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Die Diskussion liess durchblicken, dass eigentlich der Brennpunkt der ganzen Frage, der in der Angabe der Art und Weise der Anklage und des Strafverfahrens und in der Feststellung der richterlichen Kompetenzen der Schulbehörden liegt, wie sie auch der Referent in seiner dritten These klar und bestimmt auseinanderhält, durch die Anträge nur flüchtig gestreift wurde. Die Anträge sämtlicher Kapitel gehen an den Erziehungsrat, wo sie dann durch eine weitere Kommission ihre Bereinigung finden und dem Gesetzgeber bei der Abfassung eines neuen Strafgesetzes zur Berücksichtigung übergeben werden.

Stadtbernische Gotthelfstiftung. Der 14. Jahresbericht für das Jahr 1900/1901 ist insofern von hohem Interesse, als er einmal zeigt, dass leider die Stiftung in der Stadt Bern verhältnismässig wenig Mitglieder zählt, während andere Orte viel höhere Zahlen aufweisen; anderseits aber ist der Bericht ein trefflicher Beweis dafür, wie viel Gutes an vernachlässigten Kindern geschehen kann, wenn man rechtzeitig für sie sorgt. Von den 80 Pfleglingen des Jahres wird von keinem gesagt, dass er,,einen hartnäckigen, böswilligen und unüberwindlichen Widerstand" leiste (Art. 312 CivilgesetzEntwurf), von vielen freilich, dass ihre Anlage schlecht sei, und ganz allgemein wird betont, dass die Art der Behandlung seitens der Eltern das Ausschlaggebende sei. Von manchem ehemaligen Pflegling werden gute Erfolge berichtet.

Massnahmen zur Vorbeugung von Verbrechen.

Zur Frage der Schutzaufsicht für sogenannt bedingt Verurteilte. Dem 33. Rechenschaftsberichte des Württembergischen Vereins zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene für die Jahre 1899 und 1900 (Stuttgart 1901, Druck von Chr. Scheufele) ist folgende Mitteilung zu entnehmen.

Bis zum 31. Dezember 1900 sind dem Landesausschuss und durch diesen den betreffenden Bezirksvereinen mittelst der vorgeschriebenen Strafnachrichten 152 Verurteilte, welchen Strafaufschub mit Aussicht auf Begnadigung erteilt war, in Schutzaufsicht übergeben worden. Dem Geschlecht und Alter nach verteilen sich dieselben folgendermassen:

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Die Vergehen, wegen deren sie verurteilt wurden, sind folgende: Betrug, Diebstahl, Untreue und Unterschlagung in 114 Fällen, einfache Körperverletzung 10, gefährliche Körperverletzung 1, Sachbeschädigung 5, Hehlerei 4, Verbrechen wider die Sittlichkeit 3, Urkundenfälschung 3, fahrlässige Brandstiftung 2, Bedrohung 1, erdichtete Anzeige 1, fahrlässige Gefährdung eines Eisenbahntransports 1, Tierquälerei 1, Vergehen im Amt 1, räuberische Erpressung 1, Begünstigung 1, Bettel 1, unberechtigtes Fischen 1, Übertretung im Sinne des R. Str. Ges. § 368, 6 — 1. Die zuerkannte Strafe betrug 1-3 Tage bei 73, 4 Tage bis 1 Woche bei 40, 1-2 Wochen bei 14, 2-3 Wochen bei 9, 3 Wochen bis 1 Monat bei 4, 1-2 Monate bei 6, über 2 Monate bei 6 Verurteilten. Die vom Landesausschuss durch die Bezirksvereine eingezogenen Erkundigungen über die Art der Unterbringung des Verurteilten, über die Art seiner Umgebung, über die Einflüsse, die von der letzteren auf ihn ausgehen, haben das erfreuliche Ergebnis gehabt, dass der Landesausschuss nur in 36 Fällen veranlasst war, eine eigentliche Schutzaufsicht durch Bestellung eines Pflegers einzuleiten, während es in den übrigen Fällen genügte, den Verurteilten durch eine Vertrauensperson im Auge behalten zu lassen, um, falls eine ungünstige Wendung in den Verhältnissen eintreten sollte, auch später noch einen Pfleger bestellen zu können. Von den Verurteilten hat 1 auf den Strafaufschub verzichtet, 1 ist während der Probezeit gestorben, bei 8 wurde der Strafaufschub wegen ungünstigen Verhaltens oder Rückfalls widerrufen. Die Probezeit ist festgesetzt bei 8 Verurteilten auf 1 Jahr 6 Monate, bei 6 auf 1 Jahr 9 Monate, bei 112 auf 2 Jahre, bei 25 auf 3 Jahre und bei 1 auf 3 Jahre und 3 Monate. Bis zum 31. Dezember 1900 war die Probezeit abgelaufen bei 11 Verurteilten; die gegen Ende der Probezeit vom Landesausschuss eingezogenen Erkundigungen über das Verhalten der mit Strafaufschub Bedachten ergaben, dass 5 derselben zu keinen Klagen Anlass gegeben, 5 sich das Zeugnis « gut » erworben hatten, während 1 das Zeugnis «sehr gut zu teil wurde. Wie viele von diesen Verurteilten, deren Probezeit abgelaufen ist, begnadigt worden sind, entzieht sich der Kenntnis des Landesausschusses, nur von 3 Begnadigungen ist ihm durch die zuständigen Gerichte Mitteilung gemacht worden. Wie bemerkt, hat der Landesausschuss über sämtliche Verurteilte, deren Probezeit ihrem Ende sich näherte, bei den Bezirksvereinen Erkundigung eingezogen mittelst des über jeden Verurteilten angelegten Fragebogens, um in der Lage zu sein, den Strafvollstreckungsbehörden auf Grund der Bestimmung in Ziff. 3, Abs. 5, der Verfügung des K. Justizministeriums vom 26. Februar 1896 etwa erbetene Angaben über Verhalten, Beschäftigung und Lebenshaltung des Verurteilten zu machen.

