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seine unumgängliche Betheiligung an Vereins- und Festangelegenheiten, die beinahe ebensosehr als Wahlen und Referendumsabstimmungen zu dem öffentlich-republikanischen Leben gehören. Von grösseren Ereignissen dieser Art erwähnen wir: das eidgenössische Schützenfest in Genf, welches eine ungewöhnliche Menschenmenge während 12 Tagen in der Stadt Calvins vereinigte. Im September steht eine schweizerische landwirthschaftliche Ausstellung in Neuenburg bevor. In Zürich hatte im Laufe dieses Frühjahrs eine «internationale Hundeausstellung » stattgehabt. Eine englische Ausstellerin hatte dabei den ausserordentlichen Einfall, ihr Ausstellungsobjekt, einen Bernhardinerhund, auf über 1 Million Franken zu taxiren. Es erinnerte diess unwillkürlich an ihren berühmten Landsmann Carlyle, welcher behauptete, dass in England die Thiere viel mehr Werth besässen als die Menschen, dergestalt, dass man noch nie gehört habe, dass zu viel Pferde, Ochsen etc. vorhanden seien, wogegen die Beschwerde über Uebervölkerung eine so alltägliche sei, dass daran kaum noch Jemand Anstoss nehme. Der etwas wunderliche Philosoph schliesst daraus, dass irgend etwas in der dortigen Staatseinrichtung nicht in Ordnung sein müsse, da doch ein Mensch, wenn man ihn zur Beschäftigung anleite, geschickter und zur Arbeit brauchbarer sei als jedes noch so nützliche Thier, und wir glauben auch, der Vorstand der Hundeausstellung hätte jener Dame die Bemerkung nicht ersparen sollen, dass solche Millionenhunde eine Beleidigung gegen alles natürliche menschliche Gefühl und auf unserem Boden nicht an ihrem Platze seien.

Eine grössere Aufmerksamkeit noch als diese Feste und Ausstellungen werden im Laufe des Herbstes die Wahlen für die neue dreijährige Amtsperiode des Nationalrathes beanspruchen, bei welchen sich die politischen Parteien zu messen und allfällige neue Parteikonstellationen sich zu erklären und ihre Programme aufzustellen pflegen.')

Das Parteiwesen ist etwas, worüber Jedermann zeit

3) Die Wahlen des Ständeraths sind der Gesetzgebung der Kantone anheimgegeben und fallen nicht nothwendig mit diesen zusammen. Sie haben nicht diese prinzipielle Bedeutung erlangt.

weise klagt, ohne es ernstlich beseitigen zu können, oder auch nur zu wollen. Es gibt zwar auch in der Schweiz eine gar nicht unbedeutende Klasse von Menschen, von welchen ein französischer Schriftsteller sagt: « Les esprits justes engagés dans la politique sont aussi malheureux, que les gens délicats à une table médiocrement garnie, où ils doivent tout trouver excellent.» Diese « justesse d'esprit ist jedoch nur möglich, wenn man sich im Grunde ausserhalb der bestehenden Parteien befindet, womit sofort Alles unter einem andern, je nach der Gemüthsbeschaffenheit des Beschauers schärferen oder milderen Lichte erscheint. Innerhalb einer Partei ist eine gewisse Einseitigkeit, selbst Rücksichtslosigkeit nicht leicht zu vermeiden. Man fühlt eben, wie ein anderer heutiger Schriftsteller sich ausdrückt, « nicht die Aufgabe, nebenbei auch im Interesse seiner Gegner zu denken », sondern zunächst nur die, ein Kämpfer für die eigenen Anschauungen zu sein. In der weiteren Fortsetzung dieser beiden Wege entsteht auf dem einen das verdrossene, oder gleichgültige Sichzurückziehen von der Betheiligung an dem politischen Leben, welches einen Theil unserer oberen Klassen kennzeichnet und das Uebel vermehrt, das sie beseitigt zu wissen wünschten; auf dem andern die ebenso bekannte, verderbliche Parteimoral, welche die Menschen nach ihrer Parteinahme beurtheilt und vor allen Dingen keinerlei Unabhängigkeit der Gesinnung neben den jeweiligen Parteiparolen dulden will. Dabei kann es dazu kommen, dass ein Wahlkandidat mit Frau Fluth in den « lustigen Weibern von Windsor sich sagen muss: « Ich hätte zu grossen Ehren kommen können, wenn ich nur meine Reputation hätte aufgeben wollen », dass also Ehre und Ruf sich nicht mehr decken, vielmehr das Volk zuweilen und in einzelnen Fällen die Vertretung seiner öffentlichen Interessen Leuten anvertraut, die ihm für die Besorgung der Geschäfte des Privatlebens zu wenig Garantie bieten würden. Es wird selten einen Staatsmann einer Republik geben, welcher sich nicht zeitweise in seiner öffentlichen Laufbahn vor diese Wahl gestellt sieht. Das richtige Lösewort in solchen Konflikten fand s. Z. Präsident Garfield, welcher sagte, es sei ihm am Ende doch hauptsächlich an der guten Meinung desjenigen Menschen gelegen, mit dem er beständig leben müsse, und das sei er selber.

