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Weitere Beleuchtung der Ewigen Friedens - Idee.

Literatur: Die zum vor. Paragr., auch die zu §48 Angef. Ferner De Maistre, Considérations sur la France u. Soirées de St. Petersbourg. Proudhon, Gumplowicz, Der Rassenkampf,

La guerre et la paix. Paris 1861.

1883.

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Die in Note 22 erwähnten Briefe des Grafen Moltke.

In dem Aufhören der Kriege kann in der That nicht das richtige Culturideal erkannt werden. Denn dies kann nichts sein, was der göttlichen Weltordnung widerspricht. Ist der Krieg göttlich, weil ein Weltgeses,1) so steht er auch mit dem richtigen Culturideal in Einklang und ist heilsam und gut.

Daraus folgt, daß die sehr weit verbreitete und vielfach für selbstverständlich richtig gehaltene Ansicht, daß der Krieg, wenn auch nothwendig und unabschaffbar, doch ein Uebel und culturfeindlich sei, falsch ist.2) Allerdings ist jene Ansicht wohl begreiflich, und die entgegengesette, hier aufgestellte kann auf den ersten Blick befremdlich, ja inhuman (und damit auch dem das neuere Völkerrecht beherrschenden Geiste widersprechend) erscheinen, denn es drängen sich, wie bereits bemerkt worden ist, dem beobachtenden Blicke zuerst und am eindringlichsten die offenbar zu Tage liegenden und für Jedermann erkennbaren entsezlichen Schatten- und Nachtseiten auf, die der Krieg unzweifelhaft hat. Diese sind Jedem ohne Weiteres fühlbar und präoccupiren deshalb leicht auch schärfere Geister.) Es ist aber eine oberflächliche Betrachtungsweise, hierbei, gleichsam im ersten Schrecken, stehen zu bleiben, und nur die unmittelbaren Eindrücke des Krieges, so packend sie auch sein mögen, ins Auge zu fassen. Denn sie vermögen nicht, die volle Bedeutung und die wahre sittliche Natur des Krieges erkennen zu lassen.4) Bei näherer Betrachtung ergiebt sich, daß über die augenblicklichen Kriegsleiden vieler Einzelner, so furchtbar sie auch zweifellos sind, die bleibenden Vortheile für die Gesammtheit unendlich vorwiegen. Der Nußen der Kriege für die Menschheit ist ein großer, ja, ein unentbehrlicher, der Krieg ist ein wahrer nothwendiger Culturträger,5) und die Folgen eines ewigen Friedensstandes würden für die Entwickelung des Menschengeschlechts viel übler sein als die Folgen der Kriege.

Das Alles ergiebt sich als einfache Consequenz, wenn die obige Auffassung, daß der Krieg von der göttlichen Weltordnung gewollt und ein Naturgesez sei, richtig ist. Es folgt aber auch aus der unvoreingenommenen Prüfung der Wirkungen des Krieges.

Der Krieg ist aber fest begründet in der Natur und der göttlichen Weltordnung so gut wie Schmerz und Krankheit und Leiden aller

Art, welche der ersten Betrachtung auch nur eine abschreckende schmerzensreiche Seite zeigen und doch das unvermeidliche Saatfeld volle Kraft, Gesundung, Entwickelung sind. Der Krieg ist wie jene nothwendiges Erziehungs- und ein unentbehrliches Zuchtmittel des Menjós ( geschlechtes, welches ohne dieses Mittel nicht zu seiner vollen E wickelung und zur Erreichung seiner Zwecke heranreifen könnte. Marty Tugenden der Menschen könnten sich, namentlich im vollsten und schörünt Umfange, ohne Kriege gar nicht entwickeln.") Der Ausbildung mand Laster und Nachtheile dagegen sehen allein der Krieg und die it dienenden Einrichtungen genügendes Hemmniß entgegen.) Wir mein in erster Beziehung Muth, Aufopferung, Gehorsam, Ehrgefühl, f Alles, was Männlichkeit ist; in lezterer Verweichlichung, Genußjust Versinken in Materialismus, Ueberschäßung der irdischen Güter, übe haupt wie gewisser innenstaatlicher Einrichtungen und Verhältnisse ins ! besondere, wie des Parlaments und Parteiwesens. Auch ist nicht Unrecht hervorgehoben worden, daß erst der Krieg dem Einzelnen d volle Zugehörigkeitsgefühl gegen den Staat giebt.

