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unveränderten Beschaffenheit der bisherigen Zustände abhängig sind, 3. B. in Betreff der Verträge1.

25. Bei gänzlichem oder theilweisem Erlöschen der Staaten entsteht die Frage: ob und für wen dabei eine Succession in die Rechte und Pflichten des erloschenen Staates Plaß greife. Man hat dabei gestritten, ob die Succession eine universale oder eine particuläre sei2 und so Begriffe des Privatrechtes in das öffentliche Recht übergetragen, deren Anwendung die einfache Erkenntniß des Princips nur stören kann.

Als Regel für den Fall einer gänzlichen Extinction muß ohne Zweifel gelten:

daß alle öffentlichen Rechtsverhältnisse der vormaligen Staatsgenossenschaft, da sie eben nur für diese begründet waren, als erloschen anzusehen sind, so weit nicht ihre Fortdauer auch in dem neuen Zustande der Dinge möglich und vorbedungen ist; daß dagegen alle aus dem vormaligen Staatsverhältniß herrührenden Privatrechte und Pflichten der Einzelnen (iura et obligationes singulorum privatae) mit Einschluß der subsidiarischen Verpflichtungen der Einzelnen für den Staat, sie ruhen auf Personen oder Sachen, als noch fortbestehend geachtet werden müssen, wenn sie nur irgendwo einen Gegenstand oder Raum zur Realisirung haben.

Denn einmal entstandene, auf keine Zeit beschränkte Rechte sind als zeitlose immer dauernd, so lange die Subjecte und Sachen existiren, unter denen oder hinsichtlich derer sie Statt finden.

Ganz dasselbe ist in Hinsicht auf Privatrechte bei theilweiser Vernichtung eines bisherigen Staatenverbandes zu behaupten; was aber die öffentlichen Rechtsverhältnisse der Staatsglieder betrifft, so müssen sich dieselben hier denjenigen Veränderungen unterwerfen, welche durch den nunmehrigen Zustand der Dinge nöthig werden*,

1) S. auch Phillimore I, 152.

2) M. f. z. B. Klock, Consil. Vol. VIII, 152, n. 28. v. Cramer, Wöl. Nbst. 110, S. 233.

3) Z. B. also auch der Staatsschulden, welche den Einzelnen zur Last fallen. 4) Daher z. B. die Bestimmung des Reichs-Deputations-Hauptschlusses von 1803 § 3 g. E. wegen der landständischen Verfassungen im vormaligen Fürstenthum Münster.

oder welche, wenn die Veränderung im Wege des Krieges ohne sichernde Stipulationen eingetreten ist, der Sieger damit vorzunehmen für gut findet.

Vermögensrechte und Verpflichtungen eines ganzen aufgelöseten Staates werden ihm auch noch in seinem neuen Zustande verbleiben, nur die Verwaltung wird geändert'; bei Theilungen werden sie auf die einzelnen Theile verhältnißmäßig übergehen. Wie es jedoch in Fällen der letzteren Art mit dem unbeweglichen Staatseigenthum gehalten werde, soll im Sachenrecht seine Stelle finden (Abschn. 2).

Allgemeine Rechte und Grundverhältnisse der Staaten als solcher unter einander.

26. Die allgemeinen Rechte der Staaten unter einander, welche hier zunächst, mit Hinsicht auf die ihnen durch das Herkommen ge= gebene ceremoniale Gestaltung und beigegebenen oder möglichen conventionellen Beschränkungen, erörtert werden müssen, sind wesentlich: 1. das Recht eines ungestörten eigenen Daseins - Recht der Persönlichkeit an sich; mit seinem großartigen Inhalt, dem Recht eines eigenen Territoriums, dem Recht der Selbsterhaltung und den Rechten der Souveränetät oder innerer und äußerer Machtvollkommenheit;

2. das Recht auf Achtung der Persönlichkeit;

3. das Recht auf gegenseitigen Verkehr.

Als Grundprincip für alle souveränen Staaten ergiebt sich Gleichheit des Rechtes, welches daher auch mit seinen positiven Modificationen jenen Specialrechten voranzustellen ist.

1) In so fern sagt man, der Fiscus des neuen Staates succedire universell in die Rechte und Pflichten des aufgelösten. Auch greift der Satz ein: bona non intelliguntur nisi deducto aere alieno.

