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herausgekommen ist. Hat deren Herausgabe ausserhalb des Kantons stattgefunden, so tritt der Gerichtstand des Beklagten ein."

Die (bernische) Gesetzgebung ermöglicht daher, die strafrechtliche Verfolgung des Aebi wegen des von der Elberskirchen gegen ihn eingeklagten Pressvergehens zu Handen der bernischen Gerichte zu übernehmen. Im Hinblick auf diese Rechtslage, sowie mit Rücksicht auf die Einsprache des Angeschuldigten habe daher der Regierungsrat beschlossen, von der beantragten Auslieferung des Aebi Umgang zu nehmen, verpflichte sich dagegen, den Fall den kompetenten Behörden des Kantons Bern zur Untersuchung und Beurteilung nach den bernischen Gesetzen zu überweisen, wofern die zuständigen zürcherischen Behörden nach dem Rechtssatz non bis in idem ihrerseits auf die weitere Strafverfolgung des Aebi dieser Sache wegen rechtsverbindlich und endgültig Verzicht leisten.

Man darf diese Erklärung nicht so interpretieren, dass damit nur die Auslieferung des Aebi behufs Stellung vor das zürcherische Gericht verweigert werde, denn die Anfrage bezog sich eventuell auch auf die Frage der Auslieferung behufs Exekution des Strafurteils und die Erwägungen des bernischen Regierungsrates weisen deutlich genug darauf hin, dass sein abweisender Bescheid diesen Sinn hat. Es geht auch nicht an, demselben den Sinn zu unterlegen, dass nur der Vollzug einer Gefängnisstrafe im Kanton Zürich verweigert werde. Zunächst ist nämlich klar, dass damit die Exekution eines auf Gefängnisstrafe lautenden Urteils abgelehnt ist, denn diese Strafe muss im Kanton Zürich vollzogen werden. Wenn aber die Exekution eines auf Gefängnisstrafe lautenden Urteils verweigert wird, so ist es eine Forderung der Logik, dass das Urteil überhaupt, auch wenn es nur auf Geldbusse lauten sollte, nicht vollzogen werden kann, solange der Verurteilte im Kanton Bern wohnt, ganz abgesehen davon, dass man zur Zeit nicht weiss, ob der Angeklagte durch die zürcherischen Gerichte zu Gefängnis oder zu einer Geldbusse verurteilt werden wird. Ein Widerspruch des angefochtenen Beschlusses gegen § 238 des Strafgesetzbuches liegt somit nicht vor und deshalb weder der Nichtigkeitbeschwerdegrund von Ziffer 6 noch derjenige von Ziffer 4 der Rechtspflege.

Demnach hat das Kassationsgericht beschlossen :

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

12. Urteil vom 26. Juli 1901 in Sachen des stud. phil. Siegfried Mehler gegen die Staatsanwaltschaft, Anklägerin, betreffend Körperverletzung.

Der stud. phil. Siegfried Mehler von Cernowitz ist von der III. Appellationskammer des Obergerichtes auf die Anklage hin, dass er zwei Brüdern, Heinrich und Adolf Graf, nach vorangegangenem Wortwechsel Dolchstiche versetzt habe, der vorsätzlichen

Körperverletzung schuldig erklärt und zu 14 Tagen Gefängnis und Fr. 60 Busse verurteilt worden. Er erhebt hiergegen rechtzeitig Nichtigkeitsbeschwerde.

In erster Linie behauptet er, das Urteil verletze materielle Gesetzesvorschriften. Denn trotzdem die Akten ergeben, dass er ,,den verhängnisvollen Stich" (es sind aber mehrere gewesen) erst bei der Verfolgung durch die Brüder Graf geführt habe, habe die Vorinstanz sich über diese Tatsachen hinweggesetzt. Allein der Vorderrichter hat in den Erwägungen die Einwendung der Notwehr geprüft und die Gründe angegeben, aus denen er sie für nicht stichhaltig hält. Eine Überprüfung dieser Einwendung steht diesseitiger Instanz nicht zu, und es ist auch nicht abzusehen, welche materielle Gesetzesvorschrift durch das angefochtene Urteil verletzt worden sein sollte.

