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Unterzeichnung und Ratification des Friedens findet dessen Verkündung in der den einzelnen Staaten eigenthümlichen Weise statt. Früher er folgte dieselbe wohl in feierlicher Form vor versammelten Truppen, jezt der Regel nach durch die Gesezblätter. Der verkündete Friede bindet die Unterthanen wie ein Gesetz mit der im vorigen Paragraphen festgestellten Maßgabe. Er verpflichtet den Staat, wie jeder andere Vertrag, und es ist selbstverständlich, daß nicht nur der Fürst, der den Vertrag unterzeichnet, sondern auch jeder seiner Nachfolger dadurch nach denselben Normen gebunden ist, wie sie im Allgemeinen für die Anerkennung von Acten der Staatsgewalt Seitens der Regierungsnachfolger gelten.1)

Hinsichtlich der Auslegung der Friedensverträge gelten die allge meinen Grundsäße. Hier bedarf nur ein Punct der Hervorhebung. Während nach den privatrechtlichen Grundsägen ernste Drohung oder gewaltsame Nöthigung die Gültigkeit der Verträge hindern, kann im Völkerrecht von einem Einwande der vis ac metus nicht die Rede sein. Die Gültigkeit des Staatswillens wird nicht durch zwingende Einwirkungen gehemmt, am allerwenigsten in diesem Gebiete. Wollte man hier die gedachte Einrede zulassen, so würde man damit den Völkerstreit zu einem dauernden, die Heiligkeit der Friedensverträge zu einem Wahngebilde machen. Jeder Friedensschluß beruht auf Zwang. Es wird daher angenommen, daß die Willensfreiheit des Staates nicht aufgehoben ist, wenn der Staat im Falle der Noth gezwungen ist, sich den Vorschriften des übermächtigen Siegers zu beugen. Wohl verstanden der Staat. Findet ein äußerer Zwang gegen die mit der Verhandlung betrauten Vertreter des Staates statt, so wird dadurch die Gültigkeit der Verträge in Frage gestellt.")

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Im Uebrigen gelten die gewöhnlichen Regeln der Auslegung, um so mehr, als ja mehrfach in Friedensschlüssen die gleichen Gegenstände, wie in anderen Verträgen (Handelsverkehr 2c.) geordnet werden. Nur ist festzuhalten, daß in Zweifelsfällen die Auslegung einer Bestimmung zu Ungunsten Desjenigen erfolgt, der sie gegeben hat.

Es ist dies ein schon von Grotius unter Anführung classischer Stellen vertretener Saz, dessen Gegentheil zu den bedenklichsten Folgerungen führen würde.")

Die Ausführung des Friedens bietet meistens, besonders wenn es sich um Gebietsabtretungen handelt, viele Schwierigkeiten. Zunächst erfolgt die Ausführung durch den Abschluß von zusätzlichen Verträgen, welche z. B. die Abzahlung der Kriegsentschädigungen, die Räumung beseßter Gebiete u. s. w. betreffen. Ueber hundert größere und kleinere Conventionen wurden 1871 und in den folgenden Jahren zwischen Deutschland und Frankreich zur Ausführung des Frankfurter Friedens geschlossen.4)

Sehr häufig auch müssen zu nachträglicher Regulirung bestimmter Puncte besondere Commissionen eingesezt werden, oder es werden

zu diesem Zwecke Congresse einberufen. Zu besonderer Berühmtheit gelangte der nach dem Westphälischen Frieden zusammentretende Nürnberger Executionscongreß, aus dem der Nürnberger Executionsreceß hervorging.5)

Entsteht über die Ausführung oder Auslegung neuer Streit und können die Parteien sich nicht einigen, so kann dies als ein zur Vermittelung geeigneter Fall betrachtet werden oder die Entscheidung durch Schiedsspruch einer dritten Macht erfolgen.")