2) Erörterungen über diesen Gegenstand finden sich in der vormaligen Zeitschrift Hermes XXX, 1. S. 113. S. auch Groot II, 5. 9. § 9 u. 10. Pufendorf VIII, 12. § 5 a. a. D. Wheaton a. a. D. § 20. p. 99 (Elem. I, p. 38); ferner das (Lübecker) Aufträgalurtheil in Sachen Preußen wider Baiern, die Ansprüche der Fürstin Berkeley betr., in Leonhardi Austrägalverf. des D. Bundes S. 645 und Pinder, das Recht getrennter Landestheile auf gemeinschaftl. Legate. Weimar 1824. Phillimore I, 157.

Ueberall ist hier nur die Rede von wohlbegründeten Rechten der Staaten unter einander, nicht auch von demjenigen, was jeder Staat innerhalb seines eigenthümlichen Rechtskreises zu seiner Selbst= entwickelung thun und unterlassen kann. Dies ist Gegenstand des inneren Staatsrechtes. Zwar ist in der äußeren Staatenpraxis oft noch von einem f. g. Convenienzrecht (droit de convenance) die Rede gewesen, als der Befugniß jedes Staates, im Fall collidirender Interessen gegen andere Staaten so zu verfahren, wie es dem eigenen Interesse am angemessensten erachtet wird. Eine solche Befugniß hat man jedoch nur, sofern kein wohlbegründetes Recht des anderen Staates entgegensteht, was begreiflich ebenfalls aus keinem einseitigen politischen Interesse hergeleitet werden kann, und es versteht sich dann das Handeln nach eigener Convenienz ganz von selbst. Außerdem läßt sich ein Recht dazu nur nachweisen

Einmal: im Zustande des Krieges, wo es mit der s. g. Kriegsräson identisch ist; und

Zweitens: im Falle eines wirklichen Nothstandes, wo es identisch ist mit dem s. g. Nothrecht oder äußersten Recht der Staaten, sich in der Gefahr eines bevorstehenden Verlustes der Existenz oder eines einzelnen bestimmten Rechtes, selbst auf Kosten und mit Verlegung Anderer, die Existenz und unterscheidungsweise das gefährdete Recht zu retten.

Keine dieser beiden Arten legitimer Convenienz ist jedoch völlig regellos, wie weiterhin gezeigt werden soll'.

Princip der Rechtsgleichheit.

27. Mit dem völkerrechtlichen Begriffe eines vollkommen souveränen Staates (§ 18) find an und für sich Rechtsungleichheiten unter mehreren derselben unvereinbar. Auch der kleinste Staat in Hinsicht auf politische Bedeutung hat demnach das gleiche Recht mit

1) M. s. über das s. g. Convenienzrecht Moser, Beitr. I, 5. F. H. Struben, Abh. von d. Kriegsräson und dem Convenienzrecht, in d. Samml. auserl. jur. Abh. Leipz. 1768. S. 31 f. Verhandlungen darüber haben am Deutschen Bundestage im J. 1821 Statt gefunden. M. s. L. v. Dresch, Abh. über Gegenst. des öffentl. R. 1830. Nr. 1. Heffter, Beitr. z. d. Staats- u. Priv.-Fürstenr. S. 184. Klüber, öffentl. R. des D. Bundes. § 175.

dem größeren und mächtigeren in Anspruch zu nehmen. Darin liegt jedoch nichts mehr oder weniger, als daß jeder Staat gleich den anderen alle in der staatlichen Existenz und im völkerrechtlichen Verbande begründeten Rechte ausüben darf. Keineswegs aber kann ein Staat fordern, daß von einem anderen bei Ausübung der einzelnen Souveränetätsrechte das nämliche System beobachtet werde, welches er selbst in auswärtigen Beziehungen befolgt, dafern kein bestimmter Rechtstitel hierzu erlangt ist. So ist kein Staat gehindert, seine eigenen Unterthanen mehr zu begünstigen als die Ausländer, insbesondere jenen in Collisionsfällen mit letteren bestimmte Vorzüge einzuräumen. Es liegt darin keine Illegalität, sondern nur Iniquität, welche zur Retorsion berechtiget (§ 111). So ist ferner kein Staat gehindert, nur gewissen Nationen besondere Vortheile und Rechte zu gewähren, ohne daß dritte sich dadurch verletzt halten können, wiewohl sie auch hier ein Gleiches thun und Retorsion üben dürfen. Ueberhaupt kann jeder Einzelstaat von der strengen Ausübung seiner Machtvollkommenheit etwas nachgeben, vornehmlich aus Billigkeitsrücksichten oder Gefälligkeit gegen andere Staaten. Jedoch begründet eine solche comitas ohne vertragsweise Ausbedingung nicht von selbst die Rechtsverpflichtung zu gleicher Gegengefälligkeit, so wenig als die eigene Verpflichtung zur fortgesetzten Gewährung. Wohl aber kann sie für die innere Staatsverwaltung die Kraft einer Observanz erlangen, so lange sie die Staatsgewalt selbst zulassen will2. — Demnächst schließet, wie wir bereits gesehen haben, der Souveränetätsbegriff gewisse Modalitäten und Abhängigkeitsverhältnisse nicht aus. Endlich hat auf sehr natürlichem Wege politische Machtungleichheit und alte Tradition im Europäischen Staatensystem ein eigenes Rangrecht erzeugt.

