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Andere Rechtstitel zu einer thatsächlichen Einmischung in fremde Staatsangelegenheiten giebt es nicht, außer den vorstehenden. Sie bestimmen zugleich die Richtung und Modalitäten der Intervention. Ihr Zweck nämlich ist Geltendmachung des zustehenden Rechtes oder Genugthuung für dessen Verletzung. Das letzte Mittel ist der Krieg, wenn mildere Mittel nicht schon genügen sollten.

Nur Vorbeugungs- und Schußmittel oder gütliche Verhandlungen sind dagegen zulässig, wenn Vorgänge oder Veränderungen in einem Staate anderen Einzelstaaten oder deren Interessen Gefahr drohen. So kann der Ausbruch einer Revolution zur Aufstellung eines Grenzcordons, die Bildung einer Propaganda für Verbreitung aufrührerischer Grundsäge in einem Staate zu strenger polizeilicher Abschließung gegen denselben, auch wohl zur Forderung von Sicherheiten berechtigen; die schon wirkliche Verlegung von Interessen anderer Staaten aber zu Retorsionsmitteln veranlassen. Ungewöhnliche Kriegsrüstungen im Inneren eines Staates ohne deutlich erkennbaren Zweck berechtigen die dadurch möglicher Weise bedrohten Staaten zu Anfragen über den Zweck und zur Forderung bestimmter Erklärungen', welche ohne Beleidigung nicht verweigert werden können (§§ 30. 31).

Kriegsunternehmungen eines Staates gegen einen anderen können dritte Staaten zu politischen Maßregeln ermächtigen, daß nicht durch den Erfolg das bisherige Gleichgewicht gestört werde, indem durch freundschaftliche Interposition der Zweck oder die Grenze der Unternehmung bestimmt wird, oder indem man durch Defensivbündnisse mit anderen ein Gegengewicht zu bilden sucht, oder sich selbst zum Kriege rüstet, um seine eigenen und die gemeinsamen Rechte aller Staaten im Falle der Verletzung aufrecht zu erhalten (la paix armée). Daß der deutlich ausgesprochene Zweck der Gründung

1) J. J. Moser, Vers. VI, 398. F. C. v. Moser, vom Rechte eines Souveräns, den anderen zur Rede zu stellen. Kl. Schr. VI, 287. Günther I, 293. Dort finden sich Beispiele aus der Praxis des vorigen Jahrhunderts. Auch die neueste Zeit hat dergleichen.

2) Die Staatspraxis ist, anstatt sich mit bloßen Interpositionen oder Siche rungsmitteln zu begnügen, oft zu wirklicher Intervention geschritten. Verhandlungen über die große Frage haben unter anderen die Französischen Staatsumwälzungen, die Congresse von Troppau, Laibach und Verona, die Belgische Angelegenheit mit sich geführt. Aber es hat dabei nicht an Meinungsverschieden=

einer Universalherrschaft Kriegserklärung gegen Alle sei, ward schon oben § 30 a. E. bemerkt.

46. Sofern es sich nicht von schon drohenden Rechtsverlezungen oder Gefahren handelt, kann selbst die schreiendste Ungerechtigkeit, welche in einem Staate begangen wird, keinen anderen zu einem eigenwilligen Einschreiten gegen den ersteren berechtigen; denn kein Staat ist zum Richter des anderen gesetzt. Indessen gebietet und rechtfertiget die moralische Pflicht den Versuch gütlicher Intercession zur Abwendung der Ungerechtigkeit, und wenn dennoch dabei beharrt werden sollte, wenn vorzüglich eine Gewaltherrschaft alles Recht mit Füßen tritt, die völlige Abbrechung jeder Verbindung.

Eine weitere Befugniß, nämlich zu einer thatlichen Cooperation, eröffnet sich, wenn in einem Staate ein innerer Krieg wirklich ausgebrochen ist und ein anderer Staat von dem im Recht befindlichen aber widerrechtlich bedrängten Theile um Hilfe angerufen wird. Es ist schon das Recht jedes einzelnen Menschen, dem widerrechtlich Getränkten zu seiner und seines Rechtes Erhaltung beizustehen; es muß auch das Recht der Staaten sein'. Der Gebrauch darf nur kein leichtsinniger sein; denn das Urtheil über Recht und Unrecht im einzelnen Fall kann leicht trügen; die Hilfeleistung nimmt zugleich Leben und Vermögen der Unterthanen in Anspruch; es kann die Gefahr und der schlimmste Erfolg auf den Hilfeleistenden selbst zurückfallen. Unter allen Umständen muß die Cooperation in den natürlichen Schranken des Accessorischen bleiben; sie kann nicht aufgedrungen werden, nicht weiter gehen als der Wille der Hauptpartei und muß aufhören, wenn diese selbst nicht mehr existirt oder sich unterwirft.