Jedenfalls haben diejenigen Personen, welche in diesem Jahre berufen werden, das Staatsruder der Eidgenossenschaft für die nächsten drei Jahre zu ergreifen, eine ungewöhnlich schwierige Aufgabe vor sich und müssen von vorneherein darauf Verzicht leisten, alle die Erwartungen zu befriedigen, die auf sie gerichtet werden.

Die Schwierigkeiten ihrer Stellung scheinen besonders, abgesehen von den äusseren Ereignissen, die diese nächsten drei Jahre muthmasslich bringen werden, in folgenden Punkten zu liegen: Zu allervörderst in der beginnenden allzu starken und zu einseitigen Betonung der « wirthschaftlichen Interessen im Gegensatz zu den politischen. Es ist diess allerdings zunächst eine Art von Reaktion gegen den entgegengesetzten Fehler. Es ist aber falsch, in einer Republik irgend einem Egoismus von Klassen oder Ständen einen vorwiegenden Einfluss auf die Staatsgeschäfte einzuräumen 1), und es ist auch sehr fraglich, ob überhaupt wirthschaftliche Interessen auf Kosten der politischen gefördert werden können. In der Regel zeigt die Geschichte, (z. B. die neueste in Frankreich und Deutschland), den umgekehrten Fall, dass nämlich der wirthschaftliche Aufschwung stets eine Folge der politischen Machtstellung und Kraft des Staates ist. Ein anderer Mangel besteht in der sehr verbreiteten, unklaren oder unrichtigen Verbindung der religiösen Interessen mit den politischen. Die Religion ist ein Theil der Individualität, grösstentheils sogar ein Produkt der individuellsten Lebenserfahrung und gar nicht geeignet, zum politischen Partei-Schiboleth gemacht. zu werden. Namentlich das Christenthum ist aller politischen Parteiung gänzlich fremd und lässt sich nicht, ohne einen unheilbaren Schaden zu erleiden, direkt mit irgend einer politischen Bestrebung verbinden. Der dritte Fehler liegt in der bereits angeführten zu hohen Taxirung der Partei überhaupt. Die Partei ist ein Mittel, um das Vaterland und das wahre Interesse des Ganzen zu erhalten, keineswegs ein Selbstzweck und noch weniger eine Versorgungsanstalt und eine gegenseitige Assekuranz für die Parteigenossen. In dem grossen amerikanischen Parteikampf des Jahres 1884 um die Kandidatur Blaine's und Cleveland's sprach sich

1) Das Gefährliche bei diesem Vorwiegen und unbedingten Betonen der wirthschaftlichen Interessen liegt darin, dass: „le devoir devient souvent obscur, l'intérêt est toujours certain."

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einer der bedeutendsten amerikanischen Staatsmänner, Karl Schurz, welcher damals der Parteilosung der Republikaner > nicht folgen, sondern vor allen Dingen eine nach allen Seiten hin ehrliche Regierung haben wollte, folgendermassen aus: « Das « Volksblatt fragt, wo ich wohl nach vier Jahren zu finden sein werde. Ich antworte, ich werde da zu finden sein, wenn ich noch im öffentlichen Dienste sein sollte, wo ich in den letzten 20 und 25 Jahren zu finden war und wohin mich meine ehrliche Ueberzeugung führt, um eine gute ehrliche Regierung zu sichern; aber niemals da, wo mich irgend eine Partei hinkommandiren mag. Manchen Leuten wird es sehr schwer zu begreifen, dass es etwas Höheres gibt als die Partei; dass das Land nicht der Partei halber, sondern die Partei des Landes halber da ist. Es muss Parteien geben, die einen nützlichen Zweck haben; dieselben dürfen aber nur das Mittel zu einem guten Zweck sein, und wenn eine Partei keinen guten Zweck mehr anstrebt, dann hat sie ihre Berechtigung verloren. »

Es ist diess das Urtheil jeder Geschichte, namentlich auch der schweizerischen, welche die Folgen des Parteiwesens, das um seiner selbst, nicht um des Landes willen da ist, auf vielen dunkeln Blättern zeigt. In so kleinen Staaten, wie die Eidgenossenschaft, wird jede Partei, welche die allgemeinen Gesichtspunkte aus den Augen verliert, unfehlbar in Bälde eine blosse Clique, wenn nicht gar, was man in Amerika einen «ring, oder in Italien eine « camorra » nennt, eine Verbindung zur Verfolgung persönlicher Interessen.

