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ihre Bedenken haben; aber es erscheint eigentlich kaum möglich, dass Verbrecher, wie Wucherer, Urkundenfälscher, Unterschlager amtlicher Gelder, Brandstifter, Sittlichkeitsverbrecher, überhaupt noch über Gesetze abstimmen oder Richter wählen sollen. Es muss dem Unbestraften oder gar der stimmunfähigen Frau eigentümlich vorkommen, wenn jemand, der vor zwei Jahren aus dem Zuchthaus kam, wieder das höchste Bürgerrecht ausüben darf. Aus diesem Gedanken erklärt sich das Postulat der Verschärfung dieser Einrichtung. Viel richtiger möchte als Gegenwirkung die Einführung der Rehabilitation sein.

Die hier vorgetragenen Postulate treffen nur ein kleines Gebiet des Strafrechts, aber sie sind social von grösster Bedeutung. Freilich kann die Gesetzgebungspolitik nicht immer allen socialen Forderungen entsprechend ihrer Bedeutung gerecht werden, da sie vielseitige Rücksichten zu nehmen hat. Der Fortschritt muss den Weg der Kompromisse gehen. Hier ist versucht worden, die Forderungen in ihrer Bedeutung klarzulegen und zu zeigen, was das Strafrecht dazu thun müsste und wohl auch thun kann!

† Bernhard Getz,

Reichsadvokat,

21. März 1850-6. Nov. 19011).

Plötzlich und unerwartet kam die Botschaft, dass Bernhard Getz gestorben. Mit vollem Recht trauern seine Landsleute über den Verlust. Aber der Verlust trifft nicht nur sein Vaterland. Im ganzen Norden und weit über die Grenzen der Länder des Nordens wird er schwer gefühlt werden. Denn Getz stand in der vordersten Reihe derer, die es sich zur Aufgabe ihres Lebens gemacht, das Rechtsleben zu erforschen und zu einer Gestaltung desselben beizutragen, die seiner Bedeutung für die sittliche Kultur des Volkes entspricht. Sein vorzeitig abgebrochenes Lebenswerk hinterlässt bleibende Spuren in Wissenschaft, Rechtsanwendung und Gesetzgebung. Noch konnte man vieles von ihm erwarten, da er von echtem wissenschaftlichem Geiste und unendlichem aufopferungsvollem Arbeitseifer beseelt war. Immerhin ist das, was er in seinem allzu kurzen Leben ausgerichtet hat, durchaus nichts nur halb Vollendetes. Im Gegenteil. Bei fortgesetzter Wirksamkeit hätte er noch mehr Gebiete in Angriff nehmen können, aber auf den meisten der von ihm gepflegten war er an das gesteckte Ziel gelangt und hinterlässt einen Schatz, den sein Heimatland und andere Länder noch lange werden verwerten können.

Schon aus dem äusseren Eindruck seiner öffentlichen Laufbahn kann man auf die eingreifende Bedeutung schliessen, die sein Wirken für die Rechtsentwicklung in Norwegen während der 25 Jahre gehabt hat, während deren ihm eine Wirksamkeit vergönnt war. Eine Preisbewerbung, bei der er siegte, führte ihn im jugendlichen Alter

1) Dieser Nachruf des Geh. Staatsrats Dr. C. Goos in Kopenhagen wurde veröffentlicht in der « Nordisk Tidsskrift for fængselsvæsen og praktisk strafferet», Jahrgang XXIV, S. 233–240; hiernach übersetzt von A. Teichmann. Eine Gedächtnisrede hielt Prof. F. Hagerup (mitgeteilt in der « Tidsskrift for Retsvidenskab », 1901, S. 341---357, deutsch mitgeteilt in der «Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft », Bd. XXII.

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von 25 Jahren 1875 auf einen juristischen Lehrstuhl an der Universität Christiania. Von seinen hierfür gelieferten Arbeiten war besonders die strafrechtliche Über die sogenannte Teilnahme an Verbrechen von Bedeutung. Die darin niedergelegten Lehrsätze hielt er bei den strafrechtlichen Gesetzgebungsarbeiten, die ihn später beschäftigten, fest. Beinahe 10 Jahre konnte er fast aus schliesslich sich der wissenschaftlichen Arbeit seiner Stellung als Professor widmen. Viele wichtige Abhandlungen und ein grösseres Werk über die Berufung verdankt man ihm aus dieser Zeit.

