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Von beiden Seiten geschah alles Erforderliche, die Französischen Soldaten wurden entwaffnet und internirt. Niemanden war gestattet, weder unmittel bar, noch auf Umwegen wieder nach Frankreich zurückzukehren, den Officieren wurde nur gegen Ehrenwort größere Freiheit der Bewegung gestattet. Ein aus Deutscher Kriegsgefangenschaft entsprungener Officier, der diesen beschränkenden Maßregeln in Belgien gleichfalls unterworfen war, stellte beim Civilgericht in Brüssel eine Klage an auf Schuß seiner persönlichen Freiheit, das Gericht aber erkannte sich auf Einspruch der Regierung incompetent, weil es kein Recht habe, die in höherem politischen Interesse als nothwendig erachteten Verfügungen der Regierung zu hindern. Durch Vertrag des Generals Herzog mit dem Französischen Oberst Clinchant vom 1. Februar 1871 wurden der Artilleriepark, die Waffen und die Munition an die Schweiz übergeben mit der Verpflichtung der Rückgabe nach Ende des Krieges gegen Erstattung der Auslagen für den Unterhalt der Flüchtigen. Belgien forderte keine Entschädigung für Leßtere. Allerdings ist auch für den siegreichen Theil eine solche Aufnahme Flüchtiger durch Neutrale vortheilhaft, da er sie sonst als Gefangene zu verpflegen hätte, aber der Neutrale kann sich für den Ersatz der Kosten doch nur an den Staat halten, dem die Truppen angehören.

Dagegen beschwerte sich Graf Bismarck am 3. December 1870 lebhaft über die Verlegung der Neutralitätspflichten Seitens der Großh. Luxemburgischen Regierung, indem er anführte, daß nach der Uebergabe von Meg ein massenhafter Durchzug Französischer Soldaten und Officiere durch das Großherzogthum behufs Wiedereintritt in Frankreich stattge funden, daß der Französische Vice-Consul in Luxemburg selbst auf dem Bahnhof ein förmliches Bureau eingerichtet habe, in welchem die Flüch tigen mit Mitteln versehen seien, um den Marsch nach Frankreich zum Eintritt in die Nord-Armee fortseßen zu können. Der Bundeskanzler erklärte ferner, daß, da von Seiten der Großherzogl. Regierung keine Maßregeln getroffen seien, um diesen Verlegungen der Neutralität entgegenzutreten, die Französischen Militärs weder internirt, noch an der Rückkehr nach Frankreich gehindert, ebenso wenig dem genannten ViceConsul bei seinem Verfahren Schwierigkeiten bereitet seien, in dieser Duldung unzweifelhaft eine flagrante Verlegung der Neutralität des Großherzogthums liege und hiermit die Voraussetzungen, an welche die Königl. Regierung die Beobachtung dieser Neutralität knüpfen mußte, nicht mehr vorhanden seien. Er zeigte daher durch Circulardepesche vom 3. December den Garantiemächten an, daß die Deutschen Truppen sich in ihren Operationen, um solche Nachtheile abzuwehren, durch keine Rücksicht auf die Neutralität des Großherzogthums mehr gebunden erachten könnten (Staatsarchiv 1871, Nr. 4217). Die Luxemburgische Regierung suchte diese Vorwürfe durch Richtigstellung der Thatsachen in einer Note vom 14. December zu widerlegen. Sie betonte, daß gerade Frankreich sich über die von ihr gestattete Zufuhr Deutscher Verwundeter beschwert, ,,welche Belgien verweigert, ebenso darüber, daß Preußische Soldaten

