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Grenzen) die Humanität mit dem Kriege vereinbar und eine Humanisirung des Kriegsrechts möglich ist. Für diese Frage ergiebt sich aus der Natur des Krieges dieselbe Consequenz, welche für die Möglichkeit und die Gestaltung des Kriegsrechts zu ziehen war.

Danach kann einmal von der Beobachtung von Humanitätsrücksichten und von der Humanisirung des Kriegsrechts keine Rede sein, soweit dadurch der Kriegszweck irgend beeinträchtigt und die für ihn nöthige Gewalt irgend beschränkt würde. Sodann aber ergiebt sich, daß, soweit eine solche Beeinträchtigung und Beschränkung nicht stattfindet, dem Walten der Humanität kein Hinderniß entgegensteht, sie vielmehr zulässig und berechtigt ist.

Hier wie dort gelten dieselben dort entwickelten Gründe, aus denen zunächst die Consequenz folgt, daß die Humanität im Kriege und die Humanisirung des Kriegsrechts nur Plaz greifen können, soweit der Zweck des Krieges und die ihm dienenden Gewaltmittel es gestatten. Es kann deshalb der Krieg nicht so geführt und das Kriegsrecht nicht so gestaltet werden, wie die Humanität es wünschenswerth macht, sondern es kann vielmehr eine Humanisirung nur in Frage kommen, soweit Ge walt und Natur des Krieges sie zulassen, d. h. soweit es sich nicht um solche Gewaltsamkeiten, Kriegsmittel, Leiden und Schädigungen handelt, welche der Zweck des Krieges, Besiegung des Gegners, erfordert. Bezüglich aller dieser, sie mögen noch so furchtbar sein, kann keine Humanitätsrücksicht in Frage kommen; ganz abgesehen davon, daß die wahre Humanität möglichst baldige Beendigung und folglich energische Führung des Krieges verlangt und daß weitergehende Rücksichten, auch wenn sie von der Theorie der Völkerrechtswissenschaft gefordert werden sollten, niemals von der Praxis der Kriegführung beachtet werden würden, noch beachtet werden dürften.

Soweit dagegen der Kriegszweck nicht entgegensteht, ist auch kein Grund vorhanden, die Humanität und Humanisirung zu beschränken und haben sie deshalb in volle Wirksamkeit zu treten.

Freilich ist auch hier die Behauptung aufgestellt worden, daß Krieg und Humanität einander völlig ausschlössen und von einer Humanisirung des Krieges überhaupt nicht gesprochen werden könne. Wie aber eine rechtliche Ordnung des Krieges in der angegebenen Grenze sich als durchaus möglich und zulässig ergeben hat, so ist innerhalb derselben Grenze auch eine solche Ordnung in humanem Geiste, also eine Humanisirung von Krieg und Kriegsrecht möglich und zulässig. Bewiesen wird das hier wie dort dadurch, daß dasjenige, dessen Existenzmöglichkeit bestritten wird, hier also die Humanisirung, bereits thatsächlich vorhanden ist; das Kriegsrecht ist im Laufe der Jahrhunderte bereits humanisirt worden und hat bereits mehr als einen Erfolg humaner Verbesserung aufzu weisen. Durch eine von früheren Bräuchen ganz abweichende humanere Kriegführung, durch erhebliche Einschränkung der erlaubten Kriegs- und Zwangsmittel, durch Abschaffung der Kaperei, durch die Sorge für die Handbuch des Völkerrechts IV.

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verwundeten Krieger und die ihrem Schuß dienenden Anstalten, cet des feindlichen Heeres, durch die Unverleßlichkeit der nicht combattirende Staatsangehörigen, hat, um nur vorläufig dieses anzuführen, e Humanisirung des Krieges bereits thatsächlich stattgefunden.

Für das Maß aber und den Umfang der Zulässigkeit dies Humanisirung, wofür die Grenze in negativer Beziehung sich bereits a geben hat, stellt sich das positive Ergebniß heraus: Soweit diesseits k gezogenen Grenze eine Humanisirung möglich ist, soweit also der Kri sie irgend gestattet, soweit muß auch die Humanisirung zugelafi werden und mit allen Kräften und aller Freiheit walten dürfen. Se unnöthige, vom Kriegszwecke nicht geforderte Beschränkung fällt ebeni: unbedingt weg, wie die über den Kriegszweck hinausgehende Gewalt maßregel.3)

Der verbleibende Umfang ist ein bedeutender und die möglich Wirksamkeit der Humanität so wenig auf ein kleines Gebiet beschränkt wie die des Kriegsrechts überhaupt. Allerdings sind Krieg und Hum nität bis zu einem gewissen Grade unlösbare Gegensäße, und vielen Fällen vertritt der Krieg der Humanität den Weg. In viele anderen Fällen aber und in noch recht weiten Grenzen läßt er di Humanität zu, da sie seinen Zweck nicht stört. Wie weit diese Grenzer in der That noch sind, ergiebt sich wiederum aus den eben über thatsächlich statthabende Wirksamkeit der Humanität gemachten Ander tungen, welche demnächst weiter auszuführenden Andeutungen auf eine Zulassung und Zulässigkeit der Humanität in sehr weitem Umfange hir weisen. Dieser Umfang wird noch größer werden durch weitere Ver vollkommnung und Ausbildung des Kriegs- und Völkerrechts und di fortschreitende Civilisation der Zeit einer- und das richtigere, ruhiger fic selbst beschränkende Vorgehen der Humanisirungsbestrebungen andererseits.

