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in Stein deutlich bestimmt gefasst und bereits dort Anstalten zu seiner Ausführung getroffen hat, indem er versuchte, den Kienast zu entfernen, um mit seinem Opfer allein zu sein. Wenn dann auch nachher zeitweilig infolge anderer Gespräche die verbrecherische Absicht beim Angeklagten etwas zurücktrat, so wurde sie sofort wieder lebendig, als die Gelegenheit zur Realisierung sich bot.

Von heftiger Gemütsaufregung kann nach Aktenlage nicht gesprochen werden, im Gegenteil weist sowohl das Motiv (Raub) als die ganze Art, wie allmählich der Entschluss, zu töten, gefasst, und ebenso die Beharrlichkeit, womit er festgehalten wurde, mit absoluter Sicherheit auf kalte Überlegung und Vorbedacht. Meili gesteht zu, dass er den Widmer in Stein habe betrunken machen wollen, und dass er später bei der That absichtlich Streit provoziert habe, um seinen Entschluss zur Ausführung bringen zu können, dass er dies also von langer Hand und in raffinierter Weise vorbereitet hat.

Ebensowenig kann die That auf die Wirkungen eines übermässigen Alkoholgenusses zurückgeführt werden. Der Angeklagte mag an jenem Abend allerdings etwas über den Durst getrunken haben, allein betrunken war er nicht, jedenfalls nicht so, dass er seiner freien Selbstbestimmung beraubt gewesen wäre; gegen diese Annahme spricht, abgesehen von den direkten Zeugnissen der Wirtsleute, Kameraden des Meili und des Corradi, dass der Angeklagte, wie schon bemerkt, mit voller Überlegung, ja sogar mit List, vorgegangen ist. Er wäre auch gewiss nicht im stande gewesen, den Körper des Widmer in den Fluss hinein zu schleppen, wenn er betrunken gewesen wäre. Ein psychiatrisches Gutachten über den infolge der angeblichen Trunkenheit eingetretenen abnormalen Geisteszustand ist daher überflüssig, abgesehen davon, dass es Sache des Richters ist, den Zustand der Trunkenheit eines Angeklagten forensisch zu würdigen.

K. Hinsichtlich der zweiten Frage, ob vollendetes Verbrechen oder bloss Versuch vorliege, stützt sich die Verteidigung für Begründung der letztern Annahme im wesentlichen darauf, dass Meili, nachdem er dem Widmer den Schlag mit dem Beil und die Stiche beigebracht, des bestimmten Glaubens gewesen sei, derselbe sei tot; lediglich um die Leiche zu verbergen, habe er den Körper ins Wasser geschleppt. Diese zweite Handlung dürfe ihm, soweit der dabei eingetretene Erfolg, nämlich der Tod des Widmer, in Betracht falle, nicht zum Dolus angerechnet werden, wogegen die erste, vorsätzliche Handlung diesen schweren Erfolg nicht herbeigeführt habe. Daher sei bloss Totschlags-, beziehungsweise Mordversuch mit nachfolgender fahrlässiger Tötung anzunehmen.

Hiergegen ist zunächst zu bemerken, dass es nicht absolut feststeht, dass Meili sein Opfer wirklich für tot hielt, als er es ins

Wasser warf. Die Akten enthalten nichts Bestimmtes darüber. Der Angeklagte hat gegen die ihm in der Untersuchung vorgehaltene Wahrscheinlicheit, dass Widmer im Wasser noch schwache Versuche, sich zu wehren, gemacht habe, keinen andern Einwand, als dass er infolge Aufgeregtheit nicht Obacht gegeben habe.

Im übrigen kann das Gericht auch der Argumentation an sich nicht beitreten. Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass es einen Thatbestand geben kann, bei welchem zwei verschiedene Handlungen in der Weise sich aneinander reihen, dass bei der ersten eine verbrecherische Absicht obwaltete, aber nicht erreicht wurde, wogegen bei der zweiten Handlung die verbrecherische Absicht fehlte, gleichwohl aber der durch die erste Handlung beabsichtigte Erfolg eintrat. Ganz richtig ist es auch, dass in solchen Fällen nicht ohne weiteres der verbrecherische Vorsatz auch auf die zweite Handlung ausgedehnt werden darf.

Ein derartiger Fall wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn die erste Handlung in grosser Aufregung verübt wurde, wenn aus dem Thatbestande sich ergiebt, dass der Thäter über den vermeintlich eingetretenen Erfolg bestürzt ist, Reue empfindet und hieraus geschlossen werden muss, dass sein verbrecherischer Vorsatz sein Ende erreicht hat.

