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Stellung Belgiens znr Brüsseler Declaration und der als Fortseßung erwar teten, aber bekanntlich nicht zu Stande gekommenen Petersburger Conferenz. Monteil, Le Congrès de Bruxelles. Paris 1876.

Holland, A

lecture on the Brussels conferences of 1874 and other diplomatic attempts to mitigate the rigour of war. Oxford and London 1876.

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Ferner s. weiter unten im Folgenden, wo bei den einzelnen Lehren des Kriegsrechts auf die Bestimmungen der Brüsseler Declaration eingegangen wird, und ebenso in den Lehr- und Handbüchern des Völkerrechts, welche ebenfalls bei den einzelnen Lehren die Brüsseler Declaration mehr oder weniger ausführlich berücksichtigen. Lentner hat sein Recht im Kriege" 1880 ganz dargestellt auf Grund der Brüsseler Declaration vom 27. August 1874 über die Kriegssaßungen und Kriegsgebräuche". S. auch v. Bulmerincq in Schmoller's Jahrb. f. Geseßg. 2c., 2. Jahrg. 1878, S. 17 ff.

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Unter der Brüsseler Declaration ist das Ergebniß der Berathungen zu verstehen, welche von den 1874 in Brüssel versammelt gewesenen amtlichen Vertretern einer großen Anzahl Europäischer Mächte über die Codificirung des Kriegsrechts gepflogen worden sind. Diese Berathungen haben auf Veranlassung der Russischen Regierung, und zwar, wie wohl als feststehend angenommen werden darf, in Folge persönlicher Anregung1) des wohlwollenden Alexander II. stattgefunden. Die übrigen Regierungen wurden zu einer Berathung nicht blos, wie es erst schien, 2) über das Kriegsgefangenenrecht, sondern des gesammten Landkriegsrechts eingeladen unter Vorlegung eines Russischerseits ausgearbeiteten Projet d'une convention internationale concernant les lois et coutumes de la guerre."3) Die folgenden Mächte: Deutschland, DesterreichUngarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Griechenland, Eng. land, Italien, die Niederlande, Portugal, Schweden und Norwegen, die Schweiz und die Türkei) nahmen die Einladung an und waren nebst Rußland auf dem vom 27. Juli bis 27. August 1874 in Brüssel tagenden Congreffe durch eine Reihe hervorragender Militärs, Rechtsgelehrter und Diplomaten vertreten.5)

Das Russische Project zerfiel außer in eine kurze Einleitung (Principes généraux in 5 Paragraphen) in die folgenden 4 Hauptabschnitte (Sections) und Capitel (die lehteren wieder in 77 Paragraphen): Section I. Des droits des parties belligérantes l'une à l'égard de l'autre.

Chapitre I. De l'autorité militaire sur le territoire de l'état

ennemi.

Chapitre II. Qui doit être reconnu comme partie belligérante; des combattants et des non-combattants.

Chapitre III. Des moyens de nuire à l'ennemi, de ceux qui sont permis ou qui doivent être interdits.

Chapitre IV. Des sièges et des bombardements.

Chapitre V. Des espions.

Chapitre VI. Des prisonniers de guerre.

Chapitre VII. Des non-combattants et des blessés.

Section II. Des droits des parties belligérantes par rapport aux personnes privées.

Chapitre I.

Du pouvoir militaire à l'égard des personnes privées.

Chapitre II. Des réquisitions et des contributions.

Section III. Des rélations entre les belligérants.

Chapitre I. Des modes de communication et des parlementaires.
Chapitre II. Des capitulations.

Chapitre III. De l'armistice.

Section IV. Des représailles.

