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voriger Note erwähnten Expulsionen, als er schrieb, schon vorgekommen gewesen. wären, hätte er eine Einschränkung machen müssen. Da sie damals noch nicht vorlagen, ist seine uneingeschränkte Aeußerung durchaus begreiflich, wirft aber auf die Austreibung von 1870 ein desto böseres Licht. Wie dagegen Resch in seinem 1885 erschienenen Buche, S. 212 i. d. Note, gleichfalls schlechthin behaupten kann, solche Fremdenaustreibungen kämen heute nicht mehr vor, ist angesichts der 1870er Maßregel unerfindlich. Das Bleibendürfen sanctionirende Bestimmungen schlägt auch vor Domin.Petrusheve cz 110, ebenso Field 916.

16) Vgl. v. Holzendorff, Enc. II., erster Bd. S. 215.

17) So Rußland 1877 den Türkischen Unterthanen.

18) Vattel III., 63; Heffter a. a. D.; Guelle, Précis I. p. 56 in der Note. S. oben im Text dieses Paragraphen, v. Melle a. a. D.

19) Eine solche gegenseitige Verpflichtung, die Staatsangehörigen unbehelligt bei sich wohnen zu lassen, ist in neuerer Zeit oft eingegangen worden, s. darüber v. Melle in dies. Handb. III. S. 203.

20) So auch Heffter § 372, Calvo, Rolin - Jaequemyns i. d. Revue 1870, p. 673, der (mit Recht) darauf aufmerksam macht, daß die Berechtigung und Anerkennung der Austreibung implicite in mehrfach geschlossenen, eine Frist für die Entfernung festseßenden Verträgen enthalten sei.

21) Vgl. Rolin Jaequemyns a. a. D. p. 673 i. d. Note, und Guelle, Précis, p. 55, und Guerre cont. p. 38 N. 2.

22) Vgl. v. Melle a. a. D. S. 203.

3) Vgl. v. Melle i. dies. Handb. III. § 48 S. 203.

24) Die Maßregel ward in ihrem vollen Umfange erst am 18. August, also nach den ersten Französischen Niederlagen beschlossen. Später dann noch einmal eine etwas gerechtfertigtere Entscheidung des Gouverneurs von Paris vom 28. Aug., 5. Rolin-Jaequemyns p. 673, 674.

25) Vgl. Rolin - Jaequemyns a. a. D. p. 673.

26) Die Maßregel „a été condamnée par le monde entier“, sagt RolinJaequemyns a. a. D. p. 673. Wo sie nicht ausdrücklich verurtheilt, sondern mit Still. schweigen übergangen oder gar gerechtfertigt wird, (s. folg. Note) geschieht dies nicht anders als unter Verlegung der streng unparteiischen Beurtheilung. Es ist erklärlich, daß von den erwähnten wenigen Beispielen, die in der neuesten Zeit vorgekommen, die Französische als die in jeder Beziehung bedeutendste und wichtigste von der völkerrechtswissenschaftlichen Kritik ganz vorzugsweise, bezw. allein ins Auge gefaßt worden ist. Uebrigens hat es auch an scharfem Tadel der beiden anderen Ausweisungen nicht gefehlt.

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S. über diese Französische Austreibung, bezüglich welcher auf die Anführung Deutscher Schriftsteller wie Bluntschli, Jahrb., hier absichtlich verzichtet wird, vor Allen die über jede Anzweifelung erhabene Autorität Rolin Jaequemyns' an der eben bereits angef. Stelle der Revue de droit international 1870 p. 671 ff., dessen einen Jeden, der nicht unüberzeugt sein will, überzeugende Darstellung auch die Hergänge im Französischen Corps législatif giebt. Bezüglich der lezteren soll nicht unerwähnt bleiben, daß wenigstens einige ruhigem Urtheil und der Humanität Rechnung tragende Stimmen sich erhoben, namentlich die Pelletan's. S. ferner 3. B. Opzoomer, Die Bonapartes und das Recht Deutschlands auch nach Sedan. Eine Holländische Stimme über den Deutsch Französischen Krieg 1871, S. 91, 111. Nicht minder einstimmig wie über die Maßregel selbst wird über die völlige Schwäche nnd Haltlosigkeit der sie vertheidigenden Gründe und der theilweise sogar in Belobungen des Französischen Verfahrens überHandbuch des Völkerrechts IV.

