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Aus 80412.2

Harvard College Library

NOV 8 1911
Gift of
Prof. A. C. Coolidge

ort.

Der

er Staat ist einer der anziehendsten Gegenstände der Wissenschaft, denn er hat die umfangsreiche Aufgabe, das Ideal der menschlichen Bestimmung möglichst so' weit zu verwirklichen, als diess nur durch gemeinschaftliches Zusammenwirken geschehen kann, somit die Kraft des Individuums nicht genügt. Hebung der Moralität, Legalität, Wissenschaft, Kunst und des physischen Wohlseins ist also nicht nur Pflicht des Individuums, sondern auch des Staates, so weit letzteres nicht genügt und ein Zusammenwirken erfordert. So wie von dem Individuum, wenn es hinanschreiten soll zu dem erhabenen Ideale seiner Bestimmung, zwei Maximen festzuhalten sind, dass es nämlich 1) alles jenes Gute, was es bisher errungen hat, fest bewahre und 2) jene Mängel, welche die menschliche Gebrechlichkeit erzeugt und die bessere Einsicht als dem Ideale conträr herausgestellt hat, entfernen und durch Anderes, dem Ideale mehr Entsprechendes ersetze, d. h. dort conservativ, hier progressiv wirke: so hat auch der Staat beide diese Maximen festzuhalten; auch für ihn gibt es kein Aufstreben zum Ideale, wenn er eine derselben aus den

Augen lässt, somit entweder bloss conservativ oder bloss progressiv wirkt, denn im ersten Falle bewahrt er mit dem Guten, das das Staatsleben bisher hervorrief, auch alle Mängel desselben, die sich in dem Maasse mehr und mehr herausstellen, als die Individuen an Einsicht mehr und mehr zunehmen, welches klarere Hervortreten der Mängel aber im Volke Unmuth, nach und nach Erbitterung und mit dieser Schwäche der Staatsmaschine erzeugt, welche dann häufig zum gänzlichen Ersterben der selbst mächtigeren Staaten führt, d. h. das Ideal des Staatslebens, unter dessen Merkmale gewiss die Erhaltung der Selbstständigkeit für alle Zukunft gehört, verschwinden macht. Im zweiten Falle dagegen entsteht ein beständiges Einreissen des kaum Aufgebauten; jedes Jahr bringt neue, den ganzen Staatsorganismus durchschütternde Veränderungen; fort und fort wird experimentirt; was heute mit glühender Liebe und mit tobendem Enthusiasmus erfasst wird, ist morgen ein Schreckbild für Alle und muss einem neuen Phantasiebilde weichen; jede Generation muss von vorne beginnen, und kaum bis zu einem gewissen Ziele herangereift, einen neuen Weg zu einem anderen Ziele einschlagen, d. h. das Volk lebt hier in beständigen Zuckungen, dreht sich fortan im Kreise, ermüdet und erschlafft dabei, fällt in Apathie, deren nächste Folge die Lähmung der Staatsmaschine ist, was doch gewiss Jeder als ein totales Verfehlen des Ideales ansehen muss! Beide diese Maximen also im schwesterlichen Bunde allein sind im Stande, den Staat blühend zu machen

und ihn dem Ideale anzunähern! Daher ist es denn eine gewiss erhabene Aufgabe, die Verfassung Ungarns mit Rücksicht auf diese beiden Maximen in einem Momente in's Auge zu fassen, wo der Wunsch nach vorwärts von einem Ende bis zum andern in diesem herrlichen von der Vorsehung mit physischen und psychischen Gaben reich gesegneten Lande ertönt, um das anzudeuten, was darin feststehen, und was als ein vor gründlicher, durch Erfahrung unterstützter Wissenschaft klar dastehender Mangel beseitigt werden muss, wenn dieser glühende Wunsch, mit verständiger Mässigung gepaart, eine Realisirung finden soll. Dass ich einen Versuch dieser Darstellung mache, wird eine geneigte Entschuldigung darin finden, weil ich durch längere Zeit den Gang des ungarischen Reichstages ganz in der Nähe zu beobachten Gelegenheit hatte und seither meine Mussestunden dem Nachdenken über diese Verhältnisse um so lieber widmete, als das grossmüthige Land meine aufrichtigen Bemühungen um seine Credits - Gesetzgebung mit der ehrenvollen Ertheilung des Indigenats für mich und meine rechtmässigen Nachkommen so wohlwollend anerkannte. Kann ich als Einzelner die Sache auch nicht erschöpfen, so gereicht es mir wenigstens zur Beruhigung, Veranlassung zur genauen Erörterung dieses hochwichtigen Gegenstandes gegeben zu haben. viel ich mich überzeugte, wird das Beurtheilen der ungarischen Verfassung hinsichtlich ihrer Zweckmässigkeit nur dann vollständig gelingen, wenn man die ungarische Verwaltung dort genau in's Auge fasst,

So

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