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Kriminalpolitische Anforderungen an das schweizerische Zivilgesetzbuch.

Referat von Professor Dr. W. Burckhardt in Lausanne.

Die ganze Rechtsordnung hat die gerechte Verteilung derjenigen Güter unter die einzelnen zum Zwecke, deren Genuss durch Zwangsregeln direkt oder indirekt normiert werden kann. Güter sind die Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen. Interesse heissen wir die unmittelbare oder mittelbare Möglichkeit der Befriedigung von Bedürfnissen, welche mit einem bestimmten gegebenen oder möglichen Zustande verbunden ist.

Es gibt primäre und sekundäre Bedürfnisse mit Beziehung auf die Rechtsordnung, d. h. solche, welche der Mensch vor jeder Rechtsordnung hat, kraft seiner Natur: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Betätigung des Willens, des Intellekts, Befriedigung des ästhetischen und religiösen Gefühls, und andere, die erst infolge einer bestimmten Rechtsordnung entstehen und zur Befriedigung von primären Bedürfnissen indirekt führen: Bedarf an Geld, an Kredit, Besitz eines Namens, Standes, Handlungsfähigkeit, Freiheit der Gewerbeausübung, der Niederlassung, der Eheschliessung, Besitz der politischen Rechte, gerichtlicher Schutz. Es sind das Bedürfnisse, die nur ein Mensch haben kann, der in einer rechtlich geregelten Gesellschaft lebt.

Zweck der Rechtsordnung ist, den Menschen die Möglichkeit der Befriedigung ihrer primären Bedürfnisse nach einem ethischen Massstabe zu verschaffen und abzustufen, durch eine wohl berechnete Regelung der Beziehungen der Menschen unter sich und durch denselben seitens des Staates autoritativ auferlegte Pflichten.

Die Rechtsordnung schränkt dadurch die von der Natur dem einzelnen gegebenen Möglichkeiten der Befriedigung seiner Bedürfnisse ein, indem sie ihn an gewisse Formen des Verkehrs bindet; sie gibt ihm aber anderseits auch wieder neue Mittel und Wege, zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu gelangen, indem sie ihm diese Formen garantiert.

Die Formen des Verkehrs der. einzelnen untereinander sind Gegenstand des Privatrechts; das Privatrecht behandelt die Rechte und Pflichten der einzelnen untereinander (gesetzliche oder geschäftliche); die den einzelnen autoritativ auferlegten Pflichten, sei es zu gunsten des Staates (oder Fiskus), sei es zu gunsten der anderen Menschen (z. B. polizeiliche Vorschriften), sind Gegenstand des öffentlichen Rechts. Die ersten sind relative Pflichten, insofern als sie sich auf eine andere Person beziehen, in deren Verfügung sie stehen; die zweiten sind absolute, weil sie kraft imperativer Gesetzesnorm bestehen.

In welcher Art der Gebrauch der natürlichen Kräfte eines jeden Menschen geregelt werden soll, damit die Verteilung der Güter eine gerechte sei, ist das Problem der Rechtsordnung.

Auf diese gerechte Verteilung kann hingewirkt werden durch das Privatrecht und durch das öffentliche Recht, mit Inbegriff des Strafrechts. Ein Gut, dessen Gebrauch oder Genuss durch Rechtsnormen geregelt ist, ist ein Rechtsgut. Durch eine solche Normierung werden bestimmte Personen im Genusse des Gutes geschützt, die andern davon ausgeschlossen.

Es frägt sich: Wie verhält sich der Schutz des Privatrechts zu demjenigen des Strafrechts?

Der Schutz besteht immer darin, dass den Nichtbesitzenden zu gunsten des das Gut Besitzenden ein gewisses Verhalten zur Pflicht gemacht wird; das Privatrecht unterscheidet sich nun darin vom Strafrecht:

1. dass es die Pflicht dem einen gegenüber den anderen auferlegt, sie abhängen lässt vom Willen der letzteren, also relative Pflichten statuiert, während das Strafrecht, beziehungsweise die darin enthaltene Norm, die Pflicht als absolute auferlegt; 2. dass die Sanktion eine verschiedene ist; wenn das Privatrecht Pflichten einer Person gegenüber der andern aufstellt, so kann die Sanktion der Verletzung einer solchen Pflicht nur in der Erzwingung der geschuldeten Leistung des Verpflichteten an den Berechtigten bestehen, oder in einer Ersatzleistung an den Berechtigten, welche sich als die vernünftige Folge der Nichterfüllung der primären Pflichten darstellt. Die Form der Sanktion ist die Privatklage; das Privatrecht kann daher vernünftigerweise nur solche Normen aufstellen, die durch die Privatklage eine Sanktion erfahren.