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gehenden Rechtfertigungsversuche geurtheilt, wie sie sich bei Französischen Schrift› stellern, z. B. bei Guelle a. a. D. finden, s. z. B. von F. v. Martens § 109 Note 2. Hierbei sind noch zwei andere Behauptungen, welche gleichfalls bei Französischen Schriftstellern (f. z. B. Guelle a. a. D., von Morin'schen und der artigen Publicationen hier wie überall nicht zu reden) vorkommen, richtig zu stellen: 1. daß die Ausführung jener Expulsion aus Frankreich in schonender Weise geschehen sei, 2. daß von Deutscher Seite die in Deutschland lebenden Franzosen ebenfalls ausgewiesen seien! Beide Behauptungen sind, wie wiederum allgemein anerkannt ist, vollständig unwahr. Die Ausweisung aus Frankreich ist viel· mehr in schonungslosester Weise erfolgt (Rolin - Jaequemyns p. 673), so daß, wie gegen Guelle, Précis I. p. 59 u. G. cont. p. 40 bemerkt werden muß, die für die unglücklichen Ausgetriebenen später von Deutschland geforderte Entschädigungssumme nicht zu hoch gegriffen war, und in Deutschland ist an die Ergreifung derselben Maßregel, selbst als Repressalie, nicht einmal auch nur gedacht worden (Rolin Jaequemyns p. 671,674, Dpzoomer S.113). Wie sich aber endlich in ein hochangesehenes Werk der Völkerrechtsliteratur, nämlich in das Cal v o' s § 1712 (III. p. 79), die Bemerkung: „Rappelons que lors des guerres à 1870 la France n'a pas procédé par mesure générale d'expulsion des sujets ennemis“, also eine Ableugnung der weltbekannten und dementsprechend auch von den Französischen Schriftstellern zugegebenen Thatsache der Austreibung, hat verirren können, diesem Räthsel stehen wir fassungslos gegenüber. Denn auch bei einer Beschränkung der Maßregel auf die in Paris sich aufhaltenden Deutschen ist es bekannt. lich nicht geblieben, wenn auch ein späterer Erlaß, der des Gouverneurs von Paris, nur von einer Ausweisung aus Paris und dem Seine-Departement spricht. 28) 25. Stück. Vgl. oben § 57 Note 31.

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29) Entgegenstehende Aufstellungen sind deshalb fromme, in gewissen Grenzen billigenswerthe Wünsche (über die Grenze hinausgehend Utopien, wie der Glaube an den Eintritt des ewigen Friedens oder die Möglichkeit von in allen Fällen kriegsvermeidenden Schiedsgerichten), nicht aber Darstellungen des geltenden posi tiven Völkerrechts. Danach zu beurtheilen Bluntschli 521. Eben deshalb ist es auch ein Frankreich mit Unrecht gemachter Vorwurf, daß es durch Unterlassung eines gütlichen Ausgleichsversuches vor dem Beginn des 1879er Krieges das Völkerrecht verlegt habe; vgl. Trendelenburg, Lücken im Völkerrecht, S. 28. S. außerdem überhaupt Bluntschli 498, 520 f., Laveleye, Causes actuelles de guerre en Europe, p. 206, Féraud-Giraud i. d. Revue XVII, die Schieds. gerichtsliteratur und v. Bulmerincq in diesem Handbuche IV. 25. Stüd.

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Die unmittelbaren Wirkungen des Kriegsausbruches im Allgemeinen und der Einfluß der Kriegseröffnung auf die Gültigkeit der Verträge zwischen den kriegführenden Staaten im Besonderen.

Literatur: Vattel III. ch. 10, § 175.

Heffter § 99, 122 (auch 181).

Bluntschli Resch § 149.

Berner im Deutschen Staatswörterbuch VI. S. 107 ff.
461, 529, 538 (auch 718). — v. Neumann § 43.

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Als die unmittelbare Wirkung des Kriegsausbruches im Allgemeinen läßt sich das Aufhören des bis dahin bestehenden Friedensstandes wie der Geltung des Völkerrechtes im Friedensstande und der an Stelle des ersteren tretende Kriegszustand mit dem dem letteren derogirenden Kriegs. rechte und dessen Consequenzen bezeichnen.

Lezteres legt den in den Krieg verwickelten Staaten Nachtheile und Beschränkungen auf, welche sowohl den Staat selbst als auch seine einzelnen Unterthanen (als auch die hier nicht zu behandelnden Neutralen) betreffen, und giebt andererseits gewisse Rechte und Ansprüche, so daß durch den Kriegsausbruch namentlich nicht etwa ein alle Rechte aufhebender Naturzustand eintritt. Insbesondere treten auch diejenigen Rechte in Kraft, welche in Friedenszeiten für den Kriegsfall vertragsmäßig zugesichert sind.

