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Eingabe

des

zürcherischen Frauenbundes zur Hebung der Sittlichkeit

an das

Justizdepartement der schweizerischen Eidgenossenschaft

vom 21. März 1902.

Herr Bundesrat!

Der ergebenst unterzeichnete Vorstand des zürcherischen Frauenbundes für Hebung der Sittlichkeit erlaubt sich, Ihnen im nachfolgenden Wünsche und Anregungen bezüglich der Ausgestaltung des schweizerischen Strafgesetzbuches vorzutragen, mit der höflichen Bitte, Sie möchten diese Anträge Ihrer wohlwollenden Prüfung unterziehen und alsdann deren Berücksichtigung bei der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfes veranlassen. Wir beschränken uns dabei, dem Zwecke unseres Vereins entsprechend, auf die Behandlung der Delikte gegen die Sittlichkeit und der gleichartigen Delikte gegen die Freiheit.

Der Vorentwurf des Herrn Prof. Stooss vom Jahre 1894 ist in unseren Kreisen mit grosser Befriedigung und Freude aufgenommen worden, war er doch getragen von einem hohen sittlichen Ernste und dem Bestreben, die weibliche Jugend in kräftiger Weise gegen verbrecherische Angriffe zu schützen und den gefährlichen und schadenbringenden Auswüchsen roher Sinnlichkeit in jeder Weise entgegenzutreten. Wir begrüssten in den Bestimmungen des Vorentwurfes eine wirksame Unterstützung in unserem Kampfe gegen eine Unterdrückung und Knechtung entsetzlichster Art, der die Ärmsten und Unglücklichsten unseres Geschlechtes stets ausgesetzt sind. Und dass die vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen wohl geeignet

waren, verwirklicht und angewendet zu werden, zeigte das Beispiel unseres Kantons Zürich. Hier wurde in der Volksabstimmung vom 27. Juni 1897 mit 40,751 annehmenden Stimmen gegen nur 14,710 verwerfende eine Abänderung des Strafgesetzbuches zum Gesetze erhoben, welche in der Hauptsache wörtlich die Bestimmungen des schweizerischen Vorentwurfes in sich aufgenommen hatte. Das neue Recht ist ohne erheblichere Schwierigkeiten eingeführt und seither gehandhabt worden, und auch den Gegnern unserer Bestrebungen ist es seither nicht gelungen, in überzeugender Weise zu zeigen, dass die Durchführung des Gesetzes mit Übelständen verbunden sei oder solche hervorgerufen habe. Sie wollen hierüber den Jahresbericht des Sekretariats der zürcherischen Vereine zur Hebung der öffentlichen Sittlichkeit nachschlagen.

wenn wir im Kanton

Leider mussten wir sehen, dass der aus den Kommissionalberatungen der Jahre 1894 und 1895 hervorgegangene Entwurf manche der Errungenschaften wieder preisgab, so dass dieser Entwurf zum Gesetze erhoben würde Zürich nach einigen Richtungen einen fühlbaren Rückschritt machen müssten. Dem möchten wir nun allerdings nach besten Kräften und mit allen Mitteln entgegenarbeiten. Wir sind auch überzeugt, dass ein solches Preisgeben errungener Fortschritte geeignet wäre, dem Gesetze die Sympathien weiter Kreise zu entfremden, und wir glauben daher, dass schon aus diesem Grunde der Gesetzgeber unserer Stimme Gehör schenken dürfte.

Den Wünschen auf Wiederherstellung des früheren Wortlautes, da, wo er strengere Bestimmungen enthielt, gestatten wir uns einige. weitere Anregungen beizufügen, wie sie sich uns insbesondere auch durch seitherige Erfahrungen und Vorkommnisse aufgedrängt haben.

Im einzelnen nun folgendes:

Zu Art. 104, Alinea 2. Es dürfte sich empfehlen, die Auszeichnungsgründe: zu unzüchtigen Zwecken unter Verübung von Gransamkeit unter dem falschen Vorgeben... durch oder zu verbinden, um jeden Zweifel darüber auszuschliessen, dass nicht erst die Kumulation aller dieser Umstände die Verschärfung der Strafe nach sich zieht.

Zu Art. 105. Im Falle des zweiten Alinea sollte das Erfordernis des Strafantrages wegfallen; gegenüber Blödsinnigen und Geisteskranken ist ja ein Ausgleich durch Heirat ganz ausgeschlossen, in den andern Fällen kaum gedenkbar und auch meistens nicht wünschbar.