In zweiter Linie bringt die Beschwerde vor, in der ersten Verhandlung der Appellationskammer habe Oberrichter Ziegler bei Beginn der Diskussion erklärt, er habe die Akten nicht gelesen, die Beratung sei dann um acht Tage verschoben worden. Dadurch seien die Rechte der Verteidigung beeinträchtigt worden, und das Gericht sei nicht gehörig besetzt gewesen. Das Protokoll des Obergerichtes ergibt, dass in der ersten Verhandlung, welche am 6. Juni dieses Jahres stattfand, nach Schluss der Parteivorträge die Akten auf den Kanzleitisch gelegt wurden, dass dann am 13. Juni vor Gericht die Parteien und deren Vertreter (für Mehler der Rechtsanwalt Dr. Weissflog) wieder erschienen und nun das Urteil gefällt wurde. Es ist nun ganz richtig, dass ein Richter, welcher die Akten nicht gelesen hat, nicht in gehöriger Weise an der Fällung des Urteils teilnehmen kann; allein angenommen die vom Beschwerdesteller gemachten tatsächlichen Angaben seien richtig, so ist der Vorderrichter, sobald der Mangel festgestellt war, durchaus korrekt vorgegangen, die Parteien erhielten Gelegenheit, neuerdings vor Gericht zur Beratung des Urteils zu erscheinen, sie haben diese auch benützt, und Mehler behauptet selbst nicht, dass er oder sein Anwalt bei der zweiten Verhandlung etwa neuerdings irgend welche Verteidigungsgründe hätten vorbringen wollen und ihnen das verwehrt worden sei. Die Rechte der Verteidigung sind somit keineswegs verletzt worden; und ebenso wenig war das Gericht bei der Urteilsfällung ungehörig besetzt, denn es wird nicht einmal behauptet, geschweige nachgewiesen, dass bei derselben der frühere Mangel nicht gehoben gewesen sei.

Demnach hat das Kassationsgericht beschlossen:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

13. Urteil vom 15. Januar 1900 in Sachen des Bernhard Wünsch von Siebenthal, Regierungsbezirk Liegnitz, Königreich Preussen, geb. den 5. Januar 1870, verheiratet, kinderlos, Maler, einmal vorbestraft wegen Sachbeschädigung, wohnhaft in Zürich V, betreffend Notzucht und Vornahme unzüchtiger Handlungen vor Kindern.

(Prozessuale Beschwerde.)

1. Mit Urteil vom 29. November 1899 hat das Schwurgericht den Angeklagten und heutigen Kassationskläger der Notzucht, im Sinne des § 110 des Strafgesetzbuches, und der wiederholten Vornahme unzüchtiger Handlungen vor einem Kinde, im Sinne des § 124 ibidem, schuldig erklärt und ihn zu 3 Jahren Zuchthaus und nachheriger zehnjähriger Landesverweisung verurteilt. Durch den Wahrspruch der Geschworenen war der nachfolgende Tatbestand festgestellt worden:

a) Der Angeklagte hat im Frühjahr 1898 im Schlafzimmer seiner damaligen Wohnung, Werdgässchen 25, Zürich III, die Anna Tobler von Pfäffikon, geb. den 13. September 1888, zum Beischlafe missbraucht, indem er sich im Bett auf das Mädchen legte und seinen Geschlechtsteil mit dem ihrigen vereinigte. b) Derselbe hat zur nämlichen Zeit und am gleichen Orte zu wiederholten Malen mit seiner damaligen Geliebten, Frau Anna Elisabetha Bosshard, vor dem im gleichen Bett befindlichen Kinde dieser Frau, der am 13. September 1888 geborenen Anna Tobler, den Beischlaf vollzogen.