Eine Aufhebung des Friedens kann durch solche Meinungsverschiedenheit oder durch Verlegung oder Nichtausführung einzelner Bestimmungen ohne Weiteres nicht eintreten. Wann ein Friedensvertrag als gebrochen anzusehen, wird sich überhaupt nicht blos nach juristischen Regeln feststellen lassen. Die Theorie des Völkerrechts hat diese Lehre eingehend behandelt und nimmt an, daß der Bruch des Friedens auf dreierlei Weise möglich ist: 1. durch ein der Natur des ganzen Vertrages unmittelbar widersprechendes Verhalten, Wiederaufnahme der Feindseligkeiten u. s. m.; 2. durch Handlungen, welche mit der besonderen Natur des Vertrages und freundschaftlichen Beziehungen unvereinbar sind, wohin z. B. die Anlage einer Grenzfestung gerechnet wird, und 3. durch Verletzung eines besonderen Artikels des Friedens. schlusses. Da das praktische Leben darüber belehrte, daß die Verlegung eines Artikels des Friedens nicht immer als Friedensbruch angesehen werde, machte man wohl den Versuch, zwischen wichtigen und unwichtigen Artikeln zu scheiden. Diese freilich willkürliche Scheidung wurde von der strengeren Theorie unbedingt verworfen.

Trozdem muß man in dieser Frage der Praxis einige Zugeständ nisse machen. Es wird sich nur ganz im Allgemeinen sagen lassen, wann ein Friedensbruch vorliegt. Zweifellos ist ein solcher anzunehmen bei thatsächlicher Erneuerung der Feindseligkeiten, völliger Verweigerung und Verhinderung des Vollzuges, offenbarer Verletzung der Grundbedingungen des Vertrages. Sicher ist auch, daß jede Macht den Vertrag (nach Grotius und Bluntschli) als ein Ganzes ansehen und für gebrochen erachten kann, wenn eine Friedensbestimmung gebrochen ist. Keineswegs aber muß dies geschehen. Vielmehr giebt es Fälle, in denen die Ausführung sämmtlicher Friedensbestimmungen geradezu unmöglich ist. Der Züricher Friede von 1859 ist niemals in allen seinen Einzelheiten zur Ausführung gelangt, troßdem haben Desterreich und Frankreich freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Auch wird zu prüfen sein, ob nicht vielleicht eine impossibilium obligatio vorlag, eine Bedingung gestellt war, deren Erfüllung von äußeren, nicht erzwingbaren Umständen abhing.

Nicht als Friedensbruch ist es anzusehen, wenn nach der Ausführung des Friedens oder nachdem die Beschwerden über den Nichtvollzug ein zelner Bestimmungen gehoben und ein thatsächlicher Friedenszustand zurückgekehrt ist, von Neuem zu den Waffen gegriffen wird. Es ist auch

eine rein doctrinäre Frage, ob man die Einschränkung hinzufügen will ,,wegen desselben Gegenstandes". Ebensowenig ist das Bündniß mit einer der Gegenpartei feindlichen Macht ein Friedensbruch, sofern nicht etwa die Vermeidung eines solchen zur Bedingung gemacht wurde.

Wenn man in diesem Sinne von Friedensbruch spricht, so ist das immer nur ganz allgemein aufzufassen. Vom Standpuncte des positiven Rechtes kommt jenen breiten Erörterungen, wie wir sie z. B. bei Vattel (a. a. D. § 42) und sonst häufiger finden, und welche auf's Genaueste den Unterschied zwischen einem Friedensbruche und einem neuen Kriege be stimmen wollen, eine geringe Bedeutung zu. Von weltgeschichtlichen Gesichtspuncten betrachtet mag ein Kampf, der sich zeitlich an einen anderen, kurz zuvor ausgefochtenen anschließt, mit diesem als ein einheitlicher Krieg aufgefaßt und so bezeichnet werden. Für alle richterlichen Entscheidungen, für Beurtheilung aller Rechtsverhältnisse liegt ein Friedensbruch nur vor, bevor der Friede zu beiderseitiger Geltung gelangt ist, d. h. also nur in der ersten Zeit nach dem Friedensschlusse, so lange noch Verhandlungen über die Vollziehung desselben im Gange sind. Die später erfolgende Verlegung des Friedensvertrages steht rechtlich jeder anderen Vertragsverletzung gleich, und kann unter Umständen wiederum zum Kriege führen. Dies wäre für positive Entscheidung ein neuer Krieg, nicht die Fortseßung des früheren.