Die Bedeutung beider, die Pflichten einer, der Rechte andererseits, hat sich im Allgemeinen bereits aus den oben über das Kriegsrecht überhaupt angestellten Betrachtungen ergeben; ihr Umfang im Einzelnen muß der folgenden Darstellung der einzelnen Lehren des Kriegsrechts vorbehalten bleiben.

Hier sind deshalb nur zwei Puncte zu berühren, die als unmittel bare Wirkungen der Kriegseröffnung erscheinen, einmal die Frage nach den Wirkungen des Kriegsausbruches für die Handelsbeziehungen zwischen den in Krieg gerathenen Ländern, sodann die nach der Wirkung für das unter eben diesen Staaten geltende Vertragsrecht.

Was zunächst das leztere betrifft, so hat man vielfach, und zwar hauptsächlich von Seiten der älteren Doctrin, der Auffassung gehuldigt, daß durch den Ausbruch des Krieges alles bis dahin zwischen den nun in Krieg gerathenen Staaten bestehende Vertragsrecht ohne Weiteres aufhöre und sämmtliche Verträge ihre Gültigkeit verlieren. 1) Man ist bei dieser Auffassung von der früheren Vorstellung eines rechtlosen Naturzustandes geleitet worden, der durch das in Friedenszeiten geltende Völkerrecht in einen Rechtszustand verwandelt sei, aber mit dem Aufhören des Friedens und dem Beginn des Krieges wieder eintrete, und hat sich dafür wenigstens für einen Theil der Verträge, namentlich auf das durch den Krieg herbeigeführte Aufhören der Willenseinheit und der Möglichkeit einer Verständigung nach gleichem freien Rechte berufen 2). Allein die ersterwähnte Vorstellung ist längst als Irrthum erkannt und aufgegeben worden; 3) und auch das Aufhören der Willenseinheit und die Unmöglichkeit einer Verständigung ist kein genügender Grund, denn es ist bezüglich des einzelnen Vertrages lediglich quaestio facti. Ist die Willenseinheit bezüglich gewisser Verträge vorhanden, so liegt kein Grund vor, der diese Verträge aufhöbe.

Auch werden nicht nur im Kriege, sondern auch für den Krieg Verträge geschlossen, wie z. B. über die den im feindlichen Lande befindlichen Unterthanen zu gewährende Abzugsfrist oder den ihrem im feindlichen Territorium befindlichen Eigenthum zu gewährenden Schuß, 4) über die Gestattung des Handels auch nach ausgebrochenem Kriege, über die Nichtbenugung gewisser Kriegsmittel, über die Schonung gewisser Anstalten im Kriege, über die einzelnen Orten oder Gegenden zu gewährende Neutralität u. s. w. Die Rechtsbeständigkeit dieser Verträge nach dem Kriegsausbruch ist außer allem Zweifel und wird allgemein anerkannt. 5) Es ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb nicht ebenso gut wie diese auch andere schon vorher geschlossene und in Kraft getretene Verträge in Gültigkeit bleiben sollen. Zwischen beiden Kategorien zu unterscheiden, würde vielmehr ein nicht gerechtfertigter Widerspruch sein. 6) Es gilt überhaupt auch im Kriege der Sat: fides etiam hosti servanda; und die Rechtsordnung wird auch im Kriege nicht aufgehoben. 7) Unsere Zeit und das moderne Völkerrecht erfreuen sich vielmehr des großen Culturfortschritts, daß auch im Kriege noch Recht und Rechtsordnung gelten.

Es läßt sich deshalb das Aufhören des Vertragsrechts und die Hinfälligkeit der bestehenden Verträge principiell nicht behaupten.)

Gewisse Verträge werden allerdings ihrer Natur nach durch den Krieg aufgehoben, indem sie gerade den Frieden zur Voraussetzung haben: Freundschafts- und andere Bündnisse, wie überhaupt politische Verträge.9) Dies sind aber Ausnahmen, welche die Regel, daß alle anderen Verträge nicht eo ipso durch den Krieg aufgehoben werden, nicht erschüttern. Die nicht politischen, namentlich die den Privatinteressen dienenden, 10) bleiben bestehen, ebenso nach den Umständen Handels-, Schifffahrts, Post- und Auslieferungs-Verträge.