Ganz anders aber liegt die Sache im vorliegenden Falle.

Abgesehen von der Erörterung der Frage, ob die erfolgten Verletzungen (Durchschneidung eines Astes der Arteria temporalis) nicht schon an sich und insbesondere unter Berücksichtigung der Verhältnisse jener kalten Winternacht todbringend gewesen wären, ist es unzulässig, die Handlung Meilis in zwei verschiedene Phasen zu trennen, von denen die erste ihm wohl zum Vorsatz angerechnet werden könne, nicht aber die zweite.

Die Akten und vorab die eigenen Geständnisse Meilis lassen nur die Annahme zu, dass die verbrecherische Handlung als eine einzige, mit Vorbedacht beschlossene und vorbereitete, mit zäher Beharrlichkeit ausgeführte, einheitliche und zusammenhängende Thätigkeit Meilis zu betrachten ist, gerichtet auf Vernichtung und Beraubung seines Opfers. Dies ergiebt sich schlagend daraus, dass Meili, trotzdem er, wie er angiebt, den Widmer tot glaubte, von seinem verbrecherischen Vorsatz durchaus nicht abliess, sondern bestätigte durch die Vornahme des Raubes. Unter diesen Umständen ist jede andere Annahme ausgeschlossen, als diejenige, dass die Verbringung des Körpers ins Wasser erfolgte zur völligen Vernichtung des Widmer. Erst mit diesem Erfolge begnügte sich der rechtswidrige Vorsatz des Angeklagten. Nicht das geringste Anzeichen lässt sich für die gegenteilige Annahme erbringen, wonach nach Verübung der Verletzungen die ursprüngliche Tötungsabsicht aufgehört hätte, fortzuwirken.

Auf Grund der Akten und namentlich der Geständnisse des Angeklagten ist daher das Obergericht zu der einmütigen Überzeugung gelangt, dass Mord und nicht Totschlag und das vollendete Verbrechen, und nicht bloss Versuch desselben, angenommen werden müsse.

L. Ausser dem Morde hat sich der Angeklagte noch des Raubes im Betrage von Fr. 25 schuldig gemacht.

Der § 143 Str.-G. lautet: „Wer einen andern auf rechtswidrige Weise absichtlich des Lebens beraubt und entweder den Entschluss dazu mit Vorbedacht gefasst oder das Verbrechen mit Überlegung ausgeführt hat, ist des Mordes schuldig."

Der Mord wird mit dem Tode bestraft.

Für Raub ist nach § 205 Str.-G. Zuchthausstrafe vorgesehen, welche Strafe durch die vorangehende konsumiert wird.

Mildernde Umstände irgend welcher Art können nach dem Wortlaute des Gesetzes keine Berücksichtigung finden. Sie finden ihren Platz eventuell bei der Begnadigungsinstanz, dem Grossen Rate. Es muss deshalb auf Todesstrafe erkannt und das erstinstanzliche Urteil bestätigt werden.

Die Kostendekretur ist eine Folge der Entscheidung in der Hauptsache 1).

1) Der Grosse Rat hat am 30. September 1901 das Urteil mit 40 gegen 37 Stimmen in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt.

Litteratur-Anzeigen.

Bibliographie.

Redigiert von Professor Mittermaier in Bern.

Karl Hafner, cand jur.: Geschichte der Gefängnisreformen in der Schweiz. Separatabdruck aus der „Zeitschrift für schweizerische Statistik“, Jahrgang 1901. Bern, Stämpfli. XV und 192 S.

Es ist sehr zu begrüssen, dass uns der junge Verfasser mit grossem Fleiss eine Übersicht über die Entwicklung des Gefängniswesens in der Schweiz nach der sehr reichlich darüber vorhandenen Litteratur giebt. Freilich ist ihm die volle Durcharbeitung des Stoffes noch nicht gelungen, dazu ist der Stoff zu gross; auch fehlt hie und da die Klarheit der Darstellung. Und natürlich ist das Ganze nur eine Skizze. Aber in Erwägung der Schwierigkeiten der Arbeit muss man ihr Ergebnis sehr loben. Klar zeigt sich aus der Arbeit der Weg nach vorwärts: mit vereinten Kräften so viele gute Vorarbeiten zusammenzufassen und einheitlich auszubauen. Die Arbeit zusammen mit Schaffroths letztem Bericht für den Brüsseler Gefängniskongress 1900*) zeigt, dass man überall in der Schweiz sich bemüht, gute Einrichtungen zu schaffen, dass nirgendwo mehr ganz schlechte Verhältnisse bestehen, dass aber auch noch kein Kanton ganz auf der Höhe der Zeit steht. Ganz besonders lassen überall die Bezirksgefängnisse sehr zu wünschen übrig; auch bei ihnen kann nur eine grössere Centralisierung helfen. Beachtet man aber den grossen, ernsten Eifer in der Schweiz auf diesem Gebiete, und bedenkt man, dass bisher wesentlich die Verschiedenheit des Strafrechts der Vereinigung des Strafvollzugs entgegenarbeitete, so werden uns selbst die Misserfolge eines hundertjährigen Strebens nach Zusammenarbeiten der Kantone nicht abschrecken.

