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In Schützengasse 22 wohnt der Angeklagte mit seiner Familie; ausserdem war als Mannsperson damals nur anwesend ein alter tauber Mann, Namens Bärwart.

Die Besichtigung dieses Hauses ergab sodann, dass vom Estrichboden und namentlich von dem darüber sich befindenden Bödeli aus nicht nur die Stelle, wo das Fuhrwerk stand, sehr genau sichtbar ist, sondern dass dieser Standort direkt in der Schusslinie des Geschosses, durch welches das Pferd getroffen wurde, lag.

Die Werkstätte des Angeklagten, in welcher dieser gearbeitet haben will, liegt ebener Erde gegen die Schützengasse, durch diese fuhr der Knecht des Haller. Bis derselbe, bei zweimaligem Anhalten, vor die Sonnhalde gelangte, war es dem Angeklagten, der Zeit nach, leicht möglich, den ersten Stock passierend, auf den Dachboden zu gelangen, sei es, dass er von dem dort rechts befindlichen Verschlage aus durch Herabstossen eines Glasziegels schoss, sei es dass er noch eine Leiter hinaufging und auf dem obersten Boden Ziegel aushob und seine That vollführte. In beiden Fällen war die Treffsicherheit eine grosse, da das Gewehr bequem aufgelegt werden konnte. Aus diesem Grunde kann der Umstand nicht in Betracht fallen, dass der Angeklagte im Militärdienst im Schiessen geringe Resultate aufweist.

Dass die im ersten Stock anwesende Frau Marie StumpWeissenberger das Hinaufgehen des Angeklagten nicht gehört hat, erklärt sich dadurch, dass sie in dem gegen die Strasse zu gelegenen Zimmer sich befand und auf Tritte im Hause nicht besonders geachtet hat.

Alle diese Thatsachen wurden durch die Untersuchung festgestellt, das Gericht hat jedoch durch eigenen Augenschein sich von der Richtigkeit derselben überzeugt. Hierzu kommen noch andere Indizien, welche für sich allein zwar nicht massgebend, mit allen andern zusammen aber den Beweis ergänzen und vervollständigen.

Erwähnt muss werden, dass das Militärgewehr des Angeklagten keinerlei Spuren von Schiessen aufwies, ebenso die bei zwei Brüdern des Angeklagten Fritz und Wilhelm Schultheiss erhobenen Gewehre, und dass auch bei der Haussuchung keine Patronen aufgefunden worden sind.

Der Kantonschemiker, welchem das Gewehr des Angeklagten zur Untersuchung des Fettes übergeben worden war, erklärt, dass nicht mit Sicherheit behauptet werden könne, dass das Gewehr des Angeklagten erst vor kurzer Zeit eingefettet worden sei, dass aber die Veränderung des Waffenfettes darauf hindeuten könnte, dass dieses Gewehr wesentlich später eingefettet worden sei, als zwei zu gleicher Zeit eingefettete und aus dem Zeughaus bezogene Gewehre. Der Angeklagte hatte nämlich behauptet, er habe sein Gewehr gleich nach dem letzten Militärdienst, Ende September d. J.,

eingefettet. Auch die Untersuchung der Gewehre der Brüder des Angeklagten ergab kein positives Resultat. Es darf jedoch darauf hingewiesen werden, dass das Gewehr des Angeklagten erst zwei Stunden und die Gewehre der Brüder erst einige Tage nach dem Vorfall erhoben worden sind, dass der Angeklagte am gleichen Abend bei seiner an der Schlossgasse wohnenden Mutter verkehrt hat, und dass die beiden Brüder Fritz und Ludwig Schultheiss, welche beim Angeklagten zuweilen schlafen, kurz vor dem Vorfall in dessen Haus waren, und dass, wie Carl Menton und Fritz Bertschmann-Schneider bezeugen, zwei Brüder des Schultheiss am Tage nach dem Vorfall gegen Mitternacht einen langen, eingewickelten Gegenstand in das Haus des Angeklagten trugen. Letzterer Umstand ist um so auffallender, als er vom Angeklagten und dessen Brüdern abgeleugnet wird.

