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Drittes Kapitel.

Unterhandlung freitender Staaten unter einander.

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Wesen der Unterhandlung.

Literatur: Heffter, Völkerrecht 7. Ausgabe 1881, § 106. - v. Kaltenborn l. c.

Bei einem zwischen Staaten entstehenden Streit pflegen dieselben, ehe sie die Mitwirkung Dritter, sei es von Staaten oder Einzelner beanspruchen, bemüht zu sein durch Unterhandlung mit einander den Streit auszugleichen. Dazu ist vor Allem der Streitpunkt zu ermitteln und festzustellen, sodann die factisch mögliche Ausgleichung und erforder. lichen Falls die Sazung, welche ihrer zu vereinbarenden Ausgleichung zu Grunde zu legen wäre.

Wenn Heffter sagt, daß völkerrechtliche Ansprüche der Regel nach keine andere Garantie für sich haben, als die Macht der Wahrheit und den thatkräftigen Willen der Betheiligten, kein anderes Forum als die eigene Gewissenhaftigkeit und die öffentliche Meinung, so erblicken wir die Garantie, insoweit nicht eine vertragsmäßige vorliegt, in dem Völkerrecht selbst, denn sonst wären sie nicht völkerrechtliche Ansprüche, und ist auch der thatkräftige Wille an jenes Recht gebunden, während das Forum weder in der eigenen Gewissenhaftigkeit noch in der öffentlichen Meinung zu finden ist, indem weder die erstere noch die lettere eine Rechtsmacht ist, die eigene Gewissenhaftigkeit aber durch das eigene Interesse getrübt wird und die öffentliche Meinung eine schwankende ist. Vielmehr ist das eigene und des Gegners Recht ernstlich zu prüfen und sind die einander entgegenstehenden Rechtsansprüche möglichst auszugleichen. Zu dem Zweck senden sich die Staaten oder übergeben sich durch ihre Bevollmächtigten gegenseitig Rechtsausführungen in Schrift und Gegenschrift oder Denkschriften über den Streitfall. Es enthalten dieselben die Darlegung des Rechtsstreites, die rechtliche und thatsächliche Begründung der eigenen und die Würdigung der gegnerischen Ansprüche und Vorschläge zur Begleichung derselben. Wird von den mit einander unterhandelnden Staaten eine Verständigung erstrebt, so wird dann ein Nachgeben des einen oder anderen in einem Rechtsanspruch nicht ausgeschlossen sein, und ist nicht abzusehen, weshalb das Wesen der Verständigung, wie v. Kaltenborn (S. 99) meint, darin bestehen solle, daß keine Partei etwas von ihrem angeblichen Rechte aufgebe. Vielmehr kann derjenige Staat, der bei der Unterhandlung sein Unrecht erkennt, unbedenklich auf seinen Rechtsanspruch verzichten oder ihn mindern unbeschadet seiner Rechtsstellung.