Das Strafrecht kann nur diejenigen Normen aufstellen, die als Sanktion eine öffentliche Strafe haben.

Demnach entscheidet sich die Frage, welche Güter privatrechtlichen und welche strafrechtlichen Schutz geniessen sollen, nach der Art des Schutzes, der jedem vernünftigerweise gewährt werden kann. Das gleiche Gut kann zugleich eines strafrechtlichen und eines zivilrechtlichen Schutzes genössig sein, z. B. der Genuss einer körperlichen Sache in der Form des Eigentums geschützt. Es gibt Güter, die nur zivilrechtlich geschützt sind, z. B. die Vertragstreue in der Regel; andere, die nur strafrechtlich geschützt sind; man denke an die polizeilichen Vorschriften über Feuersicherheit, Strassenverkehr, lärmende Gewerbe etc. Auch die körperliche Integrität ist nicht in vollem Umfange dem zivilrechtlichen Schutze zugänglich, weil die Verletzung der körperlichen Integrität nicht immer zu einer Privatklage Anlass geben kann (z. B. wenn der Verletzte gestorben ist).

Man kann daher nicht etwa sagen, dass das Strafrecht nur ein besonders gearteter Schutz bereits anderweitig durch die Rechtsordnung anerkannter Rechtsgüter sei, sondern die Anerkennung kann sehr wohl im Strafrecht selber erst gegeben sein, wenn auch implicite.

Gemäss der Art seines Schutzes fallen daher jedem Gebiet der Rechtsordnung seine Rechtsgüter zu, die es zu schützen hat. Vorgängig der zivil- oder strafrechtlichen Regelung ist zu prüfen, ob das betreffende Gut überhaupt des Schutzes wert ist, und in welcher Form es Schutz verdient. Sonach, ob es zweckmässig zu einem Institut des Privat- oder des öffentlichen Rechts gemacht wird, und ob es in letzterem Fall strafrechtlichen Schutzes bedarf. Der Name z. B. kann sehr wohl nur durch öffentliche Rechtsnormen, vielleicht nur strafrechtlich geschützt sein; oder aber nur privatrechtlich, je nach der Art und dem Umfang des Schutzes, den man dem Namen angedeihen lassen will. Die gewerbliche Erfindung kann durch öffentlich-rechtliche Normen und Strafen geschützt werden (z. B. in Form des Privilegs), oder auch durch Privatnormen, als ein Privatrechtsinstitut. Es ist auch nicht von vornherein zu sagen, dass ein Gut privatrechtlich geschützt werden muss, weil es strafrechtlich geschützt ist. Die Frage ist eben eine ganz andere, von der des strafrechtlichen Schutzes unabhängige. Man kann daher nicht sagen, es sei eine kriminalpolitische Anforderung, dass ein Gut, welches strafrechtlichen Schutz geniesst, auch zivilrechtlich geschützt werde. Es ist dies nicht immer möglich, und wo es möglich ist, ist es eine gesetzgeberische Forderung überhaupt, nicht eine kriminalpolitische, denn die gleichen rechtspolitischen Gründe gelten nicht auf beiden Gebieten. In einer Beziehung kann allerdings von einer kriminal

politischen Anforderung gesprochen werden, wenn auch uneigentlich die Rechtsordnung bildet vernünftigerweise eine praktische Einheit, d. h. alle ihre Teile richten sich auf dasselbe zu erreichende Ziel, auf Verwirklichung eines als des bestmöglichen gedachten Zustandes. Es kann sich daher unter Umständen als eine Ungereimtheit darstellen, dass ein Rechtsgut, das strafrechtlich durch Androhung hoher Strafen geschützt wird, jedes zivilrechtlichen Schutzes bar ist; das zweite folgt nicht logisch notwendig aus dem ersten, es kann aber die praktisch-notwendige Konsequenz des ersten sein; z. B. die Nachahmung einer Erfindung wird strafrechtlich verfolgt, der Erfinder hat aber keine Zivilklage auf Unterlassung der Nachahmung, auf Schadenersatz und Herausgabe der Bereicherung; daraus, dass die Strafklage besteht, folgt nicht mit logischer Notwendigkeit, dass auch eine Privatklage bestehen muss, aber die gleichen ethischen Gründe, welche den strafrechtlichen Schutz postulieren, postulieren hier auch den zivilrechtlichen; man sieht nicht ein, warum das eine Rechtens sein soll und das andere nicht. Es kann daher vom Standpunkt des Strafrechts aus verlangt werden, dass die strafrechtlich gegen Nachahmung geschützte Erfindung auch zivilrechtlich anerkannt werde, wenn anders die Rechtsordnung eine teleologische Einheit sein soll.