1) S. Kap. 5.

2) S. Kap. 4 u. 5.

3) Vgl. Lueder, Recht und Grenze der Humanität im Kriege, S. 22. 4) Ebendas. S. 23.

5) Hierüber vgl. weiter unten im Kap. 5.

Zweites Kapitel.

Die Nothwendigkeit und Gerechtigkeit des Krieges.
Die Kriegsursachen und Arten.

§ 54.

Die Unentbehrlichkeit des Krieges und die Unmöglichkeit eines ewigen Friedensstandes auf Erden.

iteratur: Lasson, Das Culturideal und der Krieg, 1868. Raßenhofer, Die Staatswehr. 1881. (Kießling), Ewiger Krieg, Studien eines Deutschen. Offiziers. 1885. Lueder. Recht und Grenze der Humanität im Kriege. 1880, S. 11 ff. Uebersicht über das Hervortreten der Ewigen-Friedensidee bei Holzendorff, Die Idee des ewigen Völkerfriedens, 1882 (Heft 403/404 der Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge von Virchow und Holzendorff) und in dem übrigens ganz auf Anderen stehenden und durch den Abdruck der Pfau'schen Rohheit (s. unten § 55 N. 22 a. E.) schließlich in ein häßliches Pamphlet ausartenden: Völkerrecht und Völkerfriede von Dr. S. Rhamon. 1881. Dazu die gleich weiter unten in Note 2 zu diesem Paragraphen Angef.

Aus dem über Begriff und Wesen des Krieges Gesagten hat sich bereits von selbst ergeben, daß der Krieg von den schwersten Leiden, Uebeln und Gefahren für Viele begleitet sein muß. Es ist deshalb erklärlich, daß fortgeschrittenere Zeiten und Völker nicht bei dem Bestreben. stehen geblieben sind, die Kriege seltener, kürzer und menschlicher zu machen, sondern daß man mit dem Wunsche die Frage erwogen hat, ob nicht die Kriege überhaupt unterlassen werden und andere völkerrechtliche Mittel zum Austrage von Völkerstreitigkeiten an ihre Stelle treten könnten. Es ist dies um so erklärlicher, als die hervorgehobene Seite des Krieges diejenige ist, welche am augenfälligsten und unmittelbarsten für Jedermann in die Erscheinung tritt. Daher jene Bestrebungen und Wünsche, nachdem durch die Wissenschaft und den Abschluß des Westphälischen Friedens die Grundlagen dazu gegeben1) und die störenden Einflüsse eines Krieges auch auf die unbetheiligten Mächte erkannt

waren.

Wie Faust. und Fehderecht, so fest sie auch eingewurzelt waren, innerhalb der Staaten beseitigt worden sind und wie selbst der noch übrig gebliebene weit unbedenklichere Zweikampf von der Rechtsordnung

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unbedingt verworfen, als zulässiges Mittel zum Austrage von Stit feiten nicht anerkannt und immer mehr in den Hintergrund zur gedrängt wird, so müssen fernere Culturfortschritte auch den Krieg seitigen und andere, unblutige Mittel an seine Stelle sezen. Es m der Ewige Friede eingeführt werden, 2) und Aufgabe der B rechtswissenschaft sei es, jene anderen Mittel herbeizuführen.

Das Eintreten eines solchen ewigen Friedens auf Erden und Aufhören der Kriege ist aber nicht nur in absehbarer Zeit, sondern i haupt für alle Weltzeit undenkbar und unmöglich. Denn es würde d das Eintreten von zwei Voraussetzungen nöthig sein, die beide niet eintreten können.

Die eine dieser Voraussetzungen wäre die der Entsündigung Vollkommenheit des Menschengeschlechtes schon auf Erden.) Der e äußere Friede hat den vollkommenen inneren Frieden (und damit den inneren Staats-, Religions-, wirthschaftlichen, gesellschaftlichen Friede zur Voraussetzung, und das wäre eben jene Entsündigung. Denn lange irgend Böses, irgend etwas, was Sünde ist, Leidenschaften, sucht, Egoismus unter den Menschen bestehen, so lange müssen le griffe, Beleidigungen und Rechtsverlegungen, Gewaltthätigkeiten, frieden und Kampf, Angriff und Abwehr vorkommen. Jenes wird bestehen, so lange es Menschen, d. h. nicht andere als menjali Wesen giebt.) Denn mag auch die Menschheit besser und edler wer und der Vollkommenheit sich annähern, die Vollkommenheit erreic wird sie auf Erden nie. Sie bleibt diesseits immer Menschheit menschlichen Trieben und Bedürfnissen und dem natürlichen Egoist des Einzelnen wie des Staates.")