Wollte dagegen ein streitender Staat seinen Rechtsanspruch nicht aufg oder sein Gegner ihn nicht anerkennen, so könnte die Unterhandlung einer Verständigung nie führen. Selbstverständlich kann es sich solchem Aufgeben eines Rechtsanspruchs um einen sehr wichtigen n handeln. Dieser wird vielmehr, wenn er sich dazu eignet, ein Schiedsspruch unterworfen werden können oder einer Vermitteli wie noch kürzlich in der Carolinenangelegenheit. Aber auch ohne je oder diese werden Staaten ihre Ansprüche fallen lassen, wenn dieselben nicht unanfechtbar begründen können, oder falls ihr Gegr seinen Widerspruch völkerrechtlich begründen kann. Die Ehre ein Staates hängt nicht davon ab, daß er einmal erhobene Ansprüc aufrecht erhält, durchführt und durchsezt, sondern davon, daß die auch zweifellos im Recht begründet sind. Ein Staat, der si vor dem Recht nicht beugt und einen Rechtsirrthum nicht eingesteh wird in der Achtung der anderen Staaten nur verlieren können. So wie Streitigkeiten Privater können auch solche von Staaten aus nur ver meintlichen Rechtsansprüchen entstehen, in Wahrheit deshall eines gerechten Grundes entbehren. Andererseits kann es aber Ansprüche geben, von welchen es zweifelhaft ist, ob sie als Rechtsansprüche gelten können, und in solchen Fällen kann, da die Staaten dann schwer. lich Richter in eigener Sache sein können, die Vermittelung oder der Schiedsspruch eines dritten Staates oder eines Staatshauptes oder einer hochangehenen staatsmännischen Persönlichkeit beansprucht werden. Indeß erweisen sich dann in einem solchen Fall zur friedlichen Ausgleichung auch die besonders in internationalen Angelegenheiten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten üblichen Commissionen aus Vertretern der beiden Staaten als wohl anwendbar, namentlich, wenn es sich um das Maß eines Anspruches oder einer Entschädigung handelt. Es sind diese Commissionen als schiedsrichterliche bezeichnet worden, können aber als solche nicht gelten, da die Glieder derselben aus den Unterthanen der streitenden Staaten von diesen selbst ernannt sind, der Schiedsspruch aber von anderen Staaten oder Staatshäuptern oder Staatsmännern dritter Staaten gefällt wird und vor Allem dann, wenn eine solche Commission nicht endgiltig entscheiden darf, sondern ihr Ausspruch noch der Bestätigung der resp. Staatsregierungen bedarf. Daß auch jene Commissionen nicht nur nach Billigkeit entscheiden können, sondern auch nach den Bestimmungen des Völkerrechts, erhebt sie ebensowenig zu schiedsrichterlichen, da damit nur die Quelle der Entscheidung, nicht aber deren Art indicirt ist.

§ 6.

Arten der Unterhandlung.

Es können aber die Staaten in dreifacher Weise unterhandeln: 1) durch ihre Staatshäupter, 2) durch ihre Minister des Auswärtigen,

Gesandten oder sonstige diplomatischen Vertreter, oder 3) durch die erwähnten, besonders von ihnen beiderseitig dazu aus ihren Angehörigen ernannten Commissionen oder einzelnen Commissare. Die Unterhandlung der Staatshäupter in Streitsachen findet heut zu Tage selten statt und ist auch unter constitutionellen Staaten in bindender Weise unmöglich, da die bezüglichen Minister des Auswärtigen die Verantwortung und die diese zur Folge habende Contrafignatur zu übernehmen haben und ohne diese auch ein auswärtiger Staatsact nicht gültig ist. Allgemeine Besprechungen der monarchischen Staatshäupter sind deshalb nicht ausge= schlossen, ja sie werden sogar der gütlichen Beilegung förderlich sein können, indem dadurch die Differenzpunkte und die Mittel zur Ausgleichung derselben erkannt und die Minister oder Gesandten darnach instruirt werden können.

Die diplomatische Unterhandlung, d. h. durch diplomatische Persönlichkeiten, zu welchen ja auch die Minister des Auswärtigen rechnen, ist die heut zu Tage übliche und empfehlenswerther als die Unterhandlung zwischen Staatshäuptern, besonders durch die noch immer, wenn auch seltener vorkommenden Conferenzen oder Allerhöchsten Handschreiben, welche in Unterhandlungen constitutioneller Staaten verfassungsmäßig unzulässig erscheinen, und als die zwischen einem Souverän des einen Staates und einer besonders dazu gesandten Persönlichkeit oder mit dem bei diesem Staate accreditirten Gesandten des anderen Staates.

Der lezteren Art der Unterhandlung mangelt Gleichstellung der beiden Unterhandelnden, welche zu einer freien ungehinderten Verhandlung erforderlich ist, um derselben einen rascheren und gütlichen Erfolg zu sichern. Noch weniger ist es geeignet, daß angesehene militärische Persönlichkeiten, wie es in unserem Jahrhundert, besonders vor dem Ausbruch von Kriegen mit orientalischen Staaten vorgekommen ist, als Unterhändler gesandt werden, da diesen nicht blos häufig die diplomatische, materiell und formell sachverständige Unterhandlungsfähigkeit mangelt, sondern auch gar zu leicht militärische Empfindlichkeit und Schlagfertigkeit einen nicht immer beabsichtigten kriegerischen Ausgang herbeiführen. Es verdirbt dann das Schwert, was die Feder oder passende Rede zum Frieden hätte wenden können. Daher waren in heidnischer Zeit Fetialen und in christlicher Cardinäle und Priester stets geeignetere Unterhändler. Die dazu geeignetsten Männer sind aber die Mitglieder der praktischen Diplo. matie, welche in Ausübung derselben zur Erkenntniß der Staatsangelegen. heiten herangereift sind, bei der Behandlung derselben sich besonders an Vorsicht gewöhnt haben und daran, die Folgen und Wirkungen des geschriebenen und gesprochenen Wortes sachgemäßer zu ermessen. Die unterhandelnden Gesandten sind aber stets zur Sache von ihrem Staat, in der Regel durch den betreffenden Minister des Auswärtigen instruirt, soweit dieser lettere nicht selbst mit dem des anderen Staates oder dessen Gesandten verhandelt. Berichte eines unterhandelnden Gesandten an den resp. Minister des Auswärtigen während der Unterhandlung sind ge

