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diplomatischen Production, ja selbst derjenigen, welche bloßen Ceremonialzwecken dient, eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Schon leichte Verstöße und Nachlässigkeiten können Mißverständnisse zur Folge haben, wenn es auch unpassend wäre, jeden Fehler mit gleicher Strenge zu behandeln. Laufen sie nur gegen den gewöhnlichen Gebrauch, ohne daß sie an sich verlegend sind, wie z. B. sogenannte Canzleifehler, so übersieht man sie entweder oder rügt sie bei weiterer Communication nur durch einen beigefügten außerofficiellen Canzleizettel, oder man verfährt seinerseits in gleicher Weise, wie der absendende Theil. Sind die Fehler von größerer Bedeutung und wohl gar verlegend, so nimmt man die Mittheilung entweder gar nicht an, oder verlangt dafür Genugthuung'.

Correspondenz der Souveräne selbst.

237. Correspondiren die Souveräne unter einander selbst in Staatsangelegenheiten auf eine obligatorische Weise, so pflegt dieses sich mehr nur auf Aeußerlichkeiten zu beschränken und in allgemeinen Wendungen zu halten, als in die Sachen einzugehen. Ihre Mittheilungen enthalten häufig blos eine autoritatis interpositio für die Handlungen ihrer Agenten oder Empfehlungen bestimmter Personen und Angelegenheiten. Sie bestehen entweder in förmlichen Canzleischreiben (lettres de chancellerie, de conseil ou de cérémonie) oder in sogenannten Cabinets- und Handschreiben.

Canzleischreiben sind die feierlichste Art, wo Ceremoniel und Courtoisie (§ 196) auf das Strengste beobachtet werden. Der Eingang enthält die vollständige Titulatur des Schreibenden, bei monarchischen Souveränen mit: „Wir von Gottes Gnaden", sodann die Titulatur desjenigen, an welchen sich der Schreibende wendet; demnächst folgt die eigentliche Anrede in der üblichen Canzleiform nebst Beifügung etwaiger Ehrenprädicate, insbesondere des Bruder- und Schwestertitels. Im Contexte nennt sich der Schreibende Wir, den Adressaten dagegen mit dem Prädicate seiner Würde (Ew. Majestät, Königl. Hoheit 2c.). Den Schluß bilden Freundschaftsversicherungen

1) Vgl. über Obiges: Fr. Carl Moser, Versuch einer Staatsgrammatik. Des selben Abhandl. von Canzleifehlern (fleine Schriften V, 229). Von Ahndung fehlerhafter Schreiben. Frankfurt 1750.

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oder fromme Wünsche, sodann eine nochmalige Anrede des Adressaten mit seinem Prädicate und üblichen Ehrenworte, endlich Datum und Ort, so wie die Unterschrift und die Contrasignatur nebst Beifügung des großen Canzleisiegels.

Cabinetsschreiben enthalten nur eine einfache Anrede des Adressaten mit dem Prädicate seiner Würde oder mit einem verwandtschaftlichen Ehrenworte. Man schreibt im Contexte von sich in der Einzahl; der Schluß wird mit der Unterschrift durch verbindliche Erklärungen in Eines zusammengefaßt. Das Ganze erhält ein kleineres Couvert und das kleinere Staatssiegel'.

Noch verbindlicher als Cabinetsschreiben sind ganz eigenhändige Schreiben ohne alle Ceremonie rücksichtlich der Titel.

Was nun den Gebrauch der einen oder der anderen Form betrifft, so feßen die eigenhändigen Schreiben besonderes Vertrauen, persönliche Beziehungen oder eigenthümliche Vorfälle in den Familien und dergl. voraus. Zur förmlichen Staatscorrespondenz dienen nur Canzlei- und Cabinetsschreiben. Eine Pflicht, die eine oder die andere Form zu gebrauchen, existirt im Allgemeinen nicht. Canzleischreiben in der oben angezeigten gewöhnlichen Form pflegen indeß nur unter Gleichen oder von einem Höheren gegen einen Geringeren gebraucht zu werden. Will ein Souverän von geringerem Range an einen Höheren ein Canzleischreiben erlassen, so sind dabei gewisse Modificationen üblich.

