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im Ganzen vor öffentlichem Reden. Es würde ihn weit eher innerlich verderben als vorwärts bringen.')

Wer aber diesen innern Beruf hat, dem sehr häufig der äussere folgen wird, der hat die Hauptsache dessen, was zum Redner gehört, er bedarf bloss noch einiger Ueberlegung zunächst und sodann der Uebung, um sich vollständig auszubilden. Mit solchen «prädestinirten» Rednern sprechen wir weiter.

Der Ausgangspunkt ist der: Bleibe natürlich. aber verbessere deine Natur da, wo sie es bedarf. Wolle also nicht im Geringsten durch die Rede irgend etwas scheinen, was du nicht bist. Rede individuell, niemals mit Nachahmung irgend eines Andern, sondern stets im vollsten Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. 2) Auch alles sonstige Gesuchte soll vermieden werden, beispielsweise eine übermässige Bescheidenheit (die überhaupt im Leben gewöhnlich das innere Gegentheil verräth) etwa in Ausdrücken wie das Unbedeutende, was ich vorzutragen habe», oder in der Versicherung « tiefgefühlten Dankes» am Schlusse << für die Geduld und Nachsicht, mit der man angehört worden sei,» und dergleichen öfter vorkommende, unwahre Redensarten, die auch Niemand wirklich für Ernst ansieht.3)

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Sinn für Gerechtigkeit, der Gelehrte durch Wahrhaftigkeit, der Geistliche durch Gottes- und Menschenliebe. Ein genusssüchtiger, geiziger, neidischer, eitler Pfarrer z. B. könnte nie ein ächter Redner werden. In diesem Sinne sagt Cicero, er habe sich nicht in den Rhetorenschulen, sondern in der philosophischen Schule der Akademie zum Redner ausgebildet: fateor me oratorem non ex rhetorum officinis sed ex academiæ spatiis extitisse".

1) Zwischen Reden und Sprechen ist eben ein grosser Unterschied. Die Franzosen haben dafür ein beneidenswerth kurz ausgeprägtes Wort: Il y a des personnes qui parlent toujours et ne disent jamais rien.“

3) Nichts ist z. B. verfehlter, als wenn ein von Natur etwas trocken angelegter Verstandes mensch plötzlich pathetisch zu sprechen anfängt.

*) Ein klassisches Beispiel enthält der Eingang einer akademischen Antrittsrede der Berner Akademie aus dem Jahr 1809 mit folgenden Worten:

Eine besondere Marotte einiger Redner ist es, um jeden Preis unvorbereitet scheinen zu wollen, wo sie es nicht sind. Es ist keine Schande, vorbereitet. zu sein, wenn auch, wie wir noch sehen werden, nicht immer zweckmässig. Wesshalb also den Zuhörer darüber täuschen wollen?1)

Manche Personen haben die üble Gewohnheit, vorzugsweise witzige Reden halten zu wollen, während sie doch von Natur nicht witzig sind. Der Witz ist gänzlich eine freie Gottesgabe. Wer sie nicht hat, soll sie nicht suchen und namentlich nicht etwa in blossen Wortpointen suchen, in der Weise, wie sie besonders in der Umgegend der deutschen Reichshauptstadt gedeihen. Witze sind, wie das Sprüchwort sagt, Blitze, man könnte auch mit Laboulaye sagen << einzelne Sonnenstrahlen », rasch und leicht im Augenblick aufleuchtende Gedanken. Wer dagegen, wie jener Professor, an den Rand des Kollegienheftes schreiben muss: «Hier pflege ich gewöhnlich einen Witz zu machen», der sollte es lieber bleiben lassen.

Ganz in die nämliche Kategorie wie der Witz gehört die Anekdote, namentlich die selbsterlebte. Sie

„Wenn ich durch ein wahrhaft allzugrosses und unverdientes Zutrauen zu der Stelle eines Prorektors der Akademie berufen, mich kaum von der ersten magischen Leberraschung einigermassen sammle und mit schüchternem Blick mich in einer so ganz neuen, so ganz unerwarteten Stellung, die in jeder Hinsicht über mich und meine Kräfte ist, umzusehen anfange, bedarf es da wohl einer Versicherung, dass mir auf Augenblicke der Muth entsinkt, dass ich die ganze Kraft des Willens gegen mein eigenes banges Gefühl aufbieten muss?"