Zu Art. 109. Hier scheint uns die Beifügung von Gefängnisstrafe eine durch nichts gerechtfertigte Abschwächung des früheren Entwurfes (Art. 99) zu enthalten, insbesondere möchten wir auf folgenden Umstand aufmerksam machen: Wenn gestützt auf die angefochtene Bestimmung eine Strafe von weniger als sechs Monaten ausgesprochen wird, so kommt bei Wiederholung des Verbrechens die Rückfallsverschärfung des Art. 41 gar nicht zur Anwendung, und doch ist gerade bei den Sittlichkeitsverbrechern ein strenges Einschreiten überaus notwendig, wenn das Verbrechen zur Gewohnheit zu werden droht. Aus diesem Gesichtspunkte möchten wir denn auch an unserem Orte die Beibehaltung der Verwahrungsanstalt (Art. 44) aufs lebhafteste befürworten.

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Art. 112. Hier müssen wir mit allem Nachdruck auf Erhöhung des Schutzalters dringen. In unserer ersten Eingabe vom Jahre 1893 haben wir verlangt, dass der Schutz der Jugend beiderlei Geschlechts bis zum Eintritt ins volljährige Alter ausgedehnt werde, und von dieser Forderung können wir auch jetzt nicht abgehen. Wir verweisen auf unsere damalige Begründung, die nebst unserer Eingabe in der Zeitschrift für schweizerisches Strafrecht abgedruckt worden. Dass auch in andern Ländern für intensiveren Schutz der Jugend gesorgt wird, beweist die Thatsache, dass Russland letztes Jahr das Schutzalter von 16 auf 21 Jahre erhöhte und Spanien die Auswanderung von Töchtern unter 22 Jahren des Mädchenhandels wegen verbot.

Art. 108-112. Wenn die in diesen Artikeln genannten Delikte auf einem dem öffentlichen Verkehr dienenden Wege, Platze oder Fahrzeuge begangen werden, sollte die Strafe immer Zuchthaus sein (analog Art. 76).

Art. 113 schützt die Pfleglinge einer Anstalt oder eines Spitals gegen unzüchtige Angriffe. Dieses Schutzes bedarf aber jede Person, die sich einem Arzte anzuvertrauen hat, und wir schlagen daher die Aufnahme von § 125 des zürcherischen Strafgesetzbuches vor: Wer an einer Person, die sich ihm zur ärztlichen Behandlung ,,oder Untersuchung anvertraut hat, wider deren Willen eine unzüchtige „Handlung vornimmt, wird mit Gefängnis, in schwereren Fällen mit ,,Zuchthaus bestraft."

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(Der zürcherische Text lautet auf Arbeitshaus, eine dem Entwurf fremde Strafart.)

Zur Begründung eines solchen Antrages darf auf die wissenschaftliche Debatte hingewiesen werden, die sich an den bekannten,

einen zürcherischen Arzt betreffenden Fall geknüpft hatte. Das Urteil mit Bemerkungen ist abgedruckt in der Schweizerischen Zeitschrift für Strafrecht, Bd. X, S. 215, eine Äusserung von Stooss in Bd. IX, 228 und eine solche von Lilienthal in Bd. X, 55.

Art. 115. In den Kommissionalberatungen wurde leider der Thatbestand der Verführung unerfahrener Minderjähriger, der zu Art. 102 des ersten Entwurfes gehörte, fallen gelassen. Wir möchten die Aufnahme von § 116 des zürcherischen Strafgesetzbuches in Anregung bringen :

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Wer.... die geschlechtliche Unerfahrenheit von Minderjährigen, ,,die Not oder Abhängigkeit einer Person missbraucht, um sie zur „Unzucht zu verführen, wird.... bestraft."