Wie sich schon aus dieser Inhaltsangabe ergiebt, wird das Kriegs. recht, auch nur das eigentliche Kriegsrecht (im Gegensatz zum Recht der Neutralen) durch das Russische Project nicht vollständig in allen seinen Theilen erschöpft. Abgesehen davon, daß aus Rücksicht auf England das Seekriegsrecht ganz bei Seite gelassen) und daß die Genfer Con vention nicht mit in das Project hineingearbeitet ist,) fehlen z. B. Be stimmungen über die Kriegserklärung, über das Vertragsrecht während des Krieges, den Friedensschluß und andere Puncte mehr.) Auch sonst war der Russische Entwurf nicht frei von Mängeln in verschie denen Beziehungen und hat hinsichtlich des Inhalts, des Ausdrucks und der systematischen Anordnung manchen berechtigten Tadel gefunden.”) Im Großen und Ganzen war der Russische Entwurf aber ein auf der Höhe der Lage stehendes, wohldurchdachtes, zur Grundlage für eine ab zuschließende internationale Vereinigung sehr geeignetes Werk.10) Das selbe hat namentlich die beiden Klippen, die solchen Versuchen leicht ge fährlich werden, glücklich vermieden, einmal nämlich ein zu subjectives Schaffen eines neuen, das geschichtlich gewordene und bereits anerkannte nicht hinlänglich beachtenden Rechts, sodann die Aufstellung hyper humaner, die Anforderungen des Krieges zu wenig beachtender Ideen.") Es zeichnet vielmehr das Russische Project u. A. sich positiv dadurch aus, daß es ganz auf dem Boden des bisherigen Kriegsrechts, wie es sich allmählich entwickelt hat, steht, also kein neues Recht machen, er finden will, und daß es im Allgemeinen übertrieben humane und damit unpraktische Vorschläge vermieden hat12) und also auf der Basis des oben entwickelten richtigen Prinzips steht.

Der von der Russischen Regierung vorgelegte Entwurf wurde nun in Brüssel einer Commission unterbreitet, in welche je ein Abgesandter der vertretenen Staaten gewählt wurde, es konnten jedoch den Be rathungen der Commission alle Abgeordnete anwohnen. 13) Diese Com. mission, welche die Russischen Vorlage in zwei Lesungen durchberieth, legte dem Plenum eine in 13 Abschnitte und 56 Artikel zerfallende Umarbei tung als „Projet d'une déclaration internationale concernant les lois

et coutumes de la guerre" 14) vor. Die 13 Abschnitte entsprachen im Wesentlichen den 13 Capiteln des Russischen Entwurfes, nur daß an Stelle des legten Capitels „des représailles" ein Abschnitt ge treten war, welcher von den internirten Soldaten und von den bei den Neutralen verpflegten Verwundeten handelt. In diesem Abschnitte heißt es (Art. 56) bezüglich der Genfer Convention: La Convention de Genève s'applique aux malades et aux blessés internés sur territoire neutre." Im Uebrigen wird hinsichtlich der malades et blessés in der Declaration lediglich auf die Genfer Convention verwiesen, 15) während das Russische Project in 7 Paragraphen 16) über die non-combattants und die blessés handelte und von anderen Seiten, Belgien, dem Deutschen Bevollmächtigten v. Voigts. Rhez und einer Subcommission, ebenfalls eingehende Vorschläge bezüglich der Bestimmungen der Genfer Convention gemacht wurden.17) Jedenfalls hätte, wenn das Gebiet der Genfer Convention überhaupt berührt werden sollte, das Ganze revidirt und in den Vertrag hineingearbeitet werden müssen; ein theilweises Aendern wäre das Unglücklichste gewesen. 18) Sollte nicht eine vollständige Revision erfolgen, so war das blose Verweisen auf die Genfer Convention immer noch vorzuziehen. Die 5 Einleitungsparagraphen sind nicht mit aufgenommen. 19) Innerlich ist der Russische Entwurf durch die Umarbeitung der Commission vielfach geändert, zum Theil, aber nicht immer verbessert worden.20)

Die Arbeit der Commission ist schließlich im Wesentlichen vom Plenum, auch in der äußeren Gestaltung angenommen 21) und den Einzel. regierungen als das Ergebniß der Conferenz vorgelegt worden. Zu einem weiteren internationalen Erfolge ist es bis jezt nicht gekommen, 22) so daß auch nur eine eigentliche Declaration nicht vorliegt, sondern nur der Entwurf einer solchen und nichts weniger als ein abgeschlossener Völkervertrag.

Allein auch der blose Entwurf hat sowohl nach seiner inneren Bedeutung als auch wegen des sehr sachverständigen, vielseitigen und bejonnenen Charakters der Brüsseler Berathungen eine hohe Bedeutung für die Erkenntniß des jezt bestehenden Kriegsrechts, wie für die auf dasselbe bezüglichen Fragen de lege ferenda und wird über kurz oder lang jeine Früchte tragen; 23) abgesehen davon, daß er und der von Rußland gegebene Anstoß zu seiner Errichtung jedenfalls schon deshalb will. kommen zu heißen ist, weil er thatsächlich einen neuen Schritt auf der Bahn der Codificationsbestrebungen darstellt oder doch mindestens zur Klärung der Codificationsfrage beiträgt.