Specielle Arten diplomatischer Schriften.

238. Zu den diplomatischen Schriften, welche gewöhnlich von dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten ausgehen und nicht nothwendig des Zuthuns eines Unterhändlers oder Bevollmächtigten bedürfen, sind zu rechnen:

Manifeste und Proclamationen,
Protestationen,

1) Die nähere Einrichtung und etwaigen Variationen dabei siehe in Moser, Versuch II, 164 u. f. Sneedorf, Style des cours. chap. 2. Baron Martens, Manuel dipl. chap. 9. Außerdem auch noch J. Chrstn. Lünig, Theatrum ceremoniale historico politicum. Leipz. 1720. Jeder Hof richtet sich auch wohl sein eigenes Ceremonialbuch ein.

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Deductionen,

Ceremonialschreiben, z. B. zur Beglaubigung und Abberufung eines diplomatischen Agenten,

Ratificationsurkunden,

Garantieacte,

Reversalien,

Abdications-, Cessions-, Verzichtsurkunden und dergl.'

Einige derselben verlangen die Vollziehung des Souveräns, Andere sind entweder nur für das Publikum bestimmt, oder werden von dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten allein erlassen. Zweck und Umstände bestimmen den Inhalt und Stil, ohne daß gewisse eigenthümliche Formen zum Wesen solcher Acte gehören. Bei gemeinsamen Urkunden sind die schon § 195 a. E. erwähnten Rücksichten zu nehmen.

Diplomatische Verhandlungsweise.

239. Eigenthümliche diplomatische Verhandlungen bestehen entweder in bloßen Communicationen oder in Negociationen. Die legteren werden bald unmittelbar mit dem fremden Souverän, bald mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten oder mit einem Commissar der Regierung geführt, auch kann dabei die Theilnahme einer dritten Macht durch Leistung freundlicher Dienste oder im Wege einer förmlichen Vermittelung stattfinden (§ 88).

Die Verhandlungsweise ist bald eine mündliche, bald eine schriftliche. Zur letzteren dient die Uebergabe von Memoires in die Hände des fremden Souveränes oder ein Notenwechsel unter den diplomatischen Agenten selbst. Hierbei unterscheidet man unterzeichnete Noten (notes signées), deren Inhalt der Regel nach als ein verpflichtender gelten soll, sodann Verbalnoten (notes verbales ou non signées), wodurch meist nur der Fortgang einer Angelegenheit in Erinnerung gebracht wird; endlich giebt es auch vertrauliche Noten in der Sache selbst, worin sich ein Minister mehr für seine Person als in Auftrag ausspricht, die man daher auch nicht immer zu unterzeichnen veranlaßt ist. Zur Aeußerung von Ansichten und Entschließungen benutt man in neuester Zeit vorzugsweise die mündliche

1) Beispiele zu allem diesen finden sich in den bereits angeführten Schriften. 2) Bar. de Martens, Manuel dipl. § 50 ff.

oder abschriftliche Mittheilung von Zuschriften, welche der diplomatische Agent von seiner Regierung zu solchem Zwecke empfangen hat (dépêches communiquées).

Zu den mündlichen Verhandlungen dienen:

a. die Audienzen, welche man bei dem fremden Souverän oder Repräsentanten des republikanischen Gemeinwesens nachsucht. Ob der Minister des Auswärtigen dabei zuzuziehen sei, hängt von der Verfassung des Staates ab;

b. Conferenzen mit dem Minister des Auswärtigen oder dessen Beauftragten.

Weder die Einen noch die Anderen können, wenn zuvor der Gegenstand der gewünschten Vernehmlassung in schicklicher Form angezeigt ist und die beiderseitigen Staatsinteressen wirklich berührt, versagt werden. Soll das Ergebniß einer Ministerial - Conferenz zu weiteren Schritten benutzt werden oder eine Basis für fernere Verhandlungen abgeben, so kann darüber ein Protokoll' aufgenommen und von den Theilnehmern der Verhandlung gezeichnet werden, oder der Gesandte sezt den Inhalt der beiderseitigen Erklärungen in Form eines s. g. aperçu de conversation oder einer referirenden Note auf, und läßt sich in irgend einer Weise die Richtigkeit des Aufsages bestätigen2.