Von diesem Posten wurde er 1885 zur Beteiligung an der Ausarbeitung wichtiger Gesetze und Entwürfe berufen, die den norwegischen Prozess und das Strafrecht umgestalteten oder umzugestalten bezweckten. Diese Wirksamkeit blieb von nun an seine Hauptthätigkeit. Er nahm mit Blehr und Beichmann teil an der Ausarbeitung des Entwurfs, der dem norwegischen Strafprozessgesetz vom 1. Juli 1887 zu Grunde liegt, durch das Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Zuziehung von Laienrichtern eingeführt wurden. Als dieses Gesetz im Jahre 1889 in Kraft trat, wurde Getz dazu berufen, an höchster Stelle als Reichsadvokat die neu eingerichtete Staatsanwaltschaft zu leiten, auf deren ganze Wirksamkeit er somit einen eingreifenden Einfluss von ihrem ersten Beginn an auszuüben in der Lage war. Nach einigen Jahren zog er sich von dieser Stellung zurück, da andere Gesetzarbeiten ihn in Anspruch nahmen, zuerst die Arbeiten in der 1885 eingesetzten Strafgesetzkommission, in der er nicht nur formell der Vorsitzende, sondern auch reell der Hauptarbeiter wurde. Das Resultat dieser Kommissionsarbeiten waren in erster Linie die beiden Gesetze vom 29. Juni 1889 und 28. Juni 1890, die grosse und wichtige Teile des geltenden Strafgesetzes von 1842 nach den Anforderungen der Zeit und den dringendsten Bedürfnissen der veränderten Verhältnisse umgestalteten. In anderer Richtung kam es zu einer Reihe von Entwürfen, von denen bisher erst einzelne zu Gesetzen geworden. Unter ihnen muss zuerst und zumeist der Entwurf zu einem ganz neuen allgemeinen bürgerlichen Strafgesetz genannt werden, der in letzter Lesung 1896 angenommen wurde. An diesen Hauptentwurf, für den schon 1887 und 1893 der Grund gelegt worden, schloss sich der Entwurf zu einem Gesetze behufs Verhütung der öffentlichen Unsittlichkeit und venerischen Ansteckung (1892), über Landstreicherei, Bettelei und Trunkenheit, wie über Zwangsarbeitshäuser (1894), und mehr unmittelbar ein Entwurf zu einem Einführungsgesetz des allgemeinen bürgerlichen Strafgesetzes (1896), über Disciplinarvergehen und Entlassung civiler und geistlicher Beamter

und Bediensteter (1896), sowie über das Gefängniswesen und über den Vollzug von Freiheitsstrafen (1896). Endlich hat die gleiche Kommission 1896 einen Entwurf über teilweise Abänderungen im Strafprozessgesetz aufgestellt, die das neue Strafgesetz notwendig machen wird. Im Jahre 1900 wurde auf dieser Grundlage teils ein Gesetz über das Gefängniswesen und Zwangsarbeit, teils eines über Landstreicherei, Bettelei und Trunkenheit (beide vom 31. Mai 1900) crlassen1). Der Hauptentwurf mit dem dazu Gehörigen wird noch beraten. Im Jahre 1890 musste Getz an die Spitze einer Kommission treten, die die Aufgabe hat, auch die bürgerliche Rechtspflege umzuformen. Diese Arbeit vermochte er nicht zu vollem Abschluss zu bringen. Doch berichtet man, dass sie so weit gefördert ist, dass der Kommission von seiner Seite ein Entwurf über diese grosse Materie zur Behandlung vorgelegt werden konnte.

Trotz den grossen legislativen Arbeiten, die allmählich auf seinen Schultern ruhten, entzog er sich doch keineswegs einer Menge von Geschäften, die im öffentlichen und kommunalen Leben ihm von der Regierung auferlegt oder durch das Zutrauen seiner Mitbürger übertragen wurden. Von diesen Geschäften, die hier nicht aufgezählt werden sollen, verdient besondere Erwähnung, dass er Mitglied und Vorsitzender der norwegischen Abteilung des Unionskomitees war, das 1895 eingesetzt wurde, um einen Vorschlag zu einem Unionsakte zwischen Norwegen und Schweden auszuarbeiten.