Eine Episode des Jetzerprozesses.

Anlässlich der Schrift von Dr. R. Steck, Professor: Der Berner Jetzerprozess (1507-1509) in neuer Beleuchtung nebst Mitteilungen aus den noch ungedruckten Akten. Bern, Schmid & Francke, 1902. 87 S.

erörtert

von

Carl Stooss.

Am 6. Mai 1509 wurden vier Predigermönche1) in Bern aus folgenden Gründen verbrannt 2):

primo: quia Deum abnegaverunt;

secundo: venerabile sacramentum corporis et sanguinis Domini nostri Jesus Christi rubricarunt et depinxerunt;

tertio: quod imaginem virginis gloriosa plorantem finxerunt; quarto: quod vulneribus redemptionis nostræ illudentes fratrem quinque vulneribus insigniverunt.

Die Zeitgenossen hielten das Urteil für richtig, doch erwähnt der Geschichtsschreiber Anshelm, es seien in Bern Stimmen laut. geworden, den Dominikanern sei gross unrecht und gwalt“ geschehen 3). Seither wurde die Schuld der Mönche nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Vor einigen Jahren hat aber ein deutscher Historiker, Dr. Nicolaus Paulus, die Verbrennung der

1) Der Prior Johannes Vatter aus Marbach in Württemberg, der Lesemeister Doktor Stephan Boltzhurst aus Offenburg, der Subprior Franz Weltschi aus Zweisimmen und der Schaffner Heinrich Steinegger aus Lauperswyl. Vgl. Valerius Anshelm, Die Berner Chronik, Bern 1888, 3. Band, S. 54, und Steck, S. 19.

2) So Murner bei Steck, S. 51.

3) Steck, S. 2.

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht. 15. Jahrg.

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Dominikaner als einen Justizmord erklärt und diese Ansicht in einer Broschüre aktenmässig zu begründen gesucht 1).

Herr Professor Dr. theol. Rudolf Steck in Bern hat es nun unternommen, den berühmten Berner Kriminalfall näher aufzuklären. Die Akten sind teilweise von Georg Rettig und C. R. v. Sinner veröffentlicht). Der gedruckte Teil enthält die Aussagen Jetzers und die meines Erachtens sehr wichtigen Zeugenaussagen von zwei Chorherren und eines Johannes Koch. Prof. Steck hat auch den ungedruckten Teil der schwer lesbaren Akten gewissenhaft benutzt, ferner eine gedruckte, seltene Verteidigungsschrift der Mönche aus dem Jahre 1509, dann die Chronik des Valerius Anshelm und eine Schrift des Franziskaners Thomas Murner, die ebenfalls 1509 erschienen ist. Murner wie Anshelm erachten die Schuld der Dominikaner für unzweifelhaft. Da die Dominikaner und die Franziskaner über die unbefleckte Empfängnis Marias einen heftigen Streit führten (die Dominikaner behaupteten, Maria sei in der Erbsünde empfangen worden, die Franziskaner traten für die unbefleckte Empfängnis Marias ein), und dieses Dogma den kirchengeschichtlichen Hintergrund des Prozesses bildet, so ist die Darstellung des Franziskaners Murner mit Vorsicht aufzunehmen.