Friedliche Mittel aber, die zur Abwehr alles jenes unvermeidlic Unrechtes genügten, kann keine Cultur und kein Völkerrecht je herstell Das wird nicht nur im nächstnächsten Paragraphen noch besonders net gewiesen werden, sondern es ergiebt sich auch ohne Weiteres aus immer verbleibenden Zustande der Sündhaftigkeit und Unvollkommenh indem dieser die Vollkommenheit auf allen Gebieten und also auch vollkommene Folgsamkeit, Anerkennung des ungerechten Anspruchs Unterwürfigkeit (unter die etwaige gesetzliche Entscheidung im Streita ausschließt und im Gegentheil Gewalt, Troß und Selbsthülfe nothwend in sich enthält.

Deshalb ist der Krieg das einzige Mittel, um Ehre, Macht, Ret Unabhängigkeit des Staates, der sonst schuß und rechtlos daste würde, zu wahren; und in der nach dem Gesagten vorhandenen entbehrlichkeit des Mittels liegt die Nothwendigkeit des Krieges.")

Die zweite, mit der ersten übrigens innerlich verbundene Vora segung wäre das Aufhören aller Culturmannigfaltigkeit der Völker das Anlangen und Bestehenbleiben aller Völker auf gleicher Cult höhe, also ein vollständiger Culturstillstand, sowie das Aufhören Geschichte, historischer Entwickelungsprocesse und des Ausdehnungs,

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enderungsbedürfnisses der Völker. Und auch dieses ist unmög ch.) Denn es giebt keinen Stillstand und keine Ewigkeit in menschchen, irdischen Dingen. Die Völker bewegen sich stets wie die ganze tatur aufwärts oder abwärts. Sie können also nie auf gleicher und leichbleibender Culturstufe sich befinden. Namentlich ist auch die ab. hließende Staatenbildung und Vertheilung, von der die Ewigen-Friedens. rojecte auszugehen pflegen und die durch einen letzten Krieg herbei. eführt werden soll, ein Unding. Ein solcher Stillstand in der Gehichte ist unmöglich, die Staaten können nicht wie Mumien conservirt erden, und ein jüngster Besißstand läßt sich nicht fixiren.) Jeder dieser letzten Kriege" würde unfehlbar den Keim eines allerleßten in sich tragen, hon weil der Vertheilungsplan immer auf irgend einem nationalen, olitischen Interessenstandpunkt beruht und von der Vorbedingung der jerausgabe von Elsaß-Lothringen oder sonst einer Aenderung der Europäischen Karte ausgeht, was ja zunächst wieder zu den allergrößten tämpfen nnd Kriegen führen müßte.

So lange aber Ungleichheit und Cultur- und Staatenverschiedenheit und damit wieder verschiedenes Entferntsein von dem Ziele der Annäheung an die Vollkommenheit) bestehen, so lange auch nur ein oder einige Völker auf einer anderen Culturstufe stünden, so lange überhaupt menschliche Arbeit und Streben existiren, so lange sind Kampf und Gewalt und ilso der Krieg unvermeidlich und kein Völkerrecht im Stande, ihn aus ›er Welt zu schaffen.

Er liegt vielmehr so sehr in der Natur der Menschen, daß man ihn den atürlichen Zustand unter den Menschen, 10) und so sehr in der Natur er Staaten, daß man ihn den natürlichen Zustand unter den Staaten 11) jenannt hat. In der That ist das dem Menschen innewohnende Kampfesedürfniß12) und seine ganze dem Nebengeschöpfe feindliche Anlage 13) nicht zu übersehen. Nur wenn die Menschen und die Staaten zu bestehen ufgehört haben, kann die Kirchhofsruhe des ewigen Friedens eintreten.

Deshalb hat man auch das Eintreten dieses ewigen Friedens auf das Aufhören der Staaten und das Aufgehen derselben in eine große Gemeinschaft basirt, so daß das leztere die nöthige, dann aber auch ichere Grundlage ungestörten Friedens wäre. Allein dieser Gedanke ist ebenso unausführbar wie unglücklich;14) und er würde, selbst wenn er, was nur durch die allerblutigsten und gewaltigsten Kriege geschehen könnte, zur Ausführung gelangte, nichts in der Sache, sondern höchstens den Namen ändern. Denn die gewaltsamen Kämpfe unter den Menschen würden aus den angegebenen Gründen nicht aufhören. Uebrigens handelt es sich auch gar nicht blos um einen Staatenkampf, wie die mit der Politik verquickenden und den Krieg durch einen definitiven jüngsten Besizstand beseitigen wollenden Schriftsteller meinen, sondern in noch weit mächtigerer und unvermeidbarerer Weise - um einen Cultur- und Rassenkampf, an dem ein Aufhören der Staaten verschiedenheit nichts ändern würde.

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