Page images
PDF
EPUB

tisch registriert, so ist eine wichtige Entscheidung schon gegeben und der Studierende weiss nun, wie der Fall zu subsumieren ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass namentlich Anfänger grosse Mühe haben, herauszufinden, wie ein Fall anzufassen ist, worin seine strafrechtliche Bedeutung liegt. Ihn zu dieser Diagnose zu erziehen, betrachte ich als eine wichtige Aufgabe des Seminarleiters. Ich halte die fein ausgestattete Sammlung zum akademischen Gebrauch für sehr geeignet, aber nicht in erster Linie zu Seminarübungen, sondern als eine wertvolle Kasuistik. Der Lehrer wird gerne diesen oder jenen Fall für seine Übungen auswählen, aber unter der Voraussetzung, dass der Studierende v. Rohlands Sammlung nicht besitzt. Das wird nun allerdings den Intentionen des Herrn Verfassers nicht entsprechen. Ich würde daher raten, bei einer zweiten Auflage die Fälle bunt durcheinander zu mischen und auf eine Systematik, namentlich auf einen ausdrücklichen Hinweis auf die systematische Stellung des einzelnen Falles verzichten, wenn wenigstens das Buch hauptsächlich zu Seminarübungen verwendet werden soll. Stooss.

Severserenus: Aus der Sprechstunde des Anwalts. Forensische und kriminellsexuelle Studien. Hannover, M. & H. Schaper. 185 S.

Weshalb erscheint das Buch anonym? Wer sich Severserenus nennt, soll auch seinen Namen nicht verschweigen. Die Schrift verdiente es allerdings nicht, in einer wissenschaftlichen Zeitschrift auch nur erwähnt zu werden, wenn es nicht heilsam wäre, auch hier gegen diese Art Rechtsdarstellung zu protestieren. „Studien“ sollten ein Eindringen und ein Vertiefen in einen Gegenstand bedeuten; nicht so beim Verfasser dieses Buches, der dem Publikum lediglich die täglichen Unannehmlichkeiten und Anfechtungen, denen der Anwalt ausgesetzt ist, erzählt und eine Reihe schmutziger Geschichten beifügt; daran schliessen sich jeweilen in saloppem Rezeptstil gute Ratschläge. Rechtsfragen werden umgangen, „da dem Leser diese juristischen Streitigkeiten leicht langweilig werden". (S. 19.) Ich kann kaum begreifen, dass ein gebildeter Jurist hinter dem Buche stehen soll; für seine stilistische Kunst ist ein Satz auf S. 28 bezeichnend: „Das Törichtste, was Klienten tun können, aber dennoch sehr oft vorkommt, ist das Anlügen ihres Anwalts"; S. 33 wird behauptet, das R.-St.-G.-B. bedrohe in § 266 Untreue mit Gefängnis bis zu 10 (!) Jahren. Das sind nur Beispiele. In der Medizin blüht längst eine ähnliche Art wissenschaftlicher Darstellung; es ist wenig erfreulich, dass diese populäre Wissenschaft auch in der Jurisprudenz aufkommen will.

Hafter.

E. Rosenfeld: Die Geschichte des Berliner Vereins zur Besserung der Strafgefangenen, 1827-1890. Ein Beitrag zur Geschichte des preussischen Gefängniswesens und des Fürsorgewesens für entlassene Gefangene. Berlin, Liebmann, 1901. IV und 156 S.

Eine lokale Vereinsgeschichte, aber ihrem Inhalte nach trotzdem über die Grenzen Berlins hinaus bemerkenswert. Sie gibt das Bild der Fürsorge für entlassene Strafgefangene, wie es die Grossstadt zeigt. Auch in der Schweiz ist bekanntlich die Schutzaufsicht am Werk; in 17 Kantonen bestehen Vereine und Kommissionen, die sich zu der interkantonalen Vereinigung der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine zusammengeschlossen haben. Die Zwecke der Fürsorge sind gegeben: sittliche und ökonomische Unterstützung der aus den Strafanstalten Entlassenen, die sich ohne leitende und helfende Hand überall stossen und dem Rückfall zutreiben. Wie der Berliner Verein seit seinem Entstehen nicht aus kleinen Anfängen heraus, sondern sogleich mit weitumfassendem Wirkungsgebiet und grosszügiger Organisation an die Öffentlichkeit trat, zeigt Rosenfelds Geschichte. Deshalb kann dieses Bild im grossen auch für unsere kleinen Schweizerverhältnisse anregend sein, namentlich insofern es die innige tatsächliche, wenn auch nicht überall rechtlich fixierte, Verbindung zwischen den preussischen Justiz- und Polizeibehörden und der freiwilligen Schutzaufsicht anschaulich macht. Darin muss in der Schweiz noch vieles besser kommen.

