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zu veräußern, aber er kann keine Verfügung treffen, welche das dauernde Eigenthum vorausseßt.5) In Bezug auf die Beurtheilung der vom Eroberer vorgenommenen Handlungen kommt jedoch die Frage, ob derselbe mit Recht oder Unrecht vorgegangen, nicht so sehr in Betracht, wie man zuweilen annimmt. Veräußerungen der Staatsgüter u. dergl. sind absolut nichtig: aber auch alle anderen Handlungen des Feindes, welche aus dem Genusse der Finanzquellen des Staates sich ergeben, sind zwar während der Occupation gültig, brauchen jedoch vom Augenblicke de: Aufhebung letterer nicht mehr anerkannt zu werden. Für die Zukunft wirkende Verträge kann somit der Eroberer überhaupt nicht abschließen. Verkauft er die Ernte einer Domäne, verpachtet er eine Jagd, schließt er Abholzungsverträge, so gilt dies alles eben nur für die Zeit, während der er die Gewalt hat. Sobald diese seine, so zu sagen außerordentliche, Zuständigkeit aufhört, tritt die normale Staatsgewalt mit allen ihren Rechten wieder ein.) Der Privatmann, der sich in solche Geschäfte mit der occupirenden Macht einläßt, thut dies immer auf seine Gefahr (vgl. Wheaton a. a. D., S. 683). Selbst wenn bei Abholzungsverträgen wie bei den viel besprochenen, welche die Deutsche Regierung 1870 abschloß, es sich um einen normalen Schlag handelte, würde kein Staat eine solche Verfügung des Eroberers ohne Weiteres anerkennen.) Wohl hat dieser den Usufructus; er kann aber nicht über zukünftige Früchte Verträge schließen, kann nicht Verträge schließen, die, wie möglicherweise Abholzungen, die Substanz selbst treffen, kann wenigstens dies alles nur, so lange er selbst die Gewalt hat, nicht aber mit Wirksamkeit über die Zeit der Eroberung hinaus. Die Anerkennung solcher noch nicht vollständig erfüllter Verträge hängt somit von dem wieder zu seinem alten Rechte gelangenden Staate ab, und man darf hier vielleicht — ohne Mißverständnissen bei solchem Vergleiche ausgesezt zu sein, mit Stoerk sagen, daß der Staat sich bei der Entscheidung, ob er Thatsachen der Zwischenherrschaft als aufgehoben ansehen oder anerkennen wolle, von ähnlichen Gründen bestim men lassen werde, wie jene sind, welche im Systeme des Privatrechts die Ratificirung einer auftragslosen Geschäftsführung fordern.

1) Ueber den Unterschied von „beseztem“ und „erobertem" Gebiets. Bluntschli in Holzendorff's Jahrb. I., S. 306 ff.

*) Vgl. die Grenzfestseßungen im Frankfurter Frieden oder die Conventionen. betr. Raon und Avricourt vom August 1872 (Martens XX., 882), Rückgabe der Eroberungen z. B. im Frieden von Ryswick, von Amiens.

3) Vgl. z. B. die Erkenntnisse der Franz. Cour de cassation vom 18. April 1826 (Journal du Palais) und 21. September 1871 (Journ. de droit crim., 9117,.. Jenes erkennt ein 1794 unter Englischer Occupation in Corsica gefälltes Urtheil, dies einen Spruch des cour d'assises in Colmar vom November 1870 für gültig an. Andererseits vgl. z. B. eine Anerkennung aller Urtheile der Occupationsmacht im Frieden von Lima, Art. 13. Weitergehend schon Franz. Erklärung von 1769 Vgl. Revue de droit intern. 1872, S. 635.

4) Vgl. z. B. über eine durch Occupation verhinderte Haussuchung Dalloz 1872, I., 286.

5) Ueber die Berechtigung des Occupierenden in dieser Richtung (vgl. Note 7) spricht sich das Erkenntniß des Französischen Cassationshofes vom 16. Mai 1873 dahin aus: „En admettant que la guerre permette à une partie belligérante, soit de séquestrer les biens de l'état dont les armées occupent les territoires, soit d'en percevoir et même d'en vendre les fruits, elle ne saurait l'autoriser à disposer définitivement de ces biens; notamment des arbres de haute futaie que leur nature et la législation qui les régit assimilent au fonds lui-même; spécialement, sont nulles la vente que durant la guerre de 1870 le commandant d'un corps d'occupation ennemi a faite, dans une forêt domaniale, d'arbres anciens réservés, lors des coupes annuelles et la revente qui en a été consenti à un tiers par l'acheteur."