Prof. Steck behandelt in seiner Schrift: 1. die Frage, 2. die Quellen, 3. den Streit über die unbefleckte Empfängnis der Jungfrau Maria, 4. die Vorgänge im Kloster, 5. den Gang des Prozesses, 6. die Schuldfrage, 7. den wahren Hergang. Die klare und scharfsinnige gelehrte Untersuchung hat mich geradezu gefesselt. Steck verrät den den warmen Anteil des Berners an einem Vorgang, der sich in seiner Vaterstadt zugetragen hat, bewahrt sich aber die vollständige Unbefangenheit des Historikers.

Steck legt mit Recht das Hauptgewicht auf die Akten, stützt sich aber mit Vorliebe auch auf die Verteidigungsschrift der Dominikaner.

1) Ein Justizmord an vier Dominikanern begangen, aktenmässige Revision des Berner Jetzerprozesses vom Jahre 1509, in «Frankfurter zeitgemässe Broschüren », neue Folge, Band XVIII, Heft 3, 1897.

2) Archiv des historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. XI, 3. bis 5. Heft, 1884-1886.

„Das Defensorium", sagt er1), macht durch seine schlichte, ungefärbte Darstellung durchaus den Eindruck, dass es von ehrlichen, wenn auch leichtgläubigen und abergläubischen Leuten geschrieben ist." Das mag sein. Aber eine Verteidigungsschrift enthält nichts anderes als Behauptungen einer Partei, deren Wahrheit in dem Prozesse erst noch zu untersuchen ist. Die Parteibehauptung beweist nicht. Sie ist gewiss nicht bedeutungslos, vielmehr bildet sie die wichtige Grundlage für die Ermittlungen des Richters, sie bildet einen Gegenstand der Untersuchung und darf nicht als ein Ergebnis der Untersuchung angesehen werden. Der Jurist scheidet daher die Parteibehauptungen scharf von den Beweisergebnissen aus. Steck untersucht die innere Glaubwürdigkeit der Parteibehauptungen mit grösster Gewissenhaftigkeit und gelangt so dazu, Behauptungen, die ihm innerlich glaubwürdig zu sein scheinen und die es meines Erachtens auch wirklich sind, als erwahrt anzusehen. So baut er seine Argumentation auf ein nicht durchweg solides Fundament auf und läuft Gefahr, dass ein anderer, der die Glaubwürdigkeit einer Behauptung anders beurteilt, zu einem andern Ergebnis gelangt. Immerhin urteilt Steck viel vorsichtiger, ich möchte sagen juristischer, als der Herausgeber der Prozessakten, Georg Rettig, der z. B. aus dem Inhalt einer an die Chorherren Wölflin und Dübi gestellten Frage den Schluss zieht: Also auch Dübi und Wölflin bezeugen, dass Jetzer der franziskanischen Lehre von der unbefleckten Empfängnis anhing und zur dominikanischen Lehre bekehrt werden. sollte", und „,,dieser Thatsache"! entscheidende Bedeutung beimisst, während die Zeugen die Frage gar nicht bejaht haben.

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Solche Verirrungen begegnen Steck nicht, vielmehr halte ich seine Schlüsse an sich als begründet; aber sie stützen sich nicht überall auf erwiesene Thatsachen, sondern auf wohl motivierte Eindrücke. Wie ich das verstehe, werde ich sofort noch näher zeigen.

Die Vorgänge, die den Gegenstand der Untersuchung und des Urteils bilden, sind so mannigfach und verschiedenartig, sie erstrecken sich auf einen so langen Zeitabschnitt, dass es

1) S. 6.

2) Archiv, S. 544, Note 119.

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