Page images
PDF
EPUB

Kann ein Vollstreckungsurteil nach §§ 722 und 723 ZPO auf Grund eines nordamerikanischen, insbesondere kalifornischen Urteils erlassen werden?

Von Reichsgerichtsrat a. D. H. Wittmaack.

Durch ein Urteil des VII. Zivilsenats des RG vom 26. 3. 091) ist eine Angelegenheit zum Abschluß gebracht, die in dem Staate Kalifornien und vielleicht darüber hinaus in den Vereinigten Staaten von Amerika wegen der bedeutenden Summen, um die es sich dabei handelte, und der Rechtsfragen, die dabei in Betracht kamen, ein großes Aufsehen erregt haben muß.

Die Feuerversicherungsgesellschaft Rhein und Mosel" in Straßburg hatte im Jahre 1903 eine Konzession zum Geschäftsbetrieb in dem Staate Kalifornien erlangt. Bevor ihr diese Konzession erteilt wurde, hatte sie in Gemäßheit des § 616 des political code dieses Staates in dem Aufsichtsamt für Versicherungswesen (insurance commissioner) den Namen und Aufenthalt eines Vertreters in dem Staate Kalifornien angegeben, welchem Ladungen und andere Verfügungen in einem Prozesse oder in einem anderen rechtlichen Verfahren gegen die Gesellschaft zugestellt werden könnten. Alle gerichtlichen Verfügungen, die auf diese Weise zugestellt würden, sollten die Gerichtsbarkeit (jurisdiction) über die Gesellschaft begründen. Der von der Gesellschaft danach bestellte Vertreter sollte rechtlich als ein Generalbevollmächtigter angesehen werden und der Hauptvertreter der Gesellschaft in Kalifornien sein. Die Gesellschaft mußte ferner als Gegenleistung für die Erteilung der Konzession nach der eben erwähnten Gesetzesbestimmung mit dem Aufsichtsamt für Versicherungswesen eine Vereinbarung abschließen, in

1) RGZ LXX 434 ff. Zeitschrift f. Intern. Recht. XXII.

1

welcher sie sich verpflichtete und anerkannte, daß, wenn sie jemals keinen Vertreter in dem Staat haben sollte, die Zustellung von Ladungen und anderen rechtlichen Verfügungen für sie an den Vorsteher des Versicherungsamts erfolge, und daß eine solche Zustellung dieselbe Wirkung haben sollte, als ob sie an die Gesellschaft selbst erfolgt sei. Der Paragraph bestimmt weiter, daß, wenn eine derartige Zustellung an das Versicherungsamt erfolge, dasselbe innerhalb 10 Tagen der Gesellschaft an ihren Wohnsitz oder an ihre Hauptgeschäftsstelle eine Abschrift der zugestellten Verfügung vermittels der Post frankiert übersenden solle. Der § 405 des BGB von Kalifornien behandelt die Bedingungen, unter welchen fremde Korporationen zum Geschäftsbetrieb in Kalifornien zugelassen werden dürfen und bestimmt, daß jede fremde Gesellschaft innerhalb 60 Tagen nach dem Beginn ihres Geschäftsbetriebs in Kalifornien auf dem Bureau des Staatssekretärs einen Vertreter anzugeben hat, an welchen die Zustellung von Verfügungen der Gerichte und anderer Behörden erfolgen könne. Im Falle, daß ein solcher Vertreter nicht angegeben wird, kann die Zustellung an den Staatssekretär mit rechtlicher Gültigkeit erfolgen. Auch dieser Vorschrift war die Gesellschaft Rhein und Mosel" nachgekommen. An beiden Stellen war von ihr ein gewisser Z. als Vertreter bezeichnet. Die an Z. erteilte Vollmacht wurde ebenso wenig an einer, wie an der andern Stelle später zurückgenommen. Im April 1906 fand das bekannte Erdbeben in San Francisco statt, in dessen Folge auch große Brandschäden entstanden. Die gegen die Gesellschaft Rhein und Mosel" erhobenen Ansprüche beziffern sich zusammen auf etwa 5 Millionen Dollar, also 20-21 Millionen Mark1). Am 25. 8. 06 verzichtete die Gesellschaft auf die Konzession zum Geschäftsbetrieb in Kalifornien. Ihr Vertreter Z. behielt seinen Wohnsitz daselbst. Die Gesellschaft hatte in ihren Policebedingungen die sogen. Erdbebenklausel und glaubte deshalb zur Anerkennung der gegen

