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schuldig, der bloße Gebrauch der Agende begreife den Beitritt zur Union nicht in sich; daher könne der Wunsch der Sollicitanten, sich unter Leitung des Diaconus Scheibel zu einer besonderen altlutherischen Kirchengesellschaft constituiren zu dürfen, nicht gestattet werden. Namentlich, wenn die Bittsteller unterm 27. April mit der Erklärung hervortreten, zu einem besonderen Kirchen-Systeme mit neuen, von der bisherigen kirchlichen Verfassung abweichenden, und den von dem Landesherrn in Bezug auf das Kirchenregiment beständig ausgeübten Rechten entgegenlaufenden gesellschaftlichen Formen sich vereinigen zu wollen, so ist dies Vorhaben nicht allein deshalb ganz unstatthaft, weil das, was hinsichtlich der Einführung der Agende und der Annahme der Union geschehen, auch nicht den geringften haltbaren Grund dazu darbietet, sondern es erscheint solches auch darum sehr tadelnswerth, weil sich darin auf die unzweifelhafteste Weise das Streben seiner Urheber ankündigt, von der bestehenden kirchlichen Ordnung sich loszureißen und der dem Landesherrn zustehenden Autorität in der Verwaltung der Kirchen - Angelegenheiten Eintrag zu thun. Des Königs Majestät haben daher auch mittelst Allerhöchster Cab. - Ordre vom 4ten d. M. zu bestimmen geruht, daß dieser Neuerung auf keine Weise Statt gegeben werden soll. Demgemäß und im Auftrage des gedachten Königl. Hohen Ministeriums werden Sie hiermit auf das ernstlichste bedeutet, mit der Warnung, daß Ihrer den Frieden und die Ordnung störenden Richtung mit Kraft und Nachdruck begegnet werden soll."

An demselben Tage, an welchem dieser Consistorial-Erlaß an die Repräsentanten erging, wies das Königl. Consistorium Scheibel an, seine Funktionen als Diaconus an St. Elisabeth von jetzt ab genau nach den Bestimmungen der neuen Agende zu verrichten. Dadurch war Sch.'s Suspension formell aufgehoben. Er aber machte hiervon keinen Gebrauch, sondern die Sachlage blieb stillschweigend so, wie sie bis dahin gewesen war.

Zehntes Kapitel.

Selbsthülfe der separirten Lutheraner bis zu Scheibel's Amtsniederlegung.

Inhalt: Neue Eingaben der Lutheraner; Berger in Hermannsdorf; Verrichtung kirchlicher Amtshandlungen durch Laien, von Scheibel gutgeheißen; Scheibel's schwache Motivirung dieses Verfahrens; Unerträglichkeit dieses Zustandes; Scheibel's Ultimatum; Ministerial-Entscheid; Scheibel's Abschied aus dem Vaterlande; die Breslauer Gemeinde.

Gegen den vom Minister erlassenen Bescheid erhoben sowohl Scheibel (in einer Vorstellung vom 31. Aug. 1831), als auch die Nepräsentanten (in einer Eingabe vom 13. Aug.) den Einspruch, daß ihre Absichten gemißdeutet worden seien.

Das letztere Schreiben (an den König gerichtet) trug die Inhaltsangabe: „Die Repräsentanten der nicht unirten lu therischen Gemeinde Breslaus wagen bei Ew. Majestät noch eine allerunterthänigste Vorstellung, weil sie sich miß. verstanden glauben."

In dieser Vorstellung beschweren sich die Bittsteller zunächst darüber, daß sie, anstatt widerlegt zu werden, in der Antwort des Ministers einfach eines Irrthums beschuldigt worden seien. Die Union spreche doch die Gleichgültigkeit der Unterscheidungslehren aus, darum wäre es für die Betenten Sünde, dieser Ge meinschaft beizutreten, auch wenn sie lutherisches Abendmahl behalten sollten; denn sie könnten dies ja doch nur als Glieder der unirten Kirche. Der nachgelassene Gebrauch des lutherischen Sacraments hebe den Mangel des bestimmten alleinigen Bekenntnisses ihres Glaubens nicht auf. Was die Verfassungsfragen betrifft, so beabsichtigten sie ja nur die vor dem 25. Juni in Breslau bestandene lutherische Kirche wieder zu haben; die abweichenden Wünsche gehen nur daraus hervor, daß die bisherige lutherische Oberbehörde sie verlassen habe, und daher eine Wangemann,,,Preuß. Kirchengeschichte." 1.

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solche neu aus ihrer Mitte habe gebildet werden müssen. Die Scheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment sei bereits in der augustana Art. 28 gefordert, und etwanige Mißbräuche, die sich eingeschlichen hätten, widersprächen doch nicht dem ursprünglichen Recht. Deshalb würden die landesherrlichen Rechte durch die gethane Bitte nicht beeinträchtigt. Um aber auch den Schein zu meiden, als beabsichtigten sie irgend etwas Anderes, als einfach ihr Gewissen zu retten, so verzichteten sie auch noch auf Nr. 7 der früher ausgesprochenen Bitten, nämlich auf den Anspruch auf zu verwilligende Kirchengüter, und bitten nur um Anerkennung als einer geduldeten Kirchengesellschaft.

Aehnlich bittet auch Scheibel in seiner Immediat - Eingabe vom 31. Aug. in würdiger Sprache, unter Anerkennung dessen, daß er in früheren Bittschriften vielleicht das aufgeregte Gefühl etwas zu sehr habe sichtbar werden lassen, und daß ferner die in der letten Eingabe formulirten sieben Punkte nicht juristisch scharf genug gefaßt gewesen seien, der König möchte doch die lutherische Kirche fortbestehen lassen, an deren Sonderbestehen er mit seinem Gewissen gebunden sei.

