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Fünfundzwanzigstes Stü cf.

Die Staatsstreitigkeiten

und ihre Entscheidung ohne Krieg.

Von

Geh. Rath Professor Dr. A. von Bulmerincq in Heidelberg.

Erstes Kapitel.

Entstehung und Ursachen von Staatsßtreitigkeiten.

§ 1.

Politische und rechtliche Staatsstreitigkeiten.

Die Entstehung und Ursachen der Staatsstreitigkeiten können nur verbunden mit einander behandelt werden, da sie logisch zu einander gehören.

Die Staatsstreitigkeiten sind sehr verschiedene, eine Classificirung ist aber nur im Großen und Ganzen möglich.

So wie zwei Hauptprincipien die auswärtigen Beziehungen der Culturstaaten bestimmen und beherrschen: das politische und das internationale Rechtsprincip, so kann auch eine Staatsstreitigkeit oder eine solche der Staaten unter einander entweder aus politischen oder Rechtsverhältnissen entstehen und können auch die Ursachen derselben entweder politische oder rechtliche sein. In ein System des Rechts wie das Völkerrecht gehören indeß nur die rechtlichen Verhältnisse und kann auch in diesen nur das Rechtsprincip die Herrschaft beanspruchen, während die auswärtigen politischen Staatenverhältnisse in das System der äußeren Politik hineingehören, für welches ein oder mehrere politische Principien maßgebend sein können. Bei Staatenstreitigkeiten läßt sich aber diese Grenze nicht immer einhalten, indem ein Streit nicht immer aus Rechtsverhältnissen und auch nicht immer aus rechtlichen Ursachen entsteht, sondern auch aus politischen Verhältnissen oder Gründen. Wohl aber kann ein so entstandener und verursachter politischer Staatenstreit durch im Völkerrecht vorgesehene Rechtsmittel beigelegt oder geschlichtet werden und streift eins der Mittel: die guten Dienste an das Politische. Außerdem haben die der Anwendung eines Rechtsmittels vorhergehenden Verhandlungen vielfach einen politischen Charakter und werden nicht blos im politischen Sinn, sondern auch aus politischem Interesse unternommen und geführt.

Auch die Verhandlungen auf Congressen haben keineswegs vorwiegend Rechtsstreitigkeiten der Staaten unter einander zum Gegenstande, sondern weit mehr politische Verhältnisse und ebenso keineswegs blos äußere Verhältnisse der Staaten, sondern auch innere eines einzelnen Staates. Das erweisen z. B. die Interventionscongresse von Troppau (1820), Laibach (1821) und Verona (1822). Nur auf dem ersten derselben wurde noch das Princip der bewaffneten Intervention „zu Gunsten der Verträge von 1815" proclamirt, somit dasselbe zu Acten des internationalen Rechts in Beziehung gebracht, während der Congreß von Laibach schon als Recht und Pflicht der drei Mächte (Preußens, Desterreichs und Rußlands) verkündet: Maßregeln gegen den Fortschritt der Revolution zu ergreifen, also gegen Störungen des inneren Staatslebens. Auch hat sowohl dieser Congreß als der zu Verona (1822) bestimmte Staaten zur Unterdrückung von Revolutionen beauftragt resp. in Neapel und Piemont und in Spanien. Gegen solche Interventionen protestirten aber nicht nur zwei andere Großmächte: Großbritannien und Frankreich, sondern ist überhaupt die gewaltsame Intervention in die inneren Angelegenheiten dritter Staaten, es sei denn, daß die Intervenienten von der Staatsgewalt dazu aufgefordert oder vertragsmäßig dazu berechtigt seien, als ein völkerrechtliches Institut nicht anzuerkennen. Selbst eine gütliche Intervention kann nur auf Aufforderung der bezüglichen Staatsgewalt geschehen. Sie ist sonst eine unbefugte Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines dritten Staates.

Obgleich nun in den äußeren Beziehungen der Staaten überhaupt, und zwar sowohl in den politischen wie rechtlichen, Staaten die streitenden Theile sind, so sind es doch keineswegs stets Interessen und Rechte der Staaten, welche Anlaß zu Staatsstreitigkeiten geben, sondern noch häu figer und vielleicht am häufigsten Streitigkeiten der einzelnen Angehörigen verschiedener Staaten, aber auch Ansprüche eines Einzelnen an einen fremden Staat, welche sein Staat zu vertreten übernimmt, falls der Einzelne ohne diese Vermittlung nicht zur Anerkennung oder Gewährung seines Rechtsanspruches gelangen kann.