"

[ocr errors]

1) Hiervon sollen durch Rückversicherung bei einer schweizerischen Gesellschaft 95% gedeckt gewesen sein, so daß die Gesellschaft Rh. u. M. in dem unglücklichsten Falle, wie er wohl kaum zu erwarten war, ungefähr 1 Million Mark als Entschädigung aus eigenen Mitteln zu zahlen gehabt hätte.

sie erhobenen Ansprüche für Schäden, die mit dem Erdbeben in Verbindung ständen, nicht verpflichtet zu sein. Die Geschädigten in San Francisco erhoben nun bei den dortigen Staatsund Bundesgerichten Klage gegen die Gesellschaft. Die Klagen wurden dem Z. und dem Vorsteher des Aufsichtsamts für Versicherungswesen zugestellt. Die Gesellschaft ließ sich nicht vertreten und wurde durch Versäumnisurteil zum Ersatz der Schäden verurteilt. Die Geschädigten klagten nun bei dem LG in Straßburg auf Grund der §§ 328 und 723 ZPO auf Erlassung eines Vollstreckungsurteils.

Ueber die Vollstreckung ausländischer Urteile enthielt die ZPO von Kalifornien folgende Bestimmungen: Der § 1913 schreibt vor, daß die gerichtlichen Urkunden (judical records) eines anderen Bundesstaats dieselbe Wirkung haben sollen, wie in dem Staate, in welchem sie entstanden sind, jedoch mit der Maßgabe, daß sie nur durch eine besondere Klage oder ein besonderes Verfahren zur Vollstreckung gebracht werden können, und daß die Machtbefugnisse eines Vormunds oder eines gerichtlichen Verwalters oder Testamentsvollstreckers nicht über den Bereich des Staates, in welchem die Bestellung stattgefunden hat, hinausgehen. Der § 1914 bezieht sich auf die Verhältnisse der Seeschiffahrt. Es wird bestimmt, daß die Wirkungen des Urteils eines fremden Seegerichts (Court of Admiralty) die gleichen sein sollen, wie diejenigen eines Seegerichtshofs der Vereinigten Staaten.

In dem § 1915 hieß es: „Die Wirkung eines Urteils eines andern Gerichtshofs eines fremden Staates, welcher Gerichtsbarkeit zur Erlassung des Urteils hat, ist folgende: 1. Bei einem Urteil bezüglich einer bestimmten Sache ist das Urteil abschließend für das Recht auf die Sache; 2. ein Urteil gegen eine Person begründet eine Präsumption (presumptive evidence), daß das Recht zwischen den Personen und ihren Rechtsnachfolgern besteht. Diese Präsumption kann nur durch den Nachweis des Mangels der Jurisdiktion oder der Zustellung der Klage an die Partei, oder einer Kollusion, einer fraus (fraud) oder offenbaren Irrtums in bezug auf das Recht oder die Tatsachen widerlegt werden“.

In bezug auf die Vollstreckung ausländischer Urteile wurde. durch ein Gesetz vom 11. 3. 07 die Bestimmung der kalifornischen ZPO geändert und nunmehr angeordnet, daß die Urteile aus ausländischen nichtamerikanischen Staaten in Kalifornien dieselbe Wirkung haben sollten, die sie in ihrem Staate und die kalifornische Urteile in Kalifornien hätten.

Dieses Gesetz ist augenscheinlich erlassen, um die Vollstreckung der Urteile, welche gegen die ausländischen Feuerversicherungsgesellschaften in Kalifornien gefällt würden, in der Heimat der Gesellschaften zu sichern. Wahrscheinlich hat man insbesondere die Bestimmungen der deutschen ZPO dabei im Auge gehabt.

Die Aenderung der Gesetzgebung hat den kalifornischen Versicherungsnehmern nichts genützt. Ihr Antrag auf Erlassung eines Vollstreckungsurteils für die in ihrer Heimat gegen die Gesellschaft Rhein und Mosel" erstrittenen Urteile ist in allen drei Instanzen für unbegründet erklärt.