Der Verfasser schildert zuerst die äussere Entwicklung. Zuerst waren es die Liederlichen, für die man sorgen wollte; für sie wesentlich entstanden seit etwa 1600 die Schellenwerke, späteren Zuchthäuser, die aber bald ebensogut Verbrecher, Geisteskranke, Waisenkinder aufnehmen mussten. Ihr guter Grundgedanke, durch Arbeit und geistige Fürsorge die Liederlichen zu heben, wurde in

*) Auch in Blätter für Gefängniskunde, 34, S. 434 ff.

vielen Reglementen stets wiederholt, aber bis Ende des 18. Jahrhunderts nie voll ausgebildet. Neben ihnen blühte der Handel mit Galeerensträflingen auch in der Schweiz; auch in fremde Heere steckte man Verbrecher. Erst das helvetische peinliche Gesetzbuch drohte Freiheitsstrafen in grossem Umfang, freilich nicht unter Zustimmung aller Kriminalisten. Aber doch beginnt damit die eigentliche Reform des Gefängniswesens, zuerst der Bau von neuen Anstalten, deren beste 1825 in Genf, 1826 in Lausanne entstanden. Genf war überhaupt ein Vorbild auch in andern Reformen. Danach übernimmt St. Gallen die Führung. Zuletzt aber wird seit der Eröffnung Lenzburgs das Progressivsystem überall ausgebildet. Bern allein nimmt unter allen Kantonen eine Sonderstellung ein: die kleineren Bergkantone freilich können kaum von einem System reden. Mit dem Progressivsystem, das sich als eine Verbesserung der Gemeinschaft darstellt, erscheint auch die bedingte Entlassung, zuerst im Aargau 1868, und eine kräftige Ausbildung der Schutzaufsicht, freilich beide heute auch noch nicht völlig durchgeführt!

Hier setzt der Bericht des vortrefflichen Direktors in Lenzburg, J. V. Hürbin, „Die Schutzaufsicht für entlassene Strafgefangene in der Schweiz“ (Aarau, Sauerländer, 1901), ein, der, in Unterstützung mit Berichten aus den Kantonen entstanden, sehr wertvolle Thesen zum weitern Ausbau der Schutzaufsicht aufstellt.

Leider beschreibt uns der Verfasser das schweizerische Progressivsystem nicht weiter. Ich habe einige Zweifel, ob es wirklich so durchweg lobenswert ist, wie er es darstellt; ich fürchte schablonenhafte Anwendung und in kleinen Anstalten den Mangel genügender Erziehungsmittel, ohne die das System wertlos ist. Auch hier kann nur eine grössere einheitliche Anstalt Erspriessliches leisten; jetzt sitzen Unverbesserliche und Besserungstähige zu nahe beisammen! Sehr interessant ist die Schilderung der Vereinheitlichungsbestrebungen des 19. Jahrhunderts.

Im zweiten Teil wird die innere Einrichtung geschildert: Nahrung, Kleidung, Gesundheit, Arbeit, geistige Fürsorge und besonders auch die Schutzthätigkeit für Entlassene. Überall begegnen wir redlichem, energischem Streben. Natürlich verlangen die Verhältnisse Einfachheit. Aber wieviel muss und kann da noch verbessert werden! Das zeigt die Darstellung trotz ihrer Kürze in voller Klarheit. Es liegt da noch ein reiches Arbeitsfeld in jeder Richtung vor uns. M.

P. Heilborn, Professor: „Der Agent provocateur.“ Eine strafrechtliche Studie. Berlin, J. Springer, 1901. 191 S. 8°.

Der Verfasser möchte für die Frage nach der Strafbarkeit dieses sehr missachteten Geschöpfes eine juristisch korrekte und dem Rechtsgefühl entsprechende Lösung finden. Zuerst bestimmt

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