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Literatur-Anzeigen. Bibliographie.

Redigiert von Professor Mittermaier in Bern.

Ernst Karding: Straflose vorsätzliche Körperverletzungen bei Bewegungsspielen. Freiburg i. B. 1902, C. Trömer (Ernst Harms).

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Karding untersucht in einer anregenden Studie (es ist eine Leipziger Dissertation) die Bedeutung der straflosen vorsätzlichen Körperverletzungen bei Bewegungsspielen. Ich möchte die Schrift selbst ein geistiges Bewegungsspiel nennen, indem die Frage, wie der Herr Verfasser selbst anerkennt, geringe praktische Bedeutung hat, für die juristische Praxis kaum in Betracht" fällt (Seite 8). Karding unterscheidet Körperverletzungen, die im Spiel erfolgen, und solche, die sich anlässlich des Spiels ereignen. Nur die ersteren berücksichtigt Karding, da er mit Recht annimmt, dass die anlässlich des Spiels verursachten Körperverletzungen keine Sonderstellung einnehmen. Dagegen behauptet er eine solche Sonderstellung allerdings für „Körperverletzungen", die das Spiel mit sich bringt, und führt als ein Hauptbeispiel das „den Mann nehmen“ bei dem Fussballspiel an; wer den Mann nimmt, führt nämlich einen Stoss gegen einen Spielkameraden aus; es sei dies eine Behandlung, die sich im Sinne des deutschen Gesetzes als Misshandlung darstelle. Diese Behauptung begründet Karding nirgends. Es wäre seine erste Aufgabe gewesen, das Wesen der Körperverletzung, insbesondere der Misshandlung, da es sich hier wohl um diese handelt, eingehend nachzuweisen. Was er vorbringt, sind daher willkürliche Annahmen, die einer wissenschaftlichen Grundlage ermangeln. Nun mag es richtig sein, dass ein Stoss, wie er gelegentlich einem Fussballspieler von einem Kameraden, ohne Verletzung der Spielregeln, versetzt wird, sich als Misshandlung darstellen würde, wenn er nicht in Ausübung des Spiels, sondern in feindseliger Absicht einer Person zugefügt würde, insbesondere wenn etwa eine Dame so gestossen würde. Allein so viel scheint mir unzweifelhaft zu sein, dass nicht jede mit einem gewissen Schmerzgefühl verbundene, wirklich unsanfte Behandlung eine Misshandlung ist. Wenn zwei Älpler miteinander ringen oder schwingen, dass ihnen die Knochen. knacken, so wird diese gegenseitige „Behandlung" empfindsamen

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht. 15. Jahrg.

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Naturen als Misshandlung erscheinen, während sich die Beteiligten nichts daraus machen und den Schmerz nicht etwa nur mannhaft überwinden, sondern sich dessen nicht einmal bewusst werden; ihre Nerven sind eben von Stahl. Ein verwöhnter Städter, dem eine solche Behandlung zu teil würde, wird finden, er sei schwer misshandelt worden. Es kommt also auf die Umstände, insbesondere auf die physischen Verhältnisse des „Behandelten“ an, ob die „Behandlung“ sich als „Misshandlung" darstelle.