Die Grundgesetze des Vereins vom 12. November 1827 (abgedruckt S. 4 ff.), deren Prinzipien heute noch gelten, überwiesen der Vereinstätigkeit neben der Fürsorge für die Entlassenen auch die Beaufsichtigung und Besserung des Strafvollzuges. Ein Vierteljahrhundert lang dauerte diese zweispurige Wirksamkeit, bis seit der Mitte des letzten Jahrhunderts der staatliche Strafvollzug in Preussen so sehr in vervollkommnete Bahnen einlenkte, dass die Beihülfe eines privaten Institutes untunlich wurde. Seitdem beschränkt sich der Verein auf den Schutz resp. auf die „Besserung"

der Ausdruck behagt mir mit seiner speziellen Bedeutung wenig der Entlassenen. In verschiedenen, nach Möglichkeit selbständig gestalteten, Abteilungen übt er den Schutz der entlassenen Männer, Frauen und Jugendlichen, einschliesslich der „wegen Mangels an Unterscheidungsvermögen" freigesprochenen Jugendlichen. Eine besondere Abteilung besteht für katholische Strafentlassene; seit 1900 ist in richtiger Erkenntnis kriminalpolitisch-präventiver Gesichtspunkte die Fürsorge für die Angehörigen der Detinierten angegliedert worden. Was aber vor allem Bewunderung verdient, ist die Tätigkeit des 1883 gegründeten Arbeitsnachweisbureaus, das bis 1900 51,500 Entlassenen Arbeit verschafft hat; namentlich verdient die sichere und weitausgreifende Organisation dieses Zweiges Beachtung (S. 94-119). Hafter.

[merged small][ocr errors][merged small]

Militärstrafgesetzbuch. Motion von Herrn Nationalrat Brosi, vom 18. Dezember 1901: „Der Bundesrat wird eingeladen, Bericht und Antrag zu bringen, ob nicht das Bundesgesetz über die Strafrechtspflege für die eidgenössischen Truppen, vom 27. August 1851, zu ergänzen sei durch eine Novelle, durch welche dem Richter gestattet wird, bei der Strafzumessung in Friedenszeiten unter das angedrohte Minimum herabzugehen oder auch auf eine mildere Strafart zu erkennen".

Initiative gegen das zürcherische Sittlichkeitsgesetz vom Jahre 1897. Die Unterzeichneten begehren hiermit, dass das Sittlichkeitsgesetz vom Jahre 1897 abgeändert wird und die §§ 119, 120, 123 aus dem zürcherischen Strafgesetzbuch erlöschen, in dem Sinne, dass diese Paragraphen nur für das Begehren der Toleranzhäuser ausser Kraft treten, damit die Toleranzhäuser nicht nur geduldet, sondern durch ein spezielles Geschäfts-Patent staatlich patentiert werden; ebenso müssen dieselben unter strenger sanitarischer und polizeilicher Kontrolle, sowie Schutz stehen; auch sollen die Insassen dieser Häuser volle Freizügigkeit haben, sowie es zu wünschen ist, dass diese Toleranzhäuser in Gassen verlegt werden, wo keine Anstössigkeit für die Jugend vorhanden ist, und in verschiedene Kreise der Stadt verteilt werden, sowie in beschränktem Masse auf 10,000 Einwohner je eins bewilligt und genehmigt werden soll.