Eigenthümliche Rangverhältnisse der Europäischen Staaten3.

28. Die conventionellen Regeln, welche sich in Betreff des

1) Günther, Völkerr. I, 316.

2) S. schon oben S. 5.

3) Abhandlungen dieses in älterer Zeit mit großer Wichtigkeit und ängstlicher Ueberschätzung betrachteten Gegenstandes s. in v. Ompteda Lit. § 195 ff. und v. Kamptz § 124 ff. Die älteren nur theilweis noch brauchbaren Werke sind: Zach. Zwanzig, Theatrum praecedentiae. Frefrt. 1706. 1709. fol. Darnach:

Ranges der einzelnen Staaten und Staaten - Categorien gebildet haben', sind in heutiger Zeitlage diese:

I. Staaten, welchen für sich oder ihre Souveräne Königliche Ehren (Honores regii, honneurs royaux) zustehen, haben einen äußerlichen Vorrang vor denjenigen, welchen dergleichen Ehren nicht gebühren. Als Königliche Ehrenrechte gelten aber: der Gebrauch der Königlichen Titel, Krone und correspondirenden Wappen; das unbestrittene Recht, Gesandte erster Klasse zu schicken; überdies gewisse andere Ceremonialrechte, welche weiterhin vorkommen sollen. Für berechtiget zu Königlichen Ehren werden außer Kaisern und Königen nur noch die Großherzoge, desgleichen, vermöge früheren Herkommens, der Kurfürst von Hessen angesehen; eben darauf hatten früherhin

Mémoires sur le rang et la préséance. par M. Rousset. Amst. 1746. Agostino Paradisi, Atteneo dell' uomo nobile. Venet. 1731. Gottfr. Stieve, Europ. Hofcerimon. Leipz. 1715. 1723. Eine gute Zusammenstellung der Hauptpunkte giebt Günther, Völkerr. I, S. 199 ff. S. auch I. Chr. Hellbach, Hdb. des Rangrechts. Ansp. 1804. Fr. A. Mosheim, über den Nang der Europ. Mächte. Sulzb. 1819. Phillimore II, 45.

1) Ansprüche auf Vorrang und Streitigkeiten darüber ergaben sich bereits im Mittelalter auf den Concilien unter den Abgesandten der verschiedenen Nationen. Dadurch und durch den regen Verkehr der weltlichen Mächte mit dem Römischen Stuhl erhielten die Päpste Gelegenheit, ihre Autorität geltend zu machen, und die Rangordnung der Fürsten ist von ihnen mehrmals bestimmt worden. Unter anderen von Julius II., im Jahre 1504, wonach folgender Klimax gebildet war: der Römische Kaiser, der Römische König, der König von Frankreich, Spanien, Arragonien, Portugal, England, Sicilien, Schottland, Ungarn, Navarra, Cypern, Böhmen, Polen, Dänemark; die Republik Venedig, der Herzog von Bretagne, von Burgund; die Kurfürsten von Bayern, Sachsen und Brandenburg, der Erzherzog von Defterreich, der Herzog von Savoyen, der Großherzog von Florenz, der Herzog von Mailand, von Bayern, Lothringen u. s. w. Cantelius, hist. metrop. urbium. P. 2. p. 134. Die Verbindlichkeit dieser und ähnlicher Bestimmungen ist niemals allgemein anerkannt. Eben so find mehrere vertragsmäßige Bestimmungen unter einzelnen Regierungen mit der Zeit und durch veränderte Umstände hinfällig geworden. Die verschiedenen Prätensionen und Rangstreitigkeiten einzelner Mächte sind in den obigen Schriften vermerkt, in der Kürze bei Günther § 18 f. Der ritterliche Freimuth Gustav Adolphs von Schweden und der nachherigen Regentschaft trat zuerst solchen eiteln Prätensionen offen und kühn entgegen; sein Wort: que toutes les têtes couronnées étaient égales hat sich in der Folge sogar noch in einer weiteren Ausdehnung Anklang verschafft. Wegen der Entscheidungsnormen s. Chr. Gothofr. Hoffmann (Resp. Gärtner), de fundamento decidendi controv. de praecedentia inter gentes. Lips. 1749.

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