Nach diesen Grundsäßen entscheidet sich unter Anderem, in wie fern eine Einmischung in Religionsangelegenheiten eines fremden Staates, namentlich bei religiösen Verfolgungen und Maßregeln der Intoleranz zulässig sei2. Eben darauf beruhete die Intervention für Griechenland und die Rechtmäßigkeit der Schlacht von Navarin.

heiten gefehlt. Man vgl. Wheaton, Intern. Law II, 1, 4. Heiberg und v. Rotteck a. D. Pando, Derecho intern. p. 74.

1) Vattel a. a. D. § 56. Jo. Guil. Marckart, de jure atque obligatione gentium succurendi injuste oppressis. Harderov. 1748. S. auch oben § 30. 2) Erörterungen hierüber bei Vattel a. a. D. § 58--62. Schmelzing § 190.

Specialrechte einzelner Staaten unter einander.

47. Die Befugnisse, welche ein Staat an den anderen, außer den allgemein völkerrechtlichen (§ 26) durch giltige Titel (§ 11) erwerben kann, find theils schon bei Gelegenheit der allgemeinen Rechte der Staaten vorgekommen, theils werden sie noch fernerhin im Sachen-, Obligationen- und Actionenrechte ihre Stelle finden. Ein gemeinsames, gesetzliches Erbrecht besteht an sich nicht unter den Europäischen Staaten. Wohl aber kann durch Verträge Einer Staatsgewalt die Succession in die Rechte der Anderen auf einen gewissen Fall zugesichert und eröffnet werden. Im Mittelalter waren dergleichen vertragsmäßige Erbschaften nichts seltenes1 und auch noch in der Folge werden manche Erbverträge aus älterer Zeit ihre Wirksamkeit unter Deutschen Staaten äußern können. Ihre Giltigkeit ist nach der Zeit ihrer Entstehung zu beurtheilen; ihre Wirksamkeit aber vielleicht in einzelnen Fällen durch neuere Staatsumwälzungen unmöglich gemacht.

Writte Abtheilung.

Die Souveräne, ihre persönlichen und Familien-Verhältnisse.

Phillimore II, 117.

48. Die zweite Kategorie der völkerrechtlichen Personen bilden die Souveräne der Staaten, ihre Familien und unmittelbaren Vertreter. Souverän ist die physische und moralische Person, welche

1) So kam im J. 1032 das Königreich Burgund (Arelat) an das Deutsche Reich auf den Grund eines Erbvertrages von 1016 und 1018. Mascov., de regni Burgund. ortu etc. I, § 10.

2) Hierdurch ist jedoch nicht sowohl den Staaten, als vielmehr den regierenden Familien ein Erbrecht ertheilt. Im Allgemeinen bezeichnet die Deutsche Staatssprache dergleichen Erbverträge durch Erbeinungen (uniones hereditariae), einzelne derselben durch Erbverbrüderungen (confraternitates hereditariae), womit die Annahme des Brudernamens, auch wohl die Vereinigung der beiderseitigen Besißzungen zu einem Gesammteigenthum mit eventueller Huldigungspflicht der Unterthanen verbunden war. Man s. Günther II, 106 und Beseler, Vergabungen I, 215 ff.; II, 3, 90. Ueber die noch möglichen Anwartschaften aus solchen Verträgen s. Heinrich Gottlieb Reichard, Monarchie, Landstände und Bundesverfassung in Deutschland. Leipz. 1836. S. 149. 150. Vgl. auch Wiener Congr.-A. 99.

die gesammte Staatsgewalt in ihren verschiedenen Verzweigungen vereiniget, und insofern ein wesentlicher Theil des wirklichen Staates. Auch sein Recht heißt Souveränetät mit einer zweifachen Wirksamkeit, im Inneren und außerhalb des eigenen Staates. Sie ist entweder eine volle, unbeschränkte Souveränetät, wie in der absoluten Monarchie, oder eine verfassungsmäßig beschränkte (constitutionelle), oder auch äußerlich nur eine Halbsouveränetät. In Hinsicht auf den Inhaber ist sie ferner entweder eine solita= rische, im Alleinbesitz eines Einzigen ausschließend befindlich, oder sie ist ein gemeinsames Recht Mehrerer, die zu seiner Ausübung entweder gleichmäßig in Collegialweise, oder in gewissen Verhältnissen concurriren', oder auch wohl jeder es solidarisch auszuüben haben 2.

Erwerbung der Souveränetät im Allgemeinen.

