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Zeit gemessen, mit sehr ungenügender Kritik geschrieben; es entrollt uns grosse Bilder in glänzender Sprache, aber vor der Wahrheit können gar manche nicht bestehen. Die Beschreibungen der Schlachten des 14. und 15. Jahrhunderts sind in ihrer Art Meisterwerke, aber bei genauerem Zusehen zeigen sie sich eben so wenig zuverlässig als beispielsweise die Schlachtenbilder Voltaire's in seiner Geschichte Karls XII. Gleichzeitige Berichte, authentische Documente, und spätere, abgeleitete, an die volksmässige Ueberlieferung sich anschliessende Darstellungen sind oft wahllos zu einem wirkungsvollen Scheingemälde verbunden, das wohl der nationalen Ruhmbegierde schmeichelt, aber den strengen Fachmann unbefriedigt lässt. Diese Mängel (sie finden sich in geringerem Grade auch bei unserm grossen Chronisten des 16. Jahrhunderts) sind längst erkannt, und seit Jahrzehnten bemüht sich die schweizerische Geschichtsforschung, unbekümmert um die schliesslichen Resultate, über Müller und über Tschudi hinaus zumal für die älteren Partien der vaterländischen Geschichte durch sorgfältige Kritik feste Grundlagen zu gewinnen, auf welchen sich ein neues, im Einzelnen vielleicht weniger prächtiges, im Ganzen aber nur um so dauerhafteres Gebäude einheimischer Historie errichten lässt. Es fehlt vier, dass überall jetzt schon genügendes Licht verbreitet wäre; da und dort steht man noch mitten in der Controverse; viele Episoden sind noch gar nicht ernster in Betracht gezogen worden. Aber die Arbeit ist in erfreulichem Gange, und die Errungenschaften einer ebenso besonnenen als unerbittlichen Kritik brechen sich trotz des Widerwillens der Kleinmüthigen ihre Bahn in immer weiteren Kreisen.

So mag es denn einem Jünger der historischen Wissenschaft gestattet sein, heute Ihre Aufmerksamkeit auf ein Gebiet zu lenken, das bisher noch wenig Beachtung in dem angedeuteten Sinne gefunden hat und das um seiner Bedeutsamkeit willen eine genauere Untersuchung wohl beanspruchen darf. Haben doch während der Appenzeller Kriege und durch sie veranlasst die Eidgenossen in der Urschweiz zum ersten Male

ihren Blick auf jenes wichtige Aussenwerk am Fusse des Sentisgebirges gelenkt, das jetzt dem von jenseit des Bodensees Herankommenden als das erste vielverheissende Wahrzeichen unsers schönen Landes erscheint. Zwar nicht den ganzen Verlauf des Freiheitskampfes der Appenzeller gedenke ich darzustellen; ich greife einen kleinen Theil heraus: die Schlacht am Stoss und die mit diesem Ereignisse in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Vorgänge. Mein Plan ist, zuerst in Kürze von den Quellen zu sprechen, aus denen mir der Stoff für die Untersuchung zugeflossen ist, hierauf an der Hand der besten schriftlichen Ueberlieferungen eine möglichst zuverlässige Schlachtbeschreibung zu geben, und endlich, von der ursprünglichen Form ausgehend, die unhistorischen Gestaltungen zu verfolgen, welche das Ereigniss in spätern Geschichtsbüchern bis auf die Gegenwart angenommen hat.

1.

Leider sind die gleichzeitigen, unter dem unmittelbaren Eindruck der Begebenheiten niedergeschriebenen Aufzeichnungen sehr spärlich. Eine ungefüge Reimchronik, deren anonymer Verfasser nach der Ansicht des Herausgebers, Ildefons von Arx, ein St. Gallischer Edelmann gewesen ist,') gibt über die ersten Jahre des Krieges schätzbare Andeutungen und Détails als zeitgenössischer Berichterstatter; aber eben mit dem Ende des Jahres 1404 legt der sonst langathmige Reimschmied mit einem „Gott sei Dank!" seine Feder hin, und wir sehen uns vergebens nach einer Fortsetzung um, die uns wenigstens illustrirende Beiträge zu den sonstigen Nachrichten über die wichtigen Ereignisse des folgenden Jahres gewähren würde.