Es wäre höchst merkwürdig, wenn Bewegungsspiele eine gegenseitige Misshandlung der Spielenden mit sich bringen würden, also eine Störung des körperlichen Wohlbefindens, während der Sport zur Gesundung des Körpers betrieben wird. Karding scheint zwar gerade behaupten zu wollen, der Zweck der Verletzungen! beim Sport sei Gesundung des Körpers (Seite 13). Damit wird die Natur des Bewegungsspiels durchaus verkannt. Eine Misshandlung dient nie zur Gesundung des Körpers. Wenn etwa auch die Mensur ein Spiel genannt wird, so handelt es sich hier nicht um einen ,,gesunden Sport", als solcher würden Turn- und Fechtübungen vollkommen ausreichen, sondern um Mutproben. Die Mensur besteht in einem Kampf, und zwar in einem Kampf mit Waffen. Der Kämpfende bezweckt, den Gegner am Körper zu verletzen. Die Mensur gehört also nicht zu den Bewegungsspielen, deren Wert in der gesunden Bewegung des Körpers gefunden wird. Ein Bewegungsspiel schliesst seinem Wesen nach jede Misshandlung eines Teilnehmers aus. Die Bewegung der Spieler wird so geregelt, dass voraussichtlich keine Einwirkung auf den Körper eines Spielenden stattfindet, die dieser als Misshandlung empfinden wird. Demnach beteiligen sich z. B. am Fussballspiel vorwiegend kräftige junge Leute, die den Choc, der im Fussballspiel vorkommt, als eine unvermeidliche Beigabe der erfreulichen Bewegung ertragen wollen. und, wie sie annehmen, auch können. Wer nicht die erforderliche körperliche Widerstandsfähigkeit, die dieses Spiel erfordert, besitzt, wird nicht als Mitspielender angenommen. Kommt nun doch eine Verletzung oder eine Misshandlung im Sinne des Gesetzes vor, die Gegenstand strafrichterlicher Entscheidung bildet, so ist die Entscheidung der Frage, ob der Urheber der Verletzung durch die Handlung, die die Verletzung verursacht hat, den Spielregeln zuwider handelte, für die Beurteilung des Täters gewiss von Bedeutung, aber nicht in dem Sinne, wie Karding annimmt. Über den Spielregeln steht die allgemeine Rechtspflicht, einen anderen nicht körperlich zu beschädigen. Sind die Spielregeln verständig, so wird sich regelmässig ergeben, dass der Verletzende, der die Spielregeln beobachtet hat, die Aufmerksamkeit nicht ausser acht gelassen hat, die er zur Vermeidung körperlicher Schädigungen von Rechtes wegen zu beobachten verpflichtet war. Möglicherweise sind aber die Spielregeln nicht im Einklang mit den Anforderungen des Rechtes, oder sie sind lückenhaft. Da kann der Urheber einer Verletzung

nicht seine Freisprechung mit dem Nachweis durchsetzen, er habe die Spielregeln nicht übertreten. Hat der Urheber der Verletzung die Spielregeln übertreten, so ist damit anderseits seine Fahrlässigkeit noch nicht hergestellt, meistens wird sich aber ergeben, dass das Verhalten, das den Spielregeln zuwider war, die Merkmale der Fahrlässigkeit an sich trägt.

Es ist also nicht richtig, dass die unsanften Berührungen, die mit Bewegungsspielen notwendig verbunden sind, als Körperverletzungen, insbesondere als Misshandlungen im Sinne des Gesetzes erscheinen. Das Bewegungsspiel lässt vielmehr nur Antastungen des Körpers zu, die den Umständen nach keine Körperverletzungen im Sinne des Gesetzes sind. Es gibt daher im Spiel auch keine rechtmässigen Körperverletzungen. Die unsanften Berührungen im Bewegungsspiel sind Eingriffe in die Verfügungsgewalt über den Körper, die durch die Einwilligung des Betreffenden neutralisiert werden. Der Spielende erlaubt dem Kameraden, ihn zu stossen, zu fassen, anzurennen, wie es das Spiel mit sich bringt, ebenso wie eine Dame ihrem Tänzer erlaubt, sie um die Taille zu fassen, während sie das anders als zum Tanz nicht zulassen würde. Ist Spiel und Tanz aus, so wird das, was eben noch erlaubt, ja geboten erschien, ein rechtswidriger Angriff, gegen den Notwehr zulässig ist.

Wir brauchen daher nach keinem Gewohnheitsrecht zu suchen, das die „Körperverletzung" im Bewegungsspiel erlaubt. Die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts reichen glücklicherweise auch für das Bewegungsspiel aus.