Leicht begreiflich mag es erscheinen, daß im Hinblick auf die zahl, reichen, sich bei der Auslegung und Ausführung der Friedensschlüsse erhebenden Schwierigkeiten die Staaten nach Sicherungsmitteln zur Erfüllung des Friedens gesucht haben. In den älteren Zeiten suchte man ideelle Bürgschaften in der eidlichen Bestärkung der Verträge oder in jener Formel, die die Dreieinigkeit Gottes anruft und noch heute zuweilen an der Spitze der Verträge erscheint. Bis in das vorige Jahrhundert war dann die Uebergabe von Geiseln üblich. In der Gegenwart können vor Allem zwei Arten der Sicherung besonders hervorgehoben werden. Zunächst kann auch heute die Garantie der Friedensschlüsse durch dritte Mächte nach den allgemeinen Grundsägen übernommen werden, und ist dies in den lezten Jahrhunderten sehr häufig geschehen.7) Der Garant tritt entweder für beide contrahirenden Mächte oder für eine derselben auf. Die Garantiebestimmungen sind formell wie Accessionsclauseln zu behandeln. Ihre materielle Bedeutung ist oben Bd. III., S. 83, gekenn zeichnet und kann hier darauf verwiesen werden.

Ein zweites Mittel, die Erfüllung des Friedens zu sichern, ist die Pfandnahme, heutzutage zwar nicht mehr die Pfandnahme beweglicher Sachen, wie der Kronjuwelen, wohl aber die Besetzung bestimmter Gebietstheile.) Entweder erfolgt dieselbe, um im Allgemeinen eine Bürgschaft für die Innehaltung der Friedensbedingungen zu bieten, wie die Besetzung Preußischer Festungen nach 1807 und die Französischer Gebietstheile nach dem Pariser Frieden von 1815, oder sie ist eine pfandweise Beseßung, um die Zahlung der Kriegsentschädigung zu gewähr

leisten, wie sie 1871 stattfand. Diese pfandweise Beseßung kann mit einem Male nach vollständiger Bezahlung der ausbedungenen Summe aufhören, oder es kann wie es in dem leßterwähnten Falle geschah die Räumung des besezten Gebietes nach und nach, entsprechend der Leistung einzelner Theilzahlungen, vor sich gehen.

Die Verpflegung der Truppen in den besetzten Gebieten fällt dem besiegten Staate zur Last. Besondere Conventionen regeln die Höhe der Säße für die Rationen 2c. Die erforderlichen Räumlichkeiten, Casernen, Uebungspläge, Magazine, gottesdienstliche Räume u. s. w. müssen den Truppen zur Verfügung gestellt werden. Hiergegen wurde 1871 von der Deutschen Regierung die Verpflichtung übernommen, daß ihre Truppen sich jeder Requisition und Contribution enthielten, es sei denn, daß die Französische Regierung ihre Verpflichtungen nicht erfüllte und die Deutschen Truppen infolge dessen genöthigt wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen.

Die Occupation kann jedoch auch weitere Rechte geben, und wir möchten danach zwei Arten unterscheiden. Neben der eben erwähnten, wie sie 1871 stattfand und welche rein militärisch war, kann die Pfandnahme sich auch auf die Verwaltung des Landes erstrecken; es kann der siegreiche Staat bis zu einem gewissen Zeitpuncte das Land nicht nur besezt halten, sondern auch die Einkünfte aus demselben beziehen oder die gesammte Verwaltung führen.

Welcher Art aber auch die Occupation sein möge, immer ist sie ihrer rechtlichen Natur nach von der Occupation während des Krieges verschieden. Diese beruht nicht auf Recht, sondern allein auf der Gewalt der Thatsachen; die Occupationsarmee ist die des Feindes, es gelten Kriegsgeseße und Kriegsgebrauch. Die pfandweise Occupation hingegen stüßt sich auf die geschlossenen Verträge, die Occupationsarmee ist nicht eine feindliche, nur eine fremde, hier gilt nicht das Kriegsrecht, das auf der Nothwendigkeit beruht, hier sollen bereits wieder die Grundsäge des Völkerrechts in Friedenszeiten in Anwendung kommen, dadurch die Leiden des Krieges möglichst in Vergessenheit gebracht und eine bekanntlich nicht immer schwierige Annäherung zwischen den Gliedern der bis dahin feindlichen Staaten, den Angehörigen der Besaßungstruppen und den Bewohnern der besezten Gebiete bewirkt werden.