Gewisse Vorwürfe aber, welche man der Brüsseler Declaration gemacht hat, wie namentlich der, daß sie nur im Interesse des Eroberers ausgearbeitet sei,24) sind vollständig unbegründet, mit völligem Unrechte erhoben und dürfen heutzutage wohl als widerlegt und beseitigt betrachtet werden. Das Nähere wird sich aus den Einzelheiten des folgenden Stücks ergeben, auch bezüglich der in den Actes niedergelegten Protokolle, welche eine reiche Fundgrube von Anregungen und Belehrungen

für das Studium des Kriegsrechts bilden. 25) Die Conferenz war deshalb wohlberechtigt, in ihrem Schlußprotokolle26) den Ausspruch zu thun: „La Conférence exprime en terminant la conviction, que ses débats auront en tous cas appellé la lumière sur ces importantes questions dont le règlement, s'il résultait d'une entente générale, serait un progrès réel pour l'humanité."

1) Revue de droit intern. a. a. D. p. 87, 92; Lueder, Genfer Conv., S. 238. Vgl. v. Bulmerincq a. a. D. S. 17.

2) Lueder, Der neueste Codificationsversuch auf dem Gebiete des Völkerrechts. Kritische Bemerkungen zu den Russischen Vorschlägen für den auf den 27. Juli 1874 nach Brüssel einberufenen internationalen Congreß, Erlangen 1874, S. 8; Derselbe, Genfer Conv., S. 238 ff. Vgl. Revue p. 87, Laveleye a. a. D. p. 134.

3) Actes p. 2 ff.

4) Ueber die (nicht auf sachlicher Abgeneigtheit beruhenden) Gründe des Fehlens Amerikas s. Papers relating to the foreign relations of the United States, transmitted to Congress with the annual Message of the President, Dec., Washington 1874, und Revue p. 88, 89. S. aber auch Laveleye p. 135, und Lucas i. d. Rapport in Académie des sciences morales et politiques, Novembre 1874.

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5) Von den ersteren nahm der Deutsche General von Voigts Rheß eine besonders bedeutsame und einflußreiche Stellung auf der Conferenz ein. Unter den vier Juristen befanden sich die Völkerrechtslehrer und Mitglieder des Völker rechtsinstituts Bluntschli und Martens. Diese Betheiligung des rechtswissen. schaftlichen Elements war sehr angezeigt und kam den Brüsseler Berathungen im Gegensatz zu den früheren Genfern u. s. w., auf denen dieses Element fehlte, sehr zu Statten. S. oben § 71 Note 2 und die dort angef. Stellen bei Lueder, Bluntschli, Bulmerincq, Schmidt-Ernsthausen und in der Revue; ferner § 75 N. 12, § 76 S. 302, § 77 S. 306, § 87 N. 13. Ein Verhältniß zwischen der Zahl der die einzelnen Staaten vertretenden Personen und der Größe und Bedeutung ihrer Staaten fand auch auf dieser Versammlung nicht statt; vgl. Rolin - Jaequemyns in der Revue p. 90.

) Lueder, Neuester Codificationsversuch, S. 17.
7) Ebendaselbst S. 36, und Genfer Conv., S. 244.

9) Daselbst S. 17. Vgl. auch Lucas und Laveleye, die u. A. die Nichtbeachtung der 1856er Pariser voeux, sowie gewisser nachher im Deutsch-Französischen Kriege praktisch gewordener Puncte tadeln.

9) Revue p. 94; Lueder, Neuester Codific. Vers., S. 23 unten ff. Gleich nach dem Bekanntwerden des Russischen Entwurfs und noch vor dem Zusammentritt der Brüsseler Conferenz erschienen zwei Kritiken des Projects: Lucas, La Conférence internationale de Bruxelles sur les lois et coutumes de la guerre, Paris 1874, 3ième tirage, und der bereits mehrfach angeführte Codific.-Versuch :c. von Lueder. Die beiden Kritiken stehen auf entgegengeseztem Standpuncte. Lucas vermißt durchaus eine genügende „civilisation de la guerre" und nimmt deshalb eine grundsäßlich ablehnende Stellung ein, wenn er den Russischen Entwurf auch gegen übertriebenen Tadel in Schuß nimmt, die durch denselben gegebene Initative lobend anerkennt und das Project als Früchte versprechenden Anstoß betrachtet. Lucas behauptet p. VII. und sonst, daß die „deux idées de l'arbitrage et de