Wie mir scheint, ist dieses Resultat ein recht unglückliches. Abgesehen von den wirtschaftlichen Nachteilen, welche die Entscheidung für deutsche Gesellschaften, die in den Vereinigten Staaten Geschäfte betreiben oder betreiben wollen, zur Folge haben muß, bleibt die Verletzung der Verpflichtungen, welche die Gesellschaft bei Erwirkung der Konzession in Kalifornien übernommen hatte, vor den dortigen Gerichten Recht zu nehmen, ungesühnt. Es wird von den deutschen Gerichten die Mitwirkung dazu versagt, die Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten. Die unglücklichen Opfer der Erdbebenkatastrophe, die sich auf ihre Versicherungen verließen, sind in der berechtigten Erwartung, daß sie ihre Ansprüche aus den Versicherungen in ihrer Heimat mit Erfolg geltend machen konnten, getäuscht, sie büßen die von ihnen gezahlten Prämien zugunsten der Versicherungsgesellschaft ein. Es bleibt ihnen noch übrig, in Deutschland die Versicherungsgesellschaft zu belangen, allein wer möchte ihnen dazu raten? Sie haben zunächst den Einwand zu erwarten, daß nach den kalifornischen Gesetzen und nach den von der Gesellschaft bei der Konzessionierung übernommenen Verpflichtungen und Vereinbarungen nur die

kalifornischen Gerichte zur Entscheidung über die Entschädigungsansprüche zuständig seien. Aber abgesehen hiervon hängen die Ansprüche nicht allein von der Auslegung der in englischer Sprache verfaßten Versicherungsbedingungen, sondern auch von tatsächlichen Feststellungen über Vorgänge in Kalifornien ab. Dazu kommt, daß man in unsern juristischen Kreisen den Ansprüchen der durch das Erdbeben Verunglückten keineswegs günstig gestimmt zu sein scheint. Ueberdies müssen unsere, nach amerikanischen Ansichten enormen Prozeßkosten von der Geltendmachung der Ansprüche in Deutschland abschrecken 1).

Englische Versicherungsgesellschaften haben unter gleichen Verhältnissen, wie die deutschen, in Kalifornien das Versicherungsgeschäft betrieben. Auch gegen sie wurden große Ansprüche wegen der bei dem Erdbeben durch Feuer verursachten Schäden erhoben. Diese Ansprüche sind von ihnen zum Teil durch Vergleich erledigt. Soweit dieses nicht möglich war, haben sie in Gemäßheit der von ihnen übernommenen Verpflichtung vor den kalifornischen Gerichten Recht genommen. Der Vergleich zwischen der deutschen Gesellschaft und den englischen fällt also zugunsten der letzteren aus. Die englischen Gesellschaften haben eine größere Treue gegenüber den von ihnen übernommenen Verpflichtungen gezeigt 2).

Es verlohnt sich wohl der Mühe, zu untersuchen, welchen Umständen das unbefriedigende Resultat der Entschädigungsprozesse gegen die deutsche Gesellschaft zuzuschreiben ist.

Wenn ich diesen Versuch unternehme und die Entscheidungen der deutschen Gerichte einer Kritik unterziehe, so möchte ich zunächst bemerken, daß ich mir die Kenntnis des nordamerikanischen Rechts, soweit es hier in Frage kommt, selbstverständlich erst in Anlaß der Entscheidungen anzueignen gesucht habe.

1) Nach einer Mitteilung in einer nordamerikanischen juristischen Zeitschrift handelt es sich um ca. 1300 Klagen, für die ein Kostenvorschuß von zusammen 11/2 Millionen Mk. einzuzahlen sein würde. In Deutschland sind aber zunächst nur einige von diesen Ansprüchen versuchsweise geltend gemacht. 2) Man kann der Direktion der Gesellschaft Rhein und Mosel" aus ihrem Verhalten keinen Vorwurf machen. Sie hatte das Interesse der Aktionäre, wie solches nach unserm Rechtszustand sich gestaltete, wahrzunehmen und hätte sich vielleicht Regreßansprüchen ausgesetzt, wenn sie anders verfahren wäre. Der Fehler liegt in dem Rechtszustand.

« PreviousContinue »