1) Gewöhnlich fängt ein solcher Redner etwa mit den Worten an: Unvorbereitet wie ich bin." Das ist fast immer nicht wahr. Einen ebenso peinlichen Eindruck macht das Manuskript im Hute, das man zuweilen, z. B. bei Leichenreden, sicht, aber nicht sehen sollte. Vollends naiv ist es, so zu verfahren, wie einst ein Landammann in Ilanz, der zuerst seine Wahl (welcher eine Antrittsrede zu folgen hat) mit dem grössten Erstaunen aufnahm und mit den höchsten Versicherungen erklärte, an diese Ehre niemals im Traume gedacht zu haben, endlich aber, dem ungestümen Drängen seiner Mitbürger nachgebend, seine Antrittsrede aus der Tasche zog und ablas.

hat, wenn sie zutreffend ist, einen Werth als Beweismittel für das Gesagte, das dem Zuhörer die Sache deutlicher macht; besteht aber eine Rede aus lauter solchen Geschichtchen, so hinterlässt sie leicht einen zu wenig ernsten Eindruck.

Ebenso wenig passt in den mündlichen Vortrag ein übermässiger gelehrter Apparat. Nichts ist langweiliger anzuhören als eine Reihe abgelesener Büchertitel, oder die Citation einer Menge würdiger Autoren, deren Verdienste den meisten der Zuhörer wahrscheinlich unbekannt sind.

Ein einem besondern Stande angehörender Fehler gegen die Natürlichkeit ist der sogenannte Kanzelton. Es ist dies jener eigenthümliche Tonfall, wie er nur bei geistlichen Rednern vorzukommen pflegt. Der nämliche Pfarrer redet ganz anders schon bei der Kinderlehre, vollends gar bei einem Toast, oder in einer Bürgerversammlung. Bedarf der geistliche Gegenstand der Rede wirklich eines andern Tons als der geistige? Oder liegt darin nicht vielmehr die Aufforderung an den Zuhörer, den Pfarrer auf der Kanzel von dem Menschen im Leben zu unterscheiden und anzunehmen, er würde vielleicht ganz anders reden, sobald er seinen <natürlichen» Ton annehmen dürfte oder müsste. 1)

1) Das katholische Volk unterscheidet bekanntlich den Priester von dem Menschen und es gibt (namentlich im Luzerner Gebiet) eine Redensart: „Das heilige Amt in die Kirche gestellt, ist der Pfarrer im Uebrigen dies und jenes. Viele Protestanten denken genau so. Sie finden es sogar durchaus am Platze, wenn der Pfarrer auf der Kanzel mehr glaubt als im freundschaftlichen Gespräch. Der Ausdruck dieser Differenz ist der Kanzelton. Auch die geistliche Rede soll vollkommen natürlich und ohne alle andere Emphase sein als die, welche eine bei dem Redner vorhandene Begeisterung für den hohen und edlen Gegenstand der Rede mit sich bringt. Etwas thut übrigens in der That, wie Theremin entschuldigend bemerkt, die Kanzel selbst dazu, die in den meisten Fällen zu hoch und von dem Publikum zu weit entfernt ist so dass der Redner in gar keinem rechten Kontakt mit demselben steht. Der gleiche Redner redet anders, wenn er sich auf ebener Erde befindet.

Die Herren Geistlichen stehen übrigens in diesem ihnen öfters begegnenden Verstosse gegen die Natürlichkeit keineswegs allein.) Er findet sich auch häufig in Grabreden, die von Weltleuten gehalten werden, wobei sie gröblich gegen die Wahrheit und innere Ueberzeugung reden. Ein solches bloss formales Todtenopfer kann nie eine wirksame Rede sein.