Man wird aber in jedem einzelnen Fall zu untersuchen haben, ob sich auch der zivilrechtliche Schutz rechtfertigt und ob er praktisch durchführbar ist. Allen diesen möglichen Anforderungen im einzelnen nachzugehen, würde aber zu weit führen. Ich muss mich auf einige engere Gebiete beschränken, die dem Strafrecht näher stehen.

Die zivilrechtliche Sanktion eines (ebenfalls zivilrechtlich anerkannten) Institutes ist nun die Zivilklage, und die Sanktion wie die Zivilklage kann auf zwei Objekte gehen: auf Erfüllung der nicht erfüllten Pflicht, oder auf Ersatz für Nichterfüllung. Die Ansprüche und Klagen auf Erfüllung hängen aber so eng mit den einzelnen zivilrechtlichen Instituten zusammen, dass wir darauf nicht eingehen können. Man könnte etwa an die Fragen denken, ob der Mobiliarbesitz durch die beschränkte moderne Vindikationsklage genügend geschützt ist, ob durch zweckmässigere Regelung mancher obligationenrechtlichen Verhältnisse, z. B. des Aktienrechts, des Dienstvertrages, nicht dem Betrug, der Untreue und Unterschlagung wirksamer entgegengetreten werden könnte, ob dem strafrechtlichen Schutz des geistigen Eigentums der zivilrechtliche würdig an der Seite steht u. dgl. m. Es zeigt sich aber sogleich, dass diese Fragen spezifisch zivilrechtlicher Natur und nicht ohne einlässliches Studium

des ganzen Institutes zu beantworten sind, wozu hier keine Veranlassung und kein Raum ist. Die Klage auf (Schaden-) Ersatz hat dagegen immer nur die eine Voraussetzung einer Pflichtverletzung, gleichviel welche. Es kommen hierbei in erster Linie die Bestimmungen über unerlaubte Handlungen in Betracht; die Verletzung von Vertragspflichten gehört allerdings meines Erachtens grundsätzlich auch hierher; da sie aber aus praktischen Gründen besonders geregelt worden und mit dem Strafrecht in weniger direktem Zusammenhang steht, lassen wir sie hier beiseite.

Unerlaubte Handlungen.

A. Im allgemeinen.

I. Die erste gesetzgeberische Frage, die hier aufzuwerfen wäre, ginge dahin, ob dem Verletzten für anderen als Vermögensschaden eine Genugtuung werden soll und welche; denn von der Art des zu ersetzenden Schadens und des Ersatzes hängt es ab, welche Handlungen zu Schadenersatz verpflichten sollen. Es wäre hier auf die verschiedene Auffassung des schweizerischen Rechts und des Deutschen B. G.-B. hinzuweisen. Während das O.-R. Ersatz für anderen als Vermögensschaden gewährt bei Körperverletzung oder Tötung eines Menschen, bei Arglist oder grober Fahrlässigkeit (54), und bei Verletzung in den persönlichen Verhältnissen (55), stellt das B. G.-B. als Regel auf, dass nur Vermögensschaden zu Ersatz verpflichtet (§ 253), und lässt als Ausnahme zu eine billige Entschädigung in Geld für Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit, sowie im Falle der Freiheitsentziehung, im Falle eines gegen eine Frau begangenen Sittlichkeitsvergehens (§ 817), sowie im Falle des § 1300 (,,hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, . . ."). Daneben gewährt allerdings das St.-G.-B. in einer Reihe von Fällen dem Verletzten ein Recht auf Busse. (Vgl. von Liszts Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht, 1889, in Bekker und Fischers Beiträgen zur Erläuterung und Beurteilung des Entwurfs.) Wir wollen indessen auf diese Frage einer privatrechtlichen Genugtuung für andern als Vermögensschaden durch Geld oder andere Leistungen nicht näher eintreten.

II. Des weiteren fragt es sich, welches der Inhalt des Rechtssatzes sein soll, und speziell, welches die Voraussetzungen der Schadenersatzpflicht.

In den zivilrechtlichen Bestimmungen, wie sie in Art. 50 0.-R. und in anderen Gesetzbüchern aufgestellt sind, handelt es sich Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht. 15. Jahrg.

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