So zeigt uns auch, wie oben) bereits bemerkt worden ist, die gesammte Natur ein Bild des Kampfes. Krieg ist ihre Losung un zwar innerhalb der menschlichen Rassen nicht weniger als sonst in de Natur.) Krieglosigkeit ist deshalb nicht nur ein unmöglicher, sonder auch ein unnatürlicher und ungesunder Zustand. Darauf deutet aud das bereits erwähnte tief innewohnende Kampfesbedürfniß und die Kampi nothwendigkeit des Menschen, wie auch im Leben der Einzelnen kein neue Idee und keine Fortschrittsentwickelung ohne Kampf sich Bahn bricht

Völlig unentbehrlich ist der Krieg für die Culturentwickelung, 1* für die Verbreitung der Civilisation,11) die Nothwendigkeit der Coloni sation, 12) das ganze Leben der Menschheit, ja den Haushalt der Völker und für die historisch-politische Entwickelung, den Bildungs- und Um bildungsproceß der Staaten. 13) Auch in lezterer Beziehung würde es eine ganz oberflächliche Betrachtungsweise sein, aus den auf den erster Blick hervortretenden Verwirrungen, Schrecken, Nöthen, Vernichtungen das Urtheil über das Ganze herzunehmen und über den die Einzelnen treffenden Leiden die Wohlthat für die Gesammtentwickelung zu über sehen. 14) Denn der Krieg ist es, der zum guten Theil den Culturfort schritt erst ermöglicht und bewirkt hat. Er ist nicht mit Unrecht das urwüchsige, treibende, gesellschaftbildende Element, das eigentlich treibende Princip, die bewegende Kraft der Geschichte genannt worden, und ohne ihn wäre die weitere Entwickelung der Menschheit wenn nicht ausge schlossen, 15) so doch mehr oder weniger gehemmt. Diejenigen Völker aber, welche die wenigsten Kriege aufzuweisen haben, stehen deshalb aud am weitesten in der Cultur überhaupt oder der Entwickelung gewisser Seiten derselben zurück.16) Nord-Amerika ist ein Beispiel dafür, welche Nachtheile aus langem Frieden und dem blos dem friedlichen Geschäft und Gewinn gewidmeten Leben erwachsen. 17)

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Insbesondere muß wiederholt hervorgehoben werden, daß die von vielen Seiten fast wie ein Dogma betrachtete Lehre, der Krieg sei für alle Seiten der Cultur, für Wissenschaft, Kunst, Handel, Gewerbe und Industrie ein Uebel und wenn auch nur vorübergehendes Hemmniß, und es bestehe ein Widerspruch zwischen Krieg und Kunst und Wissenschaft und Cultur überhaupt, nicht nur nicht richtig, sondern daß gerade das Gegentheil dieser Behauptung die Wahrheit ist.18) Umgekehrt, alle diese, Künste und Wissenschaften, Handel und Gewerbe, verdanken ihre Entwickelung und Ausbildung zum guten Theile dem Kriege. Sie und folglich die Gesammtcultur der Menschheit würden ohne den Krieg nur unvollkommen entwickelt und von geringerer Leistung und Leistungsfähigkeit sein. Der Krieg ist ihnen also nicht nur nicht hinderlich, sondern im Gegentheil fördernd.

Die Wissenschaft erhält in fast allen ihren Zweigen Förderung vom Kriege und stände ohne den Krieg nicht auf der Höhe, die sie jezt einnimmt, indem zu gewissen Fortschritten ihr allein der Krieg verholfen

Seit Alexander's Kriegen und Archimedes' Kriegsapparaten hat der Krieg allen Gebieten der Technik, hat er der Nautik, der Medicin und anderen Wissenschaften Förderung und vielseitige Ausbildung gebracht, die sie sonst nicht erhalten hätten. Ohne ihn wären wir im Reich der Erfindungen und Entdeckungen nicht so weit fortgeschritten als es ge schehen. Daran wird auch an dem theilweise richtigen Kern, der in dem bekannten „inter arma Musae silent" steckt, nichts geändert.