Die ganze umfassende, praktische und legislative Arbeit von Getz ruhte auf wissenschaftlichem Grunde. Er war und blieb dabei der selbständige, tiefgehende und umsichtige Mann der Wissenschaft. Das gerade giebt allem, was er auf diesen Gebieten zu stande brachte, den grossen, bleibenden Wert. Wo sich Anlass bot, trat er auch ferner als wissenschaftlicher Schriftsteller auf, das letzte Mal wohl in der Darstellung des staatsrechtlichen Verhältnisses zwischen Finland und Russland (in der Tidsskrift for Retsvidenskab, 1900) 2). Beständig wandte man sich auch an den hochstehenden Mann der Wissenschaft, wo es rechtswissenschaftliche Ziele zu erreichen galt. die nach seinem Namen und seiner Einsicht verlangten. So war er Vorsitzender der norwegischen Abteilung für die Leitung der nordischen Juristentage 3). An ihn wandte sich die juristische Fakultät

1) Der Text beider Gesetze ist mitgeteilt in «Nordisk Tidsskrift for fængselsvæsen », 1901, S. 2-27, deutsch im «Gerichtssaal », Bd. LX, S. 363 bis 382.

2) Deutsch: Leipzig, Verlag von Duncker & Humblot, 1900.

3) Der 9. Juristentag tagte zu Christiania, 28. bis 30. August 1899; Kriminalistenvereinigungen finden in Norwegen seit 1892, in Dänemark

seit 1900 statt.

Und er übernahm

in Lund, um einen norwegischen Mitcensor bei einer Bewerbung um eine Professur für Strafrecht an dieser Universität zu gewinnen. Auch für vorliegende Zeitschrift war er eine der wissenschaftlichsten Stützen. um ihm auch noch persönlich als einem Manne der Wissenschaft zu danken 1) bereitwilligst die Durchsicht aller der Bogen meiner Darstellung des nordischen Strafrechts in Rücksicht auf Norwegen in der „Nordisk Retsencyklopædi“ und besorgte dies wahrlich nicht mit Sammetpfoten!

Es ist hier nicht der Ort noch Zeit dazu, näher oder im einzelnen den grossen innern Wert der wissenschaftlichen und legislativen Arbeit von Getz zu beleuchten, oder kritisch die Rechtsfragen, die er behandelt hat, und die Lösungen, die er ihnen gab, zu untersuchen. Selbst wenn sich die Erörterung auf die Gesetzarbeit beschränkte, die wohl sein monumentum ære perennius bleiben wird, und die jedenfalls dieser Zeitschrift zunächst liegt, nämlich den Entwurf zu einem ganz neuen Strafgesetz für Norwegen und die sich daran unmittelbar anschliessenden Entwürfe, wäre der Stoff viel zu reich, mag man an die vielen Fälle denken, wo anzuerkennen, dass er die richtige Lösung gefunden hat, oder an die seltenern, wo dieses sich bestreiten liesse. Ich will nur ein paar mehr allgemeine Betrachtungen anlässlich dieser Strafgesetzentwürfe anstellen als einen Beitrag zu der ihm gebührenden Dankesbezeigung, die ihm auch oft seitens derer zu teil wurde, denen die Entwicklung des Strafrechts am Herzen liegt, für seine in diesen Entwürfen geleistete Arbeit.

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Zuerst will ich an Oersteds Formulierung der an den Bearbeiter eines systematischen Strafgesetzes zu stellenden Anforderungen er innern. Hier wird so sagt er im Jahr 1809 im „Juristischen Archiv" XX, 239 der sichere, durchdringende Blick, die fruchtbare, die möglichen Verwicklungen der Fälle berechnende Kombinationsgabe, die niemals aussetzende Aufmerksamkeit auf das Ganze und die kleinsten Glieder, die stete Sorge für Klarheit, Bestimmtheit, Ordnung und kernige Kürze im Vortrag gefordert als Faktoren einer guten Strafgesetzgebung." Wie bekannt, vermisste Oersted diese Faktoren in den meisten Strafgesetzen und Strafgesetzentwürfen, die am Schlusse des 18. und zum Beginne des 19. Jahrhunderts an das Licht traten in dem Grade, dass er dem Zeitalter Annäherung an das Ziel in der Kunst der Entwerfung von Strafgesetzen absprach.

1) Vergleiche auch Vorwort zum speciellen Teil des nordischen Strafrechts von C. Goos in der «Retsencyklopædi » (1899).

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