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Auch der Deutsche Bund gab schon zu Erörterungen über das Repressalienrecht Anlaß. Heffter) folgerte aus Art. 37 der Wiener Schlußacte, daß bei Staatenvereinen Repressalien im Interesse einer anderen Macht angewendet werden könnten, während dieser Artikel dem Bunde doch nur ganz allgemein ein Interventionsrecht in Angelegenheiten einer Differenz zwischen einem Bundesstaat und einem auswärtigen Staat gewährt und in jenem doch nicht ipso iure ein Repressalienrecht enthalten ist. Heinrich Albert Zachariae) folgerte aber aus Art. 18 derselben Schlußacte, daß, weil die Bundesglieder sich zu verpflichten hätten, keine Kriege für sich mit Auswärtigen zu führen, noch an denselben Theil zu nehmen 2c., auch von sogenannten Repressalien als einem Gewalt mittel dasselbe gelten müsse. Hiernach sollte dann wohl dem einzelnen Bundesstaat das Repressalienrecht ab- und dem Bunde zugesprochen werden. Dagegen behauptet aber wieder Burchardi noch 1865,4) daß die Deutschen Bundesstaaten, wenn einer der Verbündeten verlegt ist, Repressalien zu dessen Gunsten gegen Dritte wechselseitig unbestritten ausüben und daß sie das Recht dazu aus ihrem Bundesvertrage ableiten. Hiernach scheint denn doch wieder nicht dem Bunde als solchem, wenigstens nicht ihm allein, die Ausübung eines Repressalienrechts gegen Dritte (wohl Staaten) zugestanden zu haben.

Burchardi statuirt dann aber noch weiter, daß vorübergehende Alliancen ein gleiches Repressalienrecht für einander begründen. Indeß wird wohl nicht jede Art von Alliancen eine solche Repressalienrechtsvertretung involviren, sondern nur Verträge, welche die gegenseitige Unterstützung zur Bewahrung der rechtlichen Stellung der contrahirenden Staaten sestsezen, im Friedensstande also nur Garantieverträge. Auch müßte jedenfalls in erster Reihe der durch eine Rechtswidrigkeit direct betroffene Staat dazu berufen sein, ein anderer Contrahent aber erst dann zur Repressalienübung zu schreiten berechtigt sein, falls dem ersteren die Repressalienübung gegen den verleßenden Staat factisch unmöglich war. Moser) gestattete Repressalien dritter Staaten gegen das dem Feinde alliirte Land, was, sobald diese Alliance gegen den dritten Staat gerichtet ist, gewiß wie jedes gewaltthätige Mittel gestattet ist. De Witt hält aber Repressalien zu Gunsten Fremder für zulässig, wenn der gewährende Souverän mit dem des Fremden ex pacto vel foedere, zum Schuß ihrer respectiven Unterthanen verbunden war.

1) Wildman I. 191 unterstüßt diese Auffassung, indem er sagt: „The right of reprisals is a right of sovereignty. As the exercise of the right approaches nearly to an open rupture, by which it is usually (?) followed, it is naturally vested in those, who have the right of declaring war."

2) Heffter, Völkerrecht S. 235.

3) Zachariae, Deutsches Staats- u. Bundesrecht 1867. 3. Ausg. II. 588, N. 6. 4) Burchardi 1. c. 505.

5) Moser 1. c. IX. II. 521.

§ 26.

Repressalien zu Gunsten des eignen Staates und seiner Angehörigen und domicilirten Fremden, sowie zu Gunsten eines fremden Staates.