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Luxemburgisches Gebiet bei Rümlingen durchschritten, worauf von Berlin die Versicherung ertheilt sei que de pareils faits ne se répéteront pas". daß die Regierung selbst abgelehnt habe, alte Gewehre an ein Lütticher Haus zu verkaufen, obwohl sie dazu berechtigt gewesen, weil dieselben möglicher Weise für Frankreich umgearbeitet werden könnten. Um so weniger habe die Regierung später nach den Deutschen Siegen daran denken können, Frankreich irgendwie zu unterstüßen. Was den erwähnten Durchzug Französischer Militärs betreffe, sei kein einziger derselben nach Frankreich hinübergetreten, sondern alle seien nach Belgien gegangen, sie davon zu hindern, sei Luxemburg nicht berechtigt, sie zu interniren außer Stande gewesen, da es keine Truppen dafür habe. Den Französischen Vice-Consul habe die Regierung gewarnt, nichts zu thun, was ihre neutrale Stellung verlegen könne und derselbe stelle die ihm zur Last gelegten Thatsachen durchaus in Abrede. Nach dieser Note hat Graf Bismarck seine Beschwerde thatsächlich fallen lassen und seiner Drohung keine Rücksicht mehr auf die Neutralität Luxemburgs nehmen zu können, keine Folge gegeben.

§ 143.

Pflege und Transport Verwundeter.

Was nun von dem Uebertritt flüchtiger Soldaten gilt, trifft noch mehr bei Verwundeten und Kranken zu, da diese durch die Genfer Convention ja schon unter den Kriegsparteien selbst neutralisirt sind. Der neutrale Staat ist vollkommen berechtigt, solchen Personen Aufnahme zu gewähren, aber, wie Lord Granville auf eine Anfrage der Belgischen Regierung bemerkte (Depesche vom 7. September 1870, Staatsarchiv 20, Nr. 4352), nur unter der Bedingung, daß sie auf neutralem Gebiet bleiben und sich nach Herstellung verpflichten, während des Krieges nicht wieder zu dienen. Auch schließt diese Erlaubniß nicht die der Errichtung von Spitälern zur Pflege derselben Seitens eines Kriegführenden ein. Anders dagegen steht es mit einem Transport von Verwundeten Seitens eines kriegführenden Theiles durch neutrales Gebiet. Nach den Schlachten von Met wünschte die Deutsche Heeresleitung Verwundete durch Luxemburg und Belgien nach Deutschland zu senden, der Französische Kriegsminister widersezte sich dem auf Anfrage Englands entschieden, weil dadurch die militärischen Verbindungen des Feindes für Herbeiführung von Truppen und Munition von einem ernsten Hinderniß befreit werden würden. Die von Belgien um ihre Ansicht befragte Englische Regierung entschied, daß ein solcher Transport von Verwundeten ein Bruch der Neutralität sein würde, wenn einer der Kriegführenden sich dem widerseßte, und Belgien lehnte das Deutsche Ansuchen ab. Luxemburg dagegen erlaubte, wie er wähnt, die Zufuhr. Die Brüsseler Conferenz von 1875 sagte in ihrem Entwurf Art. 55: „L'État neutre pourra autoriser le passage par son

territoire des blessés ou malades appartenant aux armées belligérantes, sous la réserve que les trains qui les amèneront ne transporteront ni personnel ni materiel de guerre. En pareil cas, l'État neutre est tenu de prendre les mesures de sûreté et de contrôle nécessaires à cet effet."

Das Verbot, das neutrale Gebiet für Kriegszwecke zu benuzen, kann sich auf Anstalten erstrecken, die nach ihrer Natur ganz friedlich sind, falls Umstände vorliegen, welche schließen lassen, daß dieselben für den Krieg gebraucht werden sollen. So verbot die Englische Regierung die von Frankreich beabsichtigte Legung eines telegraphischen Kabels mit Benuzung ihres neutralen Gebietes, weil sie der Ansicht war, daß dasselbe für militärische Zwecke dienen solle. Nicht minder als direct militärische Maßregeln sind Verhaftungen einzelner Personen Seitens Kriegführender auf neutralem Boden widerrechtlich, die Ergreifung des Herzogs von Enghien auf Badischem Gebiete 1804 war eine schmähliche Verlegung des Völkerrechtes, nicht minder die Verhaftung des Englischen Residenten Rumbold auf neutralem Boden, den Napoleon auf Preußens Intercession entließ.

