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selben Gründen, aus denen die „Neutralitäts“-Erklärung der ständigen Anstalten auf dem Festlande ausgeschlossen ist. Die nach der entgegengesezten Richtung gehenden Bemühungen (Moynier, Étude sur la Conv. de Genève, p. 258, Steinberg, ursprünglicher Vorschlag des 1868er Congresses) waren deshalb nicht gutzuheißen und sind nicht durchgedrungen; namentlich hat auch der Congreß von 1868 den ursprünglich anders lautenden Vorschlag in dem hier vertheidigten Sinne umgeändert. S. die Verhandlungen des 1868er Congresses und die Ausführungen bei Lueder, Genfer Conv., S. 417 unten ff. Ebendaselbst über die der freiwilligen Hilfe im Landkriege gleichzustellenden Handelsschiffe, die rettend auftreten, und über die den Kriegführenden nothwendig einzuräumende Berechtigung, die erforderlichen Maßregeln gegen mögliche Benachtheiligung durch die Rettungsschiffe zu treffen, welche Berechtigung auch der im Text ausgesprochene Vorschlag zu sichern sucht.

§ 101.

Die weiteren Bestimmungen der Genfer Convention. Literatur: Genfer Convention. Art. 5, 8 (9 und 10). Manuel des Völkerrechtsinstituts 18, vgl. mit 36 und 59.

Die Genfer Convention hat für den Schuß der Kriegsverwundeten auch noch durch weitere Maßregeln zu sorgen gesucht, namentlich durch eine Beeinflussung der Landesbewohner dahin, daß auch sie ihre Hilfe und Unterstüßung den Verwundeten leihen, ihnen mit Aufnahme, Pflege u. s. w. zu Hülfe kommen, was um so wichtiger ist, als zu gewissen Zeitpuncten, namentlich nach großen Feldschlachten, die gewöhnliche Hülfe nicht auszureichen pflegt und eine Ergänzung derselben von der Humanität dringend gefordert wird. Darauf bezieht sich und diesem Ziele hat dienen wollen der Artikel 5 der Genfer Convention, welcher ausspricht, daß die Landesbewohner, welche den Verwundeten zu Hülfe kommen, geschont werden und frei bleiben sollten", daß die Generale der krieg führenden Mächte die Aufgabe haben, die Einwohner von dem an ihre Menschlichkeit ergehenden Rufe und der daraus sich ergebenden Neutralität in Kenntniß zu sehen," und daß jeder in einem Hause aufgenommene und verpflegte Verwundete demselben als Schuß dienen soll," sowie der Einwohner, welcher Verwundete bei sich aufnimmt, mit Truppeneinquartierung, sowie mit einem Theil der etwa auferlegten Kriegscontribution verschont werden soll."

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Diese Bestimmungen haben sich aber als ganz unausführbar und unpraktisch bewiesen, was auch von der Theorie und den späteren Ver sammlungen einstimmig anerkannt ist.1)

Die Heranziehung, bezw. Zulassung der Landesbewohner zur Hülfe. leistung bietet überhaupt zwei Seiten dar, eine gute und eine bedenk liche. Gut, erwünscht und der Beförderung werth ist die den Verwundeten zu Theil werdende werkthätige Liebe und Aufopferung der

Landesbewohner; sehr bedenklich der unbegrenzte und uncontrolirte Zutritt der letteren auf die Schlachtfelder und zu den Verwundeten, indem dieser Zutritt häufig aus ganz anderen Gründen als aus denen der Liebe, Aufopferung und Menschlichkeit erfolgt.2) Die Hülfeleistung ist deshalb zu controliren und unter Umständen zurückweisen.3)

