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richtige zu sein, wenn man berücksichtigt, dass sich in den Strafbestimmungen über Kuppelei und widernatürliche Unzucht dieselbe Bezeichnung wiederholt, also bei Verbrechen, zu deren Vollendung ganz gewiss die Vollziehung des Beischlafes nicht nötig, ja sogar ausgeschlossen ist.

Der in Frage kommende § 116 des Strafgesetzbuches ist nicht nur seiner Zeit ausdrücklich von dem Notzuchtparagraphen losgelöst und zu den Paragraphen betreffend Verführung von Pflegebefohlenen eingestellt worden, sondern er weist auch in seinem Inhalte ausdrücklich auf die Paragraphen betreffend Verführung zur Unzucht hin und muss daher analog der litt. a des § 115 des Strafgesetzbuches interpretiert werden.

Die Zwangserziehungsanstalt Aarburg.

Bemerkungen zu dem Jahresbericht für 1901.

Von

Carl Stooss.

Der Direktor der Zwangserziehungsanstalt Aarburg, Herr J. Gloor-L'Orsa, hat für das Jahr 1901 einen Bericht erstattet, der namentlich auch für die gesetzgeberische Behandlung jugendlicher Delinquenten wertvoll ist. In seinen allgemeinen Ausführungen befürwortet Direktor Gloor, jedem, der aus der Anstalt austritt und nicht von seinen Eltern genügend beaufsichtigt werden kann, einen Patron zu geben, der für die Unterkunft des Entlassenen besorgt ist und ihm als Ratgeber und väterlicher Freund, als Mahner und Aufsichtsperson zur Seite steht. Der Patron wäre auch Mittelsperson zwischen dem Jugendlichen und dessen Arbeitgeber und würde die Aufgabe zu lösen haben, die früher ein Handwerksmeister gegenüber seinen Gesellen und Lehrlingen übernahm, nun aber meist nicht mehr übernimmt, da er mit seinen Arbeitern in der Regel nur bei der Arbeit und nicht im Hause zusammenkommt. Der Gedanke ist, wenn auch keineswegs neu, doch sehr beachtenswert. Es wird sich fragen, ob das Institut des Patronats im schweizerischen Strafgesetzbuch bei der Schutzaufsicht zu erwähnen sei, was gar kein Bedenken hat. Es steht ja jeder Schutzaufsichtsbehörde auch ohne eine solche Bestimmung frei, dem Entlassenen einen Patron zu bestellen; denn dieser erhält keine rechtliche Gewalt über die Person, die seiner Aufsicht unterstellt ist. Selbstverständlich hätte der Patron eine Kollision mit dem Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt zu vermeiden; denn zunächst wäre ja dieser zur Fürsorge gesetzlich berufen.

Die Anstalt beherbergt durchschnittlich 60 Insassen, von denen nicht ganz ein Drittel als Sträflinge, die übrigen als Zöglinge bezeichnet werden. Wenn die zu Strafe Verurteilten als Sträflinge bezeichnet werden, so fällt es auf, dass von den im Jahre 1901 Eingetretenen 36 wegen Verbrechen und Vergehen bestraft worden sind, während überhaupt nur 36 junge Leute eintraten, und zwar 19 Sträflinge und 17 Zöglinge. Nicht ganz klar ist ferner, was unter den Vergehen gegen die elterliche Gewalt" zu verstehen ist.

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Die Insassen standen im Alter von 12 bis 20 Jahren. Nur eine geringe Zahl steht im Alter unter 15 Jahren (3-6). Am stärksten ist das Alter von 15-18 Jahren vertreten. Am 1. Januar 1901 standen 6 im 19., 4 im 20. Jahr, am 31. Dezember 1901 nur je einer. Bemerkenswert ist die Mischung der Sprachen und Konfessionen: Deutsch sprachen 37 (38)1), Französisch 23 (22), Italienisch und Romanisch je 1. Protestanten waren 37 (40), Römischkatholische 19, Christkatholische 3 (2) und ein Israelit.

Die Anstalt ist wahrhaft interkantonal; denn es waren 1901 Angehörige von 17 Kantonen vertreten. Das aargauische Kontingent macht etwas weniger als die Hälfte der Eingewiesenen aus 25 (24).

Ausländer sind von der Anstalt nicht ausgeschlossen; denn wir finden vereinzelt Franzosen, Österreicher, Italiener und Engländer als Pfleglinge.

Die regelmässige Dauer des Aufenthalts scheint zwischen 1 bis 4 Jahren zu variieren. Als „Straf"dauer wird für die 62 Insassen angegeben: 6 Monate: 1; 1 Jahr: 19; 1-2 Jahre: 6; 2 Jahre: 13; 2-3 Jahre: 5; 3 Jahre: 5; 3-4 Jahre: 1; 4 Jahre oder unbestimmt war die Strafdauer bei 12 Insassen.

Wohl der Vereinfachung wegen wird die Dauer der Zwangserziehung unterschiedlos als Strafdauer bezeichnet. Es ist begreiflich, dass der Verfasser des Berichts die Darstellung nicht zu verwickelt gestalten wollte. Doch möchte ich es für richtig halten, den Gedanken der Strafe hier nicht zu verallgemeinern.

1) Die erste Zahl bezieht sich auf den 1. Januar 1901, die zweite auf den 31. Dezember gleichen Jahres.