2. Gegen dieses Urteil erhebt Advokat Dr. R. Lang namens des Kassationsklägers Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung gesetzlicher Prozessformen. Die Anna Tobler nämlich, welche durch die im Oktober 1898 vollzogene Heirat ihrer Mutter, Frau A. E. Bosshard, mit dem Angeklagten und Kassationskläger dessen Stieftochter geworden, sei weder in der Voruntersuchung, noch in der Hauptverhandlung auf das ihr zustehende Recht der Zeugnisverweigerung aufmerksam gemacht worden. Dadurch seien die Vorschriften der §§ 863, 864 des Gesetzes über die Rechtspflege verletzt worden.

Die Verletzung dieser Prozessform sei aber auch von Einfluss. auf das Schulderkenntnis gewesen; denn die Staatsanwaltschaft habe sich bezüglich des Tatbestandes der eingeklagten Handlungen auf nichts anderes berufen, als auf die Aussagen dieser Zeugin, Anna Tobler. Wären deren Aussagen nicht vorgelegen, so hätte ein Schulderkenntnis zum Nachteil des Angeklagten nicht stattfinden

können.

3. Weder die Protokolle über die Einvernahmen der Anna Tobler in der Voruntersuchung, noch das Protokoll über die Hauptverhandlung enthalten einen Vormerk dahingehend, dass ihr die

Ablegung des Zeugnisses freigestellt worden sei. Aus den Vernehmlassungen der Beamten, welche in vorliegender Sache gehandelt haben, ergibt sich folgendes:

a) Der Statthalter von Pfäffikon, der am 17. Mai 1899 zuerst die Zeugin einzuvernehmen hatte, berichtet, dass er sich trotz vielfachen Nachdenkens nicht mehr erinnern könne, ob er die Anna Tobler auf die Bestimmungen der §§ 863, 864 des Gesetzes über die Rechtspflege aufmerksam gemacht habe. b) Bezirksanwalt Dr. Schmid in Zürich, an welchen die Führung der Untersuchung übertragen wurde, bemerkt, er habe, nachdem die Anna Tobler bereits einvernommen gewesen sei, angenommen, sie habe das Zeugnis nicht verweigern wollen. Es wird auch darauf verwiesen, dass zur Zeit der Begehung der Tat der Angeklagte sich noch nicht in dem vom Gesetze vorausgesetzten Verwandtschaftsverhältnis zur Zeugin befunden

habe.

c) Der Schwurgerichtspräsident hatte sich auch seinerseits damit beruhigt, dass die Zeugin Anna Tobler in der Voruntersuchung mehrmals und ohne Anstand Zeugnis abgelegt habe; übrigens sei es nach der Vernehmlassung des Statthalters von Pfäffikon keineswegs ausgeschlossen, dass der gesetzliche Vorhalt gemacht worden sei. Die Unterlassung habe übrigens auf den Wahrspruch deswegen keinen Einfluss gehabt, weil die Anna Tobler gleich im Beginne der Untersuchung zuerst in eine andere Familie und alsdann in eine Anstalt verbracht und dadurch den Einflüssen der Mutter und des Stiefvaters entzogen worden sei. Zweifelsohne hätte sie auch auf den Vorhalt hin zum Zeugnis sich bereit erklärt, wie sie denn auch in der Hauptverhandlung aus freien Stücken jene weiteren Enthüllungen gemacht habe, die zur Klagestellung bezüglich der Vornahme unzüchtiger Handlungen in Gegenwart von Kindern geführt hatten (§ 951 des Gesetzes über die Rechtspflege). Endlich wird festgestellt, dass die Verteidigung im Hauptverfahren weder die Stellung des Vorhaltes an die Zeugin verlangt, noch sonst in irgend einer Weise den Mangel der Voruntersuchung gerügt habe.

4. Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde und anerbot den Beweis dafür, dass die Zeugin Anna Tobler auch dann das Zeugnis abgelegt hätte, wenn ihr dasselbe freigestellt worden wäre. Hierfür wurden als Zeugen die Anna Tobler selber, sowie deren Vormund zur Verhandlung vorgeladen.