49. Die Erlangung der Souveränetät ist eine legitime, wenn sie ohne Verlegung eines, bis dahin giltig gewesenen rechtlichen Zustandes und ohne Widerspruch der daran Betheiligten erfolgt ist; fie ist eine illegitime, usurpirte, wenn sie mit Verlegung früherer Rechte geschah; sie kann aber durch Zustimmung oder gänzliches Erlöschen der früheren Berechtigten eine legitime werden3. Wo und

1) Verhältnisse dieser Art sind selten. Als Beispiel können dienen: die alten Deutschen Ganerbschaften und noch jezt hin und wieder bestehenden Condominate (f. § 65); die gemeinsame Regierung mancher Deutscher Fürstenhäuser für gewisse Angelegenheiten, z. B. der Mecklenburgischen, so wie Herzoglich-Sächsischen Linien, die jüngere Linie Reuß, in einzelnen Beziehungen auch das Haus Lippe. M. s. Klüber, öffentl. R. des teutschen B. § 81. Heffter, Beitr. z. Staats- u. Fürstenr. S. 311. In Gemeinwesen sind noch größere Verschränkungen der Organe der Staatsgewalt denkbar.

2) Letzteres kann der Fall sein bei der unbedingten Annahme eines Mitregenten (darüber schon J. J. Moser, Staatsr. XXIV, 236), ohne daß der Hauptregent auf fortgesetzte Mitregierung verzichtet; bei einer Consularregierung ohne Vertheilung der Functionen. Hier gilt der Grundsatz der 1. 25. D. ad municip.; "Magistratus (plures) cum unum magistratum administrent, etiam unius hominis vicem sustinent." S. auch Hert, de plurib. hominib. personam unam sustinentib. in Comm. et Op. III, p. 61. Bis zur Perfection eines Regierungsactes hat dann jeder Mitberechtigte ein Recht der Intercession und des Veto.

3) Auf diese einfachen Säße läßt sich der ganze Streit über Legitimität oder Illegitimität der Souveräne vor dem Tribunal des Rechtes zurückführen. Vgl. übrigens unten, Buch II. im Kriegsrecht, Tit. 4 über die Usurpationen.

so lange die Erwerbung, insbesondere die Legitimität derselben be= stritten wird, vertritt die Thatsache des Souveränetätsbesißes auch das Recht dazu, und zwar nicht allein für den eigenen Staat, so weit er jenem Besitz thatsächlich unterworfen ist, sondern auch für auswärtige Staaten, hinsichtlich ihrer Rechtsverhältnisse zu jenem. Auch die illegitime factische Souveränetät seßt den bisherigen Staat fort, vertritt ihn und erzeugt ihm Rechte und Verbindlichkeiten für die Zukunft', unbeschadet des Postliminium des legitimen Souveräns. Freilich hat der nicht legitime Souverän gegen fremde Staaten keinen rechtlichen Anspruch auf Anerkennung als legitime Macht und auf die damit verbundenen Befugnisse, oder auf Unterhaltung einer förmlichen völkerrechtlichen Verbindung; andererseits aber kann auch der legitime Souverän bei einer derartigen Wendung der Verhältnisse den übrigen Staaten alle Vortheile eines gegenseitigen Verkehres mit dem Usurpator nicht versagen.

Unter allen Umständen gebietet Völkerrecht und Politik, so lange der Streit über die Souveränetät in einem Staate dauert, Beobachtung der strengsten Neutralität von Seiten anderer Staaten; in wie fern aber dabei ein Interventions- oder Cooperationsrecht begründet sein könne, beurtheilt sich nach den schon zuvor (§ 44 f.) dargelegten Grundsägen. Ein Entscheidungsrecht steht an sich anderen Staaten nicht zu. Sie selbst können jedoch ihrerseits während des Souveränetätsstreites nach eigenem rechtlichen Ermessen hinsichtlich der mehreren Prätendenten handeln, ohne daß die Begünstigung des Einen vor dem Anderen als Rechtsverletzung zugerechnet werden mag. Erst mit Eintritt eines bestimmten Besitzstandes sind sie thatsächlich bei Verhandlung von Staatsinteressen an den Besizer gewiesen, ohne daß der Gegenprätendent hierin eine Beleidigung finden, noch auch seinem Rechte dadurch präjudicirt werden kann2.

1) Denn es ist noch immer derselbe Staat. § 24. Für Großbritannien ist das Princip ausgesprochen in einem Parlamentsact (2, Henry VII), nämlich im Wesentlichen dahin, that he, who is actually King, whether by election or by descent, yet being once King, all acts done by him as King, are lawful and justifiable, as by any King; daher auch Cromwell's Gedanken auf den Königstitel.

2) S. schon oben § 23 und Günther II, 421. Vattel II, 12, 198. Moser, Vers. I, 185 f. Die conforme Praxis des Römischen Stuhles erhellet aus dem bereits S. 30 Not. 1 angeführten, in den Anlagen abgedruckten Actenstück.

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