Ebenso kommt dergleichen vor bei juristischen Kriminalvertheidigungen, besonders vor den Geschwornengerichten, wo Anfänger in der Vertheidigungskunst oft eine Rührung über die Schicksalsschläge ihres Klienten und eine tiefe Bekümmerniss um das Loos seiner Angehörigen an den Tag legen, die ihnen sonst im Leben nicht eigen ist. 2)

Die rechte Natürlichkeit in der Sprache hält stets die richtige Mitte zwischen dem Trivialen. und dem gesucht Pathetischen. Denn einerseits erfordert es der Respekt, den der Redner vor dem Zuhörer haben muss, dass er ihn nicht mit blossen Gemeinplätzen oder in einer trivialen Ausdrucksweise anrede, die immer ein Urtheil über den Zuhörer enthält. Eine Rede wird um so besser sein, je höher der Redner von seinen Zuhörern denkt, und man darf in dieser Hinsicht im Allgemeinen wohl sagen, er sollte sich eigentlich stets in den Gedanken hineinversetzen, zu

1) Dieselben sind überhaupt nicht, wie aus ihrer mehrfachen Anführung geschlossen werden könnte, besonders grosse Sünder gegen die geheiligten Gesetze der Redekunst. Aber sie haben die ganz besondere Pflicht und auch die beste und beständige Gelegenheit, dieselbe zu üben, und thun ihrem Amte grossen Eintrag, wenn sie dies aus Bequemlichkeit oder aus Mangel an Aufmerksamkeit zu sehr vernachlässigen.

2) Man hat in England für diese Art von Beredsamkeit, die das steinerne Herz der Geschwornen mit Gewalt bezwingen soll, einen eigenen technischen Ausdruck, hergenommen von dem Sitze eines solchen Hauptschwurgerichtshofes in London; man nennt sie „Old-Bailey-Beredsamkeit“. Sie ist mit grosser Vorsicht anzuwenden, da ihr ein bereits eingewurzeltes Misstrauen der Richter entgegensteht.

der ganzen gebildeten Menschheit zu reden und immer das Beste geben, was er überhaupt hat.')

Dagegen ist andrerseits heutzutage der vorzugsweise Geschmack am Pathos der Rede, der zu Anfang des Jahrhunderts und bei uns bis in die Dreissiger Jahre hinein vorherrschte, fast gänzlich abhanden gekommen. Die Redner der französischen Revolution, Vergniaud, Gensonné, Mirabeau, würden auf uns den Eindruck nicht mehr machen, den sie auf ihre Zeitgenossen hervorbrachten. Wir sind um ein Jahrhundert älter geworden und jetzt eher geneigt, das Urtheil eines spätern Franzosen zu unterschreiben, welcher von ihnen sagt: <leur éloquence était théâtrale comme leur liberté.> 2)

Mit der Forderung einer edlen Natürlichkeit so wollen wir uns also ausdrücken hängen zusammen einige Dinge, die als üble Gewohnheiten zu bezeichnen sein werden, obwohl sie im Grunde. lauter Verstösse gegen eine natürliche Redeweise und Betrachtungsweise der Dinge sind, die durch

1) Schopenhauer sagt sehr richtig, wer nachlässig schreibe, zeige, dass er selbst seinen Gedanken keinen Werth (beilege. Das gilt auch vom Reden.

2) Noch weniger würden wir an Burke Geschmack finden, der seine pathetischen Reden ablas und dabei gelegentlich einmal einen Dolch vor das Parlament schleuderte. Es ist übrigens merkwürdig, dass diese Opposition gegen die theatralische Beredsamkeit schon in der damaligen Zeit zuweilen ihren klassischen Ausdruck fand, sogar in Kreisen, bei denen man dies nicht voraussetzen würde. Das bekannteste Beispiel ist das Wort von Saint Just, das er seinem Kollegen Robespierre zuwarf, welcher der Hauptredner dieser theatralischen Gattung war und besonders gerne in pathetischem Tone von seinem gewissen „Etre suprême", seiner eigenen Erfindung, zu reden pflegte: „Robespierre, avec ton Etre suprême, tu commences à m'embêter." Die vorzugsweise pathetischen Redner kommen heute nur noch bei den romanischen Völkern vor, z. B. Castelar, Gambetta, Crispi, Nicotera, Tajani. In England dagegen wäre jetzt eine Redeweise wie diejenige Burke's ganz unmöglich. Ebenso würden bei uns s. Z. berühmte Redner, wie Regierungsrath Waller von Aargau, das Ohr der Versammlungen nicht mehr besitzen. Die letzten bedeutenden Redner dieser ältern Art waren Gaudenz von Salis in Graubünden und der Träu

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