In womöglich noch höherem Grade hat dieser wohlthätige und hochwichtige Einfluß des Krieges sich auf die Kunst in allen ihren Gebieten geltend gemacht.19) Der Poesie, der Malerei, der Bildhauer- und Baukunst würden manche ihrer schönsten Leistungen gar nicht möglich gewesen, sie alle würden vielmehr auf einen weit engeren Kreis beschränkt, zur Einseitigkeit verdammt und in ihrer vollen Entwickelung zurückgehalten sein, wenn es keinen Krieg gäbe. Dies ist so augenfällig und unbestreitbar, daß die ebenso allgemeine wie sichere Aufstellung der entgegengesezten Ansicht schwer zu begreifen ist. Nicht nur, daß von den ältesten Ueberlieferungen bis auf den heutigen Tag der Krieg Anregungen, Motive und Leistungen hervorgebracht hat, die zu den glänzendsten der Dichtkunst, der Malerei, der Plastik aller Völker gehören und die ohne den Krieg nicht vorhanden sein würden; sondern es sind auch die Kriege gewesen, die den künstlerischen, ja überhaupt geistigen Aufschwung ganzer Epochen bezeichnen.20) Ohne den Krieg würden also wichtige Culturseiten unentwickelt geblieben sein, und erst der Krieg macht die für die Cultur nöthige Befruchtung vollständig.

Nicht anders steht es mit dem Verhältniß des Krieges zu den Gewerben, der Industrie und dem Handel.21) Denn der Krieg eröffnet den ersteren vielfach erst den Absatz oder vergrößert ihn doch. Er schafft ganze Gewerbs- und Industriezweige, die ohne ihn wieder nicht existiren würden, und befördert und vervollkommnet Gewerbe und In

dustrie auch für friedliche Zwecke (z. B. die Eisenindustrie durch Ansprüche, die kriegerische Eventualitäten an sie machen). Die dehnung des Handels aber hat von den Zeiten Tyrus' und Carthag an bis wiederum auf den heutigen Tag den Krieg zur Voraussetzung, d die neuen Absatzgebiete erst erschließt. Demnach ist auch in nations ökonomischer und internationalökonomischer Beziehung der Krieg von i wohlthätiger Bedeutung.

Deshalb ergiebt eine nähere, nicht am ersten Eindruck hoz bleibende Betrachtung, daß das Aufhören der Kriege nicht wünschen werth sein und nicht im Interesse der wahren Humanität und der Förder der Menschheit und Menschheitszweck liegen würde. Deshalb ist and die Ablehnung des Ewigen Friedens - Gedankens nichts weniger als u human und dem menschlicheren Geiste des modernen Völkerrechtes wide sprechend. Der Krieg ist deshalb auch nicht ein nothwendiges Uebe, und der ewige Friede nicht ein schöner Traum oder ein unerreichbare ; Ideal, wie mit Vorliebe von denjenigen behauptet wird, welche Unentbehrlichkeit des Krieges, aber nur ungern, zugeben. Denn jenen Behauptungen ist nur das nothwendig", der Traum“ und de ,,unerreichbar" richtig.22)

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Aus den bisherigen Ausführungen folgt von selbst, daß auch, we das ethische Moment anbetrifft, die ebenfalls vielfach und oft mit selbi gefälliger Sicherheit vorgetragene Ansicht, der Krieg verstoße gegen d Ethik, falsch sein muß. Der Krieg hat im Gegentheil die höchste ethisc und sittliche Bedeutung.23) Ganz besonders gilt das, die einzelne Kriege anlangend, von dem nöthigen, aufgedrungenen, zur Vertheidig! von Ehre und sonstigen Gütern erforderlichen Kriegen. 4) Hier ist de Krieg eine sittliche Pflicht, die erfüllt werden soll und die wede aus weichherziger falscher Sentimentalität. noch aus anderen, wirthschaft lichen oder sonstigen Gründen unerfüllt gelassen werden darf. Es it tein Ruhm unserer Zeit, daß in ihr das Gefühl für die sittliche Be deutung des Krieges vielfach abhanden gekommen ist.

Wie nun aber auch die Entscheidung über die Frage, ob das Auf hören der Kriege und das Eintreten eines ewigen Friedensstandes wünschenswerth oder nicht wünschenswerth sei, ausfallen möge, an der Thatsache der Unmöglichkeit des Eintretens eines solchen Zustandes kann es nichts ändern. Woran aber am wenigsten gedacht werden kan i und gedacht wird,25) das ist das Aufhören der Kriege in unserer oder auch nur in einer absehbaren Zeit. Die ganze Frage ist deshalb ohne praktische Bedeutung, die auf die Herbeiführung des unerreichbaren Ziele gerichtete Arbeit vergeblich. 26)

Eine praktische und lohnende Arbeit ist die das erreichbare Ziel a strebende, die Kriege seltener, kürzer und ihre Führung menschlicher zu machen 27) Alles, was diesem erstreb- und erreichbaren Ziele dient, hat auf Anerkennung und Unterstüßung Anspruch zu machen.