Außerdem sind aber auch die Detailbestimmungen des Art. 5 der Genfer Convention sehr bedenklich, ja verfehlt. Die Aufnahme von Verwundeten, möglicher Weise eines einzigen Verwundeten, kann unmöglich das Haus, in welchem er sich befindet, unter allen Umständen zu einem neutralen" machen und gegen die Aufnahme weiterer Ver wundeter oder sonstige Kriegsnothwendigkeiten unbedingt schüßen. Die Bestimmung könnte sonst leicht gerade das fördern, was sie bekämpfen will und anstatt aufopfernde Hingabe eine Umgehung derselben durch geringfügige Leistung, z. B. Aufnahme eines Verwundeten unterstüßen. Auch würde sie, wie sich im 1870/71 Kriege bereits gezeigt hat,*) in der Bevölkerung Erwartungen erregen, die nachher doch nicht erfüllt werden könnten und dann in Enttäuschung, Erbitterung und Abneigung gegen die Hülfsthätigkeit umschlagen würden. Ebensowenig kann das völlige Freibleiben von Einquartierung und das theilweise von etwa auf zuerlegenden Contributionen als Lohn der Verwundetenaufnahme allgemein und unbedingt versprochen werden.

Nur eine allgemeine Zusicherung, nach Thunlichkeit Recompensationen für gute bei der Verwundeten-Aufnahme und Pflege geleistete Dienste eintreten lassen zu wollen, kann ertheilt werden, wie es sich auch em. pfiehlt, die Einwohnerschaft durch die Militärcommandos darauf auf merksam machen zu lassen, daß sie Vortheile von reger Hülfeleistung haben kann und gegen Nachtheile, auch wenn sie sich der feindlichen Truppen annimmt, unter allen Umständen geschüßt ist.5)

Die weitere Bestimmung der Genfer Convention, daß die Einzelheiten ihrer Ausführung von den Oberbefehlshabern der kriegführenden Heere nach den Anweisungen ihrer Regierungen und nach Maßgabe der in der Convention ausgesprochenen allgemeinen Grundsäze angeordnet werden sollen (Art. 8), ist vielfach angegriffen und getadelt worden. Die Bestimmung hat aber wenigstens bei der jezigen Fassung des Gesetzes ihren guten Grund. Gelegentlich einer zu einer besseren Fassung führenden Revision könnte sie beseitigt werden. 6)

Die beiden lehten Artikel (9 und 10) der Convention, welche sich lediglich auf die Ratification und den späteren Beitritt anderer, bei der Berathung nicht anwesend gewesener Mächte beziehen, geben zur Besprechung keinen Anlaß. Dagegen ist im Anschluß an die vorstehenden Paragraphen zunächst noch auf gewisse allgemeine Verbesserungs., Er. weiterungs- und Ergänzungsvorschläge einzugehen, welche im Interesse einer vollendeteren Realisirung des dem Ganzen zu Grunde liegenden Gedankens an die Genfer Convention geknüpft worden sind.

1) Vgl. Lueder, Genfer Conv. S. 396 und die die dort Angef., Löffler, Dr. v. C., Corval, Bluntschli, Gareis in der Deutschen Revue 1877 S. 23, u. A., sowie die dort ebenfalls erwähnten Verhandlungen in Paris, Genf und Brüssel. Vgl. den Zusaß-Artikel 4 zur Genfer Convention.

2) Vgl. das oben S. 400 u. 404 in dieser Beziehung Gesagte, sowie Lueder, Genfer Conv. S. 395, 401.

3) Ob und in welchen Grenzen sie stattfinden soll, kann allein von dem Commandirenden entschieden werden, der auch die aufrecht zu erhaltende Ordnung u. dgl. zu berücksichtigen hat und die Zulassung von Landesbewohnern auf das Schlachtfeld unter Umständen ganz verbieten wird. Vgl. Lueder, Genfer Conv. S. 401 f., 442 und die dort Citirten, Löffler, Moynier und Verhandlungen.

*) Vgl. darüber wie über die ganze Frage die bei Lueder, Genfer Conv. 6. 394 ff. citirte Literatur: Moynier, Löffler, Corval, Bluntschli, Dr. v. C. und Lueder selbst a. a. D., sowie die ebendas. gleichfalls angeführten Actes de la Conf. de Bruxelles (p. 23).