6) Zutreffend formulirt Pitt Cobbet S. 141 das Princip: „Although acts done in a country by an invader cannot be nullified in so far as they have produced effects during the occupation, they become inoperative so soon as the legitimate government is restored."

7) Der vielfach erörterte Fall, betreffend die von Preußen im Jahre 1870 geschlossenen Abholzungsverträge lag thatsächlich folgendermaßen: Am 24. October 1870 verkaufte das Deutsche Gouvernement, vertreten durch Graf Villers, Civilcommissar in Lothringen, an die Bankiers Sackur und Samelsohn in Berlin 15000 mindestens 5 Meter hohe Eichen (von 50 Centimeter Durchmesser, 1 Meter 25 Centimeter vom Boden gemessen) aus den Domanialforsten des Depar tements de la Meuse und de la Meurthe per Stück 3 Thaler. Am 8. November cedirten die Käufer ihr Recht an die Firma Mohr & Haas in Mannheim, welche nach Fällung von 9000 Bäumen ihr restirendes Recht an den p. Haßfeld in Nancy am 15. März 1871 durch Vertrag übertrugen und zwar gegen Zahlung von 40 Francs pro Baum und außerdem 140 000 Francs allgemeiner Kosten. Hazfeld zahlte 150 000 Francs baar und verpflichtete sich im Uebrigen schriftlich für 300 000 Francs. Nachdem ein Theil der Bäume noch während der Occupation gefällt war, wollten die Cessionare ihr vermeintliches Recht auch nach Aufhören derselben geltend machen. Die Französische Regierung verhinderte dies jedoch, erhob überdies diplomatischen Widerspruch und ließ die Erklärung desselben in das Schlußprotokoll der Zusaßübereinkunft zum Frankfurter Frieden (11. December 1871) aufnehmen (Martens XX., S. 868). Danach wurde den betreffenden Abholzungscontracten jede rechtliche Wirksamkeit abgesprochen und jede Verantwortlichkeit abgelehnt. Vgl. Dalloz 1872, II., 229 ff. (185), Sirey 1872, p. 173 (vgl. Dalloz 1874, II., 177, Sirey 1875, I., 267, 362), Calvo §§ 1911, 2990, Rolin-Jaequemyns, Revue de droit intern. 1871, p. 337, 1873 p. 252, Clunet, Journ. de droit intern. privé, 1874, p. 126, Corsi p. 180, Hall § 163, S. 419, Pitt Cobbet, Cases, S. 141, Note Geffcken's zu Heffter S. 292 (7. Aufl., S. 279), Bluntschli in Holzendorff's Jahrbuch I., S. 313, unter Verwerthung der guten Artikel der „Köln. Zeitung; unbedingt für die Berechtigung des Eroberers: Litta, L'occupazione, S. 21-26.

Handbuch des Völkerrechts IV.

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§ 187.

Fortsehung. (Aus der Staatspraxis.)

Literatur und Verweisungen: Die Literatur über die Hessen-Casselschen Fälle ist fast unübersehbar. Die beste aller Schriften: Pfeiffer, Das Recht der Kriegseroberung in Beziehung auf Staatscapitalien, enthält zugleich S. VIII. ff. ein vollständiges Verzeichniß der bis 1823 erschienenen (zwanzig) Schriften. Die spätere Literatur findet sich am vollständigsten bei Klüber, Oeffentliches Recht des Deutschen Bundes, § 169, N. e., und § 253, N. a. und b. Vgl. auch die Citate in Kirchenheim's Lehrbuch des Staatsrechts, S. 198, N. 2, und Rönne, Preuß. Staatsrecht I., S. 177, N. 1. Eine breitere Erörterung der Sachlage insbesondere in der 1. Aufl. von Rotted und Welder's Staatslexikon s. v. Domänenkäufer (IV., S. 476–521 von Murhard). Werthvolle juristische Auseinanderseßungen über diese und ver wandte Fragen in den Protokollen der Deutschen Bundesversammlung, insbesondere 1818 S. 41, 51, 1819 S. 478, 1820 S. 560, 1823 (5. Juni 1823) S. 243-278, (4. December) S. 643 ff. (§§ 90, 100, 164), 1827 § 27, 1828 . 33, 1830 G. 23, 1831 S. 106, 1835 S. 1153, 1838 . 656. Von ausländischen Werken am eingehendsten Phillimore III., S. 841—852.