Dabei ist ein Widerspruch, wie man ihn zu finden geglaubt hat.

schen der in diesem Paragraphen behaupteten Nothwendigkeit und lsamkeit des Krieges einerseits und dem Wunsche seiner Beschränkung o Abkürzung andererseits, ist das Fehlen eines Mittelgliedes 28) nicht -handen. Denn man kann sehr wohl gewisse mit augenblicklich fühl. em Uebel verbundene Erscheinungen, wie Schmerz und Krankheit o Zucht, im Leben der Menschen für unentbehrlich, heilsam und damit nschenswerth im Allgemeinen halten und dennoch wünschen und sich nühen, daß sie nicht zu häufig und nicht zu streng eintreten und thig werden. Es ist nichts weniger als eine Widerspruch, überzeugt sein, daß solche Erscheinungen nicht ganz fehlen können und dürfen, gleich aber dahin zu streben, daß sie nicht mehr als nöthig, nicht unthig oft und unnöthig anhaltend und schmerzlich eintreten.

1) Go De Maistre, Considérations s. 1. France, ch. 3, Soirées de Petersbourg 7.

2) S. die folgenden Noten, namentlich 22; Lasson, Razenhofer u. A. 3) Vgl. Lasson S. 4.

4) Blume, Strategie S. 8.

5) S. namentlich die mehr erwähnte Lasson'sche Schrift. Mit besonderer ntschiedenheit vertritt Raßenhofer a. a. D. S. 17, 20 ff. und sonst die wohl. ätige Wirksamkeit des Krieges. S. auch Calvo u. A., Cousin, Cours de histoire de la philosophie, 9ième leç., Kant in der Kritik der Urtheilskraft lote 2 zum vor. Paragraphen).

6) Sehr vielfach anerkannt; s. schon Rühle von Lilienstern, Lasson . 17, 18, 26, (Kießling) Ewiger Krieg, S. 146, 147, Lueder, Recht und renze, S. 14, Frary S. 28, Calvo § 1596, Portalis, Séances et traaux de l'académie des sciences morales et politiques, t. XXXVIII. p. 45. 3 wird auch von principiell anders Stehenden (Note 22) anerkannt, z. B. von luntschli, Rectoratsrede, S. 16 unten. Vgl. auch Trendelenburg, Lücken, 5. 23, 24, Knies, Das moderne Kriegswesen, S. 12, Ortolan u. A. Man at deshalb auch das Gegensäßliche zwischen Krieg und Frieden in Abrede gestellt nd den Krieg als eine potenzirte Entwickelung der Tugenden und der Erfolge es Friedens aufgefaßt, (Kießling) Ew. Kr., S. 35, 36 u. sonst.

7) Vgl. auch zu dieser wie zur vor. Note Kant, Kritik der Urtheilskraft, § 28. Som Dynamisch Erhabenen in der Natur (Hartenstein, Bd. 5 S. 270, 271). Ranche der Einrichtungen, z. B. die allgemeine Wehrpflicht (vgl. Lasson S. 21) nd von größter Bedeutung; ohne den Krieg müßten wir aber auch ihrer ent. ehren. Andere Argumente, die man noch zu Gunsten des Krieges angeführt hat, B. daß ohne ihn eine zu große Menschenvermehrung stattfinden würde (Frary, Die Nationalgefahr, S. 29) mögen dagegen von zweifelhaftem Werthe sein. 8) § 54.

Vgl. Gumplowicz, Der Rassenkampf, S. 218, wo die menschliche Natur ahin charakterisirt wird, daß der Rassenkampf das eigentlich treibende Princip er Geschichte genannt wird. Vgl. dazu Ranke, Weltgeschichte S. VIII. und die leich weiter unten (in Note 22) zu erwähnenden Briefe Moltke's.

10) S. Note 5; vgl. Blume S. 6, (Kießling) Ew. Kr., S. 115 u. sonst, Gumplowicz a. a. D. Selbstverständlich ist, daß wenn im Texte der Krieg als nothwendiger Culturträger bezeichnet ist, damit nicht von jedem einzelnen

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