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Note 1 zu § 116); er bedeutet nicht: Beischlaf oder andere unzüchtige Handlungen.

Eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf jedwede unzüchtige Handlung, die unter Missbrauch der Unerfahrenheit an Minderjährigen oder unter Missbrauch der Not oder der Abhängigkeit an Frauenspersonen irgend welchen Alters begangen würde, kann unmöglich in der Absicht des Gesetzgebers gelegen haben; denn er würde sich damit in einen unbegreiflichen Widerspruch mit andern Bestimmungen des Gesetzes stellen.

ausser

Wenn die wehrlose, die bewusstlose, die geisteskranke Frauensperson in § 111 nur gegen Missbrauch zum ehelichen Beischlaf geschützt wird, so kann die Frauensperson, die nicht wehrlos, bewusstlos oder geisteskrank ist, nicht aus Rücksicht auf ihr jugendliches Alter und ihre Unerfahrenheit, oder auf ihre Not oder Abhängigkeit, die der Thäter missbraucht, einen viel weiter gehenden Strafschutz auch gegen unzüchtige Handlungen, zu denen nicht Gewalt angewendet wird, in Anspruch nehmen. Dass der Ausdruck Unzucht" in § 116 gleichlautend ist mit Beischlaf, sofern es sich wenigstens um weibliche Personen handelt, ergiebt sich meines Erachtens bestimmt aus § 1121). Selbstverständlich geniessen Frauenspersonen, deren geistige Gesundheit oder deren Bewusstsein erheblich beeinträchtigt ist, nicht höhern Strafschutz als geisteskranke und bewusstlose Frauenspersonen.

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Ein anderes Ergebnis wäre widersinnig.

Damit ist festgestellt, wie auch Zürcher (Kommentar 1898, Note 2 zu § 112) annimmt, dass Unzucht in § 112 nur Beischlaf bedeuten kann. Es ist daher logisch wie sprachlich begründet, den Ausdruck Unzucht" in § 116 ebenfalls im Sinne von Beischlaf auszulegen, mit der Einschränkung, dass der Ausdruck Unzucht" in § 116 auch die widernatürliche Unzucht einbezieht.

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Somit ist § 116 dem Sinne nach so zu verstehen:

Wer ausser den Fällen von §§ 115 oder 116 (!) die geschlechtliche Unerfahrenheit von Minderjährigen, die Not oder

1) § 112. Wer eine Person, welche offensichtlich mangelhaft entwickelt ist, oder eine Person, deren geistige Gesundheit oder deren Bewusstsein erheblich beeinträchtigt ist, zur Unzucht missbraucht, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat, in schweren Fällen mit Arbeitshaus bestraft.

die Abhängigkeit einer Person missbraucht, um sie zum Beischlaf oder zu widernatürlicher Unzucht zu verführen...

Dabei ist zuzugeben, dass widernatürliche Unzucht wohl nur bei Missbrauch geschlechtlicher Unerfahrenheit eines Minderjährigen thatsächlich in Frage kommen kann. (Zürcher, Kommentar zu § 116, Note 1 a. E. und Note 2.) Danach ist die Verführung eines minderjährigen Mädchens zu andern unzüchtigen Handlungen als zum Beischlaf nicht nach § 116 zu bestrafen, sollten auch im übrigen die Merkmale des Thatbestandes vorliegen.

Da der Versuch von Verbrechen und Vergehen nach Zürcher Strafrecht strafbar ist (§ 34), so ist der Versuch, die geschlechtliche Unerfahrenheit einer Minderjährigen zu missbrauchen, um sie zum Beischlaf zu verführen, strafbar. Der Versuch setzt die Absicht des Thäters voraus, die Minderjährige unter illoyaler Benützung ihrer dem Thäter bekannten geschlechtlichen Unerfahrenheit zum Beischlaf zu verführen. Der Versuch setzt ferner voraus, dass der Thäter seine Absicht durch Handlungen bethätigte, die auf Erlangung des Beischlafs gerichtet waren. Ist nicht festgestellt, dass es der Thäter darauf abgesehen habe, die Minderjährige zum Beischlaf zu verführen, oder hat er diese Absicht nicht bethätigt, so liegt kein Versuch vor.

Demgemäss beantworte ich die mir gestellten Fragen dahin: 1. Der Thatbestand des § 116 des Zürcher Strafgesetzbuchs, soweit er hier in Frage steht, setzt Verführung zum Beischlaf voraus.

2. Doch ist auch der Versuch strafbar.

3. Nicht strafbar ist die Verführung einer Minderjährigen zu unzüchtigen Handlungen.

Wien, den 7. Januar 1902.

II. Gutachten

erstattet von

Professor Dr. Emil Zürcher in Zürich.

Der Verteidiger des Angeklagten wünscht von mir die Beantwortung nachfolgender Fragen:

a) Liegt eine „Verführung zur Unzucht" im Sinne des § 116 des Strafgesetzbuches nur dann vor, wenn es mit einem Mädchen zum Vollzug des Beischlafs gekommen ist oder wenn mit dem Mädchen widernatürliche Unzucht getrieben wurde?

b) Fallen Betastungen und dergleichen auch unter die Bestimmungen des § 116 des Strafgesetzbuches?

Nach den Mitteilungen der Verteidigung war anzunehmen, dass das Mädchen, auf welches ein Angriff geschehen sein soll, das 15. Altersjahr überschritten hat. Im übrigen hatte ich mich mit der thatsächlichen und rechtlichen Würdigung des erhobenen Thatbestandes nicht zu befassen, sondern ich durfte mich auf die Beantwortung der beiden gestellten Fragen beschränken, die schliesslich wieder in die eine zusammengefasst werden können: Was hat der Ausdruck Unzucht" und Verführung zur Unzucht" in § 116 des Strafgesetzbuches zu bedeuten?

