Page images
PDF
EPUB

LYRIK DES CHAT NOIR'

Man sitzt im Café Bauer, oben auf dem Balkon,

in dem köstlichen Spätsommerabend, seine Melange vor sich auf dem Marmortischchen, die Cigarette zwischen die Zähne geklemmt, mitten zwischen jenen wunderlichen Wesen, mit denen sich die Laune irgend eines internationalen Modegenies so lustige Verhunzungen erlauben darf. Der letzte Lustmord, das neueste Eisenbahnunglück, die allerneuesten sensationellsten Wintergartenwunder. Tabaksparfüm, Federboas, Veilchenduft, Berloques, Hutfedern, das Knittern von Zeitungspapier, das Klappern der Tassen und Gläser, und drinnen, in Licht und Rauchdunst, die ganze parfümierte Caféherrlichkeit mit ihrem nervösen Geflirr.

Und man sieht hinunter auf sein braves Berlin, und hat man einige Phantasie, so kann man glauben, vom Brandenburgerthor bis zum Alten Fritz, man sitzt an einem Boulevard der hochgelobten Metropole der Kultur.

Den Ellbogen auf der eisernen Brüstung, die Backe auf der Faust, sieht man hinunter in das Ge

triebe, ein wenig blasiert, ein wenig ironisch, ein wenig erstaunt und verwirrt, ein wenig müde, zutiefst in seiner lieben Seele etwas noch Unbewusstes, Unerkanntes, das einem zusetzt mit heimlicher, köstlicher Unruhe; und eine Sehnsucht regt sich, dass sie klar werde und Herr werde über einen, diese innere, dunkle Vision irgend einer neuen, grossen, weltbeherrschenden Wahrheit; zutiefst in seiner lieben Seele ein hoffendes, versonnenes Warteinweilchen.

Und so lässt man dies Gewirr da unten mit seinem unaufhörlichen Strom, seinem unermüdlichen Gehn und Kommen, mit seinen tausend Lauten, Lichtern und Farben, mit der hastigen, nervösen Folge seiner Eindrücke auf seine Nerven einstürmen.

Nichts giebt es hier, was die ängstliche, von diesen tausend flirrenden Impressionen hin- und hergezerrte Seele hinüberbefreit ins Grosse, Ruhige, Einheitliche. Nur die Ironie ist ein dürftiger Ersatz für die stille, heitergelassene Stimmung, die dieses modernen Treibens Herr sein könnte.

So lässt man es über sich ergehen; konstatierend mit Ironie, Witz, Groll, Ekel, Staunen, Lachen, Cynismus, Zweifel und Blasiertheit, wie es einen im Wechsel von Minute zu Minute attaquiert.

[blocks in formation]
« PreviousContinue »