Zur Begründung unserer Initiative führen wir folgendes an:

Dass Verlangtes von grossem Interesse und Werte für das Volkswohl ist; dass, seitdem die Toleranzhäuser aufgehoben worden sind, die Sittlichkeitsverbrechen und Krankheiten in bedeutendem Masse gestiegen und hierunter ebenso die öffentliche Ordnung als Moral leidet, so dass sich durch die gegenwärtigen Zustände das Übel auf der Strasse und in unzähligen sogenannten Unterkunftshäusern etc. derartig verbreitet hat, dass unsere Initiative zum Schutz der Jugend, unserer künftigen Generation, und der Moral der Gegenwart und Zukunft von grösstem Werte und menschliche Pflicht ist. Auch ist es im Interesse für den Fremdenverkehr und der reifenden Jugend, dass hier Wandel geschaffen und Ordnung in diese Sache gebracht wird, denn ein Strafgesetz ist weder berechtigt noch im stande, ein Naturgesetz unverständigerweise zu verbieten. Überdies war schon im

Jahre 1897 der grösste Teil unserer Herren Ärzte gegen die Aufhebung der kontrollierten Toleranzhäuser, da ihr Bestehen die Sittlichkeitsverbrechen, Krankheiten und Vaterschaftsprozesse bedeutend verminderte und dadurch der Staat und die Gemeinden in finanzieller Beziehung auch weniger in Anspruch genommen wurden.

Ebenso können unsere Frauen und Töchter jeden Standes unsere Initiative nur begrüssen, weil dadurch die belästigenden ehrverletzenden Zudringlichkeiten, denen sie bei diesen unhaltbaren Zuständen auf allen Wegen ausgesetzt sind, wieder beseitigt werden. Zudem ist es auch jeder Mutter erste Pflicht, die Kinder vor bösen Beispielen und bitteren Erfahrungen zu schützen und zu bewahren.

Gestützt auf vorstehendes Begehren verlangen die Initianten von unserer löblichen Regierung baldigst eine Gesetzesvorlage, die der kantonalen Abstimmung unterworfen werden soll.

Zürich, im Mai 1902.

Das Initiativ-Komitee.

Zur neuen Initiative gegen das,,Sittlichkeitsgesetz" von 1897. Das Aktionskomitee des kantonalen zürcher. Männervereins zur Hebung der öffentlichen Sittlichkeit hat in seiner letzten Sitzung u. a. auch die seit einiger Zeit anonym herumgebotene Initiative besprochen, welche unter vollständig falscher Begründung darauf hinausgeht, für die Wiedereinführung der öffentlichen Häuser Stimmen zu sammeln. Das Aktionskomitee des Männervereins möchte daher auf folgendes aufmerksam machen:

Seit dem Bestehen der vom Kantonsrate revidierten Artikel des Strafgesetzes (die Fassung der damaligen Initiative wurde bekanntlich verworfen, nachdem sie auch von der Vertretung der Initianten fallen gelassen war) haben sich in Zürich weder in gesundheitlicher Hinsicht die Zustände verschlimmert, noch haben auch in strafrechtlicher Beziehung die Fälle sich abnorm vermehrt. Das gerade Gegenteil ist der Fall, wie wir zahlenmässig an Hand der offiziellen Zählungen in unserem letzten Rechenschaftsberichte nachgewiesen haben. Auch der Hinweis auf die Bedürfnisse des «Fremdenverkehrs» kann uns nicht von der Notwendigkeit überzeugen, die von den Initianten verlangten «staatlichen» Institute einzuführen. Auf Fremde, die nur aus Anhänglichkeit an die Lasterhöhlen länger hier bleiben, wollen wir wohl mit der grössern Mehrheit der Bevölkerung gewiss gern verzichten. Ebenso wenig erscheint es uns vom Standpunkte unserer höhern Lehranstalten geboten, dem Antrag irgendwelche Begründung zuzuerkennen, nachdem selbst akademische Lehrer unbefangen die studierende Jugend vor den Gefahren der Unsittlichkeit in irgend einer Form wiederholt öffentlich und eindringlichst warnten. Wenn irgend etwas unserer Stadt, seitens der Eltern der uns anvertrauten jungen Leute, Zutrauen bringt, so ist es gewiss, neben der Vorzüglichkeit der Lehranstalten selbst, auch der sittliche Zustand der Stadt und der sittliche Ernst, mit dem unsere Gesetzgebung hierüber wacht. Mag dieser Zustand einzelnen persönlich unangenehm oder vom finanziellen Standpunkt aus nicht erwünscht sein, jedenfalls hat die Allgemeinheit keine Ursache, das seit 5 Jahren bestehende Gesetz, das