Die Rechtsstreitigkeiten der Staaten können sich aber entweder auf die Grundrechte der Staaten beziehen, d. h. auf die Rechte auf Existenz und Erhaltung derselben, auf Unabhängigkeit oder Souveränetät, auf Gleichheit, auf gegenseitige Achtung und auf Ver kehr (s. Bulmerincq, Handbuch des Völkerrechts 1884 § 22-26), oder auf sonst im Völkerrechte begründete Rechte und auf aus den Verträgen derselben entstehende oder auf durch Herkommen oder durch comitas gentium begründete Rechte. Zur internationalen Vertretung der Rechte einzelner Staatsangehöriger gelangen aber entweder die dem Einzelnen im Völkerrecht eingeräumten Rechte oder einzelne Rechtsforderungen aus dem Gebiete des Privatverkehrs oder Fälle der dem Einzelnen versagten oder nicht gehörig gewährten Justiz.

§ 2.

Anwendung von Rechtsmitteln oder Abgabe
einer Erklärung.

Lassen sich auch im Einzelnen die Entstehung und Ursachen der Staatsstreitigkeiten nicht weiter classificiren und in verschiedene Kategorien bringen, so ist doch praktisch in jedem einzelnen Fall zunächst Entstehung und Ursache festzustellen und zu prüfen, und hängt von der richtigen Feststellung und Prüfung wesentlich nicht blos ab: welches Rechtsmittel, sondern auch namentlich: ob ein gütliches oder ge. waltsames Mittel anzuwenden sei. Der allgemein ausgesprochene und auch berechtigte Wunsch, daß stets ersteres anstatt des letteren angewendet werde, läßt sich nicht erfüllen. Denn bei der Verlegung manchen Grundrechts der Staaten, wie z. B. des Rechts auf Achtung, wird wohl die Anwendung des äußersten gewaltsamen Mittels nicht immer vermieden werden können. Es wird dabei wesentlich darauf ankommen: ob diese Verlegung von einem Staat oder dessen Ver= treter ausgegangen ist oder nur von einem Glied oder Theil der Bevölkerung desselben. Hat der bezügliche Staat im lezteren Fall dagegen reagirt oder ist er die Verlegung wieder gut zu machen bemüht gewesen, so liegt für den verlegten Staat überhaupt weiter kein Grund zu einer Beschwerde, oder, falls diese nicht genügend beachtet wurde, zu einem gewaltsamen Verfahren vor. Wir haben ja auch aus neuester Zeit Beispiele dieser verschiedenen Kategorien. Es braucht nur erinnert zu werden an das achtungswidrige Verhalten des Gesandten Frankreichs: Benedetti gegen den König Wilhelm von Preußen, welches nur durch einen Krieg gefühnt werden konnte. Während andererseits das ungeziemende Betragen eines Pariser Volkshaufens gegen den König von Spanien, Alfons, und das eines Spanischen Volkshaufens in Veranlassung der Carolinenfrage gegen das Deutsche Gesandtschaftshotel in Madrid zu einem Kriege um so weniger Anlaß geben konnten, als resp. seitens der Französischen und Spanischen Regierung entschuldigende Erklärungen gegenüber Spanien und resp. dem Deutschen Reich stattfanden.

Ob solche Erklärungen genügende gewesen, unterliegt nur der Beurtheilung der mißachteten Regierung, ohne daß ein Maß für jene festgestellt werden könnte. Vielmehr wird eine Mehr- oder Minderforderung von Genugthuung wesentlich von dem sonstigen zwischen den Staaten bestehenden Verhältnisse, einem freundschaftlichen oder gereizten, abhängen, da im ersteren Fall geringere, im leßteren weitergehende Erklärungen oder Genugthuungen werden verlangt werden. Auch wird das Verhalten dritter Staaten wesentlichen Einfluß üben, je nachdem diese eine freundschaftliche Erledigung oder eine Steigerung des Mißverhältnisses in ihrem Interesse finden. Bei ungenügenden Erklärungen wird ebenso wie

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