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fährde die wahre Union nicht, schon dieser Umstand bekundet, daß der Gegensatz tiefer liegen müsse. — War es denn etwa die Spannung zwischen reformirter und lutherischer Kirche?

Es ist doch aber ein beachtenswerthes Zeichen, daß, als auf dem Wittenberger Kirchentage 1849 die vor wenigen Stunden aufgestellten fünf Wittenberger Säße, welche bis auf den heutigen Tag das Programm der confefst onellen Lutheraner bilden, von Seiten eines Unirten den allerheftigsten Angriff erfuhren, nicht blos von den anwesenden Lutheranern, sondern mit der= felben Entschiedenheit von dem reformirten Superintendenten Ball jener Angriff zurückgewiesen wurde. Und man darf nicht erst auf die friedliche Conföderation enschiedener Lutheraner und Reformirter auf den Kirchentagen hinsehen, auch sonst liegt die Thatsache klar genug vor Jedermanns Augen, daß die eigentlich entschiedenen Lutheraner und die entschiedenen strenggläubigen Reformirten im besten Frieden nebeneinander leben, und daß der zwischen ihnen vorhanden sein sollende Hader alter Jahrhunderte, abgesehen von etlichen wenigen excentrischen Köpfen, nur in den unklaren Phantasieen und in den verläum, derischen Anklagen der Unionisten wirklich existirt. Nein, der Kampf bewegt sich auch nicht zwischen Reformirten und Lutheranern. Er liegt tiefer.

Es gilt heutzutage auf kirchlichem, wie auf politischem Gebiet die Frage: Autorität oder Majorität, Kirche Jesu Christi, oder Religions-Gesellschaft, Gabe von Oben, oder Bau von Unten. Das emancipationslustige Subject redet wiederum einmal, wie so oft in großen Entwicklungs- Epochen der Kirche: Wir wollen uns den Geist Gottes nicht mehr strafen lassen! und: Lasset uns zerbrechen seine Bande!

Von verhältnißzmäßig geringerer Erheblichkeit ist es heut= zutage, ob dieses emancipationsluftige Subject in Blouse und Jakobinermüße, oder ob es in baptistischem Taufkleide einher

geht; ob die Sucht, den ewigen Ordnungen Gottes die indivis duelle Meinung entgegenzusetzen, durch die Steine der Barri katen, oder durch die Federn emancipirter Profefforen geltend gemacht wird, ob die Schrankenlosigkeit nun auf dem Gebiete der staatlichen Ordnung, oder ob sie auf dem Gebiete der Wissenschaft, des Bekenntnisses oder des ererbten väterlichen kirchlichen Rechts proclamirt oder erstrebt wird. Die Erfahrung lehrt es, jener Subjectivismus, er mag eine Gestalt annehmen, welche er wolle, erkennt sein eigen Fleisch und Blut, ja der in Religionssachen völlig indifferente, wenn nicht feindlichye, politische Liberale giebt gern audy den wunderlichen Frommen ihre Frömmigkeit nach, überfieht sie großmüthig als eine sicherlich doch bald von selbst abfallende Schwäche —, wenn nur die Kokarde nicht fehlt, der Subjectivismus in der religiösen Richtung, und der Bau von Unter her in der Ordnung und Gestaltung kirchlicher Angelegenheiten. — Wo aber mit Entschiedenheit das Bekenntniß zum Herrn und seinen heiligen Offenbarungen ausgesprochen wird, wo ernste christliche Bekenner jenem babylonischen Thurmbau von unten her mit um so größerer Entschiedenheit den göttlich gegebenen Grundriß des Tempels Salomons entgegenhalten, da findet man in widerlicher Coalition fromme und gottlose Subjectivisten zu engem Bunde vereint, um nur den verhaßten Feind Reaction, Katholicismus, Orthodoxie nennen sie ihn aber Glaube und Treue gegen den lebendigen Gott und deffen geoffenbartes Wort ist er in der Wahrheit — um jenen Feind, sage ich; mit allen erlaubten und verbotenen Waffen anzugreifen. Der Feind gilt ihnen vogelfrei; Berläumdung, Verdächtigung, ja offene Verfolgung gelten gegen diesen Feinb völlig gerechtfertigt; denn es dünkt ihnen nicht Recht, daß er lebe.

Und darf sich irgend ein Christ varob wundern? haben fie es nicht mit dem Meister eben so gemacht? Keine Macht

in der Welt war im Stande, Pilatus, Herodes und Kaiphas, Pharisäer und Sadducäer zu gemeinsamem Thun zu verbinden, als das Kreuz Chrifti. —