Nachdem Scheibel beide gedachten Petitionen am 5. Sept. befördert hatte, verließ er Berlin, hielt in Hönigern seine Cholera-Quarantäne und traf am 19. Sept. wieder in Breslau ein.

Auf die beiden Eingaben erfolgte keine Antwort. Dies war um so mehr zu bedauern, als dieselben ein Streben bekunden, dasjenige, was in den früheren Forderungen das Maaß überschritten hatte, fallen zu lassen. Aber gerade dieser Theil der Bitte, nämlich die einfache Restitution der lutherischen Kirche zu gewähren, lag wohl durchaus nicht in der Absicht der kirchlichen Behörden, welche in der Gewährung dieser Bitte wohl nicht ohne Grund das Zusammenbrechen der Union ahnten.

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Inzwischen stieg die Noth der Breslauer separirt-lutherischen Gemeinde bis zu einem hohen Grade. Der, den sie als ihren Seelsorger ansahen, war suspendirt und hielt mit Fleiß darauf,

diese Suspension nicht zu durchbrechen, um den Behörden nicht Waffen gegen sich in die Hand zu geben; zur Predigt und zunt Empfange des heil. Abendmahls gingen die Breslauer zwar 1 Meilen weit hinaus nach Hermannsdorf, woselbst Pastor Berger, wie wir später sehen werden, in demselben Sinne wie Scheibel arbeitete, bis dahin von den Behörden nicht angefochten; aber derselbe durfte ja Taufen ohne dimissoriale nicht verrichten; und letzteres beizubringen waren die Separirten außer Stande. Wo sollten also die in der Zahl der Separirten gebornen Kinder das Sacrament der h. Taufe erlangen? Die Prediger in der Landeskirche, auch die, welche nicht der Union beigetreten waren, hielten und erklärten sie für ,,meineidige Lehrer" (Sch. I. 269); auch gefiel ihnen die Taufhandlung der neuen Agende nicht; am wenigsten gefiel es ihnen, wenn Prediger der Landeskirche sich erboten, ihre Kinder nach dem alten Formulare zu taufen. Diese Noth stieg noch höher, als gegen Ende September die Cholera auch nach Breslau kam, und aus diesem Grunde Herrmannsdorf für die Breslauer Besucher, also auch für die Kirchgänger und Sacramentsgäste gesperrt wurde. Was anfangen in dieser Bedrängniß?

Man wandte sich an Scheibel, und dieser ertheilte den Nath, daß Laien die kirchlichen Amtshandlungen mit Ausnahme der eigentlichen Schriftauslegung und der Handhabung der Schlüsselgewalt verrichten sollten.

Charakteristisch ist die Angabe der Gründe, die Scheibel zu diesem Rathe bewogen (1. 270).

Daraus, daß das Consistorium unterm 21. Decbr. 1830 Scheibel auffordert, er solle den Inhalt einer damals erlassenen Consistorial-Verfügung „den Gemeindegliedern mittheilen, mit denen er in Verbindung stehe" deducirt er, daß das Consistorium das Rechtliche dieser Verbindung selbst zugestanden habe. Hiernach genügend autorisirt", prüfte sich Sch., was zu thun sei? Sollte die Gemeinde in die unirte Kirche gehen? Das erlaubte ihr innerstes Gewissen nicht. Over sollte Sch. die Suspension durchbrechen? Dazu glaubte

er sich wohl befugt, meinte lieber vermeiden zu sollen. rathen? Das schien zu hart. Gemeinde war vorhanden, für die nur zwei geschichtliche Parallelen überhaupt existirten", die Zeit der ersten Reichsgenossen Gottes in Egypten, und die der ersten Christengemeinde zu Jerusalem.

aber, um der Umstände willen es Oder sollte er zur Auswanderung Eine Zeit der Bedrängniß für die

Also wie handelte man dort? Aus 2 Mos. 4 und 12 entnahm Sch., daß in Egypten die Hausväter, nicht die Priester, die Beschneidung vollzogen und das Osterlamm schlachteten. Paulus aber sagt: Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben. Aus dem Vorbild der ersten Christengemeinde ersieht Sch. weiter, daß die 3000, Apostelg. 2, 41, doch sicherlich nicht von den Aposteln selbst getauft seien; nach Apostg. 10, 48 habe Petrus befohlen, zu taufen; Diaconen seien doch wohl nicht dagewesen (? die sechs Begleiter des Petrus ?); also hätte er wohl Cornelium getauft, und dieser dann sein Haus. Ferner heiße es Apostelg. 2, 46, daß die ersten Christen das Brodt hin und her gebrochen hätten in den Häusern; ferner Apostg. 20, 28, daß den Aeltesten (!) die Seelsorge übertragen worden sei 2c. Was die symbolischen Bücher betrifft, so bezweifelt Sch., ob in Art. 14 der Augsb. Conf. in der Stelle, „daß Niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder die Sacramente reichen solle ohne ordentlichen Beruf" unter den ordent lich Berufenen nur die nach den fächsischen Visitationsartikeln durch churfürstlich sächsische Superintendenten Ordinirte" zu verstehen seien. Man könne sich mit mehr Recht auf den Fall der Noth berufen, welcher in den schmalkaldischen Artikeln vorgesehen sei 2c.

Wie traurig, daß ein Mann wie Scheibel durch die vor handene Noth zu einer solchen Behandlung von Schrift und Symbol sich hinreißen lassen konnte.

So begannen denn nun also die Laientaufen, die PrivatGottesdienste, und die Laien-Communionen, was alles natürlich das Einschreiten der obrigkeitlichen Behörden nach sich zog. Die Hausväter wurden vor die Landräthe, Geistliche und Con

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