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dieselben einander coordinirten, anstatt Cultus und Regiment, wie es die lutherische Anschauung erfordert, dem Bekenntmß zu fubordiniren. Wer irgend ein Gefühl und Sinn für kirchliche Ordnung hat, der wird die Wichtigkeit und Nothwendigkeit jener drei Factoren nicht blos für Ordnung und Gesetz, sondern auch für die Erweckung und Beförderung gedeihlichen Lebens in der Gemeinde sicher nicht verkennen; aber sie sind und bleiben doch allezeit nur die Canäle, durch die das Leben fließt, nicht das Leben selbst; und sagen, daß durch sie die Kirche gleichsam wieder ihren bedingt unmittelbaren Ursprung in Gott nimmt, oder daß burch sie bestimmt wird, welche Gaben Christus vom Vater für die Kirche empfangen habe," oder überhaupt nur sie die drei Hauptbestandtheile nennen, aus denen die Kirche besteht, heißt ihre Stellung verrücken, und zu einem nicht von Gott gewollten Gewicht aufblähen. Man denke doch eine lutherische Gemeinde ohne Agende; hört dieselbe darum auf, eine Gemeinde zu sein? Man denke sich die lutherischen Gemeinden zu Anfang der Union, deren neu angestellte Geistliche eben so viel oder wenig lutherisch waren, wie ihre Vorgänger; sollten diese plötzlich aufgehört haben, lutherische Gemeinden zu sein, sobald das Consistorium dem Geistlichen die Verpflichtung auf die symbolischen Bücher nicht in die Bocation geschrieben hat? Oder man denke die lutherische Kirche vor 1817 unter dem Summepiscopat des reformirten Landesherrn, war sie damals keine lutherische Kirche? Ja kann man nicht den Fall denken, daß eine bestehende lutherische Gemeinde plötzlich aller drei jener Factoren beraubt würde, und dennoch im völligen Besitz aller wahren Heilsgüter, und sowohl als Gemeinde, als auch als einzelne Glieder im lebendigen Zusammenhang mit Christo bliebe? Nein, die heilige christliche Kirche ist der Leib des Herrn, von ihm selbst erbaut aus lebendigen Persönlichkeiten, durch keine anderen constitutiven Factoren primären Ranges, als durch Wort und Sacrament, beide verwaltet durch ein von ihm geordnetes und mit Auftrag versehenes geistliches Amt. So lehrt die Schrift die von jenen drei „Hauptbestandtheilen“, Bekenntniß, Agende und Re

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giment im Sinne der Separirten, überhaupt nichts weiß so lehren auch in Ueberstimmung mit der Schrift die Bekenntnißschriften der lutherischen Kirche. Lebendige Seelen, durch Wort und Sacrament gezeugt, durch das Amt am Worte um einen Altar gebunden und also vom Herrn selbst zu einem Ganzen geeinigt, machen aus die congregatio oder besser communio sanctorum, nicht aber ein Haufen von Menschen, der sich nach bestimmten abstracten Ideen über Kirchenregiment, Agende und Bekenntniß gegenseitig das Versprechen gegeben hat, miteinander eine Gemeinde oder gar die Kirche ausmachen zu wollen. Der Herr unser Gott ist ein starker, eifriger Gott, und will seine Ehre keinem Andern lassen. Zu dieser seiner Ehre aber gehört auch das, daß Er selbst seine Kirche erzeugt durch die göttlichen Organe des heiligen Geistes: Wort, Sacrament, Amt am Wort, und daß nicht irgend welche Masse von Menschen ihm helfend unter die Arme und in sein Amt greifen, also daß sie Raths pflegen, und den Beschluß fassen, weil die bisherige Kirche nicht mehr ihren für nothwendig erachteten maßgebenden Ideen entspreche, müsse man das Bisherige für abgethan erachten und die lutherische Kirche von Neuem wieder bauen.