In sehr erwünschter Weise treten hier die Stadt-St. Gallischen Seckelamtsbücher ein, deren für die Geschichte der Appenzeller Kriege verwendbare Notizen aus den Jahren 1405-1408 der

1) Reimchronik des Appenzeller Krieges, herausgegeben von J. v. Arx, St. Gallen 1825. Vgl. Vorbericht S. V.

gelehrte Stiftsarchivar Karl Wegelin 1844 herausgegeben und commentirt hat1). Selbstverständlich sind diese Bücher mit ihren abgerissenen zerstreuten Notizen keine förmlichen Kriegsannalen, aber sie enthalten über den Antheil St. Gallens an den Kämpfen jener Jahre und vor Allem zur Zeit des österreichischen Angriffes eine Reihe authentischer Einzelheiten, die unsere materielle Kunde vermehren und zur Controlle späterer Berichterstatter dienen.

Von unmittelbaren Aufzeichnungen in der Ostschweiz sind noch die Eintragungen in den Jahrzeitbüchern von St. Laurenzen in St. Gallen, von Magdenau, Rapperswil und Berneck zu erwähnen2).

In Appenzell ist abgesehen von einigen Urkunden nichts vorhanden, was darauf schliessen liesse, dass die das Schwert mit so derber Faust führenden Landleute auch die Feder gehandhabt und auf die wenn gleich noch so schlichte Fixirung ihrer kriegerischen Thaten Bedacht genommen hätten.

Unter den eigentlichen Chronisten des 15. Jahrhunderts, denen wir mehr oder weniger ausführliche Nachrichten über die Appenzeller Kriege verdanken, kommt in erster Linie ein Anonymus in Betracht, der, wenn ich nicht irre, um das Jahr 1420 oder wenig später, von entschieden österreichischem Standpunkte aus in annalistischer Anordnung die in weiterm Sinne eidgenössischen Begebenheiten der vergangenen 35 Jahre mit Berücksichtigung allgemeiner Ereignisse aufschrieb. Seine Arbeit ist in verschiedene Compilationen übergegangen, die wie es scheint um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Zürich angelegt wurden und spätern Redactionen zur Grundlage dienten. Eine, übrigens erst nach 1520 entstandene Abschrift einer solchen Compilation, findet sich in dem St. Galler Codex Nr. 645 der Stiftsbibliothek und ist vor 12 Jahren durch Dr. Anton Henne unter dem

1) Unter dem Titel: Neue Beiträge zur Geschichte des sogenannten Appenzellerkrieges vom J. 1405-1408. St. Gallen und Bern 1844.

2) Bei Ildef. v. Arx, Geschichten des Kantons St. Gallen. II. 130.

schlechtbegründeten Titel der Klingenberger Chronik herausgegeben worden 1).

In derjenigen Abtheilung dieses Sammelwerkes, die auf einen österreichisch gesinnten Parteimann zurückzuführen ist, sind die Appenzeller Kriege mit einer Ausführlichkeit und sachlichen Bestimmtheit dargestellt, dass wir nicht umhin können, in dem Berichterstatter einen der Ostschweiz angehörenden Zeitgenossen zu erkennen, der seine Aufzeichnungen aus bester Kunde machen konnte 2). Für eine Darstellung der Kriegsbegebenheiten ist er der sicherste Führer; Tschudi folgt ihm hier beinahe Wort für Wort, und Vadian in seiner vor dem Jahre 1546 geschriebenen „Chronik der Aebte" 3) meint ohne Zweifel dieses Werk, wenn er sich für eine von der gewöhnlichen Tradition abweichende Angabe auf die „alt verschrieben Geschichten" als Autorität beruft 4).