Congresse.

240. Als beliebteste Form zur Verhandlung auswärtiger Staatsangelegenheiten von höherem Interesse hat sich in neuester Zeit die Verhandlung auf sogenannten Congressen ergeben, an welchen die betheiligten Souveräne entweder in Person oder aber durch besondere Abgeordnete Theil nehmen. Es gehört dazu keine Vielheit von Souveränen, sondern es kann auch schon unter zweien allein zu einem Congresse kommen.

In älterer Zeit kannte man vornehmlich nur Friedenscongresse

1) Dieses Wort ist erst in neuerer Zeit in die diplomatische Französische Sprache aufgenommen worden. Unzweifelhaft ist der Gebrauch dieses Wortes ein befugter, da er schon in dem mittelalterlichen Latein einen officiellen Aufsatz über stattgehabte Verhandlungen und Erklärungen bedeutete, ebenso wie das Wort registratura, registratio.

2) Vgl. Bar. de Martens a. D. § 55.

zum Zwecke einer Pacification und daneben persönliche Zusammen= künfte der Souveräne, letztere jedoch mehr zu persönlichen Besprechungen und Entschließungen oder zu blos particulären Vertragsschlüssen. Das gegenwärtige Jahrhundert hat zuerst das Beispiel von Congreffen und Gesammtverhandlungen dabei ergeben, mit dem Zwecke, einen bereits eingetretenen Friedenszustand zu befestigen, weiter auszuführen, oder drohende Gefahren abzuwenden, überhaupt über Verhältnisse von allgemeiner Wichtigkeit gemeinschaftliche Beschlüsse zu fassen. Ohne die Anwesenheit von Souveränen hat man die Congresse bloßer Abgeordneten auch wohl nur durch „Conferenzen“ bezeichnet.

Die Vorzüge der Congresse vor blos particulären Verhandlungen sind evident, obwohl nicht immer die Politik der Staaten dazu rathen wird1.

Veranlassung zu dem Zusammentreten eines Congresses oder einer Ministerial - Conferenz kann im Allgemeinen jede Macht geben?. Man verständigt sich in präliminären Verhandlungen oder Verträgen über Zweck, Ort und Form. Dritte Mächte können eine Theilnahme in der Regel nicht als Recht fordern, sondern nur Maßregeln gegen etwaige präjudicirliche Richtungen ergreifen.

Die Congreßverhandlungen selbst beginnen mit Auswechselung der Legitimationen und mit der Einrichtung eines bestimmten Geschäftsganges, z. B. durch Bildung einer besonderen Canzlei und einzelner Comités oder Bureaus. Die Leitung der gemeinschaftlichen Verhandlungen wird entweder einem angenommenen Vermittler überlassen, oder es wird ein eigener Vorsitzender gewählt, oder, wie beim Wiener Congresse, ein leitendes Conseil constituirt. Neben den gemeinschaftlichen Congreßverhandlungen können demnächst auch Particularverhandlungen unter einzelnen Betheiligten stattfinden. Die Resultate der Conferenzen werden in Protokollen niedergelegt, welche von den Theilnehmern nach vorheriger genauer Kenntnißnahme unterzeichnet werden. Alle Vereinbarungen endlich, soweit sie mit dem gemeinsamen Zwecke des Congresses in Verbindung stehen, werden auch wohl in eine gemeinschaftliche Acte zusammengefaßt3.

1) Vgl. Mably I, 146.

2) Auf dem Aachener Congresse (1818) hatten die Großmächte dieserhalb gewisse Verpflichtungen übernommen und Regulative getroffen. S. die Anlagen. 3) Nähere Auskunft über den Gang der Congreßverhandlungen ertheilen die

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