Der abstracte Kirchenbegriff der separirten Lutheraner zwingt sie, einen wunderlichen Zwiespalt anzunehmen zwischen den Begriffen: Kirche und Leib Christi, oder Reich Gottes. Da fie behaupten, nur da könne Kirche sein, wo die genannten drei Factoren rein und unverfälscht seien, so werden sie folgerichtig dahin gedrängt, daß es eigentlich keine reformirte, teine tatholische, keine griechische Kirche gebe, sondern die lutherische Kirche sei die Kirche Christi (ja die strengsten unter ihnen machen bereits Miene, auch den bestehenden lutherischen Landeskirchen den Charakter einer Kirche abzusprechen, weil sie ebenfalls die gedachten drei Factoren nicht rein befizen), so daß schließlich nur die breslauer Gemeinschaft von Lutheranern als die una sancta catholica übrig bleibt, zu der man gliedlich auch äußerlich gehören muß, wenn man ein Glied am Leibe Christi sein will,

und außerhalb derer die übrigen Christengemeinschaften nur Rotten seien. Diese Consequenz ist nicht eine erdachte, sondern in den Thesen über die Kirche, welche die Februar-Nummer der Lutherischen Dorfkirchenzeitung 1858 bringt, in aller Nacktheit ausgesprochen, und in vielen anderen Auffäßen hartnäckig verfochten, obgleich allerdings von einer gefunden Reaction aus dem Heerlager der Separirten selbst angegriffen; aber sie ist die einfache, confequente Entwicklung der uranfänglichen separirtlutherischen Anschauungen über den Kirchenbegriff. Wenn die Separirten nun aber den Begriff Kirche auf der einen Seite also einengen, so begehen sie andererseits die sehr liebenswürdige Inconsequenz, daß sie auch außerhalb dieser ihrer kirchlichen Gemeinschaft gläubige Kinder Gottes anerkennen, sowohl unter Unirten, als Reformirten, als Katholischen. So Scheibel, Huschte, Kellner, Ehlers und Andere. Aber, fragt man, wie ist dies möglich? Kinder Gottes außerhalb des Leibes Christi? Lebendige Glieder des Leibes Christi, die doch nicht zu diesem Leibe gehören? Begnadigte Seelen, die in der offenbaren Sünde leben, daß sie von der Kirche sich fern- halten ? Sie antworten auf diese Fragen wohl: Gott läßt sein allmächtiges Wort und Sacrament wirken, wo er will, und weil jene kirchlichen Gemeinschaften doch etwas haben vom Worte Gottes, so wohnt in ihnen auch eine lebenerzeugende Kraft, aus der Kinder geboren werden. Aber, so fragen wir weiter, ihr sagt ja selbst: Kann Gott seine Gaben dahin legen, wo er ́nicht_bekannt wird? Und ihr zweifelt ja aus diesem Grunde, ob die Reformirten wirklich ein Sacrament haben; wird denn Gott der Herr sich zu jenen falschen Gemeinschaften, die er nicht als Glieder seines Leibes anerkennt, so weit bekennen können, daß er in ihnen seine Kinder geboren werden läßt? Ja, giebt es eine Wiedergeburt ohne Sacrament? Werden die gesunden Früchte geerntet von einem Baume, der nach Eurer Behauptung durch und durch faul ist? — So werden denn die Separirten zu dem Auswege gedrängt, daß sie sagen: Jene Gläubigen anderer Confeffionen sind zwar nicht Glieder der Kirche, aber sie

find Glieder des Reiches Gottes, Glieder am Leibe des Herrn. Aber wenn sie also dazu getrieben werden, die Kirche Gottes und den Leib des Herrn als zwei geschiedene Begriffe. auseinander zu reißen, haben sie damit nicht bereits den Boden der heiligen Schrift verlassen, welche klar wie der Tag geradezu lehrt, die Kirche ist der Leib des Herrn? Sollte dieses kori weniger Gewicht haben, als das in den Einsehungsworten?

