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§ 42.

Zweifelhafte Fälle.

4. Anders steht schon die Intervention, welche durch die behauptete Nothwendigkeit begründet wird, einem verlängerten Blutvergießen, der Anarchie und dem Bürgerkrieg in einem Staate ein Ende zu machen; unzweifelhaft giebt es Fälle, wo starke Gründe zu Gunsten eines solchen Ein schreitens sprechen; indeß allein werden sie schwerlich ausreichen, dasselbe zu rechtfertigen. Der schlagendste Fall, der dagegen spricht, ist die zweite und dritte Theilung Polen's, welche durch die dort herrschende Anarchie beschönigt werden sollte. Mit Recht sagt Genz (Fragmente zur Gesch. des polit. Gleichgewichts, Schriften IV. S. 51): Was den Entwurf z einer Theilung Polens für das höhere Interesse von Europa so ungleic verderblicher machte, als manche frühere in Charakter und Ausführung dem Anschein nach schwärzere Gewalthat, das war jener entscheidende Um stand, daß er gerade aus der Quelle geschöpft wurde, aus welcher nicht als Wohlthat und Segen, als Sicherheit in Zeiten der Ruhe und Rettung in Zeiten der Gefahr über den Völkerbund geflossen sein sollte. Eine Verbindung zwischen mehreren Regenten hatte man immer nur als einen wohlthätigen Damm wider unregelmäßige Gewalt und Begierde eines einzelnen Unterdrückers betrachtet, jest zeigte sich, zum Schrecken der Welt, daß eine solche Verbindung geschlossen werden konnte, um gerade das Uebel zu Stande zu bringen, gegen welches sie zur Schußwehr be stimmt schien." Ebenso nennt Gagern die Theilung Polen's den Alp, der unsere Geschichte, unsere Politik, den Begriff der Nationalität, unsere Sittlichkeit, unsern Friedenszustand, unsere Zukunft, das ganze Völker recht drückt." (Kritik S. 165.)

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Anders stand es mit der Intervention der drei Mächte in der Griechischen Sache; hier war der Grund, dem Blutvergießen und der er barmungslosen Abschlachtung einer christlichen Bevölkerung durch Ibrahim Pascha ein Ende zu machen, allerdings mitbestimmend, aber keineswegs allein entscheidend, es lag ein Bürgerkrieg vor, der sich nicht blos im Innern eines Staates abspielte, sondern durch Seeräuberei und Anarchie zur See die Interessen der Unterthanen anderer Mächte ernstlich gefährdete. England machte in einer Denkschrift') diesen Grund nachdrücklich geltend als »a great evil pressing seriously upon the interests of H. M's own subjects, aber anerkannte die Intervention als eine «departure from the general rule, which forbids other Powers to interfere in contests betwixt Sovereign and Subject« und betonte, daß deßhalb H. M. strictly limited. himself to what he deemed the necessity of the case“. „Wäre die Absicht der Mächte, heißt es weiter, einem großen Uebel ein Ziel zu sehen, nicht durch manche gewichtige Gründe der Gerechtigkeit und der Politik beeinflußt gewesen, so würden sie nicht 6 Jahre gewartet haben, bis sie über

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freundschaftliche Vorstellungen hinausgingen, nicht als sie es thaten, jeden Schritt abgewogen und gemeinsam festgestellt haben", »they felt that they were bound to take care that the interposition should not be more than commensurate with the evil.« Von diesen Gesichtspunkten geleitet, schlossen England, Frankreich und Rußland zunächst den Vertrag vom 6. Juli 1827, um einen Waffenstillstand zu erzielen und durch ihre Vermittlung eine Autonomie der Griechen unter der Suzeränetät des Sultan's herbeizuführen. Als dieselben dies annahmen, die Pforte aber alles zurückwies, folgte die Zerstörung der Türkisch-Egyptischen Flotte bei Navarino und die Besetzung Morea's durch Französische Truppen und durch den Vertrag vom 7. Mai 1832 die Bildung eines unabhängigen Griechischen Staates.