5) Der Lueder'sche Verbesserungsvorschlag zum Art. 5 der Genfer Conv. lautet: „Bei der Occupation fremden Gebietes und sonst zu geeigneten Zeitpuncten sollen die Commandirenden die Bevölkerung im Interesse der beiderseitigen Verwundeten zur Hülfeleistung auffordern und sie namentlich darüber aufklären, daß der verwundete Soldat, welcher Nationalität er auch angehöre, kein Feind sei und die ihm gewährte Hülfe von keiner Seite Nachtheile oder Gefahren für den Helfenden herbeiführen könne, wohl aber Vortheile, indem Diejenigen, welche sich durch die Pflege oder Aufnahme Verwundeter verdient gemacht haben, bei der Vertheilung der Quartier und anderer Lasten nach den Umständen bevorzugt werden und indem die Räume, in welchen sich Verwundete befinden, möglichst geschont werden sollen"; nachdem schon der Zusazartikel 4 zur Genfer Convention eine im Allgemeinen in derselben Richtung liegende, aber die Bedenken nicht hin. länglich beseitigende Fassung vorgeschlagen hatte. Vgl. die Brüsseler Verhandlungen in den Actes de la Conf. de Bruxelles p. 23. Bluntschli, Völkerrecht 590 N. 2 schlägt vor: „Die Aufnahme und Pflege von Verwundeten wird bei der Vertheilung der Quartier- und anderer Kriegslasten den Umständen gemäß billig berücksichtigt und die von Verwundeten besezten Räume werden möglichst gejchont."

6) Vgl. Lueder, Genfer Conv. S. 407 f. Daß die Fassung der Genfer Convention überhaupt der Verbesserung bedarf, vielfach unbestimmt, unjuristisch, wie in der Anordnung unsystematisch ist, ist oben § 77 bereits hervorgehoben.

§ 102.

Maßregeln zur Sicherung der Befolgung der Genfer
Convention.

Es ist oben bereits bemerkt worden, daß die Milderung der Kriegs. leiden, welche die Genfer Convention herbeizuführen beabsichtigt und im Stande ist, häufig durch Unbekanntschaft der betheiligten Kreise mit der Convention vereitelt worden ist, indem zahlreiche Verstöße und Unter

lassungen, unnöthige Leidenszufügungen, die sonst nicht vorgekommen wären, auf die Unkenntniß des Gesezes zurückzuführen sind. 1) Deshalb steht be= greiflicher Weise an der Spiße der Maßregeln, durch welche eine aus. nahmslosere Befolgung der Genfer Convention herbeigeführt werden soll, die Sorge für ein besseres Bekanntwerden derselben und die Aufstellung von Vorschlägen, welche dieses Ziel herbeiführen sollen. Es ist namentlich die Aufnahme einer die contrahirenden Mächte zur energischen Für sorge für das Bekanntwerden der Genfer Convention verpflichtende Be stimmung in die Convention selbst gewünscht worden.) Diesen Wünschen ist zwar bis jezt noch keine Rechnung getragen worden, auch nicht in Brüssel und den Sagungen des Manuels des Völkerrechtsinstituts. Es ist aber zu hoffen, daß es geschieht. Denn nach den gemachten Er fahrungen ist die Anwendung aller Mittel wünschenswerth, welche die sorgfältige Befolgung der Genfer Convention verbürgen. Zu diesen gehört aber die übernommene Verpflichtung der Regierungen, die dann nach ihrem Ermessen die einzelnen Maßnahmen, durch welche sie das Bekanntwerden herbeiführen wollen, wie Veröffentlichung durch die Militär-Reglements, sonstige Instruirung der Truppen, Tagesbefehle, Proclamationen der Commandirenden u. s. w.3) zu bestimmen hätten. Natürlich können und sollen diese Maßnahmen auch ohne internationale Verpflichtung getroffen werden, die letztere ist aber sie zu unterstüßen geeignet, und es ist kein genügender Grund vorhanden, sich ihrer zu enthalten.4)

Dagegen können detaillirtere internationale Vorschriften, welche die Einzelheiten der für das Bekanntwerden zu ergreifenden Maßregeln an ordnen wollen, oder gar Controlirungen und Ueberwachungen der ein zelnen Staaten durch die anderen,5) ob sie die Maßregeln genügend ausführen, nicht in Frage kommen, weil solche Vorschriften in der That die souveräne Stellung der Staaten berühren und deshalb ganz unpraktisch sein würden.