übrigens mit Ausnahme von Genf grundsätzlich mit allen andern kantonalen Rechten übereinstimmt, im Sinne der anonymen Initianten abzuändern, deren persönliche Beweggründe man nicht kennt.

Das Komitee hat beschlossen, vorläufig und zwar im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit die von den Initianten gemachten Vorschläge in der Öffentlichkeit nicht weiter zu bekämpfen, es ist jedoch jederzeit bereit, wenn im Ernst daran gedacht werden wollte, unsere Stadt mit den staatlich sanktionierten, unserer heutigen Kultur widerstrebenden öffentlichen Häusern auszustatten, mit allem Nachdruck der Bürgerschaft die traurigen Folgen, welche eine solche Einrichtung mit sich bringt, nochmals klar vor Augen zu legen. Eine erneute Abstimmung in Rat und Volk fürchten die leitenden Organe des kantonalen Vereins zur Hebung der öffentlichen Sittlichkeit, so sehr sie sie an sich bedauern müssen, mit Bezug auf das Endresultat nicht.

Jugendfürsorge im Verband schweizerischer Erziehungsvereine. In einer ausserordentlichen Generalversammlung in Bern, am 1. Dezember 1902, besprach der Verband die Frage seiner Stellung zu den Artikeln des Zivilgesetzentwurfs über die Fürsorgeerziehung (Art. 311-317). Die Erziehungsvereine empfinden einen doppelten Mangel; einmal dass oft die Vormundschaftsbehörden nicht rechtzeitig und nicht in der geeigneten Weise eingreifen wollen, da bei ihnen besonders der Kostenpunkt eine erhebliche Rolle spielt; sodann dass die Eltern, die ihre Kinder einem Erziehungsverein oder einer Anstalt freiwillig überlassen haben, bisher nicht an der Überlassung rechtsgültig festgehalten werden konnten, denn über das Elternrecht gilt kein privater Vertrag. In beiden Richtungen sucht der Verband eine Besserung. Sein tüchtiger Referent, Gerichtsschreiber Dr. Gautschi in Kulm (Aargau), der sich in erfreulicher Weise in die Verhältnisse hineingearbeitet und auch besonders die wichtigen deutschen Gesetze der letzten Jahre studiert hatte, brachte zwei Thesen vor:

«Zur Klagführung gegen die Eltern sollen auch die Vorstände staatlich anerkannter Erziehungsvereine berechtigt sein.>

Die Verträge zwischen Eltern und staatlich anerkannten Armenerziehungsvereinen betreffend Überlassung der Kinder zur Erziehung sollen rechtskräftig erklärt werden. Den Eltern soll immerhin vorbehalten bleiben, aus wichtigen Gründen vorzeitige Aufhebung eines solchen Erziehungsvertrages zu verlangen.»

Bezüglich der zweiten dieser Thesen wies der Referent auf das Verfahren im Kanton Aargau hin, wo man die Eltern schon seit zehn Jahren auf einem Formular einen zeitweisen Verzicht auf ihre Elternrechte er

klären lässt, mit gutem Erfolge, wenn auch die Rechtsgültigkeit des

Verzichtes zweifelhaft ist.

Die Gedanken der Thesen fanden ziemlich allgemein Zustimmung; man erkannte ihre volle Berechtigung. Einzelne, auch wohlberechtigte Ausstellungen können hier vorläufig unerwähnt bleiben. Doch muss das bemerkt werden, dass eine Klagführung der Vereine bis jetzt noch völlig in der Luft schwebt, da nach dem Entwurf gar keine Gerichtsbehörde vor

« PreviousContinue »