§ 144.

B. Besondere Neutralitätspflichten zur See.

Etwas anders als für das Landgebiet stellt sich das Verbot, das neutrale Staatsgebiet für den Krieg zu benußen, für das der neutralen Hoheit unterworfene Wassergebiet, insofern die blose Durchschneidung desselben durch Kriegsschiffe nicht ausgeschlossen ist, obgleich jeder Staat das Recht hat, sie zu verbieten, wenn nicht das betreffende Schiff in Noth ist. Der Grund dieser Verschiedenheit ist, daß die Ausdehnung der Staatshoheit auf die Küstengewässer nur eine Fiction zum Schuße der Unverleßlichkeit des Gebietes ist und das Küstenmeer doch ein Bestandtheil des Meeres überhaupt ist, welches allen Nationen freisteht. Das blose Durchfahren eines Kriegsschiffes durch dasselbe schließt auch nicht nothwendig einen Act ein, der dem Feinde schadet, und wird deshalb von Neutralen nicht um ihrer Neutralität willen, sondern nur ausnahmsweise im Interesse der eigenen Sicherheit verboten.

Anders steht es schon mit neutralen Häfen. Jeder neutrale Staat ist berechtigt, keiner, mit Ausnahme von Seenoth, verpflichtet, Kriegsschiffe der Kriegführenden in dieselben zuzulassen; nur müssen beide kriegführende Parteien gleich behandelt werden. Rücksichten des eigenen Interesses wie der Aufrechthaltung der Neutralität veranlassen in dieser Hinsicht Beschränkungen. So wurde regelmäßig Kapern das Einlaufen in neutrale Häfen verboten, weil dieselbe nicht dieselbe Gewähr für loyales Verhalten bieten wie staatliche Kriegsschiffe.1) Ferner werden. gewisse Häfen den Kriegführenden ganz verschlossen, wenn der Aufenthalt daselbst feindliche Absichten gegen die andere Kriegspartei vermuthen läßt,

oder ihr Einlaufen wird nur unter bestimmten Bedingungen gestattet. So untersagte 1854 Desterreich den Hafen von Cattaro allen Kriegsschiffen, Nothfälle ausgenommen. Schweden und Dänemark behielten sich damals, wenigstens für ihre befestigten Häfen, das Gleiche vor. England verbot während des Amerikanischen Bürgerkrieges das Einlaufen von Kriegsschiffen in den Häfen der Bahama-Inseln, except by special leave of the Lieutnant Governor or in case of stress of weather," (Instr. vom 31. Juni 1862). Schweden schloß 1870 seine fünf Kriegshäfen. Allgemeiner sind gewisse andere Beschränkungen; um Unzuträglich. feiten zu vermeiden, ist wohl festgesezt, daß nur eine gewisse Anzahl von Kriegsschiffen eines Kriegführenden in den neutralen Häfen zugelassen werden; 2) ferner wird die Zeit des Aufenthaltes beschränkt. So erlaubte England im Amerikanischen Bürgerkriege Kriegsschiffen beider Parteien nur einen solchen von 24 Stunden, außer bei Sturm und für nothwendige Ausbesserungen, und gestattete Einnahme von Kohlen und Vorräthen nur so viel nöthig, um den nächsten eigenen Hafen erreichen zu können. ,,No vessel shall without special permission obtain a second supply of coal within three months of a previous supply obtained within British waters" (Instruction vom 31. Januar 1862). Aehnlich in der Instruction an die Admiralität vom 19. Juli 1870 und entsprechend die Nordamerikanische Proclamation vom 8. October, der Spanische Erlaß vom 26. Juli und der Niederländische vom 20. Juli 1870, Englische Ver ordnung vom 19. Juli 1879.3)