Ein anderer kürzerer Bericht mit demokratischer Färbung liegt uns bei dem Berner Chronisten Conrad Justinger vor), der höchstens 2 Jahrzehnte nach den uns berührenden Ereignissen schrieb. Seine Mittheilungen über die Appenzeller Kriege

1) Die Klingenberger Chronik, herausgegeben von Dr. Anton Henne von Sargans. Gotha 1861. Ueber die Entstehung dieses Werkes und verwandter Compilationen vgl. den Aufsatz von G. von Wyss in der „Eidgen. Zeitung“, Jahrgang 1861, Nr. 55, dessen Vortrag: Ueber eine alte Zürcher Chronik aus dem 15. Jahrh. (Zürich 1862) und die Abhandlung von G. Scherrer: Ueber das Zeitbuch der Klingenberge, in den Mittheil. zur vaterl. Geschichte, herausgegeb. vom hist. Verein in St. Gallen. I. 65 ff.

2) Ganz besonders gut unterrichtet zeigt er sich in den Ereignissen, die die Stadt Rapperswil betreffen. Vgl. in Henne's Ausgabe Nr. 121-223 S. 137 ff.

3) Cod. Vad. Nr. 43. Diese "grössere" Chronik der Aebte, das histor. Hauptwerk Vadians, wird mit seinen andern geschichtl. Arbeiten unter den Auspicien des historischen Vereins von St. Gallen durch Herrn Professor Götzinger demnächst herausgegeben werden. Die „kleinere Chronik der Aebte" (Nr. 44) hat in manchen Partien, und nicht am wenigsten in der Darstellung der Appenzeller Kriege, ihren selbständigen Werth.

4) Fol. 117 a.

5). Ausgabe von Studer (Bern 1871) S. 189 ff.

sind für einen den Begebenheiten so wenig nahe stehenden Verfasser ziemlich ausführlich, aber, wie noch später hervorzuheben sein wird, gerade an der Stelle nicht ganz klar, die wir für unsern Zweck recht deutlich wünschen möchten. Sie finden sich wörtlich wieder in der gleichzeitig oder doch nur wenig später angelegten anonymen Berner Stadtchronik'), ferner überarbeitet und mit einigen Zusätzen aus andern Quellen erweitert bei Petermann Etterlin im Anfange des 16. Jahrhunderts 2).

Daneben gibt es noch einige Zeitbücher aus dem 15. Jahrhundert, die man herbeizuziehen hat. Zwar die in den Mittheilungen des historischen Vereins von St. Gallen) durch Herrn Prof. Hardegger veröffentlichte „Kurtze Chronik des Gotzhaus St. Gallen" von der Zeit des Abtes Georg von Wildenstein bis auf Ulrich Rösch, die einer Denkschrift über die Streitigkeiten wegen des Klosterbaus zu Rorschach vorausgeht, ist wegen ihrer sehr allgemeinen Haltung von geringem Werth. Man kann ihr immerhin einige Belehrung abgewinnen und beiläufig auch die eigenthümliche Thatsache entnehmen, dass man während der Irrungen der 80er Jahre im Kloster geneigt war, die Appenzeller in ihrer das Stift so empfindlich treffenden Empörung als Verführte der St. Galler zu betrachten und diesen auch die vornehmste Schuld an allem Unglück beizumessen). Alte und gute Notizen enthält dagegen die kleine Chronik, die einer Handschrift der Kuchimeister'schen Aufzeichnungen auf der St. Galler Stadtbibliothek vorausgeht 3).

1) Herausgegeben von Studer als Beilage zu Justingers Chronik. Vgl. S. 441 ff. Dazu über das gegenseitige Verhältniss beider Werke die Einleitung, S. XXII ff.

2) Kronika von der lobl. Eidgnoschaft (Basler Ausgabe 1752) S. 123 ff. 3) II. Heft. St. Gallen 1863.

4) Das alls geursachet hand die obgeschriebnen burger zu Sant Gallen, denn, wan sich die nitt also an das land geworffen hetten, so wer das land noch hütbitag gehorsam. A. a. O. S. 6.

5) Cod. Vad. Nr. 67. Vgl. G. Scherrer's Verzeichniss der Manuscripte und Incunabeln der Vadian. Bibliothek. St. Gallen 1864.

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