Dagegen werden von diesen rechtlich bestehenbleibenden Verträgen manche in ihrer Ausführung oder Wirksamkeit durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen oder suspendirt. Es wird ihre Aus führung dem Kriegführenden unmöglich gemacht, indem sie mit seinen Kriegszwecken nicht vereinbar sind, ihn selbst schwächen und den Gegner stärken würden. Wenn und so lange dies der Fall ist, braucht der Vertrag nicht ausgeführt zu werden, sondern wird vielmehr in seiner Wirksamkeit suspendirt. Denn die Erreichung des Kriegszweckes ist das oberste Gesetz, und es kann keinem kriegführenden Staate zugemuthet werden, seinem Gegner solche Leistungen zu gewähren, welche dem lezteren Vortheile oder Stärkungen zuführen und ihm selbst in seiner Kriegführung Nachtheile bereiten würden. Es gehören deshalb hierher zuvörderst alle Verträge, durch welche jene Stärkung oder diese Schwächung herbeigeführt würde, auch solche, für welche die Mittel, die nun sämmtlich für den Kriegsgebrauch nöthig werden, so lange der Krieg dauert, nicht mehr disponibel sind; 11) ferner solche, die ohne einen friedlichen 3. 3. thatsächlich nicht vorhandenen Verkehr nicht ausgeführt werden können 12) und solche, auf welche der Streit sich bezieht. 15)

Auch kann die Ratification oder Erfüllung solcher Verträge, die noch nicht ratificirt oder vollständig erfüllt sind, durch den Kriegsausbruch unterbrochen werden. 14)

Deshalb treten viele Verträge im Kriege außer Wirksamkeit. Die Anerkennung dieser Thatsache dürfte geeignet sein, die Meinungsver schiedenheit zu versöhnen, welche z. 3. zwischen der herrschenden Doctrin und der von der Praxis, so neuerdings in Noten des Deutschen Reichs. kanzlers Fürsten Bismarck festgehaltenen, bezw. als selbstverständlich be. trachteten Anschauung von dem Aufhören der Vertragsverbindlichkeit besteht. Andererseits wird die Thatsache mit dazu beigetragen haben, daß auch von Vertretern der Theorie das leßtere oder aber doch das Aufhören der Wirksamkeit aller Verträge nach dem Kriegsausbruch und ein dies sanctionirender Völkergebrauch 15) behauptet wird. Aber auch diese lettere Behauptung läßt sich nach dem Vorgetragenen nicht rechtfertigen. 16)

1) S. noch Vattel a. a. D.
2) Heffter § 122 S. 253.

3) Das auch von Heffter.

4) So der von Wheaton hervorgehobene 1794 zwischen England und den Vereinigten Staaten abgeschlossene Vertrag.

5) S. z. B. Vattel, Heffter, Bluntschli, v. Holzendorff, Enc. III. S. 1010, Calvo, Wheaton, v. Neumann, Grundriß, § 43 S. 104.

6) Vgl. Bluntschli 538 N. 2, der mit Recht fragt: „Weshalb sollen z. B. die vertragsmäßige Feststellung der Grenze, oder die Verträge über Unterhaltung der Flußufer, oder über die Freizügigkeit der Einwohner, über das Erbrecht und das Vormundschaftsrecht kraftlos werden, ungeachtet der Inhalt derselben nicht streitig geworden ist und dieselben troß des Krieges ausgeführt werden können?" 7) Vgl. Bluntschli 461 i. d. N., 529 N. 2.

*) So u. A. auch Bluntschli, v. Bulmerincq, Resch, Geffcen (implicite, Note 3 zu Heffter), Fiore, Domin Petrushevecz 108, Field, Outl. 905, A. M. Wheaton, Geßner a. a. D.

Calvo, Fiore a. a. D.

19 S. Note 6.

11) Vgl. Bluntschli 538 N. 3.

12) Ebendas. und Heffter S. 253.

13) v. Bulmerincq S. 360, v. Holzendorff. Enc.

14) Ebendas.

15) Heffter S. 253. S. auch v. Holzendorff. Enc. III. S. 1011. 16) Bluntschli 538 N. 3 S. 303. Es sind vielmehr zu unterscheiden 1. Verträge, welche durch den Kriegsausbruch erlöschen; 2. solche, welche umgefehrt erst in Folge des Kriegsausbruches in Kraft treten; 3. solche die zwar nicht erlöschen, aber doch während des Krieges unwirksam werden; 4. solche, die auch im Kriege wirksam bleiben. Uebrigens tritt das Hauptinteresse der ganzen Frage nach dem Einflusse des Kriegsausbruches auf die bestehenden Verträge bei dem wieder eintretenden Frieden hervor, worüber hier nicht zu handeln ist.

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