Abgesehen von solchen Verboten und Beschränkungen haben Kriegsschiffe beider Theile das Recht, in neutrale Häfen einzulaufen und dort alle solche Maßregeln zu treffen, welche die Seefahrt als solche, nicht die kriegerische Action betreffen, namentlich nothwendige Ausbesserungen vorzunehmen, sofern sie nicht Geschüße und sonstige Kriegsvorrichtungen be rühren. Ein Kriegsschiff, welches sich in einen neutralen Hafen vor dem Feinde flüchtet, wird auch nicht, wie Truppen, die sich auf neutrales Gebiet zurückziehen, entwaffnet, sofern nicht der Hafen allgemein ge schlossen ist. Die Verordnung des Lübecker Senates, welche dies 1849 für den Von der Tann" befahl, ging zu weit. Kriegsschiffe gelten eben im Kriege wie im Frieden als schwimmende Gebietstheile ihres Staates, und stehen nicht unter der Souveränetät des Aufenthaltsstaates; sie können nur ausgewiesen werden, falls sie sich der Rechtsordnung desselben nicht unterwerfen wollen.

1) Vgl. Dänische Verordnung vom 20. April 1854, Schwedisch-Norwegische Verordnung vom 8. April 1854, Holl. Verordnung vom 20. Juli 1870, Art. 3. Die Südstaatlichen Kreuzer dagegen wurden zugelassen, da sie keine Kaper waren.

2) Vertrag zwischen Frankreich und Rußland vom 11. Januar 1787, Art. 19: „Dans les ports fortifiés des villes, où il y a garnison il ne pourra pas entrer plus de cinq vaisseaux de guerre à la fois, à moins qu'on n'en ait obtenu la permission pour un plus grand nombre." Italienische Verordnung vom 6. April 1864, Art. 12.

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enter any port,

3) If any ship of war of either belligerent shall roadstead or waters belonging to H. M. such vessels shall be required to depart and to put to sea within 24 hours after her entrance into such port, roadstead or waters, except in case of stress of weather, or of her requiring provisions or things necessary for the subsistence of her crew, or repairs, in either of which cases the authorities of the port, or of the nearest port shall require her to put to sea as soon as possible after the expiration of such period of 24 hours, without permitting her to take in supplies beyond what may be necessary for her immediate use; and no such vessel which may have been allowed to remain within British waters for the purpose of repair shall continue in any such port, roadstead or waters for a longer period than 24 hours after her necessary repairs shall have been completed." Ferner gleichlautend wie oben über die Einnahme von Kohlen.

§ 145.

Kriegsschiffe in neutralen Gewässern.

Haben Kriegsschiffe der kriegführenden Theile demgemäß, so weit keine Verbote oder Beschränkungen Seitens der neutralen Regierung ergangen sind, das Recht, in neutralen Gewässern sich aufzuhalten, so ist es um so mehr für sie unbedingte Pflicht, sich jedes feindseligen Actes zu enthalten, und eben so fest steht die Verpflichtung des Neutralen, einen solchen nicht zu dulden.1) Es darf daher daselbst kein Kampf stattfinden, keine Prise gemacht oder daselbst über diese verfügt werden, kein Gefangener gelandet werden, keine Stellung zum Angriff genommen werden, kein Kriegsschiff ausgerüstet werden.

1) So heißt es in dem Schreiben Lord Granville's an die Admiralität vom 19. Juli 1870: „During the continuance of the present state of war, all ships of war of either belligerent are prohibited from making use of any port or roadstead in the United Kingdom of Great Britain and Ireland, or in any of H. M's. colonies or foreign dependencies, or of any waters subject to the territorial jurisdiction of the British Crown, as a station, or place of resort, for any warlike purpose, or for the purpose of obtaining any facilities of warlike equipment." Ebenso Proclamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 8. October 1870.

§ 146.

Seekriegsacte in neutralen Gewässern.

Kampf und Wegnahme feindlicher Schiffe. Die Behaup tung von Bynkershoek (Quaest. jur. publ. I., cap. 8), der Kriegführende

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