Was sich vermuthlich in Folge der diessjährigen Nationalrathswahlen gestalten wird, ist eine neue Definirung der politischen Parteien, deren jetzige Bezeichnungen zum Theil ihre frühere Bedeutung verloren haben.1) Thatsächlich vorhanden sind als Elemente zur Bildung von solchen: eine mehr oder weniger ausgesprochene sozialistische Anschauung, welche, von ökonomischen Gesichtspunkten ausgehend, den Staat neu einrichten, zum Theil vielleicht nach internationalen Anschauungen über

1) Was jetzt z. B. liberal heissen soll, weiss Niemand mehr, und in jedem Kanton beinahe ist die Bedeutung dieses einst ganz klaren Wortes eine verschiedene. Es gibt Kantone, wo es jetzt geradezu konservativ“ bedeutet, oder wo man sogar von einer liberal-konservativen" Partei spricht, was im Jahre 1830 oder 1817 Niemand als etwas Anderes, denn als einen völligen Widersinn betrachtet haben würde.

haupt neu begründen will; sodann die bisher sogenannte ultramontane Partei, wozu auch ein Theil der Protestanten gehört, für welche nicht der Staat, sondern die Kirche, die in allen, auch rein weltlichen, Dingen in erster Linie massgebende Genossenschaft und Autorität ist, und endlich eine künftige Partei, die vorläufig noch keine rechte Konsistenz, keinen Namen und noch weniger eine brauchbare Organisation hat '), deren Prinzipien wahrscheinlich ungefähr die folgenden sein werden:

1. Nationalität. Ehrenvolle Erhaltung der historischen schweizerischen Eidgenossenschaft, keinerlei Art von Internationalismus der Gesinnung. Was liegt uns an allen Fortschritten, wenn dieser Staat, in dem wir geboren sind und der dermalen unserer Generation zur Erhaltung anvertraut ist, in unsern Händen untergeht? 2. Arbeit. Keine Genusssucht, keine Trunksucht, keine unaufhörlichen Feste und auch keine Klassen, die, gleichgültig für Andere, nur von der Arbeit derselben leben wollen. 3. Friede. Keine absichtlich, nur der Agitation wegen, herbeigeführten Parteikämpfe im Innern, feste und entschlossene Aufrechthaltung des Friedensstandes nach Aussen, grösstmögliches Mass des Friedens auch mit den andern Parteien, auf Grundlage einer strengen Gerechtigkeit.

Bei allen Wahlen muss unbedingtes Erforderniss ein ehrenwerther, allgemeine Achtung geniessender Charakter sein. Alle wirthschaftlichen Fragen müssen den obigen politischen untergeordnet sein, im Uebrigen möglichst selbständig für die Eidgenossenschaft und ohne direkte Verbindung mit landes fremden Parteien, oder unter blosser Nachahmung fremder Theorien gelöst werden. Die Er

1) Bisher hat es dieser künftigen Partei, welche einen Theil der bisherigen Liberalen und Radikalen nebst einer kleineren Fraktion der Konservativen umfassen wird, an Organisation und namentlich an dem Impuls gefehlt, der gegenüber andern Parteien nicht aus einem blossen Konglomerat von allerlei „befriedigten“ Personen entstehen kann, sondern eben auch aus wirklich lebendigen, charakteristischen Prinzipien des Rechts und der öffentlichen Wohlfahrt entstehen muss, die sich auf reelle Bedürfnisse und Eigenschaften des Volkes stützen und von den Grundsätzen der andern Parteien durch deutlich angegebene, leicht fassbare Merkmale unterscheiden. Alle diese Elemente zur Bildung einer starken nationalen Partei, die sich auf einen sehr grossen Theil des schweizerischen Volkes stützen kann, sind vorhanden; es fehlt aber noch die ordnende Hand, die sie in's Leben ruft.

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