Bei der Erörterung der Fragen über die Wirksamkeit des Postliminium hinsichtlich der Staatscapitalien und Domänen wurden in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Fälle der sogenannten Westphälischen Domänenkäufer herangezogen, und es ist nöthig, dieselben auch hier zu beleuchten. Dieselben bieten nicht nur ein allgemeines Interesse, sondern führen uns zugleich zur Schlußbetrachtung, indem sie über die Grenzlinie zwischen der völkerrechtlichen Lehre vom Postliminium und der staatsrechtlichen vom Interregnum helles Licht verbreiten.

Der Thatbestand dieser Fälle, die wie kaum eine Streitfrage die Federn der damaligen Juristen in Bewegung seßten, ist folgender, wobei gleich Anfangs hervorgehoben werden möge, daß es sich im wesentlichen um zwei juristisch streng zu trennende Gruppen von Fällen handelt.

1. Nachdem im Jahre 1806 Kurhessen von Napoleon erobert war, blieb dasselbe bis Ende 1807 unter französischer Militäradministration. Später wurde es zum Königreich Westphalen geschlagen, als dessen König im Tilsiter Friedensschluß Jérôme, der Bruder Napoleons, ausdrücklich anerkannt ward. Durch einen Vertrag zwischen Napoleon und Jérôme, d. d. Berlin, den 22. April 1808 (Martens, Supplem. T. V. p. 34) wurde über die Activ Capitalien der Fürsten und Stände derjenigen Länder, aus welchen das Königreich Westphalen gebildet worden, eine besondere Bestimmung getroffen. Danach wurden alle Staats- Capi talien, welche von Fürsten oder Privatpersonen, die nicht Unterthanen des Königs von Westphalen seien, geschuldet worden, dem Französischen

Kaiser aus der Kriegseroberung zugesprochen; alle übrigen Capitalien sollten dem König abgetreten werden. Unter verschiedenen Modificationen folgten ähnliche Verträge mit dem Fürst-Primas u. A. m. (Martens, Supplem. V. p. 241, VII. p. 185.)

Der König von Westphalen bediente sich nun aller Mittel, um die lezteren, ihm zugesprochenen Staatscapitalien von seinen Unterthanen durch Anwendung der ihm zustehenden Staatsgewalt einzuziehen. Napoleon konnte hinsichtlich der ersterwähnten Capitalien nicht das Gleiche thun, da die Schuldner ihm nicht unmittelbar unterworfen waren. So ließ er sich theilweise auf Verhandlungen ein und begnügte sich meistens mit einem Theil der Schuld, für das Ganze Quittung gewährend. ALS Rechtstitel Napoleons wurde angegeben „que par suite de la conquête l'empereur a confisqué au profit de son domaine extraordinaire les créances... et a déclaré qu'il entendait qu'aucun débiteur ne pût se libérer valablement qu'au trésor du dit domaine". Sodann wurde zugefichert la garantie la plus formelle et la plus entière à N. N. contre toutes recherches, demandes et prétentions, soit de la part de l'exElecteur de Hesse, soit de tout autre détenteur du titre original." Als nun 1813 die Wiedereinsehung des Kurfürsten erfolgte, leugnete derselbe die Giltigkeit jener Zahlungen und erkannte die Schuldner nicht als dadurch befreit an.