Hierüber nun folgendes:

1.

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Der Gesetzgeber von 1871 gebrauchte zur Bezeichnung der im vierten Titel des Strafgesetzbuches in Betracht fallenden Handlungen drei Ausdrücke:

a) Beischlaf in §§ 109, 111, 112, 114, 115, 116 (117 Ehebruch). Unzweifelhaft ist darunter die naturgemässe geschlecht

liche Vereinigung von Personen verschiedenen Geschlechtes verstanden.

b) Unzucht in dem § 116 im Eingang Verführung von Pflegebefohlenen zur Unzucht", § 116a (zur Unzucht verleiten), § 121 (der Unzucht Vorschub leisten), § 122 (Verleitung zur Gestattung der Unzucht).

Unzucht bezeichnet aber im gemeinen Sprachgebrauch einen auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichteten Akt, den wirklichen Beischlaf wie auch beischlafähnliche Handlungen, natürliche und widernatürliche Unzucht. Nun ist zunächst doch anzunehmen, der Gesetzgeber verwende einen Ausdruck nach Massgabe des allgemeinen Sprachgebrauchs. Wenn dagegen die deutsche Praxis den Ausdruck Unzucht im § 180 des deutschen Strafgesetzbuches „als jedes gegen Zucht und Sitte verstossende Handeln im Bereiche des geschlechtlichen Umgangs zwischen mehreren Personen" erklärt, während derselbe Ausdruck in § 175 (widernatürliche Unzucht) zugegebenermassen nur den angedeuteten engern Sinn hat, so richtet sich das, wie das Beispiel bei Ohlshausen, Kommentar zum Kuppeleiparagraphen 180 zeigt, gegen die Berliner Poussierkneipen, eine Erscheinung, mit der wir nicht zu rechnen haben und die uns daher auch nicht verleiten konnte, den Worten Gewalt anzuthun. (Vgl. übrigens die abweichende Meinung bei v. Liszt, Lehrbuch, § 108, II.)

Dass in der That der Ausdruck Unzucht in dem Sinne von Beischlaf oder beischlafähnlicher Handlung zu verstehen ist, ergiebt sich auch daraus, dass das Gesetz für jene weiteren, von der deutschen Praxis miteinbezogenen Handlungen einen besondern Ausdruck hat, und der ist:

c) die unzüchtige Handlung, § 123. Hier erst haben wir das Wort, das alles umfasst:

den recht- und pflichtgemässen ehelichen Beischlaf, wenn er unter dem Bruch der durch Sitte und Anstand gebotenen Heimlichkeit vollzogen wird;

den ausserehelichen Beischlaf;

die beischlafähnlichen Handlungen widernatürlicher Ge

schlechtsbefriedigung;

dann aber auch alle auf Erregung geschlechtlicher Lust abzielenden Handlungen, direkte körperliche Berührungen, wie die symbolischen Handlungen, Gebärden u. s. w.

2.

Unzüchtige Betastungen einer Minderjährigen, welche kein Kind mehr im Sinne von § 123 des zürcherischen Strafgesetzbuches (1871) gewesen, wären für den Strafrichter nur unter drei Voraussetzungen in Betracht gefallen:

einmal, wenn sie in der Öffentlichkeit begangen worden, § 123;

sodann, wenn sie an Pflegebefohlenen verübt worden (§ 116"); die Handlungen erfüllen nicht den Begriff der Unzucht, wohl aber liegt in ihnen meistens eine Verleitung zur Unzucht;

endlich als Versuchshandlung zur Notzucht, falls die übrigen Merkmale des Notzuchtversuchs vorhanden.

Unter andern Umständen wäre die Handlung zweifellos straflos geblieben, sogar auch dann, wenn Gewalt angewendet worden wäre, um das Mädchen zur Duldung zu zwingen vorbehalten die hier nicht in Frage kommende Straf bestimmung gegen Nötigung (§ 154 des heutigen Strafgesetzbuches). Man vergleiche damit die abweichende Umschreibung des Notzuchtthatbestandes in § 176, Ziffer 1, des deutschen Strafgesetzes.

Es ist von Wichtigkeit, festzustellen, dass dem alten zürcherischen Strafgesetzbuch der französisch rechtliche, vom deutschen Recht teilweise aufgenommene Begriff des attentat à la pudeur, Angriff auf die Schamhaftigkeit einer Frauensperson, durchaus fehlt. Die Frau, welche durch unzüchtige Handlungen oder Reden in ihrer Schamhaftigkeit sich verletzt fühlt, konnte nicht direkt den Schutz des Strafgesetzes anrufen. Es war rein zufällig, wenn ihr ein solcher geboten wurde; wir sahen oben, dass Nötigung, also Schutz der persönlichen Freiheit durch den Strafrichter, in Frage kommen konnte, Erregung öffentlichen Ärgernisses, wenn Verletzung des öffentlichen Anstandes nachgewiesen war, Versuch von Notzucht, wenn Gewalt unter Umständen angewendet wurde, die darauf schliessen liessen, dass der Thäter entschlossen war, bis zum Ende zu gehen.

3.

Nun das Gesetz betreffend Abänderung des Strafgesetzbuches, vom 27. Juni 1897. Wir citieren hier die Artikel nach

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