Außer dem in dem brodelnden Kessel des Unglaubens und der Gottlosigkeit durch das Feuer des Fanatismus erzeugten Dampf ist aber der in den falten Gründen des Unglaubens und in dem Sumpfe der Gottentfremdung aufsteigende Nebel eine Hauptmacht unserer Zeit, die gegen die Kirchlichen vielfach in Anwendung gebracht wird. Würde in den Unionismus, jene ungegliederte Masse, welche die allerfeindseligsten Elemente unter einen Namen zusammenbringt, Licht und Klarheit von oben hineinleuchten, so würde sie in Zwietracht unter sich selbst zerfallen. Deshalb gilt es ihm vor allen Dingen, Klarheit in den Gestaltungen zu vermeiden, und wo sie sich durch den Einfluß des göttlichen Lichtes mit innerer Kraft heraus arbeiten will, fie flugs wieder zu verhüllen. Und wahrlich nicht von ungefähr kommt es, daß über die erste Einführung der Union in die Gemeinden, über die ersten Unions-Erlasse, über die vorhandenen Rechtszustände, über das, was eigentlich noch gilt und was nicht mehr gilt in kirchlichem Bekenntniß und kirchlicher Ordnung, eine von Jahr zu Jahr zunehmende Dunkelheit ausgebreitet ist. Giebt es doch einflußreiche Männer in der Kirche, welche öffentlich gestehen, es haste an der Einführung der Union zwar manches Unrecht, aber die auf dieses Unrecht gegründeten Rechtszustände dürfen jetzt nicht angetastet werden, ja denselben müssen selbst die auf hundertjährige Ordnungen und geschworene Eide gegründeten Rechtszustände zum Opfer dargebracht werden. Wer kann heutzutage auch nur annähernd genau bestimmen, welche Gemeinden in unserem Vaterlande der Union wirklich beigetreten seien und welche nicht? Und sollte Klarheit in dieser einfachen Sachlage nicht vor allen Dingen zu erstreben sein, bevor man weiter baut? Wer kann ferner mit annähernder

Gewißheit behaupten, welche von den hundert widersprechenden Erklärungen über den Begriff Union — den offiziellen und den nichtoffiziellen der richtige sei?

Denen, welche vor allen Dingen Klarheit und Offenheit verlangen, wird dann wohl entgegnet, die Union sei eine in der Geschichte erst werdende That, man könne und dürfe nicht verlangen, daß die Frucht vor der Zeit reife, erst nach langen Entwicklungen werde die Union oder die unirte Kirche zu völlig greifbarer Gestalt herausgewachsen sein. Aber man vergleiche doch nur den Zeitraum von 1517-1559 mit dem von 1817-1859. Dort auf die einfache That des Mönchs hin bereits nach zehn bis zwölf Jahren der Catechismus, die völlige practische Darlegung dessen, was man will, wiederum nach zwei bis drei Jahren die Augsburger Confession als grundlegendes Bekenntniß, wieder wenige Jahre später das Bündniß zu Smalkalden auf bestimmter Lehrgrundlage gegründet, und nach acht Jahren alle Kirchenordnungen in fester Gestalt und kräftiger Blüthe. Dazu die Einwürfe der Gegner alle widerlegt aus Gottes Wort, die gereinigte Lehre in fiegreicher Klarheit vor aller Augen ausgebreitet. Das ist ein Gewächs des Herrn, und trägt seine Signatur von Oben an der Stirn.

Wo hat der Zeitraum von 1817-1859 etwas im Entfernten Aehnliches aufzuweisen? Welches Argument der Confessionellen hat man entkräftet, oder widerlegt? Welche Be= fenntnißgrundlage hat man zu Tage gebracht? Wo sind die Ordnungen, die mit göttlicher Kraft hervorgewachsen sind? Mit allen Mitteln ist die Union befördert worden, welche die unumschränkte Handhabung des Kirchenregiments, gestüßt auf absolute weltliche Macht, darzubieten im Stande war; auf keiner Universität in Preußen ist der Confessionalismus in ausgeprägter Gestalt gefördert worden, und von Jahr zu Jahr kräftiger wächst die Confession hervor im jüngeren Geschlecht. Ja sie

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ist bereits zu einer solchen Macht geworden, daß man fremdländische Allianzen und baptistische Genossenschaft zu Hülfe rufen muß, um den Kampf weiter zu führen, zu welchem man die eigenen Mittel zu ohnmächtig fühlt zu geschweigen die Bundesgenossenschaft von ganz anderer Seite her, welche von den ernsteren Unionisten sicherlich nicht ohne Bedenken ange= nommen wird, und deren man doch hier und dort wie irregulärer Truppen - sich nicht entschlagen kann, wenn man den allzu mächtig werdenden Feind, dessen Macht eben in dem inneren Gewicht der Wahrheit ruht, von sich abwehren will!

Der den Confessionellen unter diesen Umständen gewiesene Weg ist sehr einfach. Treue gegen das Wort des Herrn, und furchtloses Bekennen der Wahrheit; das giebt eine unangreifbare Position, in welcher selbst die Niederlage zum Siege wird.

Und zu diesem Ende soll denn die vorliegende Schrift auch ein, wenn auch geringer Beitrag sein. Sie soll versuchen, über manche in Vergessenheit vergrabene Parthieen aus der Geschichte der letzten Jahrzehende Licht zu verbreiten. Der Zeugen aus jener Zeit sind ja nur noch wenige am Leben, die Zeugnisse aus jener Zeit aber sind vielfach verborgen und unbekannt. Der Verfasser hat versucht, die wichtigsten derselben zu sammeln und zu einem geschichtlichen Gesammtbilde zu gruppiren, damit namentlich die Jüngeren unter der heranwachsenden Generation, welche, ohne den Anfang erlebt zu haben, doch das Ende der Entwicklung mitwirkend zu erleben berufen sind, klaren Blick gewinnen, um sich zu orientiren. Das ist der Zweck des vorliegenden Werkes.

Um Klarheit und Wahrheit allein ist es dem Verfasser zu thun gewesen, damit der Heuchelei gewehrt, und die Orthodoxie, d. h. die rechte Gläubigkeit, gemehret werde. Zu dem Ende hat derselbe sich auch alles Schmuckes und aller aufgetragenen Farben enthalten zu müssen für heilige Pflicht erachtet. Es

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