Am

Im Allgemeinen muß an dem Grundsah als Regel festgehalten werden, daß ein jeder Staat nur für sich und seine Angehörigen zu Repressalien berechtigt ist. Zu den lezteren rechnen aber auch, wie für die Repressalien früherer Zeit schon bemerkt ist, auch die dauernd in einem Lande sich aufhaltenden fremden Staatsangehörigen. Eine große Zahl der Völkerrechtsautoren spricht sich denn auch dagegen aus, daß Repressalien zu Gunsten anderer Staaten oder nicht domicilirter Fremden ausgeübt würden,1) wenn auch einige mit weiter unten zu beachtenden Ausnahmen; andere Autoren schweigen wohl deshalb, weil sie eine Nichtausübung in diesen Fällen für selbstverständlich halten. treffendsten argumentirt Manning: „Repressalien sind eine Methode, Genugthuung für Beschwerden zu erlangen, und keine Nation kann eine Compensation beanspruchen, wenn sie nicht eine Rechtsverletzung erlitten hat." Indeß sind auch entgegengesetzte Ansichten in der Literatur ver treten. So gewährt Bynkershoek2) Repressalien zu Gunsten Frem der, weil, wenn jene überhaupt rechtlich begründet sind, man sie auch Fremden nicht verweigern könne, denn vor dem Recht gelte kein Unterschied der Person und müsse man sie daher Allen gewähren. Lezteres ist ja aber dabei gar nicht in Frage, sondern nur: wer sie gewähren solle. Klüber3) stellt für die Selbsthülfe, unter welche er auch die Repressalien rechnet, den Grundsaß auf, daß zum Vortheil und auf Anrufen eines dritten Staates völkerrechtliche Selbsthülfe nur dann stattfinden könne, wenn man sich vollständig überzeugt habe, daß die Rechte dieses Staates verlegt seien. Eine vollkommene Verbindlichkeit, diese Hülfe zu leisten, trete aber nur dann ein, wenn ein Vertrag dazu verpflichte. Klüber's eingeräumte Selbsthülfe für einen Dritten, welche sein Herausgeber Morstadt eine contradictio in adjecto nennt, ist demnach nur eine sehr bedingte und für die Praxis eigentlich nur aus einem bestehenden Vertrage abzuleiten.

Außerdem stellen sich einige Autoren auch auf den Standpunkt der Uebung der Weltrechtspflege vermittelst Repressalien. Darnach sollen Repressalien zu Gunsten dritter Staaten berechtigt sein nach Heffter, 4) ,,wegen allgemeiner Verlegung des Völkerrechts, um einem unmenschlichen, absolut rechtswidrigen Verfahren ein Ziel zu sehen“, oder nach Burchardi, 5) ,,allgemein wegen Völkerrechtsbruchs“, oder nach Bluntschli,) um eine gemeingefährliche Verlegung des Völker und Menschenrechts zu rügen", oder nach Wurm, wegen jeder Rechtsverletzung, sei das verlezte Recht ein vertragsmäßig oder natürlich zuständiges." Wollten

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die Staaten aber das Repressalienrecht dermaßen ausdehnen, so würde ein bellum omnium contra omnes vermittelst Repressalien entstehen und durch ihre häufige Anwendung eine Weltjustiz geübt, jedenfalls aber mehr Unheil erzeugt als verhütet werden, während doch stets als eine Hauptaufgabe der Repressalien angesehen wurde, ein größeres Uebel: den Krieg zu verhüten.

1) Bartolus a Saxoferrato, qu. 1; Vattel II. § 348; G. F. v. Martens § 261; Manning 150; Wildman I. 193; Wurm 461 ff.; Heffter § 111; Phillimore III. 30; Burchardi 505.

2) Bynkershoek, De foro legatorum. XXII. § 5.
3) Klüber § 233.

4) Heffter 1. c.

5) Burchardi 1. c. 500.

6) Bluntschli 1. c. 503.

7) Wurm in Rotted's Staatslexicon 1843 Bd. XIV. 459.

$ 27.

Arten der Repressalien.