Karding meint, der gewohnheitsrechtlich anerkannte (Seite 60) objektive Zweck, der Kräftigung der Gesundheit, der Stählung des Körpers, sei der „Strafausschliessungsgrund für die erlaubte Spielverletzung" (Seite 66), (d. h. wohl: Körperverletzung im Spiel). Zur Zweckmässigkeit des Eingriffes (!) müssen aber, lehrt Karding, noch gewisse Bedingungen als Schranken" der Willkür kommen, nämlich: „1. die Einwilligung des Verletzten in das Spiel; 2. das Spielgebot kraft des Ausbildungsrechtes der Schule."

Mit dieser eigentümlichen Theorie sucht Karding die Theorie Oppenheims für die ärztlichen Eingriffe auf die Eingriffe im Bewegungsspiel zu übertragen und verrät dabei mehr Geist als natürliches Verständnis der Lebenserscheinungen. Sein Versuch, die Eingriffe im Bewegungsspiel mit den ärztlichen Eingriffen in Parallele zu setzen, ist gründlich verfehlt.

Die menschenfreundliche Tätigkeit, die der Arzt an dem Patienten ausübt, lässt sich mit den Stössen und Püffen, die der Sportsmann seinen Spielkameraden versetzt, nicht vergleichen.

Ich trete daher auf das, was der Herr Verfasser über den ärztlichen Eingriff ausführt, nicht ein. Obwohl er meiner Theorie eine besondere Ausführung widmet (Seite 12 ff.), so kennt er sie doch nur oberflächlich, wenn er mir die Ansicht zuschreibt (Seite 65,

Note 1), „dass der Arzt auch bei schuldhaft falscher Diagnose dennoch straffrei bleibe, wenn nur der Patient im Glauben, dass der Arzt die richtige Behandlung einschlagen werde, in die Operation eingewilligt habe". Karding beruft sich auf eine Stelle, die im Zusammenhang gerade das Gegenteil von dem, was Karding behauptet, als meine Ansicht erkennen lässt. In dem Abschnitt: Zur Kritik der herrschenden Lehre (Seite 92 ff. meiner Schrift) 1) suche ich die gegnerischen Theorien zu widerlegen und wende mich auch (Seite 94) gegen die Theorie, welche die Einwilligung des Verletzten als Rechtsgrund auffasst. Ich zeige, zu welchen unerträglichen Konsequenzen diese Ansicht führt, und stelle in diesem Zusammenhang fest (Seite 95): „Sogar eine Bestrafung der Fahrlässigkeit des Arztes wird ausgeschlossen sein, wenn der Patient den Eingriff billigt, der von dem Arzt aus Fahrlässigkeit in der Diagnose vorgenommen wird." Um dem Missverständnis vorzubeugen, das Karding begegnet ist, füge ich sofort bei: „, Wie es sich tatsächlich mit der Einwilligung des Patienten verhält, ist schon früher auseinandergesetzt worden." Eben das, was ich als eine unerträgliche Konsequenz der Einwilligungstheorie hinstellte, schiebt mir nun Karding gedankenlos als meine eigene Ansicht unter und kritisiert sie nachdrücklich! Gerne schliesse ich mit der Anerkennung, dass die Schrift einen lebhaften Geist, Selbständigkeit des Urteils und Scharfsinn bekundet. Stooss.

A. Pfleghart, Rechtsanwalt in Lausanne: Die Elektrizität als Rechtsobjekt. I. Allgemeiner Teil, 1901; II. Spezieller Teil, 1902. Strassburg, J. J. Ed. Heitz (Heitz & Mündel).

Die frisch, anregend und mit grosser Sachkenntnis geschriebene Darstellung über „die Elektrizität als Rechtsobjekt" ist zwar zunächst, aber nicht ausschliesslich für Juristen bestimmt. Was die strafrechtlichen Fragen betrifft, so trägt Pfleghart kein Bedenken, die elektrische Energie zu den Sachen im Rechtssinne zu zählen. Er beruft sich auf Grimms Wörterbuch, das die Sache bezeichnet als einen „Gegenstand in sinnlicher Bedeutung, so weit er Anlass zu Streit und Verhandlung geben kann". Das ist gerade unser Fall, entscheidet der Herr Verfasser kurz und gut (I, S. 45).