1) Vattel § 35.

2) Bluntschli §§ 408, 704, Holzendorff's Jahrbuch I., S. 336, Heffter § 180, Klüber § 325, Halled § 22, Vattel § 37.

3) Grotius III., 20, 26, Vattel § 32.

4) Vgl. oben § 176, Note 3, S. 811.

5) Nürnberger Executionsreceß, J. G. v. Meiern, Acta pacis executionis publica (1736, 7.), I., II. Ueber Commissionen vgl. Calvo S. 361, Note 1, § 2958.

6) Beispiel: Revue de droit intern. 1883, S. 181.

7) Ueber die Garantie des Westph. Friedens vgl. J. J. Moser, Garantie des Westph. Friedens (1767), und v. Steck, Abhandl. aus dem Teutschen Staats. recht 2c. (1757), p. 6. Vielerörterte Streitfrage, ob die Kaiserin von Rußland durch den Teschener Frieden Garant des Westphälischen geworden? Literatur hierüber bei Martens (Vergé) § 339 (II., S. 380, Note b.)

*) Ueber Occupation nach dem Frieden zur Sicherung vgl. Calvo § 2953 und die Verträge in den oben (§ 176, Note 2) angeführten Werken von Villefort I., 40 ff., Valfrey T. I. a. E. (Martens XX., S. 794 ff.); Corsi, Occupazione, c. I. Convention von Königsberg vom 12. Juli 1807, Prager Friede (1866) Art. 12.

Zweites Kapitel.

Die Lehre vom Poftliminium.

$ 180.

Allgemeines. Begriff des Postliminium.

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Heffter §§ 187–190.

Literatur u. Verweisungen zu §§ 180–188: Klüber, Völkerr., §§ 254–258,-
§ 270.
Bluntschli §§ 727-741. — Stoerk,
Jurist. Blätter 1881, Nr. 40 (vgl. hierüber Bluntschli's lezte Zeilen im
Centralblatt für Rechtswissenschaft I., S. 81). Holzendorff's Rechts.
lexikon III., 97 (Brockhaus). Martens II., § 128 (Uebers. v. Berg

bohm II., S. 545). - Hall §§ 162–165.
(S. 812-875), § 403 ff. (S. 615 ff.).
Halleck c. 35. Woolsey § 151.

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Phillimore §§ 539--596 Travers Twiß §§ 66 ff. Wheaton IV., 2, § 17, G. 683

(vgl. auch S. 878 ff.). — Wharton, Commentaries on law 1841, § 223
(S. 318). Kent's Commentaries I., p. 168.
(ed. Vergé) §§ 278-283.

§ 2977-2993.

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G. F. Martens

Vattel III., c. 14, § 204 ff. Calve
Calvo, Dictionnaire de droit intern. II., S. 94.
Massé, Droit commercial dans ses rapports avec le droit des gens I,
S. 331 ff. Cauchy, Droit maritime intern. I., S. 187 ff.
quale Fiore, Dir. int. II., S. 348 ff.

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Corsi, L'occupazione mili

Litta, L'occupazione, suo

tare, I. Dir. internazionale pubblico 1886.
concetto e suoi effeti sulla proprietà pubblica e privata nella guerra
continentale, 1881. Nicasio de Landa, Derecho de la guerra.
Pampelona 1877, 3. Aufl., S. 241 ff. - Aeltere Literatur: H. Grotius
III., 9, III., 16. Alb. de Gentilis III., c. 17. Bynkershoek.
Quaest. jur. publici I., c. 4 ff., c. 16 ff. Majansii, Disp. jur. civ. I., 13,
(genau nach der besten Dissertation von de Retes, Opuscul. VI., 1658).
Menagius, Amoenitates juris civ. c. 39. v. d. Graf, Syntagma

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