstellen lasse, daß es jedoch überaus schwer

1) Die Klage findet sich bei Brienne in seinen Memoiren in Beziehung eines von ihm gemißbilligten Tractates von 1661.

2) Eine Zusammenstellung der dem Diplomaten nothwendigen oder nüßlichen Wissenschaften findet sich in v. Dresch kleinen Schriften 1827. S. 11 f.

3) Nur unter diesem Vorbehalte ist auch in Preußen durch eine Bekanntmachung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten von 1827 bestimmt worden, daß jeder Aspirant zur diplomatischen Laufbahn drei Jahre studirt und ein Auscultatur-Examen bestanden, demnächst ein Jahr bei einer Regierungsbehörde und ein Jahr bei einer Justizbehörde gearbeitet haben, alsdann aber eine Prüfung besonders auch zur Ermittelung seiner Kenntnisse von der inneren Verwaltung, den Cultur- und gewerblichen Zuständen bestehen muß.

sei, ein solches überhaupt oder jederzeit in der Wirklichkeit aufzufinden, ja, daß nicht einmal die vollständigste Vereinigung diplomatischer Fähigkeiten geeignet sein werde, einen bestimmten Erfolg jederzeit zu sichern. Dieser ist oft bei Weitem mehr von äußeren Umständen, als von der Gerechtigkeit und deutlichen Erkennbarkeit des Zweckes bedingt, so daß die Kunst des Staatsmannes häufig nur darin besteht, die Umstände richtig zu würdigen und zu benutzen. So kann es geschehen, daß gerade der edelste und tüchtigste Mann in einer Angelegenheit das Ziel nicht erreicht, weil er sich in die Conjunctur nicht zu schicken weiß, da sie ihm zu kleinlich, oder die Benutzung derselben mit der Ehre unverträglich erscheint, während ein anderer minder bedeutender Staatsmann kein Bedenken trägt, das Gelingen seiner Aufgaben auf die Benutzung derartiger Umstände zu gründen. So konnte man in früherer Zeit vornehmlich auf persönliche Neigungen, Intriguen und Verlegenheiten bei den Höfen speculiren, ein gewandter Hofmann mehr erreichen, als ein ernster Staatsmann, eine Mademoiselle Kerroual mit feiner Taille, kleinem Munde und großen Augen am Hofe Carls II. von England bessere Resultate für Frankreich erreichen, als ein großer Friedenscongreß1; und welche Vortheile sind nicht zuweilen durch kleine diplomatische Galanterien erlangt worden! Indessen sind Rücksichten und Spe= culationen dieser Art immer nur als exceptionelle zu betrachten. Die Zeiten haben sich auch in diesem Stücke geändert; die Schicksale der Völker sind nicht mehr so unbedingt von der Laune Einzelner abhängig. Die neuere Verfassungsentwickelung hat insbesondere einen größeren Ernst und größere Zähigkeit in die Behandlung der Staatsangelegenheiten gelegt und die Regierungspolitik gegen bloße Leichtfertigkeiten geharnischt.

Kommt es nun auf die Auswahl tüchtiger diplomatischer Persönlichkeiten an, so werden andere Gesichtspunkte für einen Leiter der gesammten auswärtigen Angelegenheiten eines Staates, und wiederum andere für den Unterhändler zu nehmen sein. Für die erstere Function bedarf es weniger des feinen Weltmannes; seine Stellung ist mehr reflectirend und innerlich; er hat die Pläne zu zeichnen, die Ausführung zu beobachten und den Faden des Ganzen festzuhalten; er kann kühner, kräftiger und gemessener auftreten als der Unterhändler. 1) Bemerkung von Mably, Droit publ. I, chap. 19.

Seine Persönlichkeit muß die Politik des ganzen Staates repräsentiren, folglich auf der Geschichte und den wohlverstandenen Interessen und Kräften des Staates beruhen.

Bei dem Unterhändler kommt es zunächst auf die Zwecke an, welche ihm anvertraut werden. Für Angelegenheiten, die sich vollkommen übersehen lassen, wo keine Beeilung nöthig, das Ziel klar und die Motive abgeschlossen sind, wird schon ein mittelmäßiger Kopf genügen, welcher sich streng an seine Instructionen hält und darnach in den conventionellen Formen zu handeln versteht. Hiermit aber ist in wichtigeren Angelegenheiten nicht auszureichen, wo sich keine detaillirten Instructionen geben lassen, wo vielleicht nur zu retten ist, was nach Gunst der Umstände noch gerettet werden kann, oder wo zur Erreichung eines Zweckes ein anderes noch unbestimmtes Aequivalent geboten werden muß; hier bedarf es eben solcher Fähigkeiten, ja wohl noch größerer, als für den Minister des Auswärtigen im Allgemeinen nöthig sind, einer besonderen Geschmeidigkeit und eines extemporirenden Handelns'. Die eigenthümlichen Zierden des Unterhändlers aber sind: Natürlichkeit des Benehmens, frei von aller Affectation; Selbstkenntniß und Selbstbeherrschung; scharfe Beobachtungsgabe; Vorsicht, nur nicht bis zum Exceß oder bis zur Lächerlichkeit; Feinheit mit Würde, ohne das Aussehen einer bloßen Puppe; Geistesgegenwart und Fertigkeit, unvorbereitet zu reden und zu handeln, Beredsamkeit ohne Ueberladung, aber mit Präcision.

Cardinaltugenden aller, sowohl der leitenden wie handelnden Diplomaten sind endlich:

Probität und Wahrheit. Die Unwahrheit kann eine Zeit lang Erfolge haben, aber nur die Wahrheit und das Recht, mit Beharrlichkeit verfolgt oder vertheidiget, sieget zuleßt. Geistesgegenwart und Furchtlosigkeit ohne Uebermuth und Leichtfinn;

Unzugänglichkeit gegen Bestechungen aller Art;

Begeisterung für den Beruf, d. i. für Recht, Würde und Heil ihrer Staaten und Souveräne, ohne eigenen Ehrgeiz.

1) In diesem Sinne schrieb Villeroi unter Heinrich IV. an den Präsidenten Janin mais le Roi entend que Vous tirez Vous-même les principales instructions de ce que vous avez à faire.

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