Luther in der Auslegung von Joh. 16, 1. 2. (Walch tom VIII. p. 486) fagt:,,Wie dennoch auch unter dem Papste thum diese Predigt ist blieben nach dem Text, sammt der Taufe und Sacrament Christi und Artikeln des Glaubens ...., obwohl viel Irrthum und Abwege daneben eingeführt sind, doch auf dem Todtenbette viel Leute dadurch erhalten sind, so von dem anderen falschen Vertrauen gefallen, und sich allein zu Christo gehalten und denselben im Glauben bekannt haben, daß dennoch die Kirche Christi nie ist untergegangen." Luther lehrt also, daß selbst unter dem Kirchenregiment des von ihm als Antichrist perhorrescirten Papstes, unter der Agende mit der von ihm als ärgstem Teufelsspuk perhorrescirten römischkatholischen Messe, unter dem die Gerechtigkeit des Glaubens verleugnenden Bekenntniß die Kirche nicht untergegangen sei, eben weil er Wort und Sacrament als die einzigen constitutiven Factoren der Kirche erkennt. Seine Anhänger, die sich mit ganz besonderem Nachdruck nach seinem Namen nennen, behaupten ihm völlig zuwider, die römische Kirche, ebenso wie die reformirte, seien keine Kirchen, warum? weil sie nicht Wort und Sacrament, sondern Kirchenregiment, Cultus und Bekenntniß als constitutive Factoren der Kirche aufstellen.

Wenn die Separirten also einestheils darin irren, daß sie das Verhältniß jener drei Factoren zum Kirchenbegriff verkehren und aus dem secundären in den primären Rang verschieben, so irren sie auch selbst darin, daß sie ihr Verhältniß untereinander. verschieben. Denn die drei stehen doch in solchem Verhältniß zu einander, daß Cultus und Regiment wiederum nur secundäre Wichtigkeit haben gegenüber dem primären Range des Bekennt

wichtiger? Die Güter, welche Gott der Herr gegeben hat, oder die Garantien, welche: menschliche gute Meinung heute geben und menschliche gute oder meinethalben böse Meinung und Wille morgen aufheben kann? In dieser Anschauungsweise spricht sich aber das abermals aus, daß nicht die Substanz des Glaubens und der Kirche, sondern die abstract juristische Form der Darstellung beider das Gut war, um welches gekämpft wurde. Die einzelnen Pastoren vergaßen über diesen Kampf völlig die Schranken der Stellung, die ihnen von Gott angewiesen war. Jeder einzelne. Pastor. hatte seine Stellung doch nur an seiner Gemeinde, für seine Gemeinde. Konnte und mußte er, nachdem Cultus und Bekenntniß seiner Gemeinde eine Zeit lang durch die Union bedroht gewesen war, sich nicht damit zufrieden geben, wenn ihm beides zunächst auch nur für feine Gemeinde wiedergegeben war? War dies nicht eine Basis, auf der er einstweilen innerhalb der Kirche festen Fuß faffen konnte, und von wo aus er durch Gebet und Vorstellungen und Schriften auch auf größere Kreise: einwirkend, dasjenige anbahnen helfen konnte, was nach seiner Meinung an den kirchenordnungsmäßigen Garantien für das Ganze noch etwa fehlen. mochte?

Auch hinsichtlich der Substanz der einzelnen Gemeinden trat jene abstract juristische Auffassung des Kirchenbegriffes folgeschwer und verderblich auf. Was war es denn, was Gott der Herr den einzelnen Pastoren anvertraute, als er ihnen ihre Gemeinden zu weiden übergab, was ist es, wofür er am jüngsten Tage Rechenschaft von ihnen fordern wird? Etwa ein Complexus von Rechtsbegriffen? oder nicht vielmehr eine Anzahl unsterblicher Seelen? Die separirten Pastoren aber überließen die unsterblichen Seelen demjenigen Feinde, den sie für den gefährlichsten erachteten, der Union, um nur den Complexus von Rechtsbegriffen zu retten. Ja ste zerrissen die Gemeinden, die ihnen ihr Herr als einheitliche Heerden übergeben hatte, und richteten mit einem Theil dieser Gemeinden neue Gemeinden auf, um jenem Schema von Rechtsbegriffen zu genügen. Auf

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