Es wäre daher wohl ratsam, künftig entweder allgemein von einer Dauer der Zwangserziehung zu sprechen oder zwischen gerichtlich Verurteilten oder anderweitig Eingewiesenen zu unterscheiden. Diese Bemerkung möchte ich nicht formalistisch, sondern grundsätzlich anbringen. Denn wenn auch jeder Pflegling den Aufenthalt in einer Zwangserziehungsanstalt ähnlich wie eine Strafe empfinden wird, so ist doch in einer solchen Anstalt, wie aus dem trefflichen Berichte überall hervorleuchtet, die Erziehung und nicht die Bestrafung die Hauptsache. Die Pfleglinge erhalten einen sorgfältigen Schul- und Religionsunterricht, der trotz der Verschiedenheit der Kenntnisse und der Begabung der Schüler sehr erfolgreich ist. Der Experte des Kantons Aargau bezeichnete die Resultate als gut und als sehr gut und sah sich veranlasst, den Lehrern für ihren Fleiss, ihre Geduld und ihre Hingabe wärmstens zu danken. Neben dem Anstaltsunterricht besuchten 7 Zöglinge die Zeichenschule in Aarburg, drei die Handwerkerschule. Der Zweck, die jungen Leute für einen Beruf vorzubereiten, hatte in manchen Fällen schönen Erfolg. Es wurden herangebildet: 4 Schneider, 5 Schreiner, 5 Schuhmacher, 11 Korbflechter, 2 Bäcker, 8 Landwirte und einer für das Papiergeschäft. Zwei Pfleglinge bestanden als Schneider und einer als Schreiner die aargauische Lehrlingsprüfung. Ein Schneiderlehrling erhielt nebst dem Diplom eine bronzene Medaille und der Schreiner eine silberne Medaille. Das beweist, dass der gewerbliche Unterricht in den besten Händen liegt und dass es gelingt, in den jungen Leuten die Arbeitsfreudigkeit zu erwecken, die in einer Zwangserziehungsanstalt sich gewiss nicht von selbst versteht. Neben der Milde scheint die Strenge nicht zu fehlen. Als Disciplinarstrafen wurden in 79 Fällen Verweise erteilt, in 18 Fällen heller Arrest mit schmaler Kost, in 167 Fällen Dunkelarrest, wobei bemerkt wird inklusive Verschärfung". Bedeutet diese Verschärfung körperliche Züchtigung? In Einzelhaft wurden vier junge Leute zurück versetzt.

Die wichtige Frage, ob sich die Zwangserziehung für die jungen Leute nach ihrer Entlassung wirksam erweist, ergiebt nach dem Bericht eine sehr befriedigende Antwort, obwohl der Direktor, was ja sehr begreiflich ist, nicht über alle Ausgetretenen sichere Nachrichten erhielt.

Überraschend ist der geringe Aufwand, den die Zwangserziehung erfordert. Die Verpflegungskosten betragen nämlich für den Tag und für den Pflegling nicht ganz 42 Rappen, und für das Personal 1 Franken 8 Rappen.

Der Bericht des Anstaltsleiters von Aarburg verdient die grösste Aufmerksamkeit in Hinsicht auf die Behandlung, die der schweizerische Gesetzgeber für jugendliche Delinquenten vorschreiben soll. Nach den neuesten Vorschlägen der Expertenkommission, die das eidgenössische Justizdepartement mit der Aufgabe betraut hat, den Entwurf einer Durchsicht zu unterziehen, wird für junge Leute, die im Alter von 15-19 Jahren eine als Verbrechen bedrohte That verübt haben, unter anderm bestimmt:

Ist der Jugendliche verwahrlost oder sittlich verdorben, so verweist ihn der Richter in eine Zwangserziehungsanstalt. Der Jugendliche verbleibt in der Anstalt, bis er gebessert ist, jedoch mindestens ein Jahr und höchstens bis zum zurückgelegten zwanzigsten Altersjahr. Über die Entlassung eines Jugendlichen aus der Zwangserziehungsanstalt... sind die Beamten der Anstalt anzuhören.

Die Behörde, die den Jugendlichen entlässt, sorgt mit den Organen der Schutzaufsicht für seine Unterkunft und überwacht ihn. Die Entlassung ist vorläufig. Missbraucht der Entlassene die Freiheit innerhalb eines Jahres nach seiner Entlassung, so wird er in die Anstalt zurückversetzt; andernfalls ist die Entlassung endgültig. Doch soll die Schutzaufsichtsbehörde dem Jugendlichen auch nach dieser Zeit Schutz und Hülfe gewähren.

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Meines Erachtens könnte nach den Worten und überwacht ihn" beigefügt werden: Sie kann eine Person bezeichnen, die ihm als Ratgeber und Aufsichtsperson (also als „Patron“) zur Seite steht.

Der Bericht des Herrn Direktors der Zwangserziehungsanstalt Aarburg erbringt, ohne es zu beabsichtigen, den Nachweis für die Durchführbarkeit und, wenn ich nicht irre, auch für die Zweckmässigkeit der Bestimmungen des Entwurfs. Die Bestimmungen sind gerade so gedacht, wie sie in Aarburg zur Ausführung gelangen. Der Entwurf schliesst sich also an bestehende interkantonale Einrichtungen an, die sich bewährt haben. Auch das Durchschnittsalter der Pfleglinge von Aarburg stimmt mit den Altersgrenzen, die der Entwurf vorsieht, überein.

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht. 15. Jahrg.

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