Am 22. April 1834 schlossen Frankreich und England mit den Regenten von Spanien und Portugal einen Vertrag, durch welchen sie denselben ihren Beistand zusicherten, um die Prätendenten Don Carlos und Don Miguel zu vertreiben, und so den Frieden auf der Pyrenäenhalbinsel herzustellen. Frankreich verhinderte die Zufuhr von Waffen und Proviant an Don Carlos, England gewährte der Spanischen Regieruug Unterstützung von Waffen und durch seine Flotte, und gestattete die Ausrüstung eines Freiwilligen-Corps unter einem Britischen Offizier. Dieser Vertrag war eine nicht zu rechtfertigende Intervention, wie der Herzog von Wellington offen erklärte: »I do say that this country has no right to interfere in the affairs of Spain and Portugal. The object of the quadruple treaty is, of all others that I have ever seen, the most opposed to the political system on which this country has ever acted (July 9. 1834).« Man berief sich in London auf die alte Allianz mit Portugal, während Canning dieselbe früher ausdrücklich auf Fälle eines Angriffs von Außen beschränkt hatte und es somit nicht in Betracht kam, daß Donna Maria da Gloria rechtmäßige Königin war und Don Miguel ein eidbrüchiger Prätendent. Hinsichtlich Spaniens lag nicht einmal diese Entschuldigung vor, die Rechtmäßigkeit der Aenderung der Thronfolge durch Ferdinand VII. war höchst zweifelhaft und den ehrgeizigen Intriguen der Königin Christine zuzuschreiben, die Spanische Nation war in zwei Lager getheilt, von denen das des Don Carlos jedenfalls größere Widerstandsfähigkeit zeigte, während die Anhänger Isabella's unter sich getheilt waren; daß Don Carlos die Sache der absoluten Monarchie vertrat, gab England ebenso wenig rechtlichen Anlaß sich für eine Partei in diesem Bürgerkriege zu erklären, als es behaupten konnte, daß eigene Interessen durch denselben in einer Weise verlegt waren, welche eine Intervention gerechtfertigt hätten. In der That war der Vertrag nur ein politischer Schlag, den Lord Palmerston gegen die Nordischen Höfe ausführte, welche ihre Vertreter bei der Königin abberiefen, und der Spanische Gesandte Florida Blanca handelte nach dem eigenen Geständniß seines Ministers Martinez de la Rosa ohne Instruction, als er den Vertrag abschloß, Frankreich trat erst nachträglich bei. Es sollte ein » défi aux monar

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chies despotiques de l'Europe, une réponse peremptoire aux tions de Munchen-Graetz «2) sein. Palmerston erklärte später geradezu: >>We looked upon the question, not as a simple choice between one Sovereign and another but, as it was in reality, absolute government on the one hand and constitutional government on the other«, und nachdem er behauptet, daß leßteres in Portugal und Spanien für Englands Interesse vortheilhaft sei, rechnete er es sich zum Verdienste an: > having been above all narrow-minded prejudices in determining on an act of forcible interference for the purpose of giving those countries the bles sing of constitutional government", aber diese Anmaßung, daß England das Recht habe, andern Ländern eine bestimmte Verfassung aufzunöthigen, ist unvereinbar mit dem Recht der Autonomie. Nicht nur hat die Folge der fortwährenden inneren Wirren Spaniens die politische Weisheit dieses Verfahrens in sehr zweifelhaftem Lichte erscheinen lassen, sondern e muß vor allem betont werden, daß kein völkerrechtlich stichhaltiger Grund diese Intervention und die einseitige Aufhebung der Foreign Enlistment Act rechtfertigte, um ein Britisches Freiwilligencorps zu bilden, welches ein elendes Schicksal erfuhr und von Don Carlos als rechtlos behandelt ward.