5. Der vom Kassationskläger gerügte Mangel, dass die Zeugin Anna Tobler trotz ihres Verhältnisses zum Angeklagten als Stieftochter (§ 863, Ziffer 1, des Gesetzes über die Rechtspflege) nicht auf ihr Recht, das Zeugnis zu verweigern, aufmerksam gemacht

worden sei, ist als vorhanden anzusehen. Das Gesetz verlangt, dass ein solcher Vorhalt am Protokoll vorgemerkt werde, und wenn der Untersuchungsbeamte auch nicht mit Bestimmtheit sich erinnert, die Anfrage unterlassen zu haben, so ist das kein Beweis für die Unrichtigkeit des Protokolls, aus welchem dieser Mangel ersichtlich ist (§ 156 des Gesetzes über die Rechtspflege). Allerdings wird ein Kind von 11 Jahren kaum im stande sein, die Bedeutung der von ihm geforderten Erklärung zu verstehen, allein das Gesetz, das die Einvernahme eines solchen Kindes als Zeuge zulässt, macht für diesen Fall keine Ausnahme von der Vorschrift des § 864. Zur Zeit der Einvernahme war die Zeugin Stief kind des Angeklagten ; dass sie zur Zeit der Tat, über welche sie auszusagen hatte, es noch nicht war, ist durchaus gleichgültig; es kommt nur darauf an, ob der Zeuge im Augenblick, da das Zeugnis von ihm verlangt wird, den Widerstreit zwischen der Pflicht, die Wahrheit zu sagen, und verwandtschaftlicher Zuneigung oder Rücksichtnahme zu empfinden Veranlassung hat. Soweit nur die Voruntersuchung von dem Mangel betroffen ist, dürfte letzterer allerdings nicht durch das Kassationsgericht gerügt werden, da die Nichtigkeitsbeschwerde sich nur auf Fehler im gerichtlichen Verfahren gründen kann. Allein die Zeugin ist eben auch im Hauptverfahren ohne Beobachtung der gesetzlichen Formen einvernommen worden, und § 899 des Gesetzes über die Rechtspflege sagt ausdrücklich, dass die Vorschrift des § 864 auch für die Hauptverhandlung zur Anwendung komme. Es darf auch aus der Tatsache, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung weder beantragt hat, der Zeugin den Vorhalt zu machen, noch den Mangel gerügt, kein gültiger Verzicht auf die Rüge abgeleitet werden, da unserem Rechte eine Vorschrift fehlt, wonach es Pflicht der Parteien wäre, Mängel des Verfahrens sofort zu Protokoll feststellen zu lassen. Endlich könnte der Mangel auch nicht mehr verbessert werden dadurch, dass heute der Zeugin der Vorhalt gemacht und sie veranlasst würde, sich zu erklären, ob sie das Zeugnis vor Schwurgericht auch dann abgelegt hätte, wenn ihr die Ablegung damals freigestellt worden wäre. Es geht denn auch die Entscheidung des Kassationsgerichtes vom 31. Januar 1881 nicht davon aus, dass der nachträglich gemachte Vorhalt, der übrigens in jenem Falle noch während der Hauptverhandlung vom Schwurgerichtspräsidenten ausging, den Mangel wieder gehoben habe. Vielmehr wird festgestellt, dass zwar Verletzung einer gesetzlichen Prozessform vorliege, dass aber, nachdem der Zeuge erklärt, er hätte auch in voller Kenntnis der Befugnis, das Zeugnis zu verweigern, von diesem Rechte keinen Gebrauch gemacht, nicht mehr anzunehmen sei, es habe die Verletzung der Prozessform einen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss auf die Schulderkenntnis gehabt.

6. In der Tat kann hier einzig der Nichtigkeitsgrund der Verletzung gesetzlicher Prozessformen im Sinne von § 1091, Ziffer 5,

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