Durch Wilhelm Junk-Schultheiss wird noch angegeben, dass Fritz Schultheiss, auf Aufforderung seines Bruders Wilhelm, beim letzten Schiesstag in Riehen 6-7 scharfe Patronen heimlich mitgenommen hat. Auch dieses Vorkommnis wird von den Schultheiss bestritten, obwohl Junk bestimmt auf seiner Wahrnehmung beharrt.

Ferner wird durch Jakob Bertschmann bezeugt, dass bei einem Gespräch, das er mit Ludwig Schultheiss über den Vorfall gehabt habe, dieser den Ausspruch gethan habe, der Nachbar Stump hätte nicht zu sagen brauchen, dass Ernst geschossen habe. Ludwig Schultheiss hatte diese Aussage anfangs zu bestreiten versucht. Polizeimann Niffenegger, der das Gewehr beim Angeklagten holte, bezeugt, dass der Angeklagte, der verdutzt gewesen sei, sofort gefragt habe, ob es wegen des Schusses sei.

Auch sonst sind dem Angeklagten Widersprüche und Unwahrheiten nachgewiesen. Er will bald nach dem Unfall auf der Unglücksstätte gewesen sein, während niemand ihn dort bemerkt hat und seine Frau selbst erklärt, dass er das Haus nicht verlassen habe, bevor sie zu Bette gegangen sei. Den Unfall selbst will er einmal von seinem 4jährigen Knaben unter der merkwürdigen Erklärung, man habe einem Pferde einen Kracher angeworfen, erfahren haben, ein andermal von seiner Frau. Einmal erklärt der Angeklagte, er sei mit seinem Bruder Ludwig, der ihm ebenfalls den Unfall gemeldet habe, und seiner Mutter nach dem Thatorte gegangen, während er später behauptete, er habe die Mutter in ihrer Wohnung an der Schlossgasse getroffen, nachdem er von der Sonnhalde gekommen sei. Dieser Besuch des Bruders und der Mutter beim Angeklagten, bald nachdem der Vorfall bekannt war, darf zum mindesten als auffallend bezeichnet werden. Auffallend ist ferner der Umstand, dass der Angeklagte in Riehen sofort und allgemein als Thäter bezeichnet wurde.

Was das Motiv zur That anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass der Angeklagte ebenfalls Limonadenfabrikant ist wie Haller,

und dass er dieses Geschäft, soweit sich aus der Einrichtung in seiner Werkstätte und der durch ihn gemachten Reklame ersehen lässt, nicht, wie behauptet, als Nebengeschäft betreibt. Haller hat auch früher beim Angeklagten schriftlich reklamiert wegen widerrechtlicher Verwendung seiner Flaschen. Ferner sind in der früheren Wohnung des Angeklagten an der Streitgasse beim Abbruch im Keller vergraben cirka 80 Stück Zapfen von Limonadenflaschen mit dem Namen Schopferer, der früher in die Diakonissenanstalt das Mineralwasser lieferte, aufgefunden worden.

Aus allen diesen Thatsachen geht hervor, dass der Angeklagte schon seit längerer Zeit es darauf abgesehen hat, den Konkurrenten, welche Waren nach Riehen lieferten, zu schaden.

Was die Verletzung des Pferdes anbetrifft, so sind die Wunden zwar geheilt, dagegen besteht noch immer eine Schwäche im Fesselgelenke und eine Verdickung der linken hinteren Extremität von der Krone bis zum Sprunggelenke. Das Pferd kann auch jetzt noch nur einen halben Tag in Gebrauch genommen werden, und es ist fraglich, ob dasselbe für den bisherigen Dienst wieder voll verwendet werden kann. Der Wert des Pferdes vor der Verletzung ist vom Kantonstierarzt Renz auf Fr. 600-700 geschätzt worden; hiervon ist jedoch nach neuerem Gutachten noch ein Abzug zu machen infolge der eingetretenen Verdickung. Da der Eigentümer des Pferdes bisher für Arzt und Apotheke, Nichtgebrauch des Pferdes, etc., Auslagen im Betrage von Fr. 488. 95, welche Forderung als berechtigt anerkannt werden muss, berechnet, so setzt das Gericht, den Minderwert des Pferdes mit cirka Fr. 500 miteingerechnet, die Entschädigung auf Fr. 1000 fest.

Haller hat Strafantrag gestellt.