Ebensowenig berechtigt erscheint die 1846 von Lord Palmerston mit Zustimmung Frankreichs und Spaniens unternommene Intervention in dem damaligen Portugiesischen Aufstand, der eine rein innere Angelegenheit war, und diejenige in Sicilien 1848 war geradezu ein grober Bruch des Völkerrechts. Während er noch am 16. Decbr. 1847 durch Lord Minto dem Könige hatte versichern lassen, daß es der aufrichtige Wunsch der Britischen Regierung sei, die alten Bande der Freundschaft mit der Krone Beider Sicilien zu erhalten und wo möglich noch enger zu ziehen, unterstüßte er einen Monat darauf den in Sicilien aus gebrochenen Aufstand auf alle Weise und erklärte der Sardinischen Regierung, daß, wenn der Herzog von Genua zum König von Sicilien gewählt werde und dessen Thron inne habe, England denselben an erkennen werde. Schließlich aber wagte er doch nicht, die Partei der Aufständischen zu nehmen, als dieselben die angebotenen Bedingungen des Königs verwarfen und überließ sie ihrem traurigen Schicksal. Wenn da her Lord Palmerston behauptete (Mai 20. 1864) »we interfered with great success in the affairs of other countries and with great benefit to the countries concerned so ist dies nicht nur sehr zweifelhaft, son. dern seine Interventionen waren auch rechtlich unbegründet, sie hatten lediglich politische Ansichten und das Recht des Stärkeren für sich. Dem. zufolge konnte er auch keine feste Stellung dagegen einnehmen, als 1849 nun Rußland seinerseits auf Anrufen Oesterreichs in Ungarn intervenirte, um die Sache des Absolutismus aufrecht zu halten, er konnte nicht wie Canning gegen den Französischen Einmarsch in Spanien protestiren und antwortete auf eine Interpellation Osborne's (21. Juli) nur, daß die Re gierung keine Gelegenheit gefunden, ihre Meinung amtlich mit Vortheil zu äußern.

Es steht überhaupt sehr zweifelhaft mit dem Rechte eines Staates, bei einem Bürgerkriege in einem anderen Staate zu interveniren, soferne der Kampf nicht seine eigene Sicherheit gefährdet oder er nicht von bei den Theilen dazu aufgefordert wird, wo er ebenso gewiß das Recht hat, als ihm keine Verpflichtung obliegt, der Aufforderung Folge zu geben. Es sind hier freilich zwei Fälle ganz auszuscheiden. Einmal, wenn es notorisch ist, daß die eine Partei außer Stande ist, ihren behaupteten Rechtsanspruch thatsächlich durchzuführen; auf diesen Grund anerkannten England und die Vereinigten Staaten die Unabhängigkeit der vormaligen Spanischen Colonien in Amerika, wo thatsächlich keine Spur der Spanischen Herrschaft mehr bestand. Eine solche Anerkennung einer unbestreitbar thatsächlich bestehenden Regierung ist keine Intervention, sie ist vollständig berechtigt, da die Souveränität nicht als ein nudum jus behauptet werden kann. Sodann kann eine Intervention nicht in Frage kommen, wenn es sich blos um einen vorübergehenden Aufstand handelt, sondern nur, wenn wie Sir J. Mackintosh sagte: „ein Kampf vorliegt, der eine gewisse Gleichheit der Kräfte zeigt und dessen Ausgang einigermaßen zweifelhaft sein würde, wenn die streitenden Theile sich selbst überlassen bleiben."