la légitime défense constituent les deux principes fondamentaux de la civilisation de la guerre“. Da das Project sich hierauf nicht einläßt, ist er principieller Gegner und leugnet (p. 3) namentlich ausdrücklich, daß der Russische Vorschlag ein „véritable programme de la civilisation de la guerre" sei. Lueder tritt umgekehrt principiell für den Entwurf ein und rühmt an ihm gerade, daß das fehlt, was Lucas vermißt (weitergehende Berücksichtigung humaner Anforde rungen u. s. w., s. im Text des Paragraphen), wie ja überhaupt die Verschiedenheit des principiellen Standpunctes in diesen Fragen nothwendig zu verschiedenen Beurtheilungen und dahin führen muß, daß von der einen Seite gerade das getadelt wird, was die andere lobt, und umgekehrt. In der vorliegenden Meinungs. verschiedenheit zwischen Lucas und Lueder hat Rolin - Jaequemyns in seiner Anzeige der beiden Kritiken (Revue VI. p. 710, 711) sich auf Seite Lueder's gestellt, ebenso bekanntlich die Brüsseler Conferenz selbst. Jedenfalls sind an der Lucas'schen kritischen Besprechung viele Wiederholungen und Weitschweifigkeiten troß des nur 36 S. großen Umfanges, ein unbegründetes Gewichtlegen auf blose Benennung und ein chauvinistischer, gegen die Wahrheit blind machender Preußen. haß nicht ernst genug zu tadeln. Lucas kommt dadurch zu ganz wunderlichen Aufstellungen, er, der Franzose, der, wenn er in der Neuzeit noch vorgekommene Barbareien anführen wollte, sich vor Allem der Kriegführung Napoleon's I. und des Zuges Napoleon's III. nach China hätte erinnern müssen. Vgl. Laveleye p. 155. 10) Revue p. 94, Lueder, Neuest. Codific. Versuch, S. 13, 47.

11) S. oben § 71 und Lueder, Neuest. Codific.-Versuch, S. 9 ff.; RolinJaeque myns in der Revue VI. p. 711.

12) Lueder ebendas.; Lucas' Wünsche führen natürlich zum Gegentheil.

13) Actes p. 6, 7. Die Mitglieder der Commission waren: v. Voigts. Rhez, v. Schönfeld, v. Lambermont, Brun, Servert, Arnaudeau, Horsford, Manos, Graf Lanza, v. Lansberge, v. Jomini, v. Leer, Staaff, Hammer, D'Antos, Palmeirim, Edhem - Bey, bezw. Cara. theodory Effendi.

14) Actes S. 69.

15) Art. 35: Les obligations des belligérants concernant le service des malades et des blessés sont régies par la Convention de Genève du 22 août 1864, sauf les modifications dont celle-ci pourra l'objet. Diese Zurückhaltung bezüglich der Genfer Convention entsprach den Wünschen des Genfer internationalen Comités und ist vielleicht auch durch die letteren mit herbeigeführt worden, Bulletin internat. 1874 p. 197, 1875 p. 9.

16) §§ 38-44.

17) Actes 64 ff. und Lueder, Genfer Conv., S. 248 ff. Die in der lezt genannten Schrift schon vor dem Bekanntwerden des Russischen Entwurfs, ja der Idee des Brüsseler Congresses concipirten Verbesserungsvorschläge stimmen mit den Vorschlägen des Russischen Entwurfs ganz wesentlich überein, noch mehr mit den Voigts - Rhez'schen Vorschlägen; vgl. Genfer Conv. S. 243, Note 10, u. S. 249, Note 29.

18) Lueder, Neuest. Codific.-Versuch, S. 23, u. Genf. Conv. S. unt. § 81 a. E. 19) Auf ihre Entbehrlichkeit war schon von der Lueder'schen Kritik hingewiesen worden (S. 15), während Lucas umgekehrt eine ausgedehntere Einfügung solcher allgemeinen Bestimmungen befürwortet hatte. Ebenso hat Laveleye sich später ausgesprochen. Gegen Lucas dagegen und mehr für die Lueder'sche Auffassung Rolin - Jaequemyns, Revue VII. p. 98.

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