Die Strafandrohung des Entwurfes halten wir für allzu gering; es liegen hier meistens Fälle einer ungezähmten, rücksichtslosen Selbstsucht vor, die das Individuum zu einem gefährlichen stempelt. Der Richter ist ja stets geneigt, sich an die Minimalstrafandrohung zu halten. So passierte Ende letzten Jahres in Zürich der nachfolgende Fall:

Vom Bezirksgerichte Zürich war Armand Levy von New York, geb. 1871, wegen Verführung von Pflegebefohlenen zur Unzucht mit sechs Wochen Gefängnis und 100 Fr. Busse bestraft worden. Er fand diese Strafe zu hoch und erklärte die Appellation an das Obergericht. Inzwischen hatte auch die Staatsanwaltschaft von dem Falle Kenntnis erhalten, und sie fand nun im Gegenteil das Urteil zu milde und schloss sich deshalb der Appellation an. Levy hat in der schamlosesten Weise die Abhängigkeit seiner Postkinder dazu benützt, unsittliche Handlungen an denselben vorzunehmen. Der Staatsanwalt beantragte eine Gefängnisstrafe von drei Monaten. Der Verteidiger des Angeklagten suchte die Aussagen der Kinder als weit übertrieben darzustellen. Er verlangte Freisprechung, eventuell blosse Verhängung einer Busse. Das Gericht kam dazu, das erstinstanzliche Strafmass auf zwei Monate Gefängnis und 200 Fr. Busse zu erhöhen.

Wenn wir mit solchen Bestrafungen die Strafmasse vergleichen, die oft bei unbedeutenderen Verletzungen von Vermögensrechten zur Anwendung kommen, so können wir Frauen uns recht traurigen Betrachtungen nicht entziehen.

Art. 117. Die frühere Fassung vermied den Ausdruck Bordell, der allzusehr an das System polizeilicher Toleranz erinnert. Wir würden es sehr bedauern, wenn das Wort Bordell durch Aufnahme

in das Gesetz gewissermassen sanktioniert würde. Es wäre auch sehr wünschbar, die Bezeichnung Dirne jeweilen durch Frauensperson zu ersetzen.

Art. 118. Wir meinen, es sollte das minderjährige Mädchen gegen kupplerisches Verhandeln auch dann geschützt sein, wenn weder List noch Gewalt noch Drohung stattgefunden, sondern lediglich eine Überredung. Die Minderjährige vermag ja die dauernd schädigenden Folgen eines Entschlusses in dieser Richtung noch gar nicht voll zu ermessen. Deshalb sollte in solchem Falle die Strafe stets Zuchthaus nicht unter fünf Jahren sein.

Art. 119. Hier dürfte das Erfordernis nachweisbaren Eigennutzes füglich fallen gelassen werden; es wird stets vorhanden sein; aber auch da, wo es wirklich fehlen sollte, liegt noch ein unzweifelhaft verbrecherischer und darum strafbarer Thatbestand vor. Dringende Veranlassung zu diesem Wunsche giebt uns der in den Zeitungen (,,Volksrecht" vom 16., 21. und 23. Februar und ,,Neue Zürcher Zeitung" vom 22. Februar 1901) weitläufig besprochene Fall Forster. Die Mutter hatte ihre Tochter mit zahlreichen und auch reichen Herren zusammengebracht. Das Verfahren wurde indes eingestellt, weil der Nachweis des Eigennutzes, d. h. dafür, dass die Mutter Bezahlung entgegengenommen, nicht zu erbringen sei.

Es scheint uns auch der Erwägung wohl wert, ob nicht eine § 240 des norwegischen Entwurfes angepasste Bestimmung in unser Gesetz aufzunehmen sei, die es gestatten würde, bei der Aburteilung der Kindsmörderin auch den schuldigen Verführer der armen Person mit zur Verantwortung zu ziehen. Vielleicht könnte eine solche Bestimmung allgemeiner dahin gefasst werden, dass das lieblose und treulose Verlassen der Geschwängerten in hülfloser Lage als strafbarer Thatbestand bezeichnet würde.

Endlich erklären wir uns mit Entschiedenheit dafür, dass jeder, der wegen eines Verbrechens gegen die geschlechtliche Ehre und Freiheit eines Minderjährigen schuldig erklärt wird, dauernd der elterlichen und vormundschaftlichen Gewalt entkleidet werde.

Wir verweisen hier gerne auf die ausgezeichnete Begründung, welche Herr Prof. Mittermaier dem gleichlautenden Postulate des Bundes schweizerischer Frauenvereine beigegeben hat. Wir erinnern noch daran, dass unsere Eingabe von 1893 von einer grossen Anzahl von Vereinen aus allen Teilen der Schweiz mitunterzeichnet worden ist, und wir sind überzeugt, dass sie auch unser jetziges Begehren kräftig unterstützen würden.

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