Auch in diesem Falle, wie bei dem Streite zweier Staaten ist es unzweifelhaft von Bedeutung für die Intervention, ob dieselbe von einem Theile angerufen wird, aber keineswegs entscheidend. Der schwächere Theil wird hierzu stets geneigt, jedoch damit noch keines. wegs für den angerufenen Staat ein Recht der Intervention gegeben sein, so lange nicht die Besiegung des anrufenden Theiles seine Sicher. heit gefährdet oder eine Gemeingefahr in sich schließt. Liegt einer oder der andere Grund zu Gunsten der bisher herrschenden Regierung vor, so ist die Sache einfach, im umgekehrten Falle ist schon, abgesehen von wirklicher materieller Hilfeleistung, die Anerkennung des aufständischen Theiles als unabhängiger Staat (im Unterschied von der Anerkennung desselben als kriegsführenden Theiles) eine Intervention in feindlichem Sinne gegen den Staat, der es thatsächlich noch nicht aufgegeben hat, seine früher bestehende Herrschaft über das aufständische Gebiet herzustellen. Die Anerkennung der Conföderirten Staaten als kriegführenden Theiles seitens Englands und Frankreichs (1861) war durchaus berech tigt, ihre Anerkennung als unabhängiger Staat im Laufe des Krieges hätte der Entscheidung vorgegriffen und wäre eine unberechtigte Intervention gewesen, sowie es unzweifelhaft 1770 die Anerkennung der Vereinigten Staaten seitens Frankreichs war, während England noch im Kampfe mit seinen Colonien war, lezteres war daher vollständig berech tigt, es als Kriegsgrund zu behandeln, als Frankreich einen geheimen Vertrag mit diesen Colonien machte, und es war leere Sophisterei, wenn lezteres dies damit vertheidigte »que ni le droit des gens, ni les traités. ni la politique n'imposaient au roi l'obligation de devenir le gardien de la fidélité des sujets anglais à leur souverain«<. Die fernere Be

hauptung, daß die Colonien »eussent établi leur indépendance et qu'elles l'eussent maintenue contre tous les efforts de l'Angleterre< widersprac der Thatsache des fortdauernden Kampfes (Flassan, Hist. de la dipl franç. VII, p. 168). Auch Desterreich war berechtigt, sich zu beklagen, als 1849 die Vereinigten Staaten den Mr. Dudley Mann nach Europe sandten, um Ungarn anzuerkennen, sobald es seine Unabhängigkeit durd gesezt. Dies ergiebt sich aus der Botschaft des Präsidenten Taylor selbst vom December 1849: »During the conflict between Austria and Hungary, there seemed a prospect, that the latter might become an independen nation. However faint that prospect might be, I thought it my duty, in accordance with the sentiments of the, American people who deeply sympathized with the Magyar patriots, to stand prepared upon the contingency of the establishment by her of a permanent government, to be the first to welcome Hungary into the family of nations«. Hier ist populäre Sympathie an die Stelle von vollendeten Thatsachen gesezt.

1) State Papers. Greece 1826--32, p. 54, 55.

2) Haussonville I. p. 131. Depesche des Französischen Gesandten in Madrid.

§ 43. Berechtigte Fälle.

5. Nächst der Bedrohung der eigenen Sicherheit ist unstreitig die der Bedrohung des Gleichgewichtes der statthafteste Grund der Inter vention, zumal wenn dieselbe zur Erhaltung desselben von mehreren Staaten ausgeübt wird. Der internationale Rechtsbestand kann seine wohlthätigen Folgen nur üben, wenn er auf dem Gefühle der Sicherheit beruht, und diese besteht nicht mehr, wenn ein einziger Staat eine so überwiegende Machtstellung erlangt, daß er den andern das Geseß geben kann. Diesen Gedanken vertrat die Beredsamkeit des Demosthenes gegen Philipp, indem er die Griechischen Staaten beschwor „μn tOUTOY ἐᾶσαι πάντα καταστρέψασθαι,“ in Siefem Sinne intervenirte Siero von Syrakus zu Gunsten Carthago's gegen die Römer, „ivæ ui παντάπασιν ἐξῆ τὸ προτεθὲν ἀκινητὶ συντελεῖσθαι lozvovoi“, um dieses Gleichgewicht drehten sich die Kämpfe gegen die Habsburgische wie gegen die Französische Universalmonarchie Ludwigs XIV. und Napoleons I. Vorausgesezt wird dabei natürlich, daß es sich um eine wirkliche Gefährdung des Gleichgewichts handelt, und lezteres wird annähernd am besten dadurch gewährleistet, daß die Intervention eine collective mehrer Mächte ist, welche als die Vertreter der allgemeinen Interessen der Staaten-Familie gelten können und zugleich die Macht haben, ihren

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