fordert und haben eventuell neue Instructionen zur Folge. Nur für den Gesandten einer absoluten Monarchie erscheint auch ein Bericht an den Monarchen, besonders wenn dieser directen Bericht gefordert, angemessen, während in constitutionellen Monarchien ein solcher seltener gefordert wird und vorkömmt, auch an ein Uebergehen des Ministers des Auswärtigen durch den Souverän bei Unterhandlungen um so weniger zu denken ist, als ja Jener für solche wie für die ganze auswärtige Geschäftsführung verantwortlich ist. Es ist daher völlig correct, wenn der Monarch eines constitutionellen Staates und der Präsident einer Republik durch sie allein oder überhaupt durch sie zu führende diplo matische Unterhandlungen ablehnen, wenn auch ihre Willensäußerung während der Unterhandlung angemessen und zum Abschluß derselben nöthig ist, da ohne oder wider ihren Willen eine Unterhandlung im Namen des von ihnen beherrschten oder vertretenen Staates der Legalität entbehren würde. Mit Recht wird daher auch von bloßen Minister- oder Gesandten Unterhandlungen, falls deren Resultate nicht vom höchsten Organ später ratificirt werden, ebensowenig ein rechtsverbindliches Resultat erwartet werden können, als von bloßen Fürstenconferenzen constitutioneller Monarchen ohne Mitwirkung ihrer resp. Minister des Auswärtigen, indem solche Conferenzen nur freundschaftlicher persönlicher Annäherung dienen oder zur Aufrechterhaltung bestehender guter Beziehungen, eine Rechtsgültigkeit für die betreffenden Staaten aber nicht beanspruchen können. Anderer Bedeutung waren aber die in den lezten Jahren stattgehabten Conferenzen zwischen den Monarchen der früher bestandenen heiligen Alliance, welche nunmehr auf dem Gebiete realer Politik, unter Mitwirkung ihrer Minister mit einander unterhandelten auf Grund von Vereinbarungsentwürfen oder zur Herbeiführung solcher. Erst wenn die Unterhandlungen zwischen den diplomatischen Persönlichkeiten, zu welchen wir auch das höchste diplomatische Organ: den Monarchen, und, je nach der Verfassung, selbst den Präsidenten der Republik rechnen, wie z. B. in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, zu keinem befriedigenden, den Frieden sichernden Ergebniß geführt haben, wird es an der Zeit sein, rechtsstreitsachverständige Männer beider Staaten zu einer Commission zusammenzufügen, welche ihre Ausgleichsvorschläge den ihnen übergeordneten Autoritäten zur Beprüfung und eventuellen Genehmigung vorlegen. Bloße Diplomaten werden zu solchen Commissionen sich wohl nur eignen, wenn sie, was freilich vorausgesezt werden müßte, gründliche Kenner des Völkerrechts wären und überhaupt eine Rechtsbildung genossen hätten, welche zum Erkennen eines Rechtsstreites und zur Vorlage eines Ausgleichsentwurfs für einen solchen unbedingt nothwendig scheint. Was Diplomaten, troß ihrer Gewandtheit, nicht gelänge, würde Rechtskundigen mit ihren Kenntnissen eher gelingen, und müßten daher solche Commissionen von Sachverständigen, insbesondere in Bezug auf einen vorliegenden auszugleichenden Rechtsstreit weit häufiger von beiden streitenden Parteien gebildet werden als es bisher der Fall war, um

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