2. Zu scheiden von dem eben erwähnten Falle, der, wie schon in der Darstellung selbst ersichtlich gemacht wurde, zwei rechtlich ganz verschiedene Fälle in sich schließt, ist der Fall der sogen. Westphälischen Domänenkäufer. Der genannte König von Westphalen hatte während seiner sechsjährigen Regierung viele Domänen veräußert. Als der Kurfürst von Hessen zurückkehrte, erließ derselbe am 14. Jan. 1814 eine Verordnung, wodurch alle während seiner Abwesenheit vorgenommenen Veräußerungen von kurfürstlichen Kammergütern für null und nichtig erklärt wurden. Zugleich wurde die Finanzbehörde (Rentkammer) angewiesen, sich, nöthigenfalls mit Gewalt, wieder in den Besit jener Güter zu sezen. Durch diese Verordnung wurde eine nicht geringe Anzahl von Familien Kurhessischer Staatsbürger mit dem Verlust ihres Vermögens bedroht. Nachdem das von den Kurhessischen Ständen an den Kurfürsten gerichtete kräftige Promemoria vom 26. April 1816 unbeachtet, sowie mehrfache Eingaben an die Deutsche Bundesversammlung ohne Erfolg blieben, und nachdem das Erkenntniß des Kurhessischen Oberappellationsgerichts vom 27. Juni 1818 unentwegt die Rechtsgültigkeit der vom Zwischenregenten innerhalb der Grenzen der Staatsverwaltung vorgenommenen Handlungen anerkannt hatte, erschien am 31. Juli 1818 eine kurfürstliche Verordnung, welche sich als authentische Auslegung der früheren Verordnung von 1814 bezeichnete. In dieser Verordnung (vgl. oben S. 829) wurden den Richtern die Grundsäße vorgezeichnet, welche ihnen bei Beurtheilung von Rechtsstreiten, die das frühere Königreich Westphalen beträfen, zur Richtschnur dienen sollten. Die Rechtfertigung dieser Verordnung sowie

der gesammten Handlungsweise der Regierung übernahm der Professor der Rechte Dr. Robert in Marburg in einer 1819 ohne Angabe des Verfassers und Verlegers erschienen Schrift; als Gegenschriften erschienen die zu den trefflichsten juristischen Monographien gehörenden Arbeiten Pfeiffers, von denen eine sogar dem Kurfürsten gewidmet wurde! Die mannigfachen Beschwerden der Domänenkäufer bei der Bundes versammlung hatten troß häufiger Verhandlungen und troß der Verwen dung des Württembergischen Gesandten von Wangenheim - welcher nach seinem berühmten Bericht und Votum vom 5. Juni 1823 sogar aus Frankfurt abberufen wurde keinen Erfolg.

Die juristische Entscheidung dieser Fälle ist offenbar eine verschiedene: a) Hinsichtlich der an Napoleon gezahlten Capitalien können die Schuldner selbst die erweisliche Zahlung nur unter der Voraussetzung, daß dieselbe durch Zwang erfolgt sei, als Befreiungsgrund gegen den ursprünglichen Gläubiger geltend machen; hinsichtlich der noch gar nicht fällig gewesenen Schuldraten kann selbst erlittener Zwang nicht in Betracht kommen; möglicherweise jedoch können die Schuldner die geleisteten Theil. zahlungen als Mittel, dem Gläubiger selbst das noch Ausstehende zu erhalten, nach den Grundsäßen über die versio in rem qualificiren.

b) Durchaus von diesen Entscheidungsgründen verschieden, unter sich aber gleichartig, sind die Gesichtspuncte, von denen aus die beiden andern Fälle zu beurtheilen sind, der Fall, daß Kurhessische Unterthanen an den König von Westphalen Zahlung geleistet und der Fall der Domänen. käufer. Für beide sind die Gründe des erwähnten Erkenntnisses vom 27. Juni 1818 durchaus zutreffend. Die Kurhessischen Unterthanen sind durch die an Jérôme geleistete Zahlung vollkommen befreit, und die durch Jérôme erfolgten Domänenveräußerungen sind durchaus giltig. Man kann nicht die Zeit der militärischen Beseßung Hessens bis 1807 mit dem nachher geordneten öffentlichen Zustande des neuen Staates gleichstellen. Juristisch war dieser keine plaisanterie de royaume; viel mehr hat auch während der Abwesenheit des rechtmäßigen Regenten der Hessische Staat weiter bestanden, beziehungsweise ist er in den größeren Staatsverband übergegangen. Somit war der neue Herrscher im wirk lichen Besitz der Staatsgewalt, kraft deren er auch Gegenstände des Staatsvermögens veräußern konnte. Dies ist, schreibt Pfeiffer, die reine, gewiß ungekünstelte, auf den lautersten Begriffen von dem rechts lichen Verhältniß zwischen Fürst und Volk beruhende Schlußfolge, welche das vom Kurhessischen Oberappellationsgericht ausgesprochene Erkenntniß lediglich motivirt hat.')

1) Die gegentheilige Ansicht wurde m. E. juristisch am besten begründet durch das Votum Oldenburgs c. vom 4. December 1823 (Protokolle S. 643, welches insbesondere betonte, daß die Käufer in Bethätigung freien Willens gehandelt hätten. Zwar trittt der Eroberer an die Stelle der vertriebenen

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