Pfleghart gelangt zu dem Ergebnis (II, S. 225), „der Elektrizitätsdiebstahl unterscheidet sich seinem Wesen nach in gar nichts von einem gewöhnlichen Diebstahl, und der Erlass von Normen, nach denen er als ein delictum sui generis behandelt und bestraft werden soll, ist nicht nur gänzlich überflüssig, sondern inkonsequent und schädlich. Für den Fall, dass eine besondere Bestimmung für notwendig erachtet würde, möchte er als Strafe auch Busse zulassen.

1) Als Erscheinungsort der Schrift gibt Karding wiederholt Basel statt Berlin an und schreibt auch meinen Namen fortgesetzt unrichtig.

Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass der Tatbestand des Diebstahls auf die Entziehung elektrischer Energie durchaus Anwendung findet, wenn kein Bedenken besteht, diese als Sache aufzufassen. Diese Bedenken unterschätzt aber der Herr Verfasser. Der schweizerische Strafgesetzentwurf hat, wohl im Sinne Pflegharts, die Entziehung elektrischer Energie als Diebstahl behandelt, aber diesen Fall besonders hervorgehoben, und zwar in folgender Fassung:

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,Wer eine Sache, die einem andern gehört, wegnimmt, oder eine durch Naturkraft erzeugte Energie einem andern entzieht, um sich oder einen Dritten damit unrechtmässig zu bereichern, wird .... bestraft."

Die Bestimmung über Eigentumsschädigung wurde durch folgende Bestimmung ergänzt: „Wer eine durch Naturkraft erzeugte Energie dem Berechtigten vorsätzlich und rechtswidrig entzieht, wird.... bestraft." Die Kommission hat den Tatbestand als Eigentumsschädigung gestaltet, so dass die Ansicht Pflegharts, es reiche die Bestimmung über Vermögensbeschädigung aus, nicht mehr zutrifft.

Ich würde vorziehen, als Gegenstand des Delikts einfach die elektrische Energie zu bezeichnen, was Pfleghart vorschlägt.

Die beiden hübsch ausgestatteten Bände werden insbesondere dem Praktiker, nicht nur dem Kriminalisten, sondern auch und ganz besonders dem Zivilisten, wertvollen Aufschluss über manche Frage geben. Stooss.

W. v. Rohland, o. Professor der Rechte in Freiburg i. Br.: Strafrechtsfälle. Zum akademischen Gebrauch. Leipzig, Duncker & Humblot, 1902.

v. Rohland hat 98 überaus interessante und lehrreiche Strafrechtsfälle zum akademischen Gebrauch zusammengestellt. Die Darstellung dieser Fälle ist sehr elegant. Die Fälle werden in dem Inhaltsverzeichnis systematisch angeordnet, so dass sie eine Illustration zu den betreffenden Lehren bilden. Das ist vortrefflich. Allein ich halte diese Methode zwar für sehr geeignet, um Studierenden in weiterem Umfange, als es in Lehrbüchern möglich ist, praktische Fälle an die Hand zu geben und ihnen Gelegenheit zu geben, die Bedeutung der Rechtssätze an der Mannigfaltigkeit des Lebens zu ermessen. Allein diese Methode hat für Seminarübungen meines Erachtens Nachteile. Einmal eignen sich für Übungen Fälle, denen ein verwickelter Sachverhalt zu Grunde liegt, weniger, und solche Fälle teilt v. Rohland vorzugsweise mit. Dann, und dies ist für mich die Hauptsache, besteht eine erste Aufgabe des jungen Juristen gerade darin, herauszufinden, welcher Art das strafrechtliche Verhältnis ist und welche Bestimmungen auf dasselbe in Anwendung kommen. Findet er den Fall im Inhaltsverzeichnis schon systema

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