Es sind positive und negative, allgemeine und besondere Repressalien unterschieden worden. Positive übt der verlegte Staat durch die Wegnahme oder Zurückhaltung von Sachen oder Rechten des verlegenden Staates oder Verhaftung von Personen desselben, wogegen negative durch Vorenthaltung oder Verweigerung von Rechten oder Nichterfüllung vertragsmäßiger Verpflichtungen1) oder wie Phillimore2) sagt „einer obligatio stricti juris wie Bezahlung einer Schuld". Als Beispiele positiver Repressalien führt Klüber an: Pfändung, Beschlagnahme des Transito-Gutes oder auch Matrosenpresse auf den Schiffen des verlegenden Staates. Eine negative Repressalie hält Wheaton auch für begründet, wenn ein Staat sich weigert, einer anderen Nation den Genuß eines Rechts, welches sie beansprucht, zu gestatten.

Allgemeine und besondere Repressalien werden aber in zwiefacher Weise unterschieden. Nach der einen Unterscheidung sind allgemeine begründet, falls ein verlegter Staat seinen Behörden und Beamten Vollmacht ertheilt, sich der Personen und des Eigenthums der verlegenden Nation zu bemächtigen, wo man sie auch finde.) Für den Gegensatz hält fälschlich Wheaton die einzelnen Personen ertheilten Markebriefe. Indeß sind sie das nur für die Vereinigten Staaten, da sie sonst abgeschafft sind. Vielmehr kann für die heutigen Repressalien der Gegensaß nur in solchen als einzelnen Gewaltsmaßregeln bestehen. Aber auch Berner versteht unter den besonderen Repressalien die dem Beschädigten ertheilte Befugniß, auf Kosten der fremden Nation sich selbst Schadensersatz zu verschaffen, wobei er freilich hinzufügt, daß sie un

gebräuchlich geworden. Aber auch allgemeinen Repressalien in dem ihnen oben beigelegten Sinn ist als Maßregel während des Friedenszustandes nicht das Wort zu reden. Schon Wheaton bemerkt, daß sie als gewöhnlich zuerst ergriffene Maßregel beim Anfange eines Krieges vorkommen und daher als eine Kriegserklärung nach sich ziehend betrachtet werden müssen, insofern nicht vom verleßenden Staat Genugthuung ge geben werde. Eine Kriegserklärung nach dem Kriegsanfange statuiren wir freilich nicht, jedenfalls aber erhellt aus Wheatons Ansicht, daß er die obengenannten allgemeinen Repressalien nicht für dem Friedenszustand entsprechende Maßregeln hält, während Berner sie für den Krieg selbst erklärt und zwar in einer ganz ungeregelten und dem heutigen Völkerrecht unverträglichen Form, F. G. v. Martens1) die Ausübung solcher allgemeiner Repreffalien als Uebergang vom Frieden zum Kriege, de Witt und Kent mit dem Kriege selbst für iden tisch und Phillimore für synonym. Es sind daher auch in neuerer Zeit allgemeine Repressalien nur im Kriege angewandt worden. Co verfügte noch im Krimkriege England durch Order in council vom 29. März 18545) gegen Rußlands (des Monarchen, der Unterthanen und Bewohner) Schiffe, Fahrzeuge und Güter general reprisals, so daß die Englische Flotte und Schiffe sich rechtmäßig derselben bemächtigen durften. Jedenfalls verleugnete diese Ordre die Achtung des feindlichen Privateigenthums, welches Englische Autoren freilich für ipso iure verfallen halten. Es suchte jedoch der Lord Oberrichter Hale) die general reprisals von dem Kriege zu unterscheiden. Denn, sagt er, wenn jene auch die Wirkung eines Krieges hätten, so könnte doch kraft derselben keine Privatperson die Schiffe des Gegentheils, ohne ein könig. liches oder obrigkeitliches Commissorium nehmen und geriethen außerdem durch die Repressalien Staaten nicht in einen vollständig feindlichen Zustand hinein. Als kriegs ähnliches Mittel hat aber Hale die generals reprisals trog seiner Apologie doch bezeichnet.