Die Anklage geht auf Sachbeschädigung, da mit Recht angenommen werden kann, der Angeklagte habe es lediglich auf eine Beschädigung des Fuhrwerkes des Konkurrenten abgesehen und nicht auf eine Verletzung des das Fuhrwerk bedienenden Knechtes, obwohl dieser grosser Gefahr ausgesetzt war. Die hinter dem Fuhrwerk arbeitenden Gärtner konnte der Angeklagte von seinem Standorte nicht sehen, da sie durch die höher gelegene Strasse verdeckt waren. Es ist auch anzunehmen, dass der Angeklagte, wenn er dieselben gesehen hätte, vielleicht von seiner That zurückgestanden wäre in der Annahme, durch deren Wahrnehmungen verraten zu werden, wie es thatsächlich auch der Fall war.

Bei der Strafausmessung kommt in Betracht, dass die Handlung des Angeklagten als eine heimtückische und gemeine bezeichnet werden muss. Obwohl es sich demnach um einen schweren Fall von Sachbeschädigung handelt, kann von einer Zuchthausstrafe Umgang genommen werden, da der Angeklagte bisher strafgerichtlich nicht vorbestraft ist und durch die zu zahlende Entschädigung ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wird.

Der Angeklagte war vom 9. Oktober bis 4. November in Untersuchungshaft und wurde sodann gegen eine Personalkaution eines seiner Brüder im Betrage von Fr. 1500 auf freien Fuss gesetzt.

Das Gericht hat demnach erkannt:

Ernst Schultheiss wird der Sachbeschädigung schuldig erklärt und nach § 160 des Strafgesetzes zu 8 Monaten Gefängnis, zu einer Entschädigung von Fr. 1000 an Jakob Haller-Bolliger und zur Bezahlung der Prozesskosten mit Einschluss einer Urteilsgebühr von Fr. 20 verurteilt 1).

1) Das Urteil ist am 13. Mai 1902 vom Appellationsgericht bestätigt.

Litteratur-Anzeigen.

Bibliographie.

Redigiert von Professor Mittermaier in Bern.

Dr. Friedrich Oppenhoff: Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nebst dem Einführungsgesetze u. s. w. erläutert. Vierzehnte, verbesserte und bereicherte Ausgabe. Herausgegeben von Dr. jur. Hans Delius, Landgerichtsrat. Berlin, Georg Reimer, 1901. IX und 1028 S. 8°.

Oppenhoffs Name ist dem Praktiker wie Theoretiker, der sich mit dem deutschen Strafrecht befasst, wohlbekannt. So begrüssen wir gern diese neue Auflage eines Kommentars, der sich früher sehr vieler Freunde erfreute, aber dann durch Olshausens, später auch durch R. Franks Arbeit wohl ein wenig verdrängt wurde. Es ist nun manches Alte gestrichen, das für die Praxis nicht mehr von Wert schien, so dass das Werk jetzt von neuem seinem Zweck gerecht werden kann, ein möglichst klares, zuverlässiges Hülfsmittel für den zu sein, der sich besonders aus der Rechtsprechung über das Recht unterrichten will. Während Frank an ein Lehrbuch erinnert, Olshausen kritisch jeden Paragraphen in seinen kleinsten Einzelheiten erörtert und dabei ein reiches Litteraturmaterial benützt. sucht Oppenhoff wesentlich die Rechtsprechung zur Erläuterung heranzuziehen; aber nicht mechanisch thut er das, sondern er verarbeitet sie und durchdringt sie mit eigener Kritik. So liefert er ein sehr reiches praktisches Material, und ist er daher dem Praktiker ein besonderer Freund. Da die schweizerische Praxis sich gern auch aus der deutschen Rechtsprechung Rats erholt, so wird auch ihr Oppenhoffs Werk von erheblichem Nutzen sein. Aber auch der Theoretiker kann ohne genaueste Kenntnis der Rechtsprechung nicht vorwärts kommen. Und da nun Oppenhoff in vielen Fragen ausführlicher ist als Olshausen, und von anderm Gesichtspunkt aus die Verhältnisse beleuchtet, so ist er vielfach neben andern Werken unentbehrlich; ich verweise nur auf das Beispiel des § 246 (Unterschlagung).

Die Arbeitsart der drei Kommentare veranschaulicht gut der § 163 über fahrlässigen Falscheid. Frank hebt kurz und klar die Hauptpunkte hervor und bespricht auch die vielerörterte Frage, ob

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