Mit jenen Maßregeln würden dann innerstaatliche Strafbestimmungen gegen Verlegungen der Convention zu verbinden sein,) wie sie in verschiedenen Staaten bereits bestehen; auch der Stipulirung einer Verpflichtung der Staaten hierzu, d. h. zur Bestrafung der schuldigen Einzelnen, welche eine Conventionsverlegung begangen haben, stehen keine Bedenken entgegen;) nur dürfte auch hier die Vorschrift über die allgemeine Bestimmung, daß gestraft werden soll, nicht hinausgehen und die Frage nach dem wie? nicht berühren. Von einer Bestrafung der Staaten) aber wird ebensowenig die Rede sein können, wie von den eben erwähnten Einmischungsmaßregeln überhaupt und von der Errich tung eines Schiedsgerichts im Besonderen, welches zum Zweck der Bestrafung der schuldigen Einzelnen nach dem Ausbruch eines Krieges zusammentreten soll.9)

Dem Lezteren stehen namentlich die Bedenken entgegen, daß die Staaten ihr Strafrecht nicht an andere außerstaatliche Organe abzugeben

geneigt sein werden, daß es diesen Organen an der erforderlichen Un parteilichkeit fehlen, und daß endlich auch die nöthige Executivgewalt nicht vorhanden sein wird, namentlich in den Fällen, in denen der Staat, welchem der Lädent angehört, selbst auf Seite des letteren steht, während in den übrigen Fällen überhaupt kein Bedürfniß einer anderen, außer staatlichen Strafgewalt vorhanden ist.10)

1) S. oben § 77. v. Neumann, Die Genfer Convention, 1874. Inzwischen, seit den Erfahrungen des leßten Krieges, ist in den einzelnen Ländern viel geschehen, und namentlich auch in Frankreich das früher Versäumte nachzuholen versucht worden; vgl. Guelle, Précis I., p. 170. Auch Rußland hat sich durch rege Fürsorge auf demselben Gebiete ausgezeichnet; vgl. oben § 73.

Dies ist geschehen sowohl in der Literatur (f. z. B. Bluntschli, Moynier, Trendelenburg, Lücken im Völkerrecht S. 56, Rolin - Jaequemyns in der Revue III., p. 329, Corval, Dr. v. C.), als auch auf verschiedenen der Versammlungen, welche die Genfer Convention berathen haben (vgl. Lueder, Genfer Conv., S. 404), aber (vgl. Note 3) der Wunsch ist nicht zur Ausführung gekommen.

3) Ueber die Mittel zur Beförderung des Bekanntwerdens wird bei Lueder, Genfer Conv. S. 402 ff. und den dort Angef. gehandelt. Auch die 1887er Stutt garter internationale Versammlung der Rothen-Kreuz-Vereine hat sich damit be. schäftigt und namentlich die in der Schweiz bereits eingeführte Verabfolgung eines Exemplars der Convention an jeden Soldaten und die Verbreitung der Kenntniß unter der Bevölkerung schon in deren Jugend betont. Die erstere Maßregel ist freilich von Seiten der Militärs wohl für weniger praktisch erklärt, als sie scheint. 4) Die bei den früheren Berathungen obwaltende Besorgniß, daß durch einen solchen Zusaß in die Souveränetätsrechte der einzelnen Staaten zu sehr eingegriffen würde, wird heute nicht mehr gehegt zu werden brauchen.

So Trendelenburg a. a. D. S. 57.

Vgl. Renault, Introduction à l'étude du droit intern., p. 45.

7) Vgl. Moynier, Étude p. 299 ff., und Conv. pendant la guerre francoallemande, p. 6; Rolin - Jaequemyns, Revue III., p. 327; Lueder, Genfer Conv., S. 406 unten f., 428 unten ff.

8) Lueder, Genfer Conv., S. 427 f.

9) Hierauf richtet sich der zu § 56 und im § 78 Note 1 erwähnte Schiedsgerichtsvorschlag Moynier's.

1o) Näheres s. bei Lueder, Genfer Conv. S. 432 f. Vgl. auch das oben im § 56 über die Schiedsgerichte überhaupt Vorgetragene. S. aber auch Calvo § 1875.

Handbuch des Völkerrechts IV.

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