Die zweite beliebte Art der Unterscheidung, wonach unter allgemeinen Repressalien solche, welche der Staat übt, verstanden werden, und unter besonderen, welche der Beschädigte selbst übt) ist auf die heutigen Repressalien ebenso unanwendbar wie die erstere Unterscheidung. Denn es übt in der Regel heutzutage im Friedenszustande nur der Staat Repressalien und es gehören die sogenannten allgemeinen Repressalien gar nicht zu den in Friedenszeiten zu übenden.

Es erhellt aus den vorstehenden Ausführungen, daß die Unterscheidung von allgemeinen und besonderen Repressalien in beiden Auffassungen für das heutige Friedens-Völkerrecht bedeutungslos ist. Schon Bynkershoek) räumte den Repressalien mit den Worten: „Repressaliis non locum esse nisi in pace" überhaupt nur im Friedenszustande eine Stelle ein. Jedenfalls würde aber für sogenannte Kriegs-Repressalien ein anderes Recht als das Repressalienrecht gelten, nämlich das Kriegsrecht, bei welchem sie daher auch zu behandeln sein würden.

1) F. G. v. Martens 1. c. § 259; Klüber § 234 Note c.; Wheaton 1. c.

I. 275; Berner 1. c. 599.

2) Phillimore III. 22.

3) Wheaton 1. c.; Berner 1. c.

4) F. G. v. Martens 1. c. § 262.

5) Phillimore III. 20.

6) Hale, Pleas of the crown. Vol. I. 162, 163.

7) Wurm 1. c.; Berner 1. c.

8) Bynkershoek, Quaest. iur. publ. I. XXIV.

28.

Anlaß zu Repressalien.

Ein Anlaß zu Repressalien ist geboten, sowohl wenn die Staatsgewalt, als wenn die Staatsangehörigen, als auch wenn die domicilirten Ausländer in ihrem Recht, wenn auch ohne Anwendung von Gewaltthätigkeiten, verlegt sind.) Phillimore unterscheidet eine active und passive Rechtsverlegung. Die erstere sei begleitet von actueller Gewalt und Violenz, die leztere bestehe in der Weigerung, eine rechtmäßige Schuld zu zahlen, für welche der Gläubiger in den Gerichtshöfen des Landes des Schuldners sein Recht nicht habe erlangen können.

Eine von Behörden oder Staatsangehörigen verübte, Repressalien verursachende Rechtswidrigkeit kann aber nur dann deren Staatsgewalt zu gerechnet werden, wenn diese daran als Urheber oder als Begünstiger theilgenommen oder sie auf sich nimmt, oder sie gebilligt oder zugelassen2) und sich geweigert hat, die Schuldigen zur Genugthuung anzuhalten.3) Sehr richtig sagt Twiss in Bezug auf den lezteren Fall, daß die Nation dann die Verantwortung der Handlungen ihrer Unterthanen auf sich nehme.

=

Die Veranlassungen zu Repress alien im Einzelnen sind von den Autoren ziemlich übereinstimmend angegeben worden. Nur Woolsey (188) faßt sie allgemein in die Worte zusammen: „Reprisals may be undertaken on account of any injury." Die am meisten, schon von den frühesten Autoren erwähnte Veranlassung sind die Justizverweigerung und Verzögerung. Schon Groot,4) Bartolus a Saxoferrato) und Bynkershoek) aber auch Wolff) und Vatte(s) erkennen sie an und später erklärten Woolsey und Wildman') eine Justizverweigerung (denial of justice) oder eine ihr gleichkommende Verzögerung (delay) als wesentliche Fälle resp. Bedingungen für eine Repressalie. Heffter dagegen anerkennt als zureichenden Grund zu spe ciellen Repressalien jede völkerrechtlich anfechtbare Verzögerung oder Verweigerung des Rechtes durch Eigenmächtigkeit der zum